Was ist neu

Episode am Abend

Mitglied
Beitritt
09.09.2001
Beiträge
290
Zuletzt bearbeitet:

Episode am Abend

Episode am Abend

Das Blaulicht eines Polizeiautos, der Lichtkegel einer Straßenlaterne, ein Kleinwagen mit geöffneter Tür, ein Polizist in Uniform und neben ihm eine sichtlich geschockte junge Frau.

Das Bild wirkte auf mich so surreal wie die Szenerie auf einer Theaterbühne.

Der rechte Scheinwerfer des Kleinwagens war gesplittert. Ein zweiter Polizist, ein paar Dutzend Meter weiter die Straße hinunter, stand mit dem Rücken zu mir. Er drehte sich, kam mir entgegen und wir gingen wortlos aneinander vorbei.

Ich bog in die Einfahrt ab, die zu meiner Wohnung führte. Fast wäre ich gestolpert. In der dunklen Ecke zwischen dem Tor und der niedrigen Gartenmauer saß ein Mann auf dem Boden. Er lehnte mit geschlossenen Augen an der Wand. Seine Jacke war schäbig und zerknittert, die Hose schmutzig und eingerissen. Sein Haar war zerzaust, das Gesicht unrasiert. In den Armen und fest an die Brust gedrückt hielt er die Plastiktüte eines Billigmarkts. Aus ihr ragten die Hälse von Schnapsflaschen. Die von dem Mann wegfließende Lache ließ mich angewidert die Nase rümpfen.

Ich stieg über seine Beine und die Pfütze hinweg, öffnete das Tor und verriegelte es hinter mir.

Am nächsten Morgen war der Mann verschwunden. Die Lache jedoch war noch da. Sie war größer als ich sie in Erinnerung hatte. Mein Schritt stockte und ich starrte auf sie hinunter. Sie war eingetrocknet. Es war kein Urin oder Alkohol, wie ich angenommen hatte. Die Farbe zeigte mir die Wahrheit.

Es war die Farbe von Blut. Dunklem, rotem Blut.


(c) by StarScratcher, April 2002

[Beitrag editiert von: StarScratcher am 13.04.2002 um 15:08]

 

Hi Star!

Ich fand die Geschichte beeindruckend, schockierend.
Die Wendung am Ende, dass der Mann das Opfer des Verkehrsunfalles war, habe ich nicht vorhergesehen. Die Lache, die von ihm wegfließt, war für mich selbstverständlich sein mit Resten aus den Schnapsflaschen vermischter Urin.
Hätte der Protagonist genauer hingeschaut, wäre es ein "anständig" gekleideter Mann gewesen, der ohne Alkoholflaschen im Arm, vor seiner Tür gelegen hätte? Ein Obdachloser, betrunken auf dem Boden liegend, ist in unserer Gesellschaft so "normal", dass man nur noch über ihn hinwegsteigt.

Über eine Stelle bin ich gestolpert. Wieso findet der Protagonist die Anfangsszene "surreal"? Eine, wie ich finde alltägliche Situation wird geschildert. Unfall - Polizei - geschockter Autofahrer. Daran kann ich eigentlich nichts surreales finden, ausser dass man darüber nachdenkt, was wohl passiert sein könnte.
Ausserdem finde ich es seltsam, dass der Protagonist von dem Polizisten nicht angesprochen wird, denn er ist doch wohl auf der Suche nach der Person, die angefahren wurde und geht in die Richtung, aus der der Erzähler kommt.

Alles Liebe,
Sylvia

 

Moin Starcratcher.

Schockierende Geschichte, wie sie wahrscheinlich in ähnlicher Art öfter geschieht, als man denkt.
Man wird angeregt, sein eigenes Verhalten etwas kritischer zu beäugen.

Ein Logiksache habe ich zu bemängeln:

Die von dem Mann wegfließende Lache ließ mich angewidert die Nase rümpfen.
und später dann:

Es war die Farbe von Blut. Dunklem, rotem Blut.

Die Idee ist super, aber wenn der Protagonist die Lache sah, mußte er eigentlich schon da wissen, dass es Blut war. Dunkel, rotes, dickflüssiges Blut läßt sich doch recht einfach von Urin und Alkohol unterscheiden, nicht wahr?
Störte mich beim Lesen irgendwie. Und noch ne Stelle:
Ein paar Dutzend Meter weiter bog ich in die Einfahrt ab, die zu meiner Wohnung führte.
ich finde, "in die Einfahrt EINbiegen", hört sich besser an, aber Geschmackssache.

Er drehte sich, kam mir entgegen und wir gingen wortlos aneinander vorbei.
Nach "Er drehte sich..." fehlt mir etwas. Entweder ein "um" oder "in meine Richtung". Irgendetwas in die Richtung.

Seine Jacke war schäbig und zerknittert, die Hose schmutzig und eingerissen. Sein Haar war zerzaust, das Gesicht unrasiert. Sein Mund stand offen und seine Augen waren geschlossen.
4x "seine". Vielleicht eines umtauschen. Z. B. "Er trug eine zerknitterte..." und "mit geschlossenen Augen saß er da"

Lieben Gruß
Maya

 

Hallo Kitana, hallo Maya,

man könnte sagen, dass ihr mir den Montagabend verdorben habt. Denn in zwei Punkten habt ihr recht und obwohl ich Stunden drüber nachgegrübelt und diverse Möglichkeiten ausprobiert habe, fiel mir keine Verbesserung ein. Nun ja - noch nicht :) Zu allem Überfluss sind mir dann noch zwei weitere unschöne Stellen aufgefallen :(

Maya: nachts und in dunklen Ecken sehen alle Pfützen gleich aus.

Klaus

 

Hallo,

die neueste Version habe ich oben eingestellt. Weitere Hinweise auf Fehler oder auch Unschönheiten sind willkommen.

Klaus

 

Eine der kürzesten Geschichten die ich hier je gelesen habe, aber eine von denen, die auch um keinen Satz länger sein sollten. Die Wendung traf mich unvorbereitet und war dafür umso erschreckender. Ein trauriges Alltagserlebnis. Ich kann mir Schock und die Scham des Erzählers gut vorstellen ...

Erinnert mich an dieses Beispiel aus den Logikbüchern, das gerne gebracht wird - wenn man von oben auf die Straße sieht, erkennt man keine Menschen, man erkennt nur Gestalten in Kleidern die vorbeigegen. Sieht man z.B. eigentlich nur einen Damenhut von oben und kein Gesicht, könnte es ein Mann sein, der da spazierengeht, aber man schließt aufgrund von "Vorurteilen" einfach wie selbstverständlich darauf, dass es eine Frau ist.

Hier ist es Dir gelungen nicht nur mit der Erwartungshaltung des Lesers, sondern sozusagen gleichzeitg auch mit der des Protagonisten zu spielen - Kompliment. :p

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom