Engel
Julia war irgendwie seltsam, sie redete langsam und nie unüberlegt. Ihr Stimme war so neutral, weder laut noch leise und sie war so unauffällig, obwohl sie doch so wunderschön war. Sie hatte Florian vor zwei Monaten nach einem Konzert angesprochen und er war sofort so fasziniert von ihr, dass er die Party nach der Show einfach hatte sausen lassen. Vorher hatte er sie noch nie im Jugendhaus gesehen und außer ihm schien sie niemand zu kennen. Ein paar Abende hatten sie zusammen verbracht, zuerst auf neutralem Boden, später dann bei ihm zu Hause. Sie gefiel ihm sehr, denn sie verstand alles was er sagte, war an allem interessiert und sie konnten über alles reden, als ob sie sich schon ewig kennen würden. Nur bei einem Thema wich Julia ständig aus: Sich selbst! Kein Wort verlor sie über ihre Familie und Florians Frage, warum er sie vorher noch nie im Jugendhaus gesehen hatte, überhörte sie einfach. Umso mehr wunderte er sich über ihren Anruf am Nachmittag. Sie hatte ein Treffen im Park vorgeschlagen und später wollte sie Florian unbedingt noch zeigen wo sie wohnt. Einerseits wollt er unbedingt ihre Familie kennen lernen, die sie so lange verschwiegen hatte, andererseits war er etwas aufgeregt und konnte sich Julias plötzlichen Sinneswandel nicht erklären.
Florian schloss sein Rad an einen kleinen Baum und schaute sich suchend um. „Hallo, Florian“ er drehte sich um und erschrak ein bisschen, obwohl er Julias schöne Stimme schon erkannt hatte. Sie lächelte ein bisschen und schaute ihm in die Augen. Sie hatte große, grüne Augen mit langen, schwarzen Wimpern, ihre Haut schimmerte blass und ihre dunklen Haare fielen wie Seide über ihre Schultern. Florian konnte ihrem Blick nicht lange standhalten und schaute schnell auf den Boden. Sie fing an zu reden, über das Wetter, die Blumen und die Vögel, aber er verstand sie nicht, hörte nur die Melodie ihrer Stimme. Während sie redete nahm sie vorsichtig seine Hand und sie gingen den Schotterweg entlang, bis sie zum Metalltor kamen, das aus dem Park auf eine kleine Seitenstraße führte. Julia hatte aufgehört zu reden, als sie die Straße überquerten, als würde sie dafür ihre ganze Konzentration brauchen. Florian sah in die Sonne, dann auf ihr Haar, dann plötzlich ein Auto, es raste auf sie zu. Julia ging einfach weiter, so als ob sie es gar nicht bemerkte. Florian sah sie entsetzt an, dann spürte er einen entsetzlichen Schmerz in den Beinen und wurde über die Motorhaube geschleudert. Ein dumpfer Aufprall, dann Stille. „Florian, Florian“ Er hörte Julia leise auf ihn einreden und konnte ihren Atem an seinem Ohr spüren, als er die Augen öffnete. Sie hielt seine Hand fest und lächelte, dann half sie ihm hoch. Der Autofahrer kam entsetzt auf die beiden zu. Aber Julia ging einfach weiter. Florian lächelte den Mann an und sagte, dass ihm nichts passiert sei, doch der schien ihn überhaupt nicht zu bemerken. Julia führte Florian sanft weiter und lies den Mann alleine auf dem Boden zusammensinken. Die Sonne wurde immer heller und plötzlich merkte Florian, dass sein Füße den Boden nicht mehr berührten. Als er noch mal zurück schaute, sah er den Mann, der weinend auf dem Boden kniete, vor ihm lag eine Person – nein, keine Person – als er genauer hinsah, erkannte Florian, dass da nur noch eine Hülle lag, sein eigener, lebloser Körper. Aber es berührte ihn nicht mehr, denn er verstand wo Julia ihn hinführte. Er lächelte.