- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 7
Er ist meine letzte Chance
Er ist meine letzte Chance
Zwei Tage. Zwei lange Tage warte ich nun schon auf seinen Anruf. Dabei würde mir dieser Anruf Erleichterung verschaffen und meine Probleme aus dem Weg räumen. Vielleicht ist ihm auch etwas passiert. Ich male mir die schlimmsten Szenarien aus, die mir angesichts unserer jetzigen Lage auch nicht so unwahrscheinlich vorkommen, also beschließe ich das selbst in die Hand zu nehmen, schnappe mir meine Jacke und die Autoschlüssel, um dann zum Auto zu laufen.
Eigentlich dürfte ich so gar nicht fahren, das hat mein Vater mir zumindest immer gepredigt:„Fahre niemals wenn du alkoholisiert, müde, emotional angeschlagen oder gar voller Wut oder Trauer bist.“ Immer wieder hat er das zu mir gesagt, nachdem ich meine Fahrprüfung abgeschlossen hatte. Doch jetzt hab ich einfach keine andere Wahl.
Im Auto halte ich kurz inne, starre durch die Frontscheibe gen Himmel und entschuldige mich in Gedanken bei meinem geliebten Vater, bevor ich den Schlüssel umdrehe und das Auto starte. Nun darf ich aber keine Zeit mehr verlieren. Ich halte mich nur selten an die Geschwindigkeitsbegrenzungen, bis ich in die Stadt einfahre, in der der Mann wohnt, dessen Hilfe ich momentan am Meisten brauche und um den ich mir die meisten Sorgen mache. Umso näher ich seiner Wohnung komme, desto mehr steigt die Angst.
Schließlich parke ich an der Straße in der Nähe seiner Wohnung und zögere beim Aussteigen. Ob ich einen Rückzieher machen sollte? Vielleicht gefällt mir das, was ich erfahren werde nicht und es wäre besser abzuwarten. Aber vielleicht habe ich einfach eine Paranoia und es ist gar nichts, sondern er lässt sich einfach nur etwas Zeit. Sollte ich dann sauer sein? Es geht für mich schließlich um vieles. Alles.
Endlich steige ich aus dem Wagen und laufe zur Tür. Dort klingle ich über all, bis sich die Tür öffnet, damit ich in den dritten Stock laufen kann, wo sich seine Wohnung befindet. Ich klingle mehrmals und klopfe kräftig gegen die Tür, aber niemand öffnet sie.
„Jake? Jake!“, rufe ich durch die verschlossene Tür.
Langsam werde ich ungeduldig, folglich fasse ich über die Tür am Rahmen entlang und finde, wie erwartet, den Ersatzschlüssel in einer Ritze. Er hat mir das Versteck genannt, weil er meinte, dass er mir vertraut und Vertrauen wichtig ist. Er sagte es wäre schön, dass man in dieser Branche überhaupt jemandem vertrauen kann.
Nun öffne ich vorsichtig die Tür und spähe in den Flur, aber sehe weit und breit nichts verdächtiges, also atme ich kurz auf und wage einen ersten Schritt in die Wohnung. Dann höre ich etwas und erschrecke, kann mich aber kurz darauf wieder fangen und meine Angst um Jake schwingt in Wut über, nachdem ich das Geräusch zuordnen konnte. Kurz überlege ich, ob ich nun wirklich in sein Schlafzimmer platzen sollte. Ich zögere, doch dann balle ich meine Hände zu Fäusten und stampfe Richtung Schlafzimmer. Es bietet sich mir ein Anblick, den ich mir gerne erspart hätte, nachdem ich die Tür aufgerissen habe. Jake liegt mit einem Grinsen auf dem Bett, während er sich von einer schlanken Blondine reiten lässt, deren Stöhnen verstummt als ich die Tür öffne. Keine besonders spektakuläre Kulisse, aber dennoch eine unangenehme Situation. Ich bin schon froh, dass er nicht auf Sadomaso steht oder sie nicht grade irgendwelche Kamasutrastellungen ausprobiert haben. Die Blondine schnappt sich kurzerhand die Decke und schreit Jake an: „Ist das deine Freundin oder was?!“
Jake hat mir unterdessen einen wütenden Blick gewidmet.
„Nein! Ist sie nicht. Was machst du hier?“
Ich seufze und bin enttäuscht von ihm, da es hier um meine Existenz, mein Leben geht und er einfach mit irgendeinem Flittchen schläft.
„Du fragst mich ernsthaft was ich hier mache? Ich bin hier, weil ich mir Sorgen um dich gemacht habe. Ich dachte du wärst bestraft worden, weil du mir helfen wolltest. Aber stattdessen begnügst du dich lieber mit irgendwelchen Frauen. Du weißt, dass für mich viel auf dem Spiel steht.“
„Ich habe jetzt wirklich keine Zeit für so was, Nina. Wie du siehst bin ich beschäftigt und außerdem gibt es dir nicht das Recht einfach in meine Wohnung einzudringen und dazu auch noch in mein Schlafzimmer zu platzen.“
Die Blondine hat sich mittlerweile ihre Sachen angezogen und flüchtet, während sie etwas murmelt wie „das ist mir hier alles zu verrückt“. Nun ist Jake erst recht sauer auf mich, was ich aufgrund meiner Situation nicht nachvollziehen kann.
„Jetzt ist sie eh weg. Fährst du mit mir zu Martinez? Vielleicht können wir das schnell zusammen klären.“
Widerwillig stimmt Jake mir zu und zieht sich an, während ich in seiner Küche auf ihn warte.
„Hör auf auf deiner Lippe herumzukauen“, sagt er, als er in die Küche schlendert.
„Das mache ich immer wenn ich nervös bin“, entgegne ich.
Er macht eine Handbewegung und deutet mir damit zur Tür, folglich gehen wir beide zu meinem Auto.
Während der Autofahrt versuche ich ihm meinen Standpunkt klarzumachen:„Jake.. Du weißt, dass du meine letzte Chance bist, oder?“
„Ja, dessen bin ich mir bewusst.“
„Aber warum hast du ihn dann noch nicht angerufen?“
„Du weißt, dass er nicht gerne telefoniert. Er mag es lieber, wenn man etwas persönlich regelt.“
„Ja, du hast Recht. Aber du hättest ihn trotzdem anrufen können oder mir zumindest Bescheid sagen können.“
Er wirft mir einen genervten Blick zu und den Rest der Fahrt schweigen wir.
Nervös fahre ich auf den Parkplatz des entlegenen Gebäudes. Es Frage ich michist eine alte Fabrikhalle, in der Martinez, mein Boss, seine Geschäfte abwickelt. Ich habe stets Respekt vor ihm, wobei ich das auch mit Angst verwechseln kann. Ich habe ihn mir nicht freiwillig als meinen Boss ausgesucht, ich bin da irgendwie rein gerutscht. Aber mit dieser Aussage nimmt mich wahrscheinlich niemand ernst, denn wie rutscht man schon einfach in eine Sache hinein? Mit falschen Entscheidungen und einer Menge Naivität passiert das aber ziemlich schnell, wie ich es aus erster Hand erfahren 'durfte'.
Plötzlich stupst Jake mich an. „Steig endlich aus oder willst du erst mal ne‘ Runde schlafen?“ Ich folge seiner Anweisung und steige aus dem Auto. Gemeinsam gehen wir in die Fabrikhalle und schon werde ich grob begrüßt. Zwei Männer von Martinez kommen auf mich zu und packen mich an beiden Armen. Sie zerren mich in Martinez' Büro, in welchem er schon sitzt und anscheinend auf mich gewartet hat.
„Na, nun hast du dich ja endlich zu uns gesellt. Ich dachte schon du wärst abgehauen, weil du weißt, dass wir dich verdächtigen. Mutig, dass du dich noch traust dich mir auszuliefern.“
„Ich liefere mich nicht aus. Ich habe nichts unrechtes getan.“
„Du kannst viel erzählen, aber alles spricht gegen dich.“
„Du kennst mich doch schon lange genug. Du weißt doch woher ich komme und, dass ich nur für dich arbeite.“
„Das heißt nicht, dass du uns nicht verkaufen würdest. Du hast nicht mal ein Alibi.“
„Natürlich habe ich eins. Jake! Du weißt doch wo ich war. Wir waren zusammen während des Deals. Wir waren zusammen unterwegs.“
Martinez blickt zu Jake, der lässig im Türrahmen steht.
„Stimmt das?“
Voller Erwartung starre ich ihn an. Ich denke kurz, dass sich das nun klären wird und sich alles wieder normalisiert, doch was ich nun höre überrascht und schockiert mich zutiefst. Jake fängt an mit monotoner Stimme zu sprechen:„Sie war während des Deals nicht bei mir. Sie war an dem Tag zu keiner Zeit bei mir. Sie kam am nächsten Tag sogar zu mir und sagte, dass ich ihr ein Alibi geben sollte. Sie meinte, sie würde sich schlecht fühlen, weil sie uns verraten hat. Ich war schon ziemlich erschrocken.“
Mir wird übel. Mein Mund bleibt offen stehen. Er sagt das einfach so gelassen. Aber wie kann er mir das antun?
Martinez lächelt zufrieden. Ich fange an zu schreien. „Wie kannst du mir das antun?! Du weißt, dass wir an diesem Tag zusammen waren! Jake! Warum bist du so verlogen?!“
Niemand achtet auf mein Geschrei und Martinez gibt seinen Männern mit einem Handzeichen zu verstehen was sie nun tun sollen. Er braucht keine Worte. Wahrscheinlich haben sie schon vorher darüber gesprochen. Sie zerren mich nun wieder in die Halle und zwingen mich, mich auf einen Stuhl zu setzen. Sie fesseln mich und verlassen die Halle wieder. Ich schreie und weine. Die Angestellten in der Fabrikhalle starren schon neugierig in meine Richtung. Offensichtlich fragen sie sich was wohl mit mir passieren wird.
Und ich frage mich wieso Jake mir so etwas antut. Er weiß, dass er meine letzte Chance war. Nun habe ich keine Chance mehr. Alles ist verloren. Er weiß, dass er mit seiner Aussage mein Todesurteil unterschrieben hat. Doch wieso will er mich töten?
Martinez ist ein gieriger Mann. Menschen voller Gier tun alles für Geld. Aber er denkt ich hätte ihn Millionen gekostet. Ich glaube zwar, dass das für ihn nicht mal viel Geld ist, aber er ist ein Mann der einfach immer mehr Geld haben will und sich niemals zufrieden gibt. Er besitzt so viel Gier, dass er sogar für fünf Euro töten würde. Also was tut so ein Mann mit jemandem, der ihm angeblich Millionen schuldet? Ich werde definitiv sterben. Wenn sie mich heute noch leben lassen, dann werden sie mich spätestens morgen töten. Martinez wird mich auch nicht einfach umbringen. Das wäre ihm zu schade. Ehrlich gesagt habe ich Angst davor. Angst vor ihm. Angst wie noch nie zuvor in meinem Leben. Er ist ein skrupelloser Mann. Weinend sitze ich also auf meinem Stuhl und warte auf meine Bestrafung, während ich innerlich Jake verfluche und versuche die Blicke der anderen zu ignorieren.
Nach einiger Zeit kommen die beiden Männer wieder zu mir, anscheinend mit neuen Anweisungen von Martinez. Kaltherzig reißen sie mir mein T-Shirt vom Leib, so dass ich nur noch meine Hose und meinen BH trage. Voller Angst frage ich mich, was jetzt kommen wird.
Auf einmal sehe ich jemanden mit einem Messer auf mich zukommen und fange wieder an zu schreien: „ICH WAR ES NICHT! BITTE! ICH WAR ES NICHT!“ Doch niemand lässt sich dadurch erweichen und so kommt das Unvermeidbare. Kurz denke ich, dass ich einfach erstochen werde, aber es kommt noch schlimmer. Langsam und qualvoll fängt der Mann an mir etwas in meinen Bauch zu ritzen. Ich schreie und weine lauter denn je. Die unerträglichen Schmerzen machen mich verrückt und ich denke ich falle jeden Moment in Ohnmacht, aber leider passiert das nicht. Er schneidet die Buchstaben nur so in meinen Bauch, dass ich nicht daran sterben kann. Ich kneife die Augen zusammen und beiße mir auf die Lippe bis ich Blut schmecke.
Ich versuche an meine Eltern zu denken. An meinen toten Vater, den ich immer über alles geliebt habe. Er war immer mein Held, mein Vorbild und mein Beschützer. Nicht wie meine Mutter. Er hätte mich nicht einfach in diese Szene abrutschen lassen. Meine Mutter hat einfach nur zugesehen, wie ich nach seinem Tod auf die falsche Bahn geriet und anfing mit Drogen zu dealen. Es war ihr egal und manchmal erfreute sie sich sogar daran, weil ich so wenigstens eine Menge Geld verdienen konnte. Sie hat mich natürlich auch andauernd nach Geld gefragt. Ansonsten hat sie nie angerufen. Mein Vater hätte das niemals zugelassen. Dafür verfluche ich meine Mutter noch immer.
Nach einer gefühlten Ewigkeit voller Qualen hört der Mann endlich auf. Das Blut tropft von meinem Körper auf den Boden und bildet kleine Blutlachen. Ich blicke auf meinen geschundenen Bauch und erkenne wage das Wort. Erneut wird mir übel. Der Schmerz überwältigt mich und beinahe hätte ich erbrochen. Er will mich demütigen. Er setzt mich den angewiderten Blicken aller aus, die sich in diesem Gebäude befinden. 'Verräter' ist das originelle Wort. Nun weiß jeder, was ich angeblich getan habe. Niemand weiß, dass ich es eigentlich nicht getan habe. Außer Jake. Ich friere und die Wunden an meinem Bauch brennen. Einer der beiden Männer kommt erneut und hat einen Lappen dabei, mit dem er mir über den Bauch wischt. Ich schreie auf. Meine Umgebung verschwimmt. Ich habe kurze Aussetzer. Alles wird schwarz, dann sehe ich wieder alles verschwommen. Nachdem er fertig ist, blicke ich an mir herab. Nun kann man das Wort viel deutlicher erkennen.
Zitternd sitze ich nun da und blicke niedergeschlagen zu Boden. Derweil gehen einige wieder dem Geschäft nach und andere gaffen immer noch. Wie in einer Freakshow. Lange sitze ich so da ohne, dass noch etwas passiert. Doch dann kommt einer der Angestellten auf mich zu und spuckt mir direkt ins Gesicht. Erschrocken und angeekelt will ich zurückweichen, doch gefesselt auf einem Stuhl ist das nur schwer möglich. Er kann sich ein Grinsen nicht verkneifen und schleudert mir noch ein paar Beschimpfungen entgegen. Wie lange soll ich das noch aushalten? Mir wäre es lieber wenn er mich direkt töten würde. Was hat er noch geplant? Wie lange soll ich so sitzen und mich angaffen lassen? Unser Team ist nicht all zu groß und mittlerweile müssten mich fast alle gesehen haben.
Stunden später gingen manche schon nach Hause. Nacheinander verließen sie das Gebäude und schließlich kam Martinez zu mir. Ich denke 'jetzt ist es so weit'.
„Siehst du was dir dein Verrat gebracht hat?“
„Ich habe niemanden verraten“, bringe ich schwach hervor. Die Wunden zerren noch immer an meinen Nerven und meiner Klarheit.
„Oh doch. Und wir wissen es beide. Nunja, ich wünsche dir eine angenehme Nacht. Schlaf gut,“ sagt er ironisch und lacht.
Das kann doch nicht sein ernst sein? Ich soll die ganze Nacht so hier sitzen bleiben? Erneut breche ich in Tränen aus. Martinez verschwindet und alles wird dunkel. Etwas später höre ich trotzdem etwas und eine Stimme ertönt in der Dunkelheit.
„Es tut mir zwar Leid, dass du das alles nun durchmachen musst, aber du bist sowieso einfach zu naiv. Dieser Job war noch nie was für dich.“
„Jake? Warum hast du das getan?“
„Ach weißt du, ich war zwar an dem Verrat nicht beteiligt, aber ich habe ein nettes Sümmchen bekommen um dir alles anzuhängen, weil ich erfahren habe wer dahinter steckt.“
„Wie kann man nur so grausam sein?“
„Als wenn du das nicht getan hättest. Man sollte in diesem Business eben niemandem vertrauen, aber du hast mein freundliches Gehabe einfach geschluckt. Selbst Schuld.“
„Du bist einfach ein mieses Arschloch. Ich hoffe du verreckst.“
„Zumindest weiß ich, wer von uns beiden zuerst sterben wird.“
Mit diesen Worten verlässt er das Gebäude und lässt mich an dem Stuhl gekettet und voller Schmerzen zurück. Und so ein verlogener Mensch war meine letzte Chance? Er war nicht meine letzte Chance, sondern der Grund für mein Desaster. Und nun muss ich irgendwie die Nacht überstehen.
Ich schlief die ganze Nacht nicht, aber immerhin war ich irgendwann einfach wie betäubt. Mittlerweile ist es wieder hell und ich konnte Martinez bald wieder erwarten. Dann muss ich wieder seine Schadenfreude ertragen. Am liebsten würde ich ihm sagen, dass ich ihm die Millionen irgendwie zurückzahle, damit er mich gehen lässt. Aber wir wissen beide, dass ich dazu niemals in der Lage wäre.
Schritte nähern sich der Halle. Martinez. Innerlich hoffe ich, dass es jemand ist der mir helfen wird, aber das ist unwahrscheinlich und beim Öffnen der Tür höre ich die vertraute Stimme von Martinez. Er läuft aber achtlos an mir vorbei und würdigt mich keines Blickes. Nach ihm trudeln auch die Angestellten wieder ein. Wieder werde ich angespuckt, diesmal von mehreren. Mit den Leuten habe ich mal zusammengearbeitet.
Nach weiteren Stunden kommt Martinez aus seinem Büro und ruft alle zusammen. Jetzt wird etwas mit mir passieren. Tränen der Angst bahnen sich ihren Weg. Eigentlich gönne ich ihnen die Freude nicht, die sie bei diesem Anblick haben, aber ich kann die Tränen nicht verhindern. Ich bin unschuldig verurteilt.
Nun stehen alle um mich herum. Martinez vor mir. Er sagt, dass er allen etwas Freude gönnt und er mein Leid vergrößern will. Wer dem Geschäft so schadet, der hätte es verdient, meint er. Einer seiner Männer fährt einen kleinen Wagen zu uns, auf dem einige Werkzeuge liegen und verschiedene Messer.
„Wer will, dass die Verräterin bekommt was sie verdient?“, fragt er freudig rufend in die Runde und bekommt dafür einige jubelnde Zurufe. Dann nimmt er eines der Messer, ein etwas kleineres.
„Fangen wir langsam an“, sagt er voller Vorfreude.
Er setzt das Messer an meiner Schulter an und lässt es langsam in meine Haut schneiden. Wieder beiße ich mir auf die Lippe, wieder schmecke ich Blut. Er schneidet nicht sehr tief, aber dann zieht er das Messer mit einem Ruck meinen Arm entlang und hinterlässt einen blutenden Streifen auf ihm. Dies wiederholt er auf der anderen Seite.
Mein grauenvolles Schreien verschafft allen Anwesenden Genugtuung. Ich frage mich, ob es jemals vorbei sein wird. Da nimmt er schon das nächste Werkzeug vom Tisch. Diesmal eine Zange. Ich zittere vor Angst.
„Was soll ich hiermit tun? Hat sie vielleicht ein paar Zähne zu viel? Oder soll ich ihr einen Finger ziehen?“
Die Meute fand natürlich beide Ideen toll. Mich dagegen erwischte bei diesen Worten die nackte Panik. Es war schon schmerzhaft sich aufritzen zu lassen. Wie schmerzhaft wäre es, wenn er mit der Zange einen meiner Finger von der Hand reißt? Ich will es mir nicht mal vorstellen. Der Mann, der ihm auch den Wagen gebracht hat, packt meinen Kopf und drückt ihn nach hinten und ein weiterer reißt mir den Mund auf, sodass Martinez freie Sicht hat. Er lächelt und seine Hand wandert zu meinem Mund. Ich versuche mich zu wehren, aber bin zu schwach. Martinez setzt die Zange an und umfasst damit einen Zahn. Ich weine und mit einem Ruck ist der Zahn nicht mehr Teil meines Oberkiefers. Wieder befriedigt mein Schreien und Schadenfreude kommt auf. Ich halte das nicht mehr aus. Meine Sicht verschwimmt wieder.
Ich versuche in Martinez' Augen zu sehen. Er grinst mich vielversprechend an.
Langsam, sodass er den Moment meiner Panik vollkommen genießen kann, greift er mit der Zange nach einem meiner Finger. Ich schreie erneut.
„WIE KANNST DU SOWAS TUN? ICH BIN UNSCHULDIG! ICH HABE NIE ETWAS UNRECHTES GETAN!“
Meine, durch das Blut in meinem Mund, undeutlichen Worte scheinen seine Schadenfreude nur zu vergrößern. Er ist einfach ein perverser Mann. Wahrscheinlich weiß er, dass ich unschuldig bin und wollte nur mal was zum foltern haben. Es scheint ihn richtig aufzugeilen.
Die Zange umschließt meinen linken Zeigefinger. Er macht sich zum Ziehen bereit und zählt langsam runter. „3...2...1...“ Ich schließe die Augen und hoffe, dass ich einfach sofort ohnmächtig werde. Dann passiert es. Alles passiert gleichzeitig. Er zieht, ich schreie, aber es schreit noch jemand. Ich kriege es kaum mit, meine Augen sehen nicht mehr klar. Hat da jemand 'Polizei' gerufen? Ist mein Finger jetzt ab? Habe ich doch noch eine letzte Chance? Ich spüre nichts mehr, außer einer warmen Flüssigkeit, die meinen Bauch erwärmt und meine Hose nass macht. Mein Kopf wippt hin und her, ich sehe die Menschen durcheinander rennen und nehme Schüsse wahr. Mein Kopf fällt nach vorne. Die warme Flüssigkeit ist Blut. Ein Messer? Ein Schuss? Da liegen Menschen auf dem Boden, aber ich kann nicht erkennen welche. Jemand legt seine Hand auf meine Schulter und sagt etwas, aber da wird schon alles schwarz um mich herum.