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Ente Fisch
Ente Fisch
Es war ein Sonntagvormittag, und alles schien friedlich. Wo er nicht, wie weiter draußen, wo es tiefer wurde beziehungsweise gegen das andere Ufer hin, im Schatten des Waldes lag, schoss der Fluss, an Maxis Schienbeinen kleine Wirbel aufwerfend, in hellem Grünlich-Gelb geschwind über den flachen Grund dahin. Sein Vater saß am Ufer, rauchte eine Zigarette und las in einem Buch. „Dann gib aber acht, dass du dich nicht nassmachst“, hatte er gesagt. Sie waren eben aus der Kirche gekommen, und hatten, da noch Zeit war bis zum Mittagessen, einen Spaziergang zum Fluss gemacht. Sonntäglicher Friede lag über der Gegend. Ein empfindsamer Maler des 18. Jahrhunderts hätte seine Freude gehabt angesichts solchen Vater-Sohn-Idylls vor seinen Augen: Der Vater rauchend am Ufer in sein Buch vertieft, der Sohnemann mit hochgekrempelten Sonntagshosen im Fluss watend. Tiefer Friede. Manche Zweige des Weidengebüschs am gegenüberliegenden Flussufer in nickender Bewegung, vornübergebeugt mit ihren Enden die Wasseroberfläche leise ritzend...
Dann ein Schrei, jäh in die Stille fahrend, sie plötzlich zerreißend: „Ein Fiiiesch!“ Der Vater überlegte nicht lange. Fünf Sekunden später, das Buch noch in der Hand, war er bei seinem Söhnchen. Es hatte mächtig gespritzt, als er angeschossen kam, vom Ufer her, ohne sich erst lange zu besinnen. Er sah bleich aus, sein Atem ging heftig. Der Schreck war ihm mächtig in die Glieder gefahren und er hatte keine Sekunde gezögert, seinem Söhnchen zu Hilfe zu eilen – welches selbe nun freilich, angesichts des schwer atmenden Vaters, etwas bedröppelt dastand...
Die Sache war die, dass dort unten im Wasser unterhalb seiner Knie ganz plötzlich ein riesiger Fisch aufgetaucht war, bestimmt zwei Meter lang, dunkel, und direkt vor ihm. Da hatte er geschrien, und es hätte nicht viel gefehlt und er wäre, über einen der tückischen Steine auf dem Grund des Flusses stolpernd, nach hinten weggekippt. Doch so jäh der Schrecken, so rasch war ihm die Einsicht gefolgt, was es mit diesem „Fisch“ auf sich hatte. Und diese Einsicht ließ Maxi, angesichts des schwer atmenden Vaters, der, auf seinen Alarm hin, wie von der Tarantel gestochen herangestürmt war, nun etwas bedröppelt dastehen...
„Was ist denn los? Was ist denn los?“ „Ich dachte... Ich dachte...“ Maxi stockte. Dann wies er mit der Hand auf den großen dunklen Flecken, der sich noch immer vor ihnen auf der besonnten Wasseroberfläche abzeichnete, und erklärte seinem Vater kleinlaut, was er für einen Fisch gehalten hatte. Es war sein Schatten gewesen, nichts weiter, Maxis eigener Schatten...
„Mähnsch...“, ärgerte sich sein Vater. Und zwar nicht nur wegen der allzu blühenden Phantasie seines Söhnchens, die er kannte, sondern auch über seine eigene Unbeherrschtheit. Hätte er nur einen Moment abgewartet – seine Hosen und Schuhe wären trocken geblieben. „Los jetzt!“, sagte er. Und so entstiegen sie dem Flüsschen, Vater und Sohnemann, der Vater etwas schneller, da er ja Schuhe trug.
„Wie seht ihr denn aus!“ Die Mutter hatte im Gespräch mit der Großmutter, die ihre Mutter war, in der Küche gesessen, als die beiden reinkamen. Der Tisch war schon gedeckt. Der Großvater hantierte noch, obwohl Sonntag war, draußen in der Werkstatt – leise, damit die Nachbarn nichts merkten. Dann kam auch er herein, und etwas später, man wollte eben nicht mehr warten und das Tischgebet sprechen, der Onkel mit seiner Freundin. Der Onkel lachte, als er die Geschichte hörte, wobei er seine starken, weißen Zähne zeigte. „'n bissi viel Weißer Hai gesehen, was?“ Dann erzählte er von den Hechten in der Lahn, und wie sie einmal einen hatten fangen wollen, der sich in eine Ausbuchtung des Flussufers, eine Art kleinen Tümpel verirrt hatte. „Wie alt waren wir da?“, überlegte der Onkel. Speere hätten sie sich gemacht, aus Weidenruten, und „das arme Vieh“ gejagt, durch den Tümpel gehetzt. Maxi hörte aufmerksam zu. Die Erzählung des Onkels faszinierte ihn. Er hatte sich selbst auch schon einmal im Angeln versucht. Aber immer war es so gewesen, dass die Fische zwar den Köder gefressen, aber nicht den Haken geschluckt hatten... „Du musst Blinker nehmen, und die richtigen Haken!“, hatte sein Onkel gerufen. „Zeig ich dir mal!“ Nach dem Dessert hatte sich die Mittagsmahlgesellschaft langsam aufgelöst, Oma und Opa hatten sich in ihre Sessel gelegt, und der Onkel war mit seiner Freundin in seinem alten Zimmer verschwunden. Auch Maxi solle etwas ruhen, meinte der Großvater. Aber Maxi konnte nicht. Wenn der Onkel ihm das nur zeigen könnte, mit dem Blinker und den richtigen Haken! Maxi strich in dem geräumigen Hause umher, in dem Mittagsruhe herrschte. Dann stieg er leise die kühle Treppe hinan, um ins Obergeschoss zu gelangen, wo der Onkel sein Zimmer hatte. Die Tür war fest verschlossen. Maxi hielt den Atem an. Ein gedämpftes Geräusch drang aus dem Zimmer. Er war mehrmals versucht zu klopfen, traute sich aber jedesmal nicht und gab sein Vorhaben schließlich auf. Irgendwann war der Mittagsschlaf ja vorbei, sagte er sich, bis dahin muss ich mich eben gedulden. Von der Terrasse aus sah er der Katze eine Weile zu, die mit gespitzten Ohren über den Rasen schlich, um dann, in geduckter Stellung, vor einem Mauseloch niederzukauern.
Einen Blinker brauche ich also, und einen richtigen Haken, dachte Maxi. Ein famoser Kerl, sein Onkel. Er würde es ihm zeigen. Und dann würde er gleich morgen an den Fluss gehen und... Ein Fisch, dachte Maxi, ein richtiger Fisch! Wenn er nur erst aus seinem Zimmer käme, der Onkel. Na ja, es war ein bisschen wie Heiligabend: Man musste sich eben gedulden. Maxi sah auf seine Armbanduhr. Gähnte. Dann schlummerte er, ausgestreckt auf der Liege, doch noch ein wenig ein.