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- 04.08.2001
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Erfüllte Wünsche
Jonathan C. hatte seit jeher den Wunsch unsichtbar zu sein. Er wollte nicht wie ein Geist zwischen seinen Mitmenschen wandeln, er wollte ihnen ausweichen.
Er war ein zartes Kind, Krankheiten machten ihm die gesamte Jugend über zu schaffen. Wenn er blass in seinem Bett lag und der Husten ihn im Griff hatte, kam er seinem Ziel bedrohlich nahe.
Sein Vater starb, noch bevor Jonathan begann, ihn als Konkurrenten zu sehen. Er trauerte um ihn, doch Mutter brachte ihn davon ab. Sie hatte ein düsteres Gemüt, das sich nach der Krankheit und dem Dahinscheiden ihres Mannes noch weiter verfinsterte. Sie strich nächtelang durchs Haus, unruhig wie eine Heuschrecke und tagsüber, als Jonathan sie brauchte, schlief sie.
Er begann, Bücher zu lieben, sie wurden wirkliche Freunde für ihn. Während seine Mutter in ihrem finsteren Heim den wolkigen Stimmungen nachhing, strich er durch die Gänge der städtischen Bibliothek und suchte neue Gesprächspartner. In einem las er von wandelnden Blättern, die echtem Laub so ähnlich sehen, dass sie von Fressfeinden nicht angegriffen werden.
Er studierte das Chamäleon, das auf andere Weise in der Lage war, sich seiner Umgebung anzupassen und auf die Art unsichtbar zu werden. Er las von Gottesanbeterinnen, die stunden-, manchmal sogar tagelang in derselben Pose verharrten und so eins wurden mit dem Umfeld. Polarfüchse, Spannerraupen, Karnevalsoktopusse, Schneehasen. Diese Tiere waren seine Helden, er versuchte es ihnen gleichzutun, sogar, wie er annahm, aus denselben Motiven.
Es war nicht Aversion gegen seine Mitmenschen, die ihn dazu trieb, sich vor ihnen zu verheimlichen, er empfand eine gewisse Art von Angst. Furcht vor Reaktionen, die er hervorrief, mit seinem Verhalten, seinen Gesten.
Seine Mutter starb einsam. Jonathan fand sie auf ihrem Lager, die schneeweiße Bettwäsche besudelt mit ihrem Blut. Eine Hand an der Flasche, dessen Hals abgeschlagen war.
Er war keine zwanzig, seine Bezugspersonen hatten die Bühne verlassen, er hatte ein Haus und Arbeit bei einer Versicherungsgesellschaft.
Und er hatte tiefes Misstrauen gegen seine Mitmenschen.
Also versuchte er, sich abseits zu halten, immer schön einen Schritt entfernt vom Nachbarn. Jeder noch so geringen Begegnung aus dem Wege gehen, indem er die relevanten Orte mied. Er ging grundsätzlich in den Abend- oder frühen Morgenstunden einkaufen, größeren Veranstaltungen blieb er fern, öffentliche Verkehrsmittel nutzte er selten. Stattdessen fuhr er Fahrrad, war froh über die Bewegung und genoss das Alleinsein.
War er doch auf den Bus angewiesen, den Zug oder den Flieger, passte er sich den Menschen an. In der Art ihrer Bewegungen und in der Geschwindigkeit imitierte er seine Mitmenschen, glich ihnen somit bis aufs Haar und wurde kaum noch wahrgenommen.
Irgendwann jedoch geschah das Unvermeidliche.
Feierabend war seit einigen Minuten vergangen, die Büros atmeten Menschen aus, langsam kehrte die Ruhe ein. Er hatte einen Auftrag zu Ende bearbeiten wollen und konnte nun mit ruhigem Gewissen seine Sachen zusammenräumen. Als er auf die Straße trat, ahnte er, dass etwas passieren würde.
Vor ihm ging Frau Kreuzer aus seiner Abteilung, einige Tische weiter. Er wusste nicht viel über sie.
Sie war wohl etwas jünger als er, hob sich von den anderen Frauen dadurch ab, dass sie sich nicht so furchtbar exponiert gab. Wenn er interessiert gewesen wäre, hätte er sie sicher hübsch gefunden. Offensichtlich hatte auch sie länger gearbeitet.
Er beobachtete eine Laufmasche an ihrer Wade, als es hinter ihm klingelte. Ein Radfahrer überholte ihn in einem haarsträubenden Manöver und scherte vor ihm wieder ein.
Er hatte die Frau vor Jonathan wohl nicht gesehen, denn als er in sie hinein fuhr, tat er das ungebremst. Frau Kreuzer schrie auf, knallte zu Boden und der Radfahrer raste überstürzt davon.
Frau Kreuzer stöhnte in die Stille hinein, langsam setzte sie sich auf und rieb über das blutige Knie. Von hier aus, wo Jonathan stand und sich fragte, was er tun sollte, konnte er ihre zerrissene Strumpfhose erkennen.
In dem Moment, in dem er auf sie zugehen und fragen wollte, ob er helfen könne (es waren wohl gut zwei Minuten vergangen), lief jemand an ihm vorbei auf sie zu und kniete sich neben sie.
„Kann ich Ihnen helfen?“, fragte der Mann. „Was ist passiert?“
Ganz einfach!
Jonathan drehte sich um und eilte davon, während ihm mehr Leute entgegenkamen. Er hätte sich beinahe sichtbar gemacht.
Die nächsten Tage fehlte Frau Kreuzer im Büro, Jonathan machte sich Sorgen. Doch am vierten Morgen kam sie wieder zur Arbeit und schien unverändert.
Trotzdem war er nervös bei ihrer ersten Begegnung nach dem Sturz, er fürchtete, sie könnte ihn auf den Vorfall hin ansprechen. Doch sie hatte ihn am Ort des Geschehens wohl gar nicht bemerkt, denn sie erwähnte ihren Unfall mit keinem Wort.
Er arbeitete weiter bescheiden in dem Großraumbüro. Pünktlich um 8 Uhr dreißig war er an seinem Platz, in der Mittagspause von halb eins bis eins ging er hinunter in den Park, aß seine Brote, und keine Minute später als fünf Uhr abends verließ er den Arbeitsraum im Strom mit den anderen Angestellten.
Er kam niemandem besonders nahe, war darauf bedacht, zu jedem recht freundlich und unverbindlich zu sein. Hin und wieder wurde er von seinem Chef angesprochen, zu besonderen Anlässen oder sehr wichtigen Terminen schon mal in dessen Büro zitiert, doch Jonathan wusste, wie er sich geben musste, ohne zuviel Eindruck zu hinterlassen.
Er bewegte sich wie die Masse, war aber niemals bei Ansammlungen zugegen und mied Betriebsfeste und Feierlichkeiten konsequent.
Er suchte weiter nach der Möglichkeit, sich unsichtbar zu geben. Er durchstreifte die Gänge der Bibliothek nach Hinweisen, schlug in diversen Fachbüchern nach, suchte Fußnoten und Querverweise. Er las sogar Romane und Kurzgeschichten.
So stieß er auf eine Erzählung von Jack London: „The Shadow and the Flash“. Abends saß er an seinem Schreibtisch, folgte den Buchstaben mit zitternden Fingern und war fasziniert. Weniger von dem Text, als von der Erkenntnis, dass sich ein Schriftstellers dieses Formates des Problems angenommen hatte.
Doch London ging es um den Konflikt, nicht um die Lösung. Jonathan fand, dass sich der literarische Wert des Stückes in Grenzen hielt.
Er fand eine Anzeige im Lokalblatt, die ihm sofort ins Auge sprang. Schon deshalb hätte er stutzig werden und darüber nachdenken müssen, dass es eventuell umgekehrt war.
Sie haben einen Wunsch, den Ihnen niemand erfüllen kann?
Ich schon!
Darunter eine Adresse, die er nicht kannte.
Er schüttelte den Kopf. Trotzdem er der Meinung war, dass sich hier jemand einen Scherz erlaubte, ging doch eine gewisse Faszination von dem Text aus. Von seiner Schlichtheit, der Eleganz, die sich daraus ergab.
Er wusste, auch wenn er nicht daran glaubte, würde er doch vorbeischauen, und wenn es nur aus Zufall war.
Die Tür war klein und lag unterhalb des Bürgersteigniveaus. Zwei Stufen führten hinab, Jonathan klopfte zaghaft und war erstaunt über seinen eigenen Mut. Eine Klingel gab es nicht, kein Türschild.
Es vergingen Augenblicke aus Sonnenlicht und Straßenlärm, sein Herzschlag über allem. Beinahe erleichtert, niemanden angetroffen zu haben, drehte er sich um und wollte das Treppchen hinaufsteigen, als ein Knarren ihm verriet, dass sich die Tür langsam öffnete. Er erstarrte, es blieb ihm nichts anderes übrig, als zurückzukehren.
In der Anzeige war kein Name aufgeführt gewesen. So war er erstaunt aber nicht überrascht, eine junge Frau vor sich zu sehen, die ihn freundlich anlächelte und ihm die Tür aufhielt.
„Ich komme auf Ihre Anzeige“, sagte er brüchig.
„Ich weiß“, sagte sie, lächelte weiter und ging voraus. Jonathan blieb nichts, als ihr zu folgen.
Es ging hinunter, ein Flur, dunkel und sehr schmal. Kaum dass er die Gestalt vor sich erkennen und ihr folgen konnte, so schien sich der Fußboden dazu noch zu neigen, was einen sehr seltsamen Eindruck ergab. Er musste sich an der Wand festhalten, dabei strich seine Hand über Auswüchse auf dem Putz, die eigenartige Assoziationen in ihm hervorriefen.
Brustwarzen?
Dazwischen Haare, gekräuselt, kurz. Er lief dem Mädchen hinterher, der Flur machte eine leichte Biegung, dann blieb sie stehen und beinahe hätte er sie umgelaufen.
Er blickte sich um, nirgends eine Lichtquelle.
Als sie endlich die Tür öffnete und damit das Licht hereinließ, sah er, dass sie immer noch lächelte. Sie kamen in eine Art Studierzimmer, an den Wänden mit Regalen voller seltsamer Utensilien. In der Mitte ein schwerer Schreibtisch mit Haufen von Papieren.
Das Mädchen setzte sich dahinter und war sofort hinter einem Aktenberg verschwunden. Sie schob ihn beiseite und wies lächelnd auf den Stuhl gegenüber.
Gehorsam folgte Jonathan; nach dem seltsamen Erlebnis im Flur fühlte er sich hier im Licht recht geborgen. Er spürte, dass von dem Mädchen nichts Böses ausging.
So saßen sie sich gegenüber und niemand sagte ein Wort. Sie war hübsch, Jonathan würde sie als rein bezeichnen, mit der vollkommenen Haut, den blonden Haaren, die herab fielen wie gelegt und ihren Augen, die eine Tiefe besaßen, wie er sie noch nie erlebt hatte. Überhaupt machte sie den Eindruck, als sei sie wirklich nur für ihn da.
„Weshalb solch ausgefallene Wünsche?“
Auch ihre Stimme besaß kaum einen Makel, weich und unaufdringlich.
Sie beugte sich vor, weil sie annahm, Jonathan hätte sie nicht verstanden. „Wieso wünscht man sich, unsichtbar zu sein?“
„Nein! Das …“ Jonathan riss sich los von ihrem Anblick. Etwas war geschehen, er spürte ganz deutlich, wie sich etwas löste in ihm. „Das ist nicht nur ein Zeitvertreib“, antwortete er brüchig. „Ich will … ich möchte nicht …“
Sie sah ihn an, den Kopf leicht schief gelegt, den Mund etwas geöffnet, mit erwartungsvollem Blick.
„Ich gehöre nicht dazu.“ Als er sich das sagen hörte, wusste er nicht recht, was er damit überhaupt meinte.
Das Mädchen beugte sich noch weiter über den Schreibtisch, einige Papiere raschelten. Sie schob sich weiter auf ihn zu, er war nicht in der Lage, sich zu bewegen.
„Mein armer Jonathan. Was für böse, böse Gedanken“, hauchte sie hinüber. „Ich kann dir helfen.“ Er spürte die Worte in seinem Gesicht. Eine Fliege umkreiste sein Sichtfeld, er versuchte, ihr mit dem Blick zu folgen, doch es gelang ihm nicht.
Das Mädchen hatte sich erhoben, als er sie wieder ins Auge fassen wollte. Sie stand neben ihm und lächelte auf ihn herab.
„Ich kann dir helfen“, wiederholte sie. Die Fliege umkreiste ihr Gesicht, doch sie schien es nicht zu bemerken.
Sie legte eine Hand auf seine Schulter, berührte mit den Fingern seinen Hals. Er erschauerte, als er die Bewegung aufwärts wandern fühlte.
Die Fliege kam ihm zu Bewusstsein, sie hatte sich auf der Wange des Mädchens niedergelassen. Jonathan wollte sie darauf aufmerksam machen, doch sie drehte sich um und ging zu einem Regal. Bevor sie sich abwandte, eine Bewegung in ihrem Gesicht.
Er schreckte auf. Hatte er richtig gesehen? Ihre Zunge?
Sie hatte sich schon wieder zu ihm umgedreht, kam lächelnd auf ihn zu und zeigte ihm etwas in ihrer Hand.
Es sah aus wie eine Tablette, eine dunkle Pille. Doch dann bewegte und entrollte es sich, und ähnelte plötzlich einem Wurm.
Als sie ihn in ihren Mund steckte, lächelte sie noch immer.
Ab hier ging alles ganz schnell. Jonathan war gar nicht mehr in der Lage, sich wegzudrehen. Das Mädchen beugte sich hinab, packte seinen Kopf mit beiden Händen und presste ihren Mund auf seinen. Das war ein Kuss, aber es war keine zärtliche Geste. Ihr Griff war hart und fordernd, er war nicht in der Lage, sich zu wehren.
Jonathan riss die Augen auf, und mit einem Male konnte er in ihre Pupillen blicken. Auf ihrem Grund sah er Schwärze und Entschlossenheit.
Sein Widerstand – sofern er spürbar vorhanden gewesen war – erstarb zusehends, er resignierte, ließ es mit sich geschehen.
Als das Mädchen ihre Lippen öffnete, tat er es ihr gleich und gab sich ihr vollends hin. Er wurde gierig, ein Gefühl erwachte in ihm und er wollte mehr.
Seine Hände hoben sich, ohne dass er Befehl dazu gab, sie griffen das Mädchen und zogen es noch fester zu sich heran.
Und als ihm schließlich die Sinne zu schwinden drohten, spürte er, wie es ihm mit aller Macht in den Rachen blies.
Ihm fiel der Wurm wieder ein, die Pille oder was immer es war. Er riss die Augen wieder auf und spürte, wie sie von ihm abließ. Während sie immer noch lächelte und ihn erwartungsvoll anblickte, fühlte er, wie das Ding ohne sein Zutun die Speiseröhre hinab glitt – es kroch hinab.
Das Mädchen setzte sich wieder hinter den Schreibtisch und begann, in einigen Papieren zu blättern. Sie blickte nicht auf, als sie sagte: „Du kannst jetzt gehen.“
„Was …was war das für ein Ding?“
„Geh jetzt“, fauchte sie ihn an, um dann etwas versöhnlicher hinzuzusetzen: „Ich habe dir deinen sehnlichsten Wunsch erfüllt, geh jetzt!“
Als Jonathan auf die Straße stolperte, dachte er nur halb im Ulk, ob sie es Ernst gemeint haben könnte. Er stellte sich einem Passanten in den Weg und war etwas enttäuscht, als der ihm mürrisch auswich.
Er beschloss das Erlebnis als peinliche, wenn auch überflüssige Begebenheit zu werten. Einige Tage noch beobachtete er misstrauisch seinen Stuhl, doch als klar war, dass sich darin nichts bewegte, unterließ er auch dies und vergaß die Episode mit dem Mädchen.
Sie fiel ihm erst wieder ein, als sein Chef eines Tages direkt vor seinem Schreibtisch stand und nach ihm suchte. Jonathan saß unmittelbar neben ihm, er konnte ihn faktisch anfassen. Trotzdem schien er für einen Moment für den Mann nicht sichtbar zu sein.
Er wurde euphorisch. Sollte die Wünscheerfüllerin ihn doch nicht an der Nase herumgeführt haben? Hatte sie hehre Absichten gehabt und der übertragene Wurm war verantwortlich dafür, dass Jonathan nach und nach in einen Zustand überging, in dem er letztendlich am Ziel seiner Wünsche wäre?
So begann er sich selbst zu beobachten, seinen Körper und darüber hinaus die Wirkung und Reaktion, die er bei anderen hervorrief. Er forschte verbissen in den Gesichtern seiner Mitmenschen nach Anzeichen, dass etwas Ungewöhnliches mit ihm vorging. Er suchte Erstaunen oder Erschrecken in ihren Mienen.
Der Spiegel in seinem Badezimmer zeigte ihm Veränderungen in seinem Gesicht. Er wurde blasser und machte mehr als je den Eindruck, dass eine Krankheit ihm innewohnte. Seine Augen waren vergrößert und schienen seltsam leer. Schwarz und finstert starrten ihm die Pupillen aus dem Spiegel entgegen.
Während seine Hände auf dem kalten Porzellan ruhten, starrte er weiter in sein Gesicht und es kam ihm immer fremder vor.
Ihn erschreckte die Leere, die er sah.
Er zuckte zusammen, als er merkte, dass er sich am Waschbecken festgekrallt hatte.
Im Laufe der folgenden Wochen mehrten sich die Episoden, in denen er unsichtbar wurde. Er konnte es nicht steuern, es passierte immer von sich aus. Und es geschah jedes Mal ohne die kleinste Vorankündigung.
„Wo sind Sie hin?“, hörte er eines Tages von seinem Chef. Und nach einigen verwirrten Minuten ein: „Da. Wo waren Sie denn, verdammt?“
Zunächst war es Jonathan genauso unheimlich wie seinen Mitmenschen, doch je öfter er in diesen Zustand geriet, desto mehr genoss er ihn. Er konnte sich tatsächlich in der Menge bewegen, als gäbe es ihn nicht. Niemand nahm Notiz von ihm, er brauchte sich nicht um die Reaktion anderer Menschen zu scheren, es war, als lebten er und der Rest der Welt in verschiedenen Universen.
Doch er kam jedes Mal wieder zurück. Und es war wie eine Art Schock, für beide Seiten. Denn die Rückkehr seines Körpers in die Sichtbarkeit erfolgte stets ohne, dass er davon etwas mitbekam. So rief er allerlei Schrecken hervor, wenn er plötzlich auftauchte wie aus dem Nichts und die Leute nicht wussten, wo er vorher war.
Doch es kam, wie es sich angekündigt hatte. Nicht weit entfernt von der Stelle, an der Frau Kreuzer zu Schaden gekommen war, erfasste ein schnell fahrendes Auto Jonathan, als der sich wieder einmal in seinem unsichtbaren Glückstaumel befand. Er bemerkte den Unfall zunächst gar nicht, wunderte sich nur, dass er plötzlich durch die Luft flog. Doch dann kam der Schmerz.
Er schlug auf dem Bürgersteig auf, rutschte etwa zehn quälende Meter weiter und knallte mit dem Kopf gegen einen Laternenpfahl. Er verlor das Bewusstsein.
Als er wieder zu sich kam, weinte er. Er schaute von unten auf Beine, die über ihn hinwegstiegen, als gäbe es ihn nicht, niemand nahm Notiz von ihm, wie er so verdreht zu ihren Füßen lag.
Als er versuchte, sich zu bewegen, stellte er fest, dass er seinen Körper nicht mehr spürte. Die Passanten fühlten zwar instinktiv, dass da etwas war, dem sie ausweichen mussten, einige stolperten sogar, doch niemand konnte ihn sehen, es war, als sei er in einem anderen Zimmer.
So lag er am Boden, hilflos, bewegungsunfähig. Hin und wieder versuchte er kläglich um Hilfe zu rufen. Doch keiner konnte ihn hören.
Niemand konnte ihn sehen.
So starb er, ohne dass es jemand bemerkte.