Was ist neu

Entflogen

Mitglied
Beitritt
11.09.2001
Beiträge
29

Entflogen

Entflogen

Sie betrachtete den Luftballon noch einmal ganz genau, um kein Detail zu übersehen. Seine vielen Farben: Das helle Grün, das bestechende Rot des Klatschmohns. Sie schaute fast bewundernd diesen einfachen Luftballon an. Sanft glitt ihr Hand über seine zarte Gestalt.
Wieder ein Windhauch. Sie ergriff die Schnur etwas fester. Wollte diese vorherbestimmte Zukunft ihres Schatzes noch nicht Wirklichkeit werden lassen. Sie wollte sich noch für einen Moment an ihm ergötzen, sich an ihm erfreuen.
Sie hatte ihn gefunden. Zufällig oder durch das Schicksal geplant, das war ihr egal. Vielleicht hatte auch er sie gefunden. Die Hauptsache war doch, das sie sich gefunden hatten, egal wann und wo.
Als sie ihn fand, war er bis zum Platzen gefüllt. Er barg eine gewisse Spannung, Überraschung. Neugierig hatte sie sich ihm genähert, ihn bestaunt.
Gerade in einem Moment der totalen Zufriedenheit, wo sie sprichwörtlich gar nichts mehr benötigte zum Glücklichsein, einfach nur eins war mit ihrer Welt, flog er an ihr vorbei.
Er wirbelte wie von Zauberhand oder einer übersinnlichen Macht geleitet an ihr vorüber, machte kehrt und legte eine Rast in seinem Flug durch die Welt ein. Nicht irgendwo, sondern genau bei ihr.
Ein weiterer Windhauch. Sie musste ihn mit beiden Händen festhalten, damit er ihr nicht entschwand.
Er hatte alles noch verschönert. Seine bunte Fröhlichkeit und die natürliche Leichtigkeit seines Seins - die sie, die selbst so verankert war in ihren Gedanken, sosehr bewunderte - hatten wie ein rosaroter Schleier, wie ein zusätzlicher Sonnenstrahl, über ihre kleine Welt gelegen.
Der Wind wurde stärker und er wiegte sich in ihm, schien ihr immer mehr zu entfliehen.
Natürlich, seine Farben hatten an Leuchtkraft und Intensität verloren; auch war ihm schon etwas Luft entwichen. Aber sie hatte die Zeit mit ihm so genossen.
Bedrohlich passte er sich immer mehr dem Wind an. Sie konnte ihn doch noch nicht gehen, fliegen lassen. Die Zeit konnte noch nicht verstrichen sein. Nun hielt sie ihn krampfhaft fest, innerlich aber den kommenden Verlust bewusst.
Und dann entschwand er ihr. Machte sich auf seinen Weg, nahm seine neue Route. Traurig blickte sie ihm nach, versuchte nicht zu weinen, nicht zu verzweifeln.
Denn sie wusste doch, das dies die Funktion des Luftballons war: Glück für einen Moment.

 

Servus Martina!

Wie wunderbar du diesem Gegenstand Leben einhauchst. Fast meint man eine Metapher auf alles mögliche zu erkennen, aber denke ich, ist es doch wirklich nur ein Luftballon. Er schenkte dir Lebensfreude und irgendwann war der Moment seines Daseins zu Ende und ließ dich in der Erinnerung zurück.

Lieben Gruß schnee.eule

 

ich find die geschichte auch schön weil es mir irgendwie zeigt wie sehr es möglich ist sich an etwas zu erfreuen , wenn diesem bewusst Aufmerksamkeit gegeben wird.
Es ist die Beschreibung vom eigentlichem Glück. Das etwas zufällig vorbeikommt, ohne darauf gewartet zu haben, es ergriffen wird , man sich daran erfreut, um es wieder dann loszulassen(bzw loslassen zu müssen) und einem selbst der genuss bleibt dieses einen Augenblickes.

bis dann

-kristijan

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom