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Englische Namen in deutschen Kurzgeschichten?

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20.04.2012
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Englische Namen in deutschen Kurzgeschichten?

Das ist jetzt sicherlich ein Thema, das in erster Linie Autoren betrifft, die Science-Fiction-Geschichten schreiben, aber sicherlich können auch andere etwas Erhellendes dazu beitragen.

Mir ist nämlich aufgefallen, dass in deutschsprachiger Science Fiction verhältnismäßig viele englische Namen vorkommen. Ich habe da mal ein bisschen drüber nachgedacht und bin dann darauf gekommen, dass es vielleicht daran liegen könnte, dass manche Plots mit deutschen Namen irgendwie "unglaubwürdig" erscheinen. Ein furchtloser Weltraumpilot, der Steffen Vogel heißt? Eine stahlharte Alienjägerin namens Anna Berger? Eine korrupte Regierung, die ihre Bürger verarscht und Kevin Meistermann ist das Opfer? Klingt zumindest für mich dank Hollywood immer irgendwie blöd und unrealistisch und passt sogar nicht zu unserer doch etwas muffigen und spießigen Heimat - ob jetzt D, A oder CH sei dahin gestellt (die globale Wahrnehmung dürfte da nur geringfügig changieren).

Und darum wollte ich mal wissen, ob es nicht nur mir so geht, dass ich bei SF meistens in englischen Namen denke, wenn ich mich nicht zu deutschen Namen zwinge. Oder ist es vielleicht einfach nur Zufall und in Wirklichkeit steckt da schon meistens eine bewusste Absicht hinter den englische Namen in den Geschichten deutschsprachiger Autoren.

Also, wie sieht es bei euch aus? Seid ihr auch durch Hollywood oder englischsprachige Autoren bei einigen Themen "verbrannt" und denkt automatisch "englisch" oder bin ich da einfach Opfer meiner eigenen Phantasielosigkeit?

 
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Also, ganz pragmatisch: Es hilft Namen zu verwenden, die man sowohl englisch als auch deutsch aussprechen kann.
Gegen "Anne Berger" würde glaube ich nichts sprechen. Da kann der Leser, der unbedingt englisch lesen "will", den Namen als "Änn Bärgär" zurechtmurmeln und andere können das als "Anna Berger" lesen.


Das Problem hat man in Thrillern oder Horrorgeschichten allerdings auch, das ist nicht nur auf SF beschränkt.
Es gibt da schon einige Namen, die sowohl auf englisch als auch auf deutsch funktionieren. Meistens Vornamen natürlich.
Das wäre eine praktikable Lösung. Eine andere wären "exotische" Namen.

Zum zweiten Teil der Frage. Es ist so und so schwierig, finde ich. Deutsche Namen wirken tatsächlich oft unpassend, und bei englischen kommt man sich wie ein Möchtegern vor.
Das hängt - glaube ich - wirklich damit zusammen, dass im Genre-Bereich so vieles, was wir konsumieren, englischsprachig ist und so wenig deutsch. Und mit "deutscher" Unterhaltung assozieren wir dann mit andere Sachen.
Das ist ein Problem mit dem sich jeder auseinandersetzen wird, der in irgendeiner Form Genre schreiben will.

 

Ich denke, das hat eher damit zu tun, über was man schreibt. In Deutschland ist eben nicht so viel mit Raumfahrt und Geheimdiensten wie in den Staaten. Aber man kann doch auch Sceince-Fiction in Deutschland ansiedeln und sich hier eine Zukunft ausmalen, in der Anna Berger irgendwelche Forschungen betreibt und irgendwem auf die Schliche kommt. Bei Horror und Thriller verstehe ich das noch weniger. Ob es jetzt bei Hans Schatelhuber im Bauernhof spukt oder bei einem Ami im Keller .... ist doch egal. Ich hab nie das Gefühl, ich müsste jetzt englische Namen verwenden.

 
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Hei Mugo,

wenn man bedenkt, dass SciFi in der Zukunft angesiedelt ist, frage ich mich eh, was dann eine Anna Berger dort zu suchen hätte. Egal, ob der Schauplatz in Deutschland oder woanders liegt. Schauen wir 600-1000 Jahre in die Vergangenheit, sind da doch auch kaum Namen, die heute irgendjemand ohne Ironie in einem Alltagstext verwenden würde.

Für alle anderen Texte - außer Fantasy vllt - finde ich, sollten die Namen zum Setting passen. Deutsche Namen in einem Amisetting klingen doof (*), weil die Kultur eine 'ausländische' ist, da spielt die Sprache, in der die Kurzgeschichte geschrieben wurde, gar keine Rolle. Ist dein Schauplatz in etwas angesiedelt, das man irgendwie als Deutschland erkennt, glaube ich nicht, dass ein guter deutscher Name (:D haha, wie das klingt!) schief wirkte.

Für mich klingen Texte am besten, in deren Settings sich der Autor zu Hause oder wohl fühlt. Egal wo das ist. Und egal, was dann für Namen dabei rauskommen.

Bin mir ausserdem sicher, du würdest auch in keinem Alltagstext über einen Kevin Meistermann schreiben (außerhalb von Ironie), oder?

(*) Außer, wenn das Touristen sind, das ist ja auch immer eine Lösung - schreibt man über Prots, die am Ort fremd oder einheimisch sind?

 

Ich kenn das Problem mit den englischen Namen, sowohl bei SF als auch bei Horror. Das liegt eben an der amerikanischen Leitkultur, die in Deutschland herrscht ... ;)

Ich bin da auch so geprägt, dass mir deutsche Namen falsch und unpassend vorkommen ... wobei das doch Quatsch ist, es sei denn, der Text spielt in New York und MUSS aus irgendeinem zwingenden Grund in New York spielen und KANN nicht in Buxtehude stattfinden.
Das ist fast nie so.
Gerade hier im Forum habe ich oft ein amerikanisches setting gesehen und erstmal unterstellt:
1. der Autor war noch nie vor Ort
2. der Autor plappert nur von Mike und Jack, weil er durch Hollywood glaubt, die wären "cool"
Dann verdrehe ich die Augen und die Geschichte hat einen (vielleicht unverdient) schlechteren Start bei mir.

Man hat zwei Möglichkeiten:
Entweder, du benutzt die deutschen Namen, weil es dir albern vorkommt, dich künstlich englisch/amerikanisch zu stellen - dann hast du aber das Problem, dass viele Leser ein Problem mit dem deutschen Zeug kriegen.
Oder, du benutzt englisch/amerikanisch, weil es dir albern vorkommt, dich krampfhaft auf deutsch festzulegen - dann hast du aber das Problem, dass viele andere Leser den Kopf schütteln.

Welche Lesergruppe größer ist, weiß ich nicht. Das würde mich auch mal interessieren.
Ich persönlich zähl mich zu der Gruppe, die (mittlerweile) deutsche Namen bevorzugt. (Deutsches oder neutrales setting vorausgesetzt.)

"Neutrale" Namen wie Anna, Michael ... das ist ein guter Mittelweg.

Ich denke, das hat eher damit zu tun, über was man schreibt. In Deutschland ist eben nicht so viel mit Raumfahrt und Geheimdiensten wie in den Staaten.
Erst wollte ich da mit Inbrunst zustimmen. Aber wenn man mal überlegt: Wenn es SF ist und weit genug in der Zukunft, gibt es keinen Grund, warum man nicht eine ... ultracoole deutsche Raumfahrt und einen fabelhaften Geheimdienst behaupten kann.
Und viele Geheimdienst-plots müssten auch mit dem aktuellen BND funktionieren :D hat dann nur einen anderen Charme, es ist halt eine deutsche Behörde. Aber man könnte, wenn man denn wollte ...

wenn man bedenkt, dass SciFi in der Zukunft angesiedelt ist, frage ich mich eh, was dann eine Anna Berger dort zu suchen hätte. Egal, ob der Schauplatz in Deutschland oder woanders liegt.
Wenn man bedenkt, dass die Zukunft gleich im nächsten Moment anfängt und SF stories gerne morgen, 2014 oder 2030 spielen können, sollte man sich nicht fragen, was Anna Berger dort sucht. ;)

Ich weiß nicht, wie ihr das seht, aber ich rate auch davon ab, zwanghaft neuartige Namen zu erfinden. Es gibt nicht viele Leute, die das gut können, das muss lautmalerisch hinhauen und und und ...
Namen, die so ein bisschen danebengehen und keinen Wiedererkennungswert haben, die strengen den Leser nur unnötig an. Ich hatte mal einen Fantasyschinken, der Elf(enkrieger) hieß irgendwas Kelsenellenrivaldry... irgendso, und wurde dann "Kelsey" genannt. Bah.
Und wenn dann alle Namen so ein kakophonischer Silbensalat sind, dann will ich das Buch fast verbrennen ...

 

Deutsche Namen? So was wie Chantalle, Mandy oder Bruce Destiny ...? :D

Also, kann schon sein, dass man da durch den Konsum amerikanischer Literatur etwas "geschädigt" ist. Speziell wenn man dann bewusst versucht, für eine Figur einen besonders deutschen Namen zu finden. Horst Müller würde mir auch im echten Leben komisch vorkommen, genau wie Kevin Meistermann.

Aber wenn man sich kurz die Zeit nimmt, um vernünftige deutsche Namen zu wählen, liest sich das auch nicht sonderbar oder so. Vom Standpunkt des Poetophilen aus müsste man ja sogar vermuten, dass sich deutsche Namen klanglich viel besser in einen deutsch abgefassten Text fügen.

SF ist vielleicht noch mal ein Sonderfall, zumindest "harte" SF mit Weltraum und Raumschiffen und so. Weil da ja meist davon ausgegangen wird, dass es irgendeinen Weltstaat und eine Weltkultur gibt und als Erbe des 20. Jahrhunderts ist diese vorgestellte Zukunftskultur eben amerikanisch dominiert. Vielleicht ändert sich das ja noch mal und in zehn Jahren tragen Weltraum-Admirale vermehrt chinesische Namen?

Bei Horror ist es wohl wirklich eher ein Problem des Settings. Viele "klassische" Horror-Szenarien sind recht US-spezifisch oder lassen sich zumindest nicht problemlos zu uns transferieren. Das von der Welt vergessene Kannibalen-Dorf? Na gut, vielleicht irgendwo in der brandenburgischen Uckermark. Aber ansonsten ist unser Land irgendwie zu klein und zu erschlossen für so was. Oder die gesetzlose Großstadt als Hintergrund? Selbst die schlimmsten Stadtteile von Berlin kommen nicht annähernd an das heran, was verschiedene US-Metropolen da zu bieten haben.

Aber von diesen Sonderfällen abgesehen: Ich "wundere" mich nicht über deutsche Namen in Kurzgeschichten. Eher im Gegenteil.

 

Viele "klassische" Horror-Szenarien sind recht US-spezifisch

Das einzig wirklich ur-amerikanische Setting ist eigentlich dieses Redneck-Ding (Texas Chainsaw etc.).

 

Ich finde ja auch, der Name Ulf Merbold liest sich einfach grauenhaft für einen Astronauten, im Bayerischen Wald können niemals Horrorgeschichten stattfinden und stellt euch vor, ich würde den weltberühmten Filmregisseur in meinem Plot Roland Petersen nennen? Nicht auszudenken, viel zu unglaubwürdig. Solche Namen kann man höchstens als Satire verwenden, aber doch niemals ernst meinen. ;)

 

„amerikanischen Leitkultur, die in Deutschland herrscht ...“ – wenn ich das höre, bekomme ich Hautausschlag.

Oder: „der Autor plappert nur von Mike und Jack, weil er durch Hollywood glaubt, die wären "cool". Dann verdrehe ich die Augen und die Geschichte hat einen (vielleicht unverdient) schlechteren Start bei mir.“ – so denke ich auch.

Oder: „In Deutschland ist eben nicht so viel mit Raumfahrt und Geheimdiensten wie in den Staaten.“ – was nicht ist, kann ja noch werden, schließlich handelt sich bei SF um Zukunft, und die Geheimdienste haben wir auch und Mario Simmel hat uns vorgemacht, wie die (nicht) funktionieren bzw. welche Intrigen da laufen (können).

Oder: „ Viele "klassische" Horror-Szenarien sind recht US-spezifisch oder lassen sich zumindest nicht problemlos zu uns transferieren. Das von der Welt vergessene Kannibalen-Dorf? Na gut, vielleicht irgendwo in der brandenburgischen Uckermark. Aber ansonsten ist unser Land irgendwie zu klein und zu erschlossen für so was.“ – Was ist das für ein Argument? Der beste Horror ist doch der, der sich in einem biederen Haus eines biederen Dorfes oder einer Kleinstadt abspielt. Man tut hier so, als ob wir keinen Fritz Haarmann, Joachim Kroll oder Armin Meiwes hätten. Und was ist mit Amstetten mit seinem Josef! Fritzl!?

Das Grauen wohnt nebenan und trägt deutsche Namen. Dass man das hierzulande nicht sieht oder nicht sehen will, könnte man als Versuch einer Verdrängung ansehen.

Das lässt tief blicken. :D

 

Die erfolgreichste SF-Serie der Welt (zurzeit bei #2650) wird von deutschen Autoren geschrieben, heißt aber nicht 'Hans Maurer'.
Während ihrer Entstehung waren die USA neben der UdSSR die einzige Nation, die realistisch die Möglichkeit hatte, zum Mond zu fliegen (um dort dann durch einen Major die AETRON zu entdecken, welcher auf diese Weise das Zeitalter des solaren Imperiums einläutete).
Deutsche Hauptdarsteller zu nehmen, wäre gerade anno dazumal als wieder auferstandener Größenwahn abgestempelt worden. (Eine derartige echt größenwahnsinnige Serie gibt nun tatsächlich: 'Kaiserfront')
Aus meiner Sicht ist daher die häufige Verwendung englischer Namen in der SF auch eine Art von historisch begründeter Bescheidenheit.
kinnison
(W. Kimball Kinnison klingt doch auch irgendwie 'cooler' für einen SF-Autor als Klaus-Peter Hünnerscheidt. Oder?;-))

 

Diskussionen darüber gibt es hier häufig, ob nun in der Rubrik SF oder auch in anderen Genres. Ich find es grundsätzlich nervig, wenn da Kritiken nach dem Motto "Als deutscher Autor sollte man seine Geschichten bevorzugt (grundsätzlich?) auch mit deutschen Namen und in deutscher Umgebung platzieren". Hä?

Warum schreibe ich wohl? Hauptsächlich wegen der totalen Freiheiten, Figuren zu schaffen, wie ich das will, sie zu nennen, wie ich Lust habe, und sie dort anzusiedeln, wo ich das für richtig halte.

Natürlich werden Geschichten, die man außerhalb Deutschlands ansiedelt, oft argwöhnisch beäugt, mangelnde oder gar fehlende Kenntnisse von Land und Leute unterstellt. Man muss halt aufpassen und sauber recherchieren.

Aber grundsätzlich gilt aus meiner Sicht: Die so oft beschworene künstlerische Freiheit, die hier in vielerlei Hinsicht (zu Recht) leidenschaftlich verteidigt wird, endet ja nicht bei der Wahl von Namen oder Orten. Was wäre denn das für eine kümmerliche Freiheit?

Bei SF und bei allen anderen Rubriken gilt für Namen, Ort und Handlung: DU bist der Boss. Du entscheidest. Punkt.

Rick

 
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Es ist halt so, weil das Erfahrungswerte sind, Rick.
Wenn man als deutscher Autor einen Krimi in Italien ansiedelt, dann ist das erste, was vielen Lesern in den Sinn kommt, doch: "Ah! Hier Brunetti, diese furchtbaren Psuedo-Venedig-Krimis."

Das ist doch aber nicht die Schuld des Lesers, dass da so viel Scheiße passiert ist.

Und genau so ist das mit englischen Namen. Wenn man genug Zeug von 14jährigen gelesen hat, die sagen: "Die Figur heißt Charlie und die Geschichte spielt in Maine, weil ich gestern "Es" gelesen habe und Stephen King total toll finde", dann schafft das halt eine bestimmte Haltung.

Man kann doch nicht als Autor sagen: Bitte, lieber Leser, ingoriere, was du kennst, und geh vollkommen unvoreingenommen an meine Geschichte ran.
Jeder Leser schleppt Ballast mit sich rum. Wenn ich eine Geschichte lese, die in "Maine" spielt, denke ich zuerst: Alles klar, King-Epigone. Wenn sich dann rausstellt, dass der Autor das gewisse Etwas hat, rücke ich davon wieder ab, aber es kann mir doch keiner erzählen, dass man vollkommen "leer" an jedes Stück Geschichte ran geht. Ein guter Autor sollte wissen, was er im Leser mit der Wahl von bestimmten Namen und einem bestimmten Setting auslöst und nicht lamentieren, dass das Publikum Vorurteile hat.

Also klar. "Du bist der Boss", aber da sollte man sich auch bewusst sein, dass der Leser natürlich fragen wird: "Oh, der schreibt über das und das Thema, hat der da auch gut recherchiert."

Diese Publikumsbeschimpfungen in letzter Zeit, was ist denn los? Man muss doch akzeptieren, wie Leser sind auch.

 

Das Grauen wohnt nebenan und trägt deutsche Namen. Dass man das hierzulande nicht sieht oder nicht sehen will, könnte man als Versuch einer Verdrängung ansehen.
Die meiste Fiktion in aus den USA oder viel davon, ist genau so eskapistisch, wie unsere, die wir uns gern in die USA sehnen.
Die Amerikaner gehen dann entweder nach "Europa", in so ein abstruses, fernes Gesamteuropa. Oder sie gehen in die eigene Vergangenheit (diese period-pieces) oder in die großen, funkelnden, eigenen Phantasie-Städte (Las Vegas, New York, Miami, Los Angeles).

Also das Problem, dass wir Deutschen uns - zum großen Teil - Genreliteratur und Unterhaltung eskapistisch wünschen, weil wir die Realität als - wie es hier einer schrieb - "erschlossen und reglementiert" wahrnehmen, das ist ein globales Phänomen. Die großen Genre-Schlager der letzten Jahre waren alle eskapistisch.

Und, was du da sagst, mit "das Grauen wohnt um die Ecke" - das ist kein Genre-Stoff. Also dieser Kannibale von Rothenburg oder der Irre in Norwegen - das ist kein Stoff für einen gruseligen Wohlfühl-Thriller.
Das ist ja grade eine der Ideen von Eskapismus, dass man das Buch zuschlägt und wieder in einer geordneten Welt lebt.

Also eine Debatte über "englische Namen in deutschen Kurzgeschichten" ist im Prinzip natürlich eine Eskapismus-Debatte. Das ist doch ganz klar.
Und da kann man schon skeptisch sein. In den letzten 20, 30 Jahren hat der Eskapismus gewonnen, ich finde das auch nicht so toll.

 

Die meisten deiner Ausführungen zum Thema Eskapismus finde ich gut und richtig, Quinn. Aber das hier:

Und, was du da sagst, mit "das Grauen wohnt um die Ecke" - das ist kein Genre-Stoff. Also dieser Kannibale von Rothenburg oder der Irre in Norwegen - das ist kein Stoff für einen gruseligen Wohlfühl-Thriller.
Aber hallo! Wenn das jeweils keinen Stoff für einen (gruseligen) Thriller hergibt. Da könnte man sehr viel draus machen. Zumindest bei dem Kannibalen ist es völlig unerheblich, wo man die Geschichte ansiedeln würde. Die würde überall funktionieren, in jedem Land, in jeder Region. Und so durchgeknallte selbstverliebte Persönlichkeiten wie Breivik gibt es leider auch überall. Und genau das ist meines Erachtens das, was diese Stoffe in der Genreliteratur universalgültig und damit erst recht gut macht: Es kann jederzeit und überall passieren. Keine Idylle ist sicher vor solch schrecklichen Ereignissen. DAS ist doch der Thrill pur.

 
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Ich hab ja geschrieben Wohlfühl-Thriller auch.

Natürlich ist der Stoff spannend, aber, ich denke, man will gerade bei Thrillern auch nichts, was zu tief geht; der Kannibale wurde ja filmisch umgesetzt und es war ein ziemlicher Flop, weil die Realität eben nicht so "attraktiv böse" ist wie Hannibal Lecter, sondern elend und verstörend.
Es ist sicher möglich aus solchen Sachen in der Verfremdung etwas zu machen, aber das ist alles nicht so einfach. Es gibt da auch ethische Bedenken (Will jemand wirklich Breivik ein erzählerisches Denkmal setzen?). Also dieses "Nach einer wahren Geschichte" - das ist eher Capote, nicht Dan Brown.

Das ist ja auch ein Unterschied zwischen "Genreliteratur" und "Literatur". Ich hab geschrieben "gruseliger Wohlfühl-Thriller", das ist was, bei dem man danach das Buch zuschlägt und sich wieder gut fühlt. Das ist, fürchte ich, eine der Erfolgsformeln für Unterhaltung.

Wenn man das analysieren möchte, ist das sicher Stoff, über den man sich auch in die Haare geraten kann. Es gibt Autoren, die, völlig zu Recht, immer fordern, es muss krasser sein und dass Grausamkeiten nicht verharmlost werden dürfen und dass Fiktion gnadenlos sein muss.
Das ist aber wirklich ein weites Feld, ich will mich auch nicht hinstellen und versuchen da irgendwelche Grenzen zu ziehen.
Ich denke nur, dass diese "nahen" Einschläge, Breivik, Rothenburg und Erfurt, eine ganz andere Sorte "Material" sind und eine andere Herangehensweise erfordern als typische Thriller-Stoffe.
Oft sickert dann so eine Form von "Zeitgeist" in irgendeiner anderen Form dann in die Fiktion ein, klar.
Aber es gibt schon Gründe, warum wir in den letzten Jahren keinen riesigen amerikanischen Genre-Film über 9/11 gesehen haben oder über Amokläufe an Schulen (es gibt da Sachen natürlich, aber die sind oft auf einem niedrigeren Level).

Eskapismus ist ja ein Trick auch, jemanden mit übertragenen Ängsten und Sehnsüchten zu konfrontieren, ihm aber dann auch wieder einen Ausweg zu lassen, man flüchtet mit dem Leser in eine "andere Welt" und lässt die Realität schön in Ruhe, damit der Leser wieder dahin kann. Das werfen ja dem Eskapismus gerade viele vor. Dass er den Leser nicht direkt angeht und nicht versucht ihn zu erreichen und etwas zu bewegen und zu verändern, sondern dass er ihm immer dieses Zwinkern lässt, die Illusion.
Guck dir die letzten großen Mega-Seller und Literatur-Phänomene+Verfilmung+Riesenvermarktung an der letzten 10 Jahre. Lord of the Rings, Harry Potter, Twilight, Hunger Games. Das ist Eskapismus im Quadrat.
Game of Thrones, das halbe Forum liest das ja mittlerweile oder hat's gelesen - mit in die Reihe.

Aber das ist jetzt auch wirklich weit von dem Thema weg.

 

Okay, ich hatte mich wohl an dem "das ist kein Genre-Stoff" aufgehalten. Mit Eskapismus und Wohlfühlfaktor, also sich nachher wieder richtig gut im eigenen Leben fühlen, - da hast du natürlich recht, dass solche Stoffe das nicht leisten, im Gegenteil.
Tja, ob das dann schon "literarischer" ist und weniger Genre? Ich liebe es, wenn wichtige gesellschaftliche Themen Eingang in eine Story finden. Sie müssen nicht zwingend das Hauptthema sein, sie dürfen gern "nur" mitschwingen, aber ich finde es wichtig, große Themen anzupacken und (mit) zu verarbeiten. Das heißt nicht, dass die Story nach einer wahren Begebenheit ablaufen muss, aber dass eventuell das dem zugrundeliegende gesellschaftliche Problem gespiegelt wird (gern auch in anderer Aufbereitung). Ein Thriller, der das leistet, ist meiner Ansicht nach immer noch Genreliteratur. Vielleicht aber mit literarischeren Einschlüssen, okay. Ich mag es zum Beispiel auch, wenn bei einem Thriller Wert auf Sprache und Stil gelegt wird, was auch bei Weitem nicht selbstverständlich ist.
Aber das sind sicher Vorlieben und du hast recht, dass man darüber auch gut diskutieren (oder je nach Temperament: streiten) kann.

So, ich fürchte, ich habe den Thread jetzt wirklich etwas weit vom Ursprungsthema entfernt. Äh, sorry dafür!

 

Quinns Ausführungen kann ich sehr gut folgen, inklusive des Bedauerns, da mir im Eskapismus verständlicherweise oft die Stille fehlt und ich eben auch Literatur/Kunst bevorzuge, die sich mit politisch-gesellschaftlichem Gegenwartsbezug äußert und auseinandersetzt.
Um einen Bogen zum Thema zuruckzuschlagen: Rick, natürlich hast du Recht, wenn du die künstlerische Freiheit auch für die Wahl des Künstlers von Setting, Namen und Ortschaften einforderst.
Mich stören dann halt nur immer so Pseudobegründungen wie "das ist einfach cooler". Nein, das ist es nicht.
Für mich wäre aber auch weniger zu fragen, warum dieser oder jener Name, sondern "dient er der Geschichte"? Und die Frage kommt mir beim Lesen höchstens, wenn etwas der Geschichte nicht dient.

 

Jaja, da fängt man ein Thema an, vergisst es zu abonnieren und fährt dann erst einmal in den Urlaub. Und schwupps! hat man viel zu kommentieren...

Worauf ich jetzt nicht im einzelnen eingehe, kann als von mir wohlwollend zur Kenntnis genommen betrachtet werden!

Katla:

wenn man bedenkt, dass SciFi in der Zukunft angesiedelt ist, frage ich mich eh, was dann eine Anna Berger dort zu suchen hätte. Egal, ob der Schauplatz in Deutschland oder woanders liegt. Schauen wir 600-1000 Jahre in die Vergangenheit, sind da doch auch kaum Namen, die heute irgendjemand ohne Ironie in einem Alltagstext verwenden würde.

Es wurde schon gesagt, aber die interessanteste SciFi ist oft diejenige, die in einer nicht allzu entfernten Zukunft spielt...

Bin mir ausserdem sicher, du würdest auch in keinem Alltagstext über einen Kevin Meistermann schreiben (außerhalb von Ironie), oder?

Der war ja jetzt auch nur ein Symbolbild - es darf auch gerne ein anderer Name sein...

Möchtegern:

Und viele Geheimdienst-plots müssten auch mit dem aktuellen BND funktionieren hat dann nur einen anderen Charme, es ist halt eine deutsche Behörde. Aber man könnte, wenn man denn wollte ...

Haha, ich hatte vor Kurzem mir mal eine Story überlegt, bei der der Verfassungsschutz einen Maulwurf zum Kanzlerkandidaten macht, um sicherzustellen, dass der Kanzler das Grundgesetz schützt (sprich: Verfassungsschutz manipuliert den politischen Willensbildungsprozess, um das GG zu schützen). Dann kam der NSU und warf die Frage auf, ob der Verfassungsschutz zu solchen durchtriebenen Verschwörungen überhaupt in der Lage wäre...

Meridian:

Horst Müller würde mir auch im echten Leben komisch vorkommen, genau wie Kevin Meistermann.

Und das, wo wir erst letztens einen Horst Köhler als Bundes- und einen Peter Müller als Ministerpräsidenten hatten...

Weil da ja meist davon ausgegangen wird, dass es irgendeinen Weltstaat und eine Weltkultur gibt und als Erbe des 20. Jahrhunderts ist diese vorgestellte Zukunftskultur eben amerikanisch dominiert. Vielleicht ändert sich das ja noch mal und in zehn Jahren tragen Weltraum-Admirale vermehrt chinesische Namen?

Ich bezweifele es, da dafür noch immer zu wenig Deutsche Mandarin sprechen. Mir persönlich ist ein Jack Burns von einem phantasielosen Autoren auch lieber als ein Ching Chang Chong. Die Namen sollten ja zumindest prinzipiell existieren können...

Viele "klassische" Horror-Szenarien sind recht US-spezifisch oder lassen sich zumindest nicht problemlos zu uns transferieren.

Einspruch! Dein Uckermark-Verweis beweist, dass es heutzutage auch in Deutschland gottverlassene Ecken gibt (und übrigens nicht nur Im Osten - Hunsrück und Eifel lassen grüßen...).

Selbst die schlimmsten Stadtteile von Berlin kommen nicht annähernd an das heran, was verschiedene US-Metropolen da zu bieten haben.

Als jemand, der nun fast ein Jahr in einer der 50 gefährlichsten Städte der Welt - gemessen an der Mordrate - gewohnt hat, möchte ich darauf hinweisen, dass dies aber auch eher ein verzehrtes Klischee ist. Mit Ausnahme von Detroit und New Orleans (und diese Städte sind selten Setting) sind in erster Linie lateinamerikanische Städte "gefährlich" - aber mit wenigen Ausnahmen nimmt sich kaum einmal jemand literarisch des Drogenkriegs in Mexiko an...

kinnison:

Aus meiner Sicht ist daher die häufige Verwendung englischer Namen in der SF auch eine Art von historisch begründeter Bescheidenheit.

Das halte ich für einen sehr interessanten Gedankengang - und wirft die Frage auf, wie mit Namen in anderen Ländern umgegangen wird, die keine große Weltraumtradition haben. Weiß jemand, was für Namen z.B. in Italien oder Lateinamerika vorherrschen?

Rick:

Ich find es grundsätzlich nervig, wenn da Kritiken nach dem Motto "Als deutscher Autor sollte man seine Geschichten bevorzugt (grundsätzlich?) auch mit deutschen Namen und in deutscher Umgebung platzieren".

Darum auch die losgelöste Debatte ohne Verweis auf konkrete Geschichten, denn mich interessiert eher die zugrundeliegende Intention als die Frage, ob in der Geschichte X von Autor Y nicht auch deutsche Namen möglich gewesen wären.

Quinn:

Aber es gibt schon Gründe, warum wir in den letzten Jahren keinen riesigen amerikanischen Genre-Film über 9/11 gesehen haben oder über Amokläufe an Schulen (es gibt da Sachen natürlich, aber die sind oft auf einem niedrigeren Level).

Einspruch, euer Ehren! Gerade in Sachen Schulmassaker gibt es mit "We have to talk about Kevin" den Gegenbeweis - das Buch wurde bereits verfilmt, der Film war auf vielen Shortlists für den Oscar, auch wenn er am Ende nicht nominiert wurde, und es ist definitiv kein Wohlfühl-Thriller. Das Ding kam vielleicht nicht gut an, aber es ist eben nicht so, dass nur noch Eskapismus geliefert würde...

So viel von mir. Und vielen Dank für die Antworten und auch die Diskussion über den Trend zum Eskapismus. Das hat zumindest mir einige Denkanstöße gegeben...

 
Zuletzt bearbeitet:

Einspruch, euer Ehren! Gerade in Sachen Schulmassaker gibt es mit "We have to talk about Kevin" den Gegenbeweis - das Buch wurde bereits verfilmt, der Film war auf vielen Shortlists für den Oscar, auch wenn er am Ende nicht nominiert wurde, und es ist definitiv kein Wohlfühl-Thriller. Das Ding kam vielleicht nicht gut an, aber es ist eben nicht so, dass nur noch Eskapismus geliefert würde...
Nein, natürlich nicht, aber Eskapismus ist der Main-Stream.
Ich hab, nach dem Thread hier, dann auch lauter Sachen gefunden über das Thema.

Das hier ist z.B. aus den "Anweisungen", wie man eine Folge der SF-Horror-Serie "Outer Limits" in den 50ern schreiben sollte:

There must be terror. The viewer must know the delicious and consciously desired element of terror. Enlightenment, Education, Provocation, and Soul-moving are the end-game of all Drama, but to these must be added, for the purposes of PLEASE STAND BY, the experience of terror. It must, however, be TOLERABLE TERROR. It must remain in the realm of fiction, of unreality. When the play is ended, when the Control Voice has returned to the viewer the use of his television set, the viewer, that willing victim of the terror, must be able to relax and know self-amusement and realize that what he feared during the telling of the story could not materialize and need not be feared should he walk out of his house and stroll a night street.

Das ist aus einem 60 Jahre alten Memo. Ich nehm stark an, aus meinen Beobachtungen, dass das hier - in welcher Form auch immer - eine Grundlage unserer Erzählkultur geworden ist. Und wenn man da rausgeht, dann geht man halt auch aus dem Mainstream ein Stück raus.

Zu dem Film "We Need to Talk about Kevin", aus der Wikipedia:

As of 19 April 2012, We Need To Talk About Kevin has grossed $1,656,241 in North America, along with $4,300,250 in other countries, for a worldwide total of $5,956,491.
As the $7 million used for its budget was never recovered, it reached the box office hall of shame.
Müsste man halt einen neuen Eskapismus-Thread machen, ist schon ein spannendes Thema.

In den letzten Jahren gab es ultra-brutale südkoreanische Thriller über Psycho-Serienkiller. Die hatten da wohl einen realen, sehr ekligen Fall und dann hat sich die dortige Kultur-Branche damit auseinandergesetzt. Ich weiß nicht, ob das in Deutschland so denkbar wäre. Vielleicht ist das einfach eine andere Kultur.
http://de.wikipedia.org/wiki/Yoo_Young-chul

 

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