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Engel

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07.10.2002
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Engel

Meine liebste Freundin! Du hast mich sehr enttäuscht, nein besser, deine Entscheidung hat mich sehr enttäuscht. So soll ich dich also nie zu Gesicht bekommen, obwohl ich nie einen größeren Wunsch hatte? Ist es für dich so unwichtig, dem Menschen gegenüber zu stehen, der dir näher ist, als dir je ein Mensch war und sein wird? Befreie dich doch von deinen Ängsten und Zweifeln. Es kann nichts passieren. Wir werden uns sehen und endlich wissen, welcher Mensch so wundervolle Worte an den anderen richten kann. Überlege es dir und erfülle mir diesen Wunsch. Gönne mir den letzten Rest dieses Glückes, das ich seit Monaten nicht fassen kann. Es grüßt dich in Liebe, dein Cherub.

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Liebster Cherub! Wie gut du mich doch kennst. Du weißt, dass ich dir diese Bitte, trotz aller Bedenken, nicht abschlagen kann. Dann soll es so sein. Nenne mir Ort und Zeitpunkt und gib mir genügend Zeit, zu planen. Also werden wir uns bald sehen. Ich hoffe so sehr, dass wir uns nicht enttäuschen werden. In Liebe, Seraph.

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Seine Hände würde sie nie vergessen, schmal, mit schlanken Fingern und doch so kraftvoll. Das Funkeln seiner dunklen Augen ließ sie zwischen Faszination und Angst schwanken. Seine heisere Stimme, die immer und immer wieder, „ich liebe dich, nur dich, mein Engel“, flüsterte, trug sie, leiser und leiser werdend, davon.

Sie wollte ihn nie sehen, wollte den Zauber nicht zerstören, der sie beide vom ersten Tag an umgab.

Dieser erste Tag, ein Irrläufer auf ihrer Mailbox. Cherub schrieb an Seraph. Ein kleiner Tippfehler in der Mailadresse. So begegneten sie sich.

Sie schrieben sich, stellten schnell fest, dass ihre Sprache eine war. Und sie hatten eine gemeinsame Leidenschaft, sie waren fasziniert von der fremden Welt der Engel. Wesen, die es nicht wirklich gab und die doch überall anzutreffen waren. Altäre waren geschmückt mit ihnen, es gab Bücher über sie, es wurden Gedichte über sie geschrieben, die Menschen sangen Lieder von Engeln.

Am Anfang schrieben sie sich zwei bis drei Mails pro Woche, dann wurden es mehr und mehr. Nach zwei Monaten wussten sie beinahe alles voneinander, alles, was wichtig zu sein schien. Sie liebten sich auf eine unwirkliche und ferne Weise und dieses Gefühl war größer als alles, was sie je zuvor erlebt hatten.

Nie hatte sie einen solchen Mann kennen gelernt. Die Tiefe seiner Gefühle, seine Wärme, ließen in ihr eine unwirkliche und nie gekannte Sehnsucht aufkommen. Kein Mann vor ihm hatte sie so tief berührt. Doch sie wollte ihn nie sehen, wollte diesen Traum nicht zerstören, der sie mit ihm verband, der ihrem Leben wieder Sinn gab. Diesen Sinn hatte sie längst verloren geglaubt.

Auch Cherub war nie einer Frau begegnet, die ihr nur andeutungsweise nahe kam. Alleine ihre Worte ließen ihre Weichheit und Zärtlichkeit erahnen. Sie war nicht von dieser Oberflächlichkeit, die sich mehr und mehr breit gemacht hatte und ihn fast zum Wahnsinn trieb. Er musste sie sehen, sie berühren, dieses Geschöpf, das nur aus der Ewigkeit seiner Träume stammen konnte und nichts mit der Wirklichkeit zu tun hatte.

„Schweig, mein Engel“, sagte er, als sie sich zum ersten Mal gegenüber standen, „lass uns durch den frischen Schnee gehen, Hand in Hand.“

Sie schwieg, es fröstelte sie bei seinem Anblick und trotzdem konnte sie sich seinem Bann nicht entziehen. Er strahlte etwas aus, das sie nicht fassen, sich nicht erklären konnte. Es machte ihr Angst und zog sie trotzdem an, wie ein Magnet.

Er war ein Stück mit ihr gefahren, sie hatten die Stadt hinter sich gelassen. Jetzt war es still um sie, hier konnten sie nicht abgelenkt werden von Dingen, die nichts mir ihren Gefühlen zu tun hatten.

Sie schwiegen, schauten sich nur selten an, während sie durch den noch unberührten Schnee des Waldweges gingen. Ihre Schritte wurden vom Schnee geschluckt, so als wären sie nicht vorhanden, als würden nur ihre Gedanken miteinander spazieren gehen. Es gab nichts mehr zu reden, sie ahnte es, er wusste es.

Es war nur ein kleines Erschrecken, als er sie zu sich zog und ihr immer wieder den einen Satz ins Ohr flüsterte: „Ich liebe dich für die Ewigkeit, nur dich, mein Engel.“

Seine Gedanken und sein Handeln waren ihr nicht fremd und als er seine Hände um ihren Hals legte, schien es ihr fast selbstverständlich zu sein. Ihre Gegenwehr war gering, als sich seine Hände fester und fester schlossen.

Als er ihren Körper in den Schnee legte, konnte sie seine Worte nicht mehr hören.

„Ich hoffe, dir gefällt, was ich für dich geschrieben habe, vor so langer Zeit. Fast hätte ich aufgegeben, dich zu suchen, doch dann warst du plötzlich da.“

Er kniete sich neben sie in den Schnee und flüsterte:

Engel meines Lebens, Traum aus einer anderen Welt
Engel meiner Sehnsucht, der mein Herz gefangen hält
Engel meiner Träume, ich habe mich in dir verirrt
Engel meiner kalten Nacht, Liebe, die dich töten wird.

 

Hmmm.. Muss ich nochmal drüber nachdenken..soviel nur, hat mir gefallen...ein Zärtlicher Mord, um die Liebe nicht mehr genommen zu bekommen...oder das letzte zu geben? Irgendwie schön, auch wenns um Mord geht...seltsam...

Lord

 

Hach, mir wird ganz anders... :D

Eine sehr schöne Geschichte! (Und so schön kurz - ich wümschte, ich könnte mich immer so kurz halten... ;) ). Hat mich berührt, nicht so sehr durch Sprachgewalt o.ä., einfach durch ihre Schlichtheit, in der dennoch viel Gefühl steckt. Vielleicht hat's mir auch deshalb gefallen, weil ich was ähnliches (den Mord natürlich nicht!) selber schon erlebt habe - jemanden per Email kennenlernen, sich total verlieben und dann Angst haben sich zu sehen. (Ich hab sie leider bis heute nicht getroffen...) Diese Gefühle sind in der Geschichte m.E. gut getroffen und ohne jeden "Schwulst" erzählt. Und die letzten vier Zeilen sind sehr schön - drücken sie doch wie ich finde viel von der Zerrissenheit, der Ambivalenz und dem Schmerz wieder, die mit der Liebe einhergehen - Lieben heisst doch auch, immer wieder einen kleinen Tod zu sterben, und trotzdem das Leben selbst zu überwinden...oder so ähnlich... ;)

Nochmal: Schöne Geschichte! :)

Sentimentale Grüsse,
Horni

 
Zuletzt bearbeitet:

Huiii Dejavu, Karin, voll gut, ehrlich.
Er spielt falsch, er holt sie sich! Toll! Die Story ist toll, das Ende war für mich nicht ganz überraschend, weil .... naja ich hab mir halt gedacht irgendwo ist der Harken. Ich find das ist ne 1A Schaudergeschichte, also da gibt es keine Backpfeife für. Schaurig-schön.

Liebe grüsse Stefan

 

Hallo Lord, hallo Horni!

Ich freue mich sehr, dass euch die Geschichte gefallen hat. Und irgendwie habt ihr es auch so verstanden, wie ich's gemeint habe. Es war mal wieder die Liebe ... und manch einer stirbt für sie ... so oder so.

Danke und einen lieben Gruß an euch beide

Déjá-vu.

 

Hallo Stefan!

Jetzt bin ich selber platt. Ich habe wirklich mit Backpfeifen gerechnet (eine solche Geschichte in der Weihnachtszeit - sowas macht man doch nicht :D). Hab mich natürlich sehr gefreut, dass dir die Geschichte gefällt.

Lieber Gruß ... Karin

 

Kleiner Nachtrag:

Engel meines Lebens, Traum aus einer anderen Welt
Engel meiner Sehnsucht, der mein Herz gefangen hält
Engel meiner Träume, ich habe mich in dir verirrt
Engel meiner kalten Nacht, Liebe, die dich töten wird.

Ich finde, man sollte es ruhig öfter lesen - es kriecht jedes Mal ein Stückchen tiefer unter die Haut...genau dahin, wo's bei uns allen schon mal so richtig weh getan hat.

@DejaVu:

Und irgendwie habt ihr es auch so verstanden, wie ich's gemeint habe.

Das ist schon viel wert, gell? ;)

Es war mal wieder die Liebe ... und manch einer stirbt für sie ... so oder so.

Genau: Oder so. :D
Und weisste was: Wir alle tun es trotzdem immer wieder... :bonk: :D

 

An den letzten vier Zeilen liegt mir auch sehr viel ... so kann man hier Teile seiner Gedichte verstecken und keiner merkt's. :D Und du kannst sicher schweigen, nicht wahr?!?

Tja, man tut's tatsächlich immer wieder ... warum eigentlich??? :rolleyes:

 

Geschrieben von Déjà-vu
Und du kannst sicher schweigen, nicht wahr?!?

Naaaa guuut...weil Weihnachten ist... :D

Tja, man tut's tatsächlich immer wieder ... warum eigentlich??? :rolleyes:

Dunno - offenbar braucht der Mensch diesen Kick??? Steckt wohl in den Genen oder sowas. Immerhin: Liebe und Tod sind des Schreibers täglich Brot (auch für mich, siehe z.B. Morgen ist kein anderer Tag Allerdings wohl auch keine wirkliche Antwort auf deine Frage, eher eine Art Fortsetzung der Ratlosigkeit mit anderen Mitteln? :rolleyes: )

 

Hallo Deja-vu!

auch mir gefällt Deine Geschichte gut... kein großes Drumrum, einfach nur Momente, Gefühle... Deine Formulierungen, Dein Erzählen, es ist toll. So ... passend, genau für den Inhalt.

ja, die letzten 4 Zeilen, vor allem die...das geht mir nahe. ja, warum?! ich glaube, man kann nicht anders...

liebe Grüße, Anne

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Deja vu,

hier kommen die Backpfeifen.:D
Nein, nein. Ich finde, deine Story ist gut erzählt, lässt sich gut lesen. Und so mancher schöner Satz lässt sich auch finden

Ihre Schritte wurden vom Schnee geschluckt, so als wären sie nicht vorhanden, als würden nur ihre Gedanken miteinander spazieren gehen.

Doch insgesamt ist mir die Geschichte zu kitschig, auch wenn der Schluss das ganze gut relativiert.
Sie sehen sich das erste Mal face-to face und er sagt
Schweig, mein Engel“, sagte er, als sie sich zum ersten Mal gegenüber standen, „lass uns durch den frischen Schnee gehen, Hand in Hand.“
Da musste ich doch schmunzeln. Na ja Geschmackssache.

Liebe Grüße

Jan


P.S.: Wie passt eigentlich der erste Absatz nach dem Kursiven rein? Ist das eine Art Erinnerung aus dem Jenseits? Mist, ich glaube, ich muss die Geschichte nochmal lesen!

 

Hallo Anne!

Ganz lieben Dank für's Lesen der Geschichte. Ich hab mich sehr gefreut, dass sie dir gefallen hat und dass die Schlusszeilen so auf dich wirken konnten.

Hallo PeterPan!

Die saß aber :aua:. Kleiner Scherz! Ist halt - wie du schon schreibst - Geschmackssache. Allerdings halte ich es absolut nicht für ausgeschlossen, dass nach einem intensivem, virtuellem Kontakt eine derartige Aussage getroffen werden kann. Die beiden haben sich ja keine Schönwettermails geschrieben, da war schon etwas mehr. So zumindest wollte ich das rüber bringen. Dazu fällt mir soviel ein - aber ich lasse das jetzt mal lieber. :) Der erste Satz, nach dem Kursiven, beschreibt ihre letzten Eindrücke - da lebt sie ja noch. Danke dir, für's Lesen - bin ja doch nochmal knapp vorbei geschrammt.

Euch beiden einen lieben Gruß ... Karin

 

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