Er ist doch an allem schuld
Mit stoischer Ruhe betrachtete Hermann Mattler die Leiche. Das Messer noch immer fest in der Hand, beäugt er sich mit einer bemerkenswerten Lässigkeit im Spiegel und fängt an zu lachen. Das fahle Licht, das durch die Fenster dringt, lässt ihn wie einen armen Irren aussehen. Aber er ist nicht irre, er nicht.
Er ist bei vollem Bewusstsein und weiß, dass noch eine weitere Aufgabe auf ihn wartet. Das tropfende Messer trocknet er am, eben noch, so sexy aussehenden Kleid seiner Ex-Frau und packt es danach wieder in seine Tasche. Irgendwie findet er sie, wie sie so am Boden liegt und ihre Blutlache sich stetig vergrößert, immer noch sexy. Das tut aber nichts zur Sache. Hermann weiß, dass keiner von diesem Vorfall Notiz genommen hat, da seine groben zarten Hände, wie sie immer gesagt hatte, ihr den Mund zugehalten haben, während er langsam mit der anderen Hand ihr Todesurteil besiegelte. Ein letztes Gurgeln war noch zu hören gewesen, als sie vom Stuhl glitt und auf den Boden fiel, wie ein Sack Mehl, den man rücksichtslos hat fallen lassen.
Das blanke Entsetzen spiegelte sich auf ihren Augen wieder, vermischt mit einem Hauch Überraschung. Sie hatte Überraschungen geliebt. Nichts war ihr lieber, als plötzlich auf ein feines Essen eingeladen zu werden oder von der Arbeit nach Hause zu kommen und Rosenblüten zu sehen, die den Flur säumten.
Aber wie hatte sie es ihm gedankt? Schluss gemacht hat sie mit ihm.
Wegen seiner Eifersucht.
Eifersucht ist ein Liebesbeweis.
Aber sie konnte das ja nicht verstehen, wollte es nicht verstehen.
Hermann packt ihre zarten Arme und schleppt sie ins Schlafzimmer, um sie dort ins Bett zu legen. Die Blutspur, die er hinterlässt, interessiert ihn nicht, es gibt momentan höhere Prioritäten. Er legt sie ins Bett und als er sie betrachtet, muss er wieder daran denken, wie sie früher immer neben ihm gelegen hatte, als er auf ihr Erwachen gewartet hatte . Mit absurder Vorsicht nimmt er ihren Körper, dreht ihn auf den Bauch und legt den Kopf seitlich auf den Ellenbogen. So hat sie damals immer ausgesehen, wenn sie sich vor dem Einschlafen noch ein wenig mit ihm unterhalten hatte.
So unendlich hatte er sie geliebt.
Dafür hat sie mit ihm Schluss gemacht.
Dafür ist sie gestorben.
Dafür wird ihr neuer Freund „Matthias“ sterben, der ihr den freundschaftlichen Tipp gab, mit ihm Schluss zu machen und sich gleich an sie rangeschmissen hatte.
Dieses Flittchen hatte es auch noch zu gelassen. Oder hat sie es sogar gewollt?
Mit ruhigen, sicheren Bewegungen deckt er sie zu und verlässt das Zimmer. Leise läuft das Radio im Hintergrund und als „ihr“ Lied ertönt, laufen ihm Tränen die Wangen herab.
Wie unendlich hatte er sie doch geliebt.
Sie war sein ein und alles gewesen.
Sein Magen knurrt und er beschließt sich einen kleinen Imbiss zu genehmigen. Sie würde bestimmt nichts dagegen haben. Ein schrilles Kichern füllt den gespenstischen Raum und auf einmal bekommt er vor sich selber ein wenig Angst. Aber das würde sich bald wieder legen. Um Punkt halb zehn würde schließlich ihr neuer Freund aus dem Fitnessstudio an der Ecke kommen, um ihr den typischen donnerstäglichen Besuch abzustatten, das würde ihn genug ablenken.
Es war schon eigenartig, wie gut er über die beiden Bescheid wusste.
Fertig gegessen, macht er sich daran, das inzwischen geronnene Blut aus den Fließen im Gang zum Schlafzimmer zu bekommen. Der Teppich war kein Problem, den würde er einfach zusammenlegen und in die kleine Waschküche packen, wie sie es früher dauernd gemacht hatte.
Endlich einmal hatte der Esstischteppich, wie sie ihn immer genannt hatte, auch für ihn einen praktischen Zweck. Er hatte das meiste Blut aufgesaugt und so würde es kein Problem sein, den letzten Rest, der auf den Holzboden gelaufen war, mit ein paar Zeitungen zu überdecken. Das würde nicht besonders auffallen, da Fifi der kleine Dackel öfter etwas Probleme mit seinem Schließmuskel hatte. Aber dieses Problem war jetzt gelöst, wie die kleine Hundeleiche im Korb neben der Schlafzimmertür beweist.
Alles ist präpariert und der zweite, wohl etwas schwierigere, Teil des Abends kann beginnen. Die Haustürklingel ertönt. Aber warum? Er hat doch einen Schlüssel. Leise geht er zur Tür und schaut durch den Spion. Das Weichei Matthias steht davor und versteckt einen Strauß Blumen hinter seinem Rücken ohne zu bemerken, dass er schief zum Spion steht, er hat wohl nicht damit gerechnet, dass sie durch den Spion schaut, wenn sie ihn erwartet. Nun das stimmt, das hatte sie vorhin auch nicht, auch wenn es ihr wohl das Leben gerettet hätte.
Wechsel:
Geduldig wartet Matthias ab, bis sie ihm die Tür öffnet, als dies aber nicht geschieht, dreht er etwas misstrauisch ab, um sie von seinem Handy aus anzurufen, welches aber im Auto liegt.
Da plötzlich öffnet sich die Tür und ihm kommt der Gedanke, dass sie ihn wohl nur überraschen will und daher nicht sofort aufmachen konnte oder wollte. Beruhigt dreht er erneut um und geht nichts ahnend in die Wohnung hinein. Er schließt die Tür, will sich umdrehen und landet krachend an der Wand. Ein unglaublich harter Schlag hatte ihn am Kehlkopf getroffen und nach hinten fliegen lassen. Ein scharfer Schmerz durchzuckte seinen gesamten Körper, als er die Wand hinunterrutscht und verzweifelt nach Luft zu schnappen versucht. Ein gezielter Schlag in den Solarplexus erstickt aber auch diesen Versuch im Keim und er verliert das Bewusstsein.
Wechsel:
Dieser Drecksack, der ihm die Freundin ausgespannt hat, verträgt auch gar nichts. Was in Gottes Namen macht der die ganze Zeit in seinem bescheuerten Fitnessstudio? Hermann schleift ihn gen Schlafzimmer, wo seine Freundin schon auf ihn wartet. Dort bindet er Matthias an die Bettpfosten. Sobald die Seile richtig straff gezogen sind, setzt er sich daneben und betrachtet das Pärchen. Trotz seiner Wut auf die beiden, nickt er dennoch anerkennend, denn gut zusammenpassen würden sie ja. In seiner Vorfreude auf das Erwachen seines noch lebenden Opfers, kann er sich kaum ruhig auf den Stuhl halten. Ein ekelhaftes Röcheln erfüllt den Raum und vermischt sich mit den Liedern, die aus dem kleinen Radio in der Küche kommen und kaum hörbar scheinen. Doch plötzlich hört der Gefangene auf zu röcheln und Panik erfasst den Mörder. Matthias darf jetzt nicht sterben. Der Wichser muss doch sehen was er angerichtet hat. Von einer unglaublichen Angst getrieben läuft Hermann in das Badezimmer und sucht den erste Hilfe Kasten, den sie in einem kleinen Schränkchen aufbewahrt.
Wechsel:
Matthias war nicht tot, ihm war nur vor Schreck das letzte bisschen Luft weggeblieben und ein erstickter nicht hörbarer Schrei verließ seinen etwas unförmig wirkenden Hals. Schrecklich, wie sie ihn mit ihren leeren Augen anblickt, den Kopf auf ihrem Ellenbogen, wie sie es öfters machte wenn sie noch miteinander vor dem Einschlafen geredet hatten. Er konnte kaum fassen was hier geschah, wer hatte ihr das angetan? Wer hatte ihn neben sie gelegt?
Was wollte dieser Irre von ihm? Was dieser Eifersuchtsbolzen von Ex-Freund? Kaum vorstellbar, aber ihm kam niemand anderes in den Sinn.
Er muss sich irgendwie befreien. Schwer keuchend riss und zog er an seinen Fesseln, bis ihm der rettende Einfall kam. Die Kanten des Bettes waren ziemlich scharf, vielleicht würde er sich so befreien können. Mit aller Gewalt scheuerte er seine linke Fessel an der Kante hin und her.
Wechsel:
Endlich gefunden! Seit wann steht der Erste Hilfe Kasten denn direkt neben der Badewanne? Dort steht er so auffallend sichtbar, dass Hermann ihn erst recht übersehen musste. Aber nun endlich hat er ihn, ohne genau zu wissen, wie er dem Verräter damit wieder Leben einhauchen soll.
Im Zimmer angekommen ist das Bett allerdings leer. Nicht einmal die Frau die er so liebt, liegt noch darin. Das Keuchen ist allerdings wieder hörbar. Er hatte es verpasst. Er hatte wegen seiner eigenen Blödheit den Moment verpasst, auf den er sich seit so langer Zeit freut. Der Moment in dem Matthias die Augen öffnet und sieht, was er angerichtet hat.
Plötzlich ragt ein Arm unter dem Bett hervor und mit riesigen Schritten rennt Hermann auf die Stelle zu und greift nach der Hand, die gar nicht wie die Hand eines Mannes aussieht, sondern vielmehr die seiner ehemaligen Freundin ist.
In dem Moment, als er sie nach draußen ziehen will, verspürt er einen Schlag in die Weichteile und sackt in die Knie.
Auf der anderen Seite klettert sein vermeintliches Opfer unter dem Bett hervor und stürzt in Richtung Tür, an Hermann vorbei, der es gerade noch schafft, das schon zuvor benutzte Messer aufzuklappen und nach Matthias zu stechen. Ein ewig lang und tief scheinender Schnitt erstreckt sich über den Oberschenkel des Getroffenen, der in seiner Panik weiter humpelt. Seine ganze Kraft konzentriert sich nun auf das Handy, das sich in seinem Wagen befindet.
Durch das Esszimmer laufend vorbei an den Zeitungen, die da wohl wegen des Hundes liegen, hört er Schritte hinter sich. Im letzten Moment springt er zur Seite. Neben ihm schlägt das blutverschmierte Messer auf den Boden ein und die Klinge bricht ab. Der Versuch war komplett schief gegangen. Der vermeintliche Doppelmörder hatte nun die abgesplitterte Klinge in der Hand und überall schien Blut aus ihr zu tropfen. Unglaublicher Schmerz breitete sich von ihr aus, während sein Opfer sich aufgerappelt hat und aus dem Esszimmer herausgehumpelt ist. Sollte sich so kurz vor Schluss noch das Blatt wenden? Das konnte, das durfte nicht sein. Er nimmt den immer noch scharfen Stumpf in die linke Hand, versucht den unglaublichen Schmerz in der anderen zu ignorieren und läuft nach draußen.
Wechsel:
Er kann das Auto schon sehen, noch ein paar Schritte und er hat es geschafft. Hat er vorhin abgeschlossen? Steckt der Schlüssel? Ja. Und Nein. Der Schlüssel liegt auf dem Armaturenbrett. Es lohnt sich eben doch unvorsichtig zu sein. Die Schritte hinter ihm werden immer schneller und die Luft bleibt ihm weg, aber er steht vor der Tür. Um ein Haar gelingt es ihm in das Auto zu steigen, bevor das Messer ein zweites Mal auf ihn hernieder gefahren und diesmal getroffen hätte. Er schließt ab, nimmt das Handy und wählt den Notruf, während neben ihm Hermann, wie ein Wahninniger mit beiden Händen gegen das Fenster schlägt, dabei rote Spritzer auf dem Fenster verursacht und verzweifelt versucht in das Auto zu kommen.
„Hallo?“, tönt es aus dem Handy.
„Bitte, sie müssen mir helfen,“, krächzt er so weit es ihm mit seiner Stimme möglich ist, „hier ist überall Blut, ich verblute. Bitte. Ich bin hier in der…“
„Ich kann sie nicht verstehen! Sprechen sie bitte lauter!“
„Ich kann nicht, mein Kehlkopf...“,
Das Glas zerbirst und der Kopf des Messers schlägt durch das Glas. Das Handy fällt ihm aus der Hand. Matthias schlägt mit aller Kraft die Autotür auf und trifft seinen Gegenüber mit voller Wucht. Hermann heult auf vor Schmerz und kracht auf den harten Betonbürgersteig. Mit ungeschickten Bewegungen nimmt er den Schlüssel und versucht ihn einzustecken, aber es gelingt ihm nicht, er fällt ihm aus der Hand und vor Schmerz und Angst beginnt er zu weinen, während neben ihm eine Hand an die Tür greift und versucht aufzustehen. Er nimmt den Schlüssel, zerschlägt Hermann die gesunde Hand und versucht noch mal den Schlüssel einzustecken. Die Luft bleibt ihm nun endgültig weg.
Unter Hermanns Schmerzensschreien, gelingt es ihm den Schlüssel einzustecken. Die Welt um ihn herum verliert immer mehr an Konturen und seine letzte Konzentration gilt nur noch dem Ziel, weg von Hermann zu kommen. Er fährt so schnell wie möglich los, vergisst aber in seiner Verzweiflung die Kupplung zu lösen. Das Auto macht einen Sprung und ein lautes Krachen ertönt. Hermann muss einen Fuß unter dem Auto gehabt haben, als er sich an der Tür hoch ziehen wollte. In diesem Moment verliert Matthias endgültig das Bewusstsein und bricht auf seinem Sitz zusammen.
Das Letzte was er hört, sind die Sirenen der Polizei.
Eine neue Definition des Begriffs Nachbarschaftshilfe.