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Entdeckungen/Erfindungen
Entdeckungen und Namen
"Warum kann ich die Sterne nicht Blumen nennen?" frage ich Mara.
Mara ist fünf. Wenn man sie danach fragt, dann hält sie stolz die Hand hoch und strahlt. Ich weiß nicht, warum sie nicht sagt, dass sie fünf ist, aber sie hebt immer die Hand.
Bei dieser Frage schaut sie mich entsetzt an. Sie scheint mich für verrückt zu halten, oder denkt vielleicht, dass ich sie zum Narren halte. Ihre kleine Stirn ist in Falten gelegt, sie guckt mich finster an, richtig umwölkt sieht ihr kleines Gesicht aus - und angestrengt.
"Das geht nicht!" erklärt sie entschieden und beobachtet mich misstrauisch. "Du kannst doch die Sterne nicht einfach zu Blumen machen!"
Ich lächle und schüttle den Kopf. "Nein, das wollte ich doch auch nicht!" erwidere ich und muss schmunzeln. Sie sieht konzentriert aus, versucht mir zu folgen, mich zu verstehen. "Ich wollte einfach nur einen anderen Namen für sie gebrauchen. Die Sterne bleiben Sterne, aber ich nenne sie Blumen, verstehst du?" Sie schüttelt den Kopf, sieht etwas verwirrt aus. Die kleinen Händchen suchen nervös nach Beschäftigung und wandern in die Hosentaschen. Ich ahne, dass sie dort in Gedanken ein Taschentuch zerreißt, oder einen wichtigen Zettel, vielleicht auch einen alten Keks, den sie irgendwann eingesteckt hat. Mama wird schimpfen und Mara wird den Müll aus ihren kleinen Taschen sammeln müssen, aber ich lasse sie. Sie denkt. Ich darf sie jetzt nicht unterbrechen, sonst erfahre ich ihre Antwort wahrscheinlich nie und dabei interessiert sie mich doch. Ich finde es spannend, was die kleine Mara dazu sagen wird.
Es dauert eine Weile. Sie starrt angestrengt auf den Rasen hinunter, als wolle sie die Grashalme zählen, aber Mara kann erst bis fünf zählen. Dann hebt sie den Kopf. "Ein Stern kann keine Blume sein!" beharrt sie und sieht entschlossen aus.
"Aber `Blume´ ist doch nur ein Wort." stelle ich fest und runzle die Stirn. Mara bückt sich, pflückt ein Gänseblümchen.
"Das ist eine Blume!" sagt sie und hat recht.
Ihr Argument ist nicht zu entkräften, es ist die Wahrheit. Das ist eine Blume. Aber `Blume´ ist doch nur ein Wort.
"Worte kann man nicht in den Händen halten!" erklärt sie und schenkt mir das Gänseblümchen.
Ich bin verwirrt. Ich weiß, dass es stimmte was ich dachte, aber es stimmt auch was sie sagt.
Mein Gehirn verknotet sich, das glaube ich zumindest.
Wie erkläre ich es ihr? Ich versuche es anders.
"Und wenn du einen neuen Namen fändest?" frage ich und bin gespannt.
"Dann findest du auch das was zu dem Namen gehört!" erklärt sie.
"Wenn ich jetzt sage: `Dein Name ist Quelzoncatl´, dann würde doch nicht plötzlich ein neues Ding hier auftauchen." sage ich und verstecke meine Verwirrung.
"Weil das kein Name ist!" sagt Mara und lächelt nachsichtig.
Ich bin verdutzt - sehe wohl auch so aus, denn sie spricht weiter: "Du kannst nicht einfach so einen Namen erfinden!" sagt sie und sieht sehr ernst aus. "Das ist nur irgendein erfundenes Wort, aber kein Name."
"Aber wie kann ich denn dann einen Namen erfinden?" frage ich verzweifelt.
Sie schüttelt den Kopf und senkt die Stimme.
"Das weiß ich nicht!" flüstert sie und kommt dicht an mein Ohr. "Das ist ein Geheimnis! Ich glaube, dass Gott einem manchmal Namen schenkt!"
Meine Stirn legt sich in Falten, ich versuche ihr zu folgen, sie zu verstehen. Richtig umwölkt sieht mein Gesicht aus.
"Und was mache ich mit so einem Namen?" flüstere ich zurück, ganz im Bann des Geheimnisses.
"Na, er gehört zu einem neuen Ding!" erklärt sie konzentriert und ihre kindliche Stimme klingt ganz ernst. "Und du musst dieses Ding dann finden."
Ein Ball fliegt an uns vorbei und Robin rast ihm hinterher. Mara lacht, hat bereits vergessen, was sie mir gerade erzählt hat und rennt mit dem Nachbarsjungen mit.
Ich stehe auf der Wiese, denke nach und staune über die naive Weisheit der Kinder.