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Er war nicht mein Hase, er wohnte nur in meiner Wohnung.
Er war nicht mein Hase...
...er wohnte nur in meiner Wohnung.
Wie jeden Morgen kam ich viel zu spät, für andere vielleicht zu früh, für mich spät, ich arbeitete ja in einer Nachtbar, nach Hause. Ich warf meine Tasche in die Ecke, schlurfte ins Bad, sprang unter die Dusche, das heißt, es war eher ein müder Hüpfer, dann in die Küche, noch was für´n Magen, der Kühlschrank gibt wie immer nur Bier her, also esse ich ein Bier, ab noch auf die Couch, gucken was die Kiste im Morgenprogramm bereit hält, nur so um die Nacht, für mich den Tag, ausklingen zu lassen, auf dem Boden lümmelt ein Hase, RTL wiederholt Birte. Moment, Hase? Auf dem Boden lümmelt ein Hase!
Was macht ein Hase in meinem Wohnzimmer?, wunderte ich mich. Er schien sich ein Nest zu bauen.
Ein Nest? Als Hase? Seltsam.
-piep-
-Hä?
-piep-
-Was piept da? War das der Hase?
-pieppiep-
Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich denken, der Hase hält sich für einen Vogel. Der Spinner. Und mein Haus womöglich für seinen Baum. Ha, welch absurder Gedanke!
-piep-
Was mache ich mit so einem geistesgestörten Viech? In freier Wildbahn ist er mit solch offenkundigen Wahrnehmungsstörungen wohl kaum überlebensfähig. Als er mich mit seinen großen treuen schwarzen Knopfaugen anblickte, schob ich den Gedanken, ihn ins Tierheim zu geben, beiseite. Naja, redete ich mir ein, eigentlich wollte ich ja schon immer ein Haustier. Und eigentlich ist er ja auch recht knuffig. Der Hase piepte dankbar.
Tage vergingen. So langsam machte ich mir Sorgen. Der Hase wollte und wollte nicht fressen. Das leckerste Gras und das teuerste Hasenfutter verschmähte er ausnahmslos.
-piep-
Da fiel es mir wie Schuppen aus den Haaren: Ich habe es hier ja mit einem Hasen zu tun, der sich mit einem Vogel verwechselt, erinnerte ich mich. Wahrscheinlich gibt er sich dann auch nur mit Vogelfutter zufrieden. Und tatsächlich, Würmer und Körner verschlang er gierig.
-piep-
So ein Quatsch, ein Hase, der denkt er sei ein Vogel, wo gibt´s denn so was? Amüsiert musste ich immer wieder den Kopf schütteln. Doch mit der Zeit mehrten sich die Zweifel. Was, wenn die ganze Welt verrückt geworden ist, und ich bin der Häuptling? Was, wenn nicht der Hase der Spinner ist? Was, wenn er Recht hat? Ein nur scheinbar schier unlösbares philosophisches Problem. Denn die Lösung lag auf der Hand. Besser gesagt, hinter der nächsten Wohnungstür. Ja klar, sagte ich mir, ich frag meine Nachbarin, die weiß doch immer alles. In kurzen zusammenhängenden Sätzen erklärte ich ihr das Problem. Und tatsächlich, für meine Nachbarin stand es außer Frage: Es kann nur einen Spinner geben, und in dem Fall war es der Hase.
Hocherfreut stolzierte ich beschwingten Schrittes zurück in meine Wohnung, um den Hasen von seinem lächerlichen Irrtum zu befreien.
Doch halt! Hatte ich das Recht, meinen liebgewonnenen Mitbewohner seiner Illusion zu berauben? Wohl kaum. Er schien doch so glücklich und zufrieden zu sein in seinem warmen kuschligen Nestchen. Ich beschloss, ihn weiterhin in seiner Scheinwelt und meiner Wohnung hausen zu lassen...
Ich gewöhnte mich immer mehr an die Eigenheiten meines kleinen Freundes. Aufgeregt piepte er, wenn er andere Vögel im Fernsehen sah. Wütend protestierte er, wenn
er mich dabei beobachtete, wie ich genüsslich beim Frühstück ein Ei aufschlug. Aus Rücksicht auf seine Gefühle verzichtete ich schließlich darauf.
So näherte sich langsam der Winter.
Eines Morgens kam ich, wie jeden Morgen, viel zu spät nach Hause. Ich warf meine Tasche in die Ecke, schlurfte ins Bad, sprang unter die Dusche, das heißt, es war eher ein müder Hüpfer, dann in die Küche, noch was für´n Magen, der Kühlschrank gibt wie immer nur Bier her, also esse ich ein Bier, füttere noch mein Häschen, dann ab auf die Couch, gucken was die Kiste im Morgenprogramm bereit hält. Liebevoll streichelte ich meinen vierpfotigen Freund, der auf meinen Schoß gehoppelt kam.
Da plötzlich breitete er seine Löffel aus und flog davon!
Geradewegs durchs offene Fenster!
Tststs, typisch für den Spinner, dachte ich schulterzuckend. Aber wir sehen uns im Frühjahr wieder, mein Freund, verabschiedete ich ihn mit einem verschmitzten Lächeln.