Er
Es ist drei Uhr morgens.
Er schläft noch immer nicht. Obwohl er diesmal alles versucht hat, um seine Gedanken auszublenden. Sie kommen immer wieder. SIE kommt immer wieder. Ihre blonden Haare, ihre dunkelblauen Augen, die ihn jetzt verfolgen. Er dachte, dass es besser werden würde. Nur ein vorübergehender Albtraum. Manchmal redet er sich sogar ein, dass alles nie passiert sei und er gleich neben ihr aufwache. Doch es ist nicht so. Tick Tack
Tick Tack
Diese Uhr macht ihn fertig. Sie erinnert ihn an früher, an eine andere Zeit, ein anderes Leben. Ab und zu taucht der Tag an dem sie sterben musste vor seinem inneren Auge auf, doch meistens gelingt es ihm ihn zu verscheuchen. Er kann seinen Gedanken nicht vertrauen. Sie hintergehen ihn. Immer wieder hört er diese Worte in seinem Kopf:„Du hast es getan.“Er kommt mit seiner Psyche nicht mehr zurecht. Der Grund ist ihm ganz klar, doch er will ihn sich nicht eingestehen. Das würde nur eine Niederlage für ihn bedeuten und das kann er in seiner Situation gar nicht gebrauchen.
Dieser Ort tut ihm nicht gut. Es ist dunkel und leer. Hier fühlt er sich allein, schuldig. Der Therapeut hat ihm eingeredet, es wäre alles in Ordnung. Was weiß der denn schon?! Er hat keine Ahnung, wie so ein Leben ist, ohne Sinn. Wenigstens ist seine Paranoia nicht mehr so schlimm. Noch vor zwei Monaten hatte er das Gefühl auf Schritt und Tritt verfolgt zu werden. Wenn er die Augen schließt sieht er SIE zwar immer noch, aber nun hat er nicht mehr diese luftzuschnürende Angst.
Zu Gott zu beten wäre seine einzige Alternative, damit sich sein Zustand bessert, aber er glaubt schon lange nicht mehr an ihn, also wozu beten? Seit zehn Jahren weiß er es besser.Für ihn gibt es weder Hoffnung noch Gott. Dennoch beneidet er die Gläubigen, auch wenn er das nie zugeben könnte. Sie haben etwas an das sie sich klammern können, sie haben Halt. Genau das fehlt ihm in seinem Leben. Seine Versuche die Verbindung zu Gott nach ihrem Tod wiederaufzubauen sind kläglich gescheitert.Seine Gedanken und sein Bewusstsein wurden zu seinen Feinden.
Trotzdem schafft er es einfach nicht mit dem Nachdenken aufzuhören, obwohl es ihn müde und depressiv macht. Diese Müdigkeit gepaart mit seinem extremen Schlafmangel ist die Hölle. Wenn er sich seine Gedanken macht, dreht sich alles um SIE, obwohl sie ihn nicht geliebt hat, obwohl sie ihn betrogen hat, obwohl alles schon zehn Jahre her ist. Das schlechte Gewissen nagt an ihm, frisst ihn innerlich auf, ist der Grund für seine Schlaflosigkeit. Er nimmt die Pille ein, die der Arzt ihm verordnet hat. Sein Zustand bessert sich nur geringfügig. Er fühlt sich näher dem Tod als dem Leben. Seit zehn Jahren isst und trinkt er nur noch das Nötigste. Wenn er einmal schläft, ist das Luxus. Als würde sein Körper sich an ihm für seine Tat rächen. Als kontrolliere sie seinen Körper noch immer. Dieser Gedanke lässt ihn schaudern.
Manchmal bittet er sie um Verzeihung, trotzdem ist ihm klar, dass sie ihn nicht hören kann. Er glaubt nicht mehr an Gott, also auch an kein Leben nach dem Tod. Dieser schreckliche Tag hat ihn dazu gezwungen seine Religion, seine Liebe und sein Leben aufzugeben. Doch was geschehen ist kann man nicht rückgängig machen, das ist ihm bewusst.Nun muss er damit abschließen. Sein einziges Problem dabei sind seine Gedanken, sein Gewissen. Sie quälen ihn immer weiter, obwohl er sich nichts sehnlicher wünscht als zu vergessen.Kein anderer ist schuld. Das hat er auch nie bestritten, dennoch ist er schon immer zu stolz gewesen seine Fehler zuzugeben. Also würde er es bis zu seinem letzten Tag nicht akzeptieren, er weiß jedoch, dass er es getan hat. Er hat sie umgebracht.
Er sieht sich um. Die Gitterstäbe vor seinen Augen verschwimmen immer mehr.