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- 05.10.2002
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Engel der Stille
Am anderen Ende der Leitung eine schwache Stimme. Eine Stimme, die trotz ihrer Schwäche ins Herz dringt – zumindest mir.
Die Engel der Stille leben ein Auf und Ab. Sie sind mal froh und glücklich, aber häufiger sind sie still und in sich gekehrt – öffnen sich nur wenigen oder niemandem. Dann sind sie traurig. Warum sie traurig sind, wissen sie nicht.
Machtlos kann ich nur versuchen, sie zu beruhigen, Nähe fehlt. Nähe, die komischerweise zu helfen scheint, mehr als Worte durch ein Netz von Telefondrähten gesprochen und mehrere hundert Kilometer weit weg gehört, nicht aus dem Mund gehört, sondern aus dem Hörer – trotzdem echt?
Die Engel der Stille brauchen Wärme. Sie sind fast immer durstig nach Körperwärme, nach Zärtlichkeiten, nach Liebkosungen. Sie genießen es, wenn jemand ganz nah da ist, sie hält und – beschützt? – Nein nicht unbedingt, einfach nur da sein. Der Schutz entsteht in ihren Herzen.
Kann man Tränen hören? Ja, ich höre sie, ich höre sie langsam ihre Wange hinunter rinnen bis sie von der Oberlippe tropft und salzig schmeckt. Die Träne schnürt dann irgendwie die Luft ab, ihre Stimme wird leiser und trauriger.
Die Engel der Stille denken – wie die meisten Menschen übrigens –, dass Traurigkeit etwas Schlechtes ist, deshalb fühlen sie sich schlecht, wenn sie traurig sind. Ist Traurigkeit denn so schlecht? Oder hilft Traurigkeit auch? Vielleicht hilft sie, mit Zweifeln umzugehen, doch die Engel der Stille ertrinken manchmal in ihrer Traurigkeit und vergessen dann, dass sie vielleicht nur auf etwas aufmerksam machen soll. Vielleicht soll sie es ja gar nicht... vielleicht ist Traurigkeit ja doch etwas Schlechtes? So viele Menschen sagen es... – dann wird es wohl stimmen. Wirklich?
Ich wäre jetzt gern bei ihr, um ihre Hände zu halten. Irgendwie glaube ich immer noch daran, dass sie nicht so schwach ist, wie sie denkt – und wie sie auch oft wirkt. Stärke – was für ein Wort, hört sich irgendwie gleich nach Aggressivität an – aggressiv ist sie aber nicht. Gesunde Stärke... ja, ich denke wenn sie will, kann sie die zeigen, und viel wichtiger: auch leben. Vielleicht zeigt sie ohnehin viel zu viel – „mehr leben, weniger zeigen“. Das werde ich ihr sagen.
Warum eigentlich immer „vielleicht“ und „wahrscheinlich“? Es kann sein, dass ich meiner Sache selbst nicht so sicher bin...
Die Engel der Stille bringen ein Licht mit sich, ein wunderbares, helles Licht! Sie sind schön, sehr schön – nicht nur schön anzusehen. Die meisten Menschen fühlen sich wohl in ihrer Gegenwart. Die Engel der Stille geben sich übrigens nicht zu erkennen, die meisten Menschen wissen nicht, dass es Engel sind, sie denken, es seien Menschen wie Du und ich – ... sind das Engel nicht auch? Auf jeden Fall kannst Du froh sein, wenn Du einmal einen Engel der Stille kennen lernst, nicht vielen ist das vergönnt ... nicht viele dürfen einem Engel der Stille so nah sein wie ich. Wenn Du einmal einen triffst: Genieße es! Aber Vorsicht, verliebe Dich bloß nicht, denn dann würdest Du für Deinen Engel der Stille ohne weiteres sterben.