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Entblößt im Erdloch
Er stand im Erdloch und zitterte. Warum sie das getan hatten, war für ihn unbegreiflich.
An sich war es ein schöner Nachmittag im Frühling. Sonne, lauer Wind, kurze Hosen, T-Shirt-Wetter. Jonas fuhr mit seinem Fahrrad, das er vor einer Woche zum Geburtstag bekommen hatte, durch das Neubaugebiet. In letzter Zeit entstanden hier überall neue Häuser. Und bevor es Häuser wurden, waren da Lehmberge, auf denen man wunderbar spielen konnte. Und Erdlöcher.
Jonas hielt vor einer neuen Baustelle. Er konnte den frischen Lehm riechen und stieg vom Fahrrad. Auf einem Schild stand: „Eltern haften für ihre Kinder“
Trotzdem oder gerade deswegen zog ihn dieser abenteuerliche Spielplatz an. Dort vorne stand ein Bagger mit einer großen Schaufel. >Die muss ganz schön stark sein<, dachte er, >um so ein tiefes Loch zu graben.<
Er merkte nicht, wie sich zwei Jungen hinter seinem Rücken auf einen der Berge schlichen.
Plötzlich aber spürte er einen Schlag im Rücken.
„Volltreffer!“, johlte einer der Jungen.
Ein zweiter Klumpen Lehm verfehlte Jonas nur knapp.
Er rannte entlang des Loches, bis er zu einer Leiter kam, und stieg schnell hinunter.
Es mussten viele Meter sein, dachte Jonas, als er die Berge um das Loch herum verschwinden sah und stattdessen feuchten Lehm und Kratzspuren der Baggerschaufel vor seinen Augen hatte.
Die Jungen folgten ihm.
Er suchte einen Ausweg. Vergebens. Er hatte sich selbst in die Falle gesetzt.
Die Jungen kamen näher.
Hilfe suchend blickte er sich um. Die Leiter jedoch war der einzige Weg nach oben. Und zwischen ihm und ihr standen grinsend diese Jungen.
Er schaute zu Boden, sah eine zerfledderte Plane, kleine Steine, gesplittertes Glas, Plastiktuben und Lehmschollen.
„Ich werfe!“ rief er und griff sich eine der schweren Schollen. Die Jungen lachten nur.
„Mach doch, Kleiner!“, provozierten sie. „Tu’ s doch! Wirst schon sehen!“
Er tat es, verfehlte sie jedoch bei weitem, da sie darauf vorbereitet waren und auswichen.
„Jetzt bist du ganz allein!“, sagte der eine.
„Und Mami wird dir nicht helfen“, der andere.
Jonas bekam Angst. Er war in die Ecke gedrängt, wollte rennen - doch wohin?
Einer der Jungen schubste ihn zurück.
Er trat nach ihnen.
Sie wichen aus.
Er spuckte, sie spuckten zurück.
Als Jonas sich über das Gesicht wischte, kam einer der Jungen und zog ihm die Hose hinunter.
Er war nackt.
Sie lachten und zeigten mit dem Finger auf ihn.
Er zog die Hose schnell wieder hinauf.
Der andere zog sie wieder runter, diesmal schneller, grober.
Jonas wieder rauf. Er hatte Tränen im Gesicht.
Doch die Jungen ließen nicht ab.
Schließlich schubste einer der Jungen Jonas zu Boden und zog ihm die Hose über die Schuhe, knüllte sie zusammen und warf sie aus dem Loch.
Sie spuckten jeder noch zweimal auf ihn, rannten dann zur Leiter, stiegen hinauf und holten die Leiter nach oben.
Das Gelächter entfernte sich.
Jonas stand im Erdloch und zitterte. Dann sank er zusammen und weinte.