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Engelswut
Borege mußte es beenden.
Er war der Einzige, der es konnte...
Ein letztes Mal schaute er von einem Hügel aus über das Schlachtfeld von Sc' wa' koun. Tränen schossen ihm wie Säure in die Augen, als er den Vormarsch der Malboraner beobachtete. Sie hatten die Reihen der Salbäer, der einfachen Krieger, fast durchbrochen. Nur noch die umherirrenden Scryar, die wie Leuchtfeuer durch die Reihen der Dämonen irrten, und sie mit ihren unschuldigen Schreien in den Tod trieben, hielten die Malboraner von einem endgültigen Durchbruch ab.
Fast mußte man stolz auf die Scryar – diese Geister ungeborener Kinder – sein, die so rein waren, daß ihre Schreie selbst Engeln wie ihm zusetzen konnten. Auch wenn ihr Aussehen plump und grotesk war, waren die wurmartigen Wesen von Schäferhundgröße äußerst effektiv. Aber nur, wenn sie von einem Treiber massiv und gezielt eingesetzt wurden.
Doch die meisten Treiber waren tot, und so irrten die Scryar ziellos umher und würden nach und nach von den Dämonenhorden der Malboraner ausgelöscht werden.
Aber sie verschafften Borege Zeit.
Zeit, die er brauchte, um sich von seiner Geliebten zu verabschieden.
Er drehte ihren leblosen Körper auf den Bauch.
In ihr Gesicht konnte er nicht sehen, denn ihr Kopf war von einer riesigen Axt abgerissen worden. Und die blutbefleckten Flügel auf ihrem Rumpf überdeckten den Halsstumpf wenigstens zum Teil. Außerdem war es wichtig, dass sie nicht auf dem Rücken lag. Denn Borege würde schnell handeln müssen.
Doch jetzt galt es erst, sich zu verabschieden.
Mit seinen riesigen Flügeln, die aus reiner Energie bestanden, bildete er einen Schutzkokon um sich und seine geliebte Imora. Für kurze Zeit würden sie selbst vor den argwöhnischsten Dämonenaugen unsichtbar sein.
Borege würde sich beeilen müssen, wollte er nicht zuviel von seiner kostbaren Energie verschwenden.
"Imora..", begann er.
"Wie gerne hätte ich noch ein letztes Mal in Deine Augen gesehen...Deine Lippen berührt...Dein Lachen gehört...Aber es sollte nicht sein..."
Kraftlos verhallte seine Stimme in dem selbstgeschaffenen Raum, nur um kurz darauf zu erneuter Festigkeit und Heftigkeit zu finden.
"Sie haben uns verraten!...Diese elenden Lichtbringer...Haben uns nichts davon gesagt, dass es dieses Mal KEINE Übung sein würde!...Haben uns einfach in den Tod geschickt...Hätte ich es gewusst...Ich hätte mich darauf vorbereiten können...Hätte meine Einheit schützen könn---"
Seine Stimme brach.
"Hätte Dich schützen können...", kam es schließlich leise aus seinem Mund.
Dunkle Tränen liefen sein Gesicht hinab. Doch er schämte sich nicht für seine Zeichen der Schwäche. Genauso wenig wie er sich für das schämte, was er geplant hatte.
Es tat ihm nur leid, dass er Imora dafür benutzen musste.
Aber es gab keinen anderen Weg.
"Verzeih mir...Geliebte...", flüsterte er ein letztes Mal.
Dann ließ Borege seine Tarnung fallen und riß im selben Moment seiner Geliebten mit einem Schrei voller Wut und Verzweiflung beide Flügel ab.
Das Reißen, mit dem sich die Flügel aus Imoras Körper lösten, blieb nicht ungehört.
Es hallte weit über das Schlachtfeld und brachte den Kampfesfluss der Schlacht ins Stocken.
Mit versteinerter Miene beobachtete Borege, wie die wenigen Salbäer – einfache Fußsoldaten in den Reihen der Engel – die sich bereits zurückgezogen hatten, erschrocken zu ihm herauf starrten.
Erschrocken über sein plötzliches Verschwinden und Erscheinen.
Und entsetzt über die unheilige Tat, die er begangen hatte.
Nur Dämonen rissen Engeln die Flügel ab und hängten sie sich als Trophäe um den Hals. Ein solches Sakrileg hatte noch nie ein anderes Wesen begangen. Zumindest hatte keiner von ihnen jemals etwas darüber gehört.
Selbst die Malboraner, die Meister der Qual, schauten überrascht zu ihm herüber. Auch sie hatten dergleichen noch nicht gesehen und fragten sich wohl, ob auf der Seite des Lichts gerade ein neuer Dämon geboren wurde.
Doch Borege hatte nicht vor, die Seiten zu wechseln.
Im Gegenteil.
Wenn ihm alles wie geplant gelang, würde dieser Aussenposten frei vom Gezücht der Malboraner sein.
Allerdings würde Sc'wa'koun dann auch frei von jeglichem anderen Leben sein.
Borege ließ sich von den ihm zugewandten Blicken nicht aufhalten. Ohne Reue zu empfinden, begann er die Flügel in seinen Händen energetisch aufzuladen. Licht strömte von den Flügeln auf dem Rücken über seine Adern in Imoras Flügel.
Geblendet und erschrocken wichen die Salbäer zurück.
Sie wußten zwar nicht, was Borege tat, doch spürten sie instinktiv, daß es besser war, sich ihm nicht zu nähern. Keiner von ihnen konnte sich mit einem Erzengel messen. Vor allem nicht, wenn er sich in einem Zustand jenseits von Gut und Böse zu befinden schien.
Boreges Gesicht verhärtete sich angesichts der Schmerzen, die er bei der Übertragung der Energie empfand, doch schon nach ein paar Sekunden war die Übertragung beendet.
Mittlerweile glühten die abgerissenen Flügel Imoras in einem so grellen Licht, daß sogar die tumbesten Dämonen, die gerade noch die letzten Scryar getötet hatten und sich jetzt wieder der Front der Salbäer zuwandten, aufblickten.
Das Licht, war das Letzte, was sie zu sehen bekamen.
Für einen Augenblick blieb die Zeit stehen.
Die Salbäer rissen ungläubig die Augen und die Münder auf, als sie begriffen, was der Erzengel plante. Sie wußten, dass sie verloren waren. Trotzdem versuchten viele noch zu entkommen, drehten sich um und rannten direkt auf die Malboraner zu.
Die anderen schienen einfach zu resignieren und sahen Borege nur verständnislos an. Er, der sie beschützen sollte, würde ihr Mörder werden.
Auch die Malboraner begriffen jetzt, dass Boreges Aktion ihnen nicht nützen würde, und mehrere Handvoll der riesigen Dämonenäxte waren auf dem Weg zu ihm.
Sie würden ihn nicht mehr erreichen.
In einer letzten Willensanstrengung richtete der Erzengel seine eigenen, weißglühenden Flügel auf und streckte sie nach Osten und Westen, während seine Arme die abgerissen Flügel Imoras in die verbliebenen zwei Himmelsrichtungen hielten.
Dann schickte er eine energetische Vernichtungswelle über die Ebene.
Eine Welle, die vor nichts halt machte, weder Freund noch Feind kannte, sondern nur den Tod.
Die nahestehenden Salbäer verglühten sofort zu Asche.
Die weiter entfernt Stehenden wurden von Lichtlanzen durchbohrt, die sie in Flammen setzten. Auch ihr Tod währte nur Sekunden.
Vom Schrei des sterbenden Engels begleitet schlug die Welle wie die sprichwörtliche Faust Gottes in das Dämonenheer. Wie zuvor die Scryar – nur ungleich stärker – brach sie durch die dichtgedrängten Reihen und zerstörte alles auf ihrem Weg.
Das Todesgebrüll der zu Schlacke brennenden Dämonen war fast lauter als das Donnern der Welle selbst.
In alle vier Himmelsrichtungen brach sich die Welle ihre Bahn und verbrannte alles auf ihrem Weg. Mehr noch, es floß wie Lava in jede Ritze, jede Erdspalte und suchte sich seinen Weg, bis es alles ausgefüllt –
...alles verbrannt hatte.
Innerhalb einer Minute wurde aus einer blühenden Landschaft, um die eben noch die Parteien der Himmel und Hölle gekämpft hatten, ein toter, für beide Seiten unwirtlicher Flecken.
Der Einzige nicht verbrannte Platz war der Hügel auf dem Borege stand, der mittlerweile zusammengebrochen war.
Dunkles Blut drängte durch seine Poren, während er voller Schmerz zitterte. Er wußte, dass er bereits so gut wie tot war.
Seine Seele würde nirgendwo Aufnahme finden. Sie würde ewig über diesen toten Flecken wandern und sich voller Schmerz daran erinnern, wen er alles verloren hatte und wer für seine Tat hatte sterben müssen.
Aber das war ihm egal.
Alles war ihm egal.
Wichtig war nur, dass die Dämonen nicht noch eine Heimat für ihre dunklen Rituale und ihre Knechtschaft bekamen. Sc'wa'koun würde kein Tummelplatz der Dämonen werden.
Nicht so wie andere Welten.
(Nicht so wie die Erde!)
Ohja, er würde leiden. Doch er hätte auch gelitten, wenn er ohne Imora zurückgekehrt wäre. Sein Leben hätte so oder so keinen Sinn mehr gehabt.
Ein Lächeln stahl sich auf sein blutverschmiertes Gesicht, während er den letzten Satz seines Lebens von sich hauchte:
"Das...
...ist...
...das –
ENDE