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Enemies - eine Kurzgeschichte in drei Fällen

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06.02.2015
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Enemies - eine Kurzgeschichte in drei Fällen

1
München
Der Atem brennt. Die kalte Luft peitscht in mein Gesicht. Schneller, immer Schneller.
Ich renne so schnell ich kann. Der Körper kann wundervolle Leistungen vollbringen, wenn nur der Geist es zulässt. Ich ertaste das Tütchen in meiner Hosentasche. Mein Verstand sagt, schmeiß es weg. Mein Herz ist dagegen. Meine Faust und mein Verstand umschließt es gleichermaßen. Hab´ ich sie abgehängt? Nur ein schneller Blick nach hinten. Der Vorsprung wird größer.
Ein Häusereingang. Durchatmen. Schwitzen. Die Welt um mich herum beginnt zu pochen.
Mein Atem wird langsamer, mein Gehör sensibler. Luft anhalten, lauschen. Schritte.
Alles wird langsamer, unerträglicher. Und jetzt auch noch diese Stille. Hab ich´s geschafft?
Nein. Fuck.
Da stehen sie nun vor mir.
„Nicht wirklich, oder? Misst."
Zwei Hüter des Gesetzes, zwei Leute die für sich Denken lassen. My Enemies.

Wenn der Verstand Ideologien verändert, dann ist es Aufklärung.
Vernunft, Intelligenz. Nicht hier, nicht hier in meiner Welt.

Ich ergebe mich. Egal, die beiden gehen trotzdem auf mich los.
„Das war wohl nix, kleiner."
Ein paar Handgriffe und sie drücken mich gegen die Wand. Überall, auch zwischen die Eier.
„In meiner Tasche, in meiner Tasche, verdammt."
Auch das ist ihnen egal.
„Ihr fasst wohl gerne Jungs an."
Er drückt fester zu. Mein Arm tut weh. Schweiß auf meinen Lippen.
„Da haben wir ja die Drogen."
„Ich wehre mich doch gar nicht, lasst mich einfach los."
„Das hättest du wohl gerne, Junkie."
„Ich bin kein verdammter Junkie, ihr Penner."
In den Margen. Alles verschwimmt. Ich spucke vor meine Füße.
„Jetzt gibt es obendrein noch eine Anzeige wegen Beamtenbeleidigung."
Ich ächze nach Luft.
„Paul Dünberg, sind sie das?"
„Papst Franziskus der vierhundert-zwanzigste. Also lasst mich in Ruhe."
Ich keuche.
„Na warte nur, Freundchen."
Der Griff wird härter. Der Blutfluss meines Arms ist unterbrochen.
„Ich bin nicht dein Freundchen, Alter."
Er schreit in mein Ohr, ich zucke zusammen.
„Ich bin nicht dein Alter, Junkie."
Mein Gesicht glüht.
„Wir machen dich jetzt los. Du bleibst solange liegen, bis wir weg sind. Ist das klar?"
Mein Atem wird schneller. Ich schweige. Meine Handschellen lösen sich. Ein Knie in meinem Rücken.
„Ist das klar?"
„Ja. Verdammt, ja."
Nun liege ich hier und die hauen ab. Mit meinem Namen, meiner Ehre und mit meinem Kush. Eins. Zwei. Drei. Ich spüre die Sekunden. Gedanken rasen durch meinen Kopf. Ich springe auf und renne, renne wie ein losgelassenes Wildtier auf die beiden zu. Ein großer Sprung in beide hinein eröffnet den Kampf. Kein Kampf. Der Kampf bleibt aus, dafür ist es eine zu große Überraschung. Meine Tütchen, mein Pass zurück, leider nicht meine Ehre. Dafür war es zu spät.

2
Berlin
Lauf, Lauf! Jetzt muss ich einfach nur laufen. Keine Stimmen, keine Geräusche, nur der Wind. Immer gerade aus. Ich spüre meine Beine nicht mehr. Ein Auto blendet mich. Ich drehe mich um. Er hat ihn. Er hat ihn erwischt. Jetzt drischt er auf ihn ein. Fuck. Ich muss abhauen.
„Bleib stehen du schwule Sau, bleib stehen!"
Dieser Satz donnert durch die leeren Straßen. Es ist dunkel. Und es ist kalt. Kalt in unseren Herzen.

Eine Bankfiliale. Ich schmeiß meinen Leib hinter einen der Terminals. Mein Versteck. Mein Atem brennt. Die elektrische Tür! Schritte. Stille. Finger tippen auf etwas. Nicht der Geldautomat. Ein Handy. Fuck.
„I, I follow, I follow you deap sea baby, I fallow you."
Meins, volle Lautstärke. Scheisse. Nun hat er mich. Und so billig verraten. Da steht er nun vor mir. Bemitleidenswert. My Enemy.
Mein Körper zittert, meine Stimme gebrochen.
„Was hast du mit ihm gemacht?"
Kein zögern. Würgegriff. Die Beine weg gekickt. Ich liege auf dem Boden.
„Du bist eine Schande. Schämst du dich nicht? Du bist nicht mein Sohn. Ekelhaft. Ekelhaft."
Seine Rotze landet auf meiner Hand, meinem Gesicht, in meinem Auge. Mein Leben, mein Schicksal, mein Geist in der Hand von jemanden der sich mein Vater nennt. Oder nannte.
Jemand, der für andere denken will, obwohl andere für ihn denken. Immer ohne Verstand. Ich bleibe noch ein bisschen liegen. Jetzt ist es wieder leise. Gleich stehe ich auf. Gleich. Gleich.

3
Bad Soden
So ein Druck. Mir wird heiß. Jeder ist für sich. Doch gleich schauen sie alle auf mich.
Es stinkt. Wo man hinschaut, Lügen auf den Verpackungen. Überall Junk Food, überall. So viel schlechtes, obwohl es so viel Gutes geben könnte. Es wird heißer, enger. Bald bin ich dran. Alle lustlos hier. Die Schlange wird länger. Wie lange halte ich das aus? Ich bin dran. Ganz schnell, schnell.
„Britta, wie teuer sind die Heidelbeeren?"
Die andere Kassiererin schweigt. Sie lässt sich feiern. So verachtend.
„Normale oder Bio?"
So viel Mühe für eine kleine Frage.
„Bio, Britta."
Wieder langes Schweigen. Ich werde gleich im Erdboden versinken.
„Vier fünfundneunzisch."
Unruhe hinter mir. Horror. Ich hasse es. Immer wieder. Ich halte den Fetzen hin. Sie sieht es nicht.
„Vierunddreißig Euro vierundvierzig macht das bitte."
Hier. Der Zettel vor ihrer Nase. Meine Wangen brennen. Mein Gesicht. Sie tippt.
„Dann macht das dreiundzwanzig sechsundzwanzig."
Meine Hände zittern, wühlen im Portemonnaie. Mein Blick tief hinein. Zwanzig. Zweiundzwanzig. Dreiundzwanzig. Zwanzig. Fünfundzwanzig. Sechsundzwanzig. Obwohl mein Blick nach unten gerichtet ist, weiß ich nicht was ich sehe. Weg hier. So schnell es nur geht. Denn überall, überall sind sie. My Enemies.

Die Taschen hängen durch. Feste Schritte. Schneller. Nur gerade, geradeaus.
„Hartz vier aber Bio. Das sind die richtigen."
Es zischt hinter mir her. Die Perfektion der Gemeinheit, der Bosheit des Menschen.
Hartz vier aber Bio. Bio. Bio. Hartz. Bio. Vier. Vier mal noch. Drei. Zwei. Eins.
Menschen verletzen Menschen. Es ist einfacher andere für sich denken zu lassen.
Gleich habe ich es geschafft. Diese Tür noch. Meine Welt. Sicherheit, Geborgenheit.
Doch alles so zerbrechlich.

4
München
Endlich. Die eigenen vier Wände. Schnell in mein Zimmer. Ein paar Sachen in die Tasche, dann weg hier.
„Bist du es Paul?"
Mutter in der Küche, wie immer. Beeilung.
„Ja Mama. Muss gleich wieder los."
Ein paar Socken, Unterhose, meine Zahnbürste. Der schnelle Blick nach draußen. Schnee. Bald werden sie hier sein. Ich muss mich beeilen.
„Wohin musst du denn?"
„Zum Training, Mama."
Das Einmachglas, mein ganzer Vorrat. Mein Bio Kush. Mein Lohn der vielen Arbeit. Kurz die Nase hinein. Verschließen. Vorsichtig in die Tasche.
„Schon gestern warst du trainieren."
„Ich trainiere halt viel, Mama."
Tschüß geliebtes Zimmer, vertrautes Heim.
„Tschüß Mama."
Raus. Fliehen. Durch das Treppenhaus. Ein Auto. Blaues Licht. Diskolicht. Zwei. Wieder zwei. Zwei Bullen. Nein. Nicht schon wieder. Hinterausgang. Explosionen in meinem Inneren. Schneller. Durch die Gärten dieser Stadt. Immer weiter. Immer weißer. Die Tasche fest in meiner Hand. Durch die weißen Gärten. Galopp. Galopp. Galopp.
Bis eine Stimme mich von diesem Ritt erweckt.

5
Berlin
Mein Leid. Selber Schuld. Immer noch hier, bei ihm. Das Kissen nass von meinen Tränen.
Für meinen Vater bin ich kein Mann. Will ich denn so einer sein? Eine Schande bin ich. Da steht er schon wieder, in meiner Tür.
Fehler. Verwirrung. Schwul. Nicht normal. Träume ich, oder will er mit mir vereisen? Wohin?
Ich muss hier weg. Ja, diesmal hau ich ab. Die Nacht ist still. Alles schläft. Einfach nur aus dieser Tür. Jetzt. Ohne zurück! Geschafft. Jetzt lauf, lauf. So schnell ich kann. Nicht lange, dann halten wir uns. Ich komme zu dir, mein Prinz.

6
Bad Soden
Es duftet fein. Koriander, Kreuzkümmel, Zimt. Ich koche, kann ich selbst sein. Wie ich es im Leben sein will. Wie es im Leben sein sollte. Leistung, Gewinn. Nicht der Mensch. Das Telefon klingelt. Gibt es Freiheit? Das Telefon, schon wieder. Freiheit ist teuer. Oder kann man Freiheit gar nicht kaufen? Das Leuten. Das Kabel. Einfach aus der Wand. Stille. Der Duft wird intensiver. Kurkuma liegt in der Luft. Köstlichkeiten. Wie lange noch? Muss ich hier raus? Wer ist der Staat überhaupt? Harz vier aber Bio. Ich sterbe. Ich sterbe vor Lachen. So Dumm. Ich kann nicht mehr. So Arm. Es duftet bis in den Hof. Bringe den Müll raus. Dieser Geruch übertrifft das Gewöhnliche.
„Helga, du bist ja doch da!"
Da stand sie nun vor mir. Lange ist´s her. Wie doof. Warum jetzt?
„Tausend Mal habe ich dich angerufen, Helga."
Was will sie denn von mir? Rechenschaft? Wieso mache ich das?
„Beruf. War vereist. Jetzt bin ich wieder hier. Muss bald wieder weg."
Ich bin feige. Wo bleibt meine Aufrichtigkeit. Ich glühe, bin so steif, starre sie an.
„Und wo warst du denn?"
Ich kann sie doch nicht einfach weg schicken. Was sage ich ihr? Wo war ich? Die Küche, das Essen.
„Das erzähle ich dir bei einem Kaffee. Wenn ich zurück bin. Was sagst du? Ich muss los."
Sehr gut. Gute Leistung. Das Treppenhaus liegt vor mir. Ich habe es geschafft, vorerst. Möchte nicht enttäuschen. Zimt, Nelken, Köstliches. Nun bin ich wieder daheim.

7
München
„Riechst du es?"
„Es riecht nach Erde."
„Nach Kush."
Wir beide, gemütlich auf der Hängematte. Alles weiß. Wir fest verpackt. Der Atem kühl. Die Luft trocken. Und wir glücklich. Der Dampf steigt auf. Unsere Pfeife brennt. Wir denken, tauschen uns aus. Unsere Gedanken glühen. Diktaturen, Demokratien, Anarchie! Das Vertrauen in das Gute im Menschen, Utopie? Können nur die mit dem Zeichen für sich selber denken? Fragen. Fragen müssen her. Dann werden Antworten gesucht. Lernen wir aus Geschichte? Das ist so eine Frage. Ich werde verfolgt. Sie wird verfolgt. Wir werden verfolgt. Leute, die anderen nichts böses tun. Wegen Interessen. Nicht wegen einer Pflanze die schadet. Nicht wegen Glaube. Diese Pflanze kann helfen. Dein Glaube gehört dir. Aber, immer noch Verfolgung. Immer noch. Nach all dem was war. Bei all dem was ist.
„Wir müssen fliehen."
„Wohin?"
Ihr neugieriger Blick. Ihre großen Augen.
„Was sagst du zu Colorado? Oder besser Uruguay?"
Wir stürzen von der Hängematte. Unser Lachen, der Schnee. Unsere Träume. Wir machen das! Wir machen das! Wir machen das ganz bestimmt. Ein Plan muss her. Was haben wir für eine Wahl? Ist es schon zu spät? Nur woher das Geld? Ein Verbrechen? Ein Kiosk! Dann ein Flieger.
„Wir beide. Auf einer Farm. Ganz legal. Das schaffen wir!"
„Das schaffen wir bestimmt! Ganz bestimmt. Ganz legal. Ganz illegal. Ganz egal."
Groß der Mut. Groß die Träume. Groß der Gegner.

8
Berlin
Bass. Euphorie. Lust. Die Nacht ist lange. Die Nacht ist der Tag, der Tag ist die Nacht. Wir tanzen. Sind berauscht. Vergessen die Schande. Meine Schande, oder seine? Alles egal. Nur wir. Voller wärme. Der sanfte Hauch des wahren Lebens. Ich küsse ihn. Wir schweben. Wir schweben über dieser Welt. Unser Lachen, unsere Worte. So wunderschön, so warm. Es wird nie zu Ende gehen, nie! Bin ich schon weg? Ich muss noch weg. Nicht hier weg. Weiter weg. Es wird hell. Der Heimweg leicht. Die Mittel noch im Blut. Doch dann, Gefahr! Sein Auto. Hier, bei ihm? Wohin?
„Lauf, Lauf."
Wieder fliehen. Ein Park, so ruhig. Wir finden Schlaf auf einer Bank. So kalt und doch so warm.
„I, I follow, I follow you deap sea baby, I fallow you."
Mein Handy. So hell. So laut.
„Wer ist es?"
„Er."
Ich zögere. Starre auf das Display. Drücke ihn weg.
„Warum sagst du ihm nicht die Wahrheit? Wir können nicht ständig weglaufen."
„Du hast ihn doch selber erlebt. Seine Welt bricht zusammen. Dann bringt er mich um. Dann dich. Dann sich."
„Ich kann hier nicht verschwinden. Mein ganzes Leben."
„Dein ganzes Leben? Ich dachte unser Leben!"
Verwirrung. Entsetzen. Wut. Bin so enttäuscht. Ich fasse es nicht. Erhebe mich. Bin schon nicht mehr hier. Er ruft mir nach. Es trischt an mir vorbei. Durch mich hindurch. Einfach weg. Ohne Ziel. Nur weg, weit weg von hier.

9
Bad Soden
Der Mensch. Die Würde. Dessen Unantastbarkeit. Woher bekomme ich sie? Was ist mit Liebe, Glaube, Hoffnung. Wie teuer ist sie? Kann man sie denn kaufen? Man muss sie kaufen! Sie gibt es nur zum Erwerb. Mit Leistungen oder Geld. Oder mit Macht! Mit Kunst? Mit Leidenschaft oder Herz? Wohl kaum. Bedingungslose Würde? Habe ich ein Recht darauf?
Wieder im Amt. Nur Absagen, Bedingungen. Ein Euro Job. Lasst mich kreativ sein! Lasst es mich doch sein. Aber nein. Der Gehweg. Eine Zange in meiner Hand. Kippen, Verpackungen. All der Dreck muss weg. Ich will das nicht. Warum mache ich das? Hört auf damit. Scheiß Job. Gibt es den? Wieso? Keine Identifikation ist die Antwort. Aber wenn mich hier jemand sieht? Die Mütze tiefer im Gesicht. Gleich bin ich durch. Nein. Scheiße.
„Helga? Das musst du mir erklären?"
Da steht sie nun. Und ich? Bin stumm. Alle Scheinwerfer auf mich. Die Vorstellung fängt an.

10
München
Das Kiosk wird immer größer. Mein Bauch zieht sich zusammen. Sie marschiert so selbstbewusst. Und ich? Was mache ich? Müsste doch mein Herr sein. Bin nicht besser als die Anderen. Habe ich eine andere Wahl? Ja, die habe ich. Will es aber nicht. Will es mit Gewalt. Mit Gewalt bewirken. Mit Gewalt in die richtige Richtung lenken. Habe es so gelernt. Gewalt anstatt Verstand. Der Blick des Mannes. Er will sein Kiosk verteidigen. Doch die Waffe vor seiner Brust. Resignation. Stillstand. Irrglaube. Wie tief bin ich gesunken? Wo bleibt die Vernunft? Das Geld im Beutel. Gleich haben wir es geschafft. Der Druck gelöst. Von Adrenalin getrieben.
„Die Kiste Blättchen. Die Kiste Smoking Reds noch."
„Was?"
„Ich will die Kiste da. Wirf sie mir rüber. Schnell."
Die Kiste unter meinen Arm. Jetzt schnell weg von hier. Wir rennen. Sind schnell wie der Wind. Wir schweben. Schweben über den Wolken. Schon bald in unsere Träume hinein? So dachten wir. Doch nicht hier. Zu viele Schachteln verloren. Smoking Reds überall. Wir hinterlassen eine Spur, doch merken es nicht. Wieso nur diese Kiste? War das die Gier? Acht Polizisten. Waren wir zu naiv? Da sind sie nun. Wir sind geschlagen. Die Hoffnung rennt davon. Gibt es noch einen Ausweg? Sie legen mich um. Liege rasch auf dem Boden. Spüre keinen Schmerz. Bin Leblos. Hilflos. Antriebslos. Mein Bewusstsein? Was macht mein Feind zum Feind? Vielleicht weil er meine Freiheit nicht zulässt. Habe ich Freiheit verdient? Hat sie nicht jeder verdient? Wo bin ich? Die Waffe, wo ist sie? Freiheit! Bedingungslose Freiheit! Keine Waffe? Nur Freiheit. Nur Freiheit.

11
Berlin
Habe kein Ziel, kein Kompass. Bin leer. Durch die Stadt, immer geradeaus. So einfach. Was will ich überhaupt? Will meinen Frieden. Hat er recht? Was stimmt nicht mit mir? Überall Schnee und Matsch. Dealer, Penner, Spieler. Toller Kiez. Hier bin ich daheim. Was ist richtig? Hier stehen sie, die Nutten. Vielleicht habe ich eine Idee. Die Wahrheit, im Bordel? Ich versuche mein Glück. Werde zum Mann. Akzeptiert. Einer von ihnen sein. Einer von vielen. Alle gleich. Zum verstecken wird es leicht. Es riecht so herb. Sie versteht kein deutsch. Ich schau sie an. Mir tut sie leid. Wer denkt für sie? Nun stehe ich hier. Sie nackt, so zerbrechlich. Ich schaue sie an. Was tue ich hier? Wer bin ich? Ein Opfer? Krank? Es tut sich nichts. Ich kann das nicht. Es tut weh in meiner Brust. Ich muss hier weg. Auch ihr viel Glück. Durch die Tür. Nur raus. Und dann? Ich fasse es nicht. Bin aus Stein. Da steht er vor mir, fassungslos wie ich. Was jetzt? Er grinst. Was passiert?
„Die ganze Zeit hast du mich verascht. Deinen alten Vater. Komm her du Schwindler."
Er tätschelt mein Gesicht. Seine Hand auf meiner Schulter. Er riecht nach Schnaps. Seine Wut ist fort. Hab ich's geschafft? Für welchen Preis?
„Warte Junge, bin gleich zurück. Dann gehen wir ein Bierchen trinken."
Jetzt geht er zu ihr. Ich warte auf ihn. Dann gehen wir zusammen. Mein Vater und ich. Zusammen bei einem Bier. Gleich ist er da, gleich. Dann wird alles wieder gut. Ich werde wieder gut. So wie es einmal war.

12
Bad Soden
Da sitzen wir nun und trinken auf alte Zeiten. Einen teuren Laden hat sie gewählt. Wann ist es vorbei? All die Fragen und meine Lügen. Ich stehe nicht zu mir. Wem mache ich etwas vor? Schluss damit! Schluss. Die Bedienung so lustlos. Mit ihren Gedanken nicht hier. Und ich? Sie sagt, weil die Bedienung einen scheiß Job habe. Wieso? Kann der Arbeitgeber ihn besser machen? Zählt nur Gewinn? Was will sie denn? Was will die Bedienung? Sie lacht. Ich nicht. Werde ehrlich. Jetzt. Es wird Zeit. Ein neues System muss her. Eine neue Gesellschaft. Jeder ein weißes Hemd. Trotzdem alle verschieden. Misstrauen in ihrem Gesicht. Welches System? Alle Menschen bekommen Lohn. Alle. Einen Lebenslohn. Würde, Freiheit, Chancen. Chancen kreativ zu sein. Eigener Arbeitgeber werden. Keinen Hunger, keine Angst, keinen scheiß Job. Recht auf Freiheit! Was mache ich aus meinem Leben? Meine Sache! Keinen schaden, niemanden verletzen. Die Bedienung? Was wäre mit ihr? Ihr eigenes Lokal? Ein Lächeln auf ihren Lippen? Sie schmunzelt. Ironie? Verwunderung, Überforderung. Sie lässt nicht los, vom Vorgedachten, von ihrem Denker. Bediene deinen Verstand! Bediene ihn. Ihre Vorstellung von Leistung und Lohn beschmutzt. Ihre Gesellschaft, ihr Mensch. Wird sie es prüfen? Wird sie es tun? Haben Faule keinen Lohn verdient? Natürlich, wo bleibe sonst die Würde. Wir hätten nicht gelernt. Ausgrenzung, Hass, Minderheiten. Wer reich werden will, kann es werden. Wer kreativ ist, kann es sein. Wer nach dem Leben durstet, kann davon trinken. Sie bestellt noch eine Runde. Versteht mich wohl falsch. Oder auch nicht. Sie besteht darauf. Wollte sie einladen. Nach all der Zeit. Was mache ich? Zu teuer. Meine Taschen sind leer. Bin blass, bin ratlos. Diese Schmach. So weit muss es nicht kommen. Muss hier weg. Ich stehe auf, will zur Toilette. Komme nicht mehr zurück. Ich haue ab. Einfach weg. Schaue nicht zurück. Laufe weg. Auch vor mir? Egal. Es wird Zeit. Wann wird sie es merken? Schon bald. Dann bin ich bereits weg. Weit weg. Ich laufe, schaue nicht mehr zurück. Warum? Wer ist nun mein Feind? Die Leute? Ich selbst? Bin ich verantwortlich? Alle? Wir alle sitzen im selben Boot! Ich muss zurück! Muss es ihr sagen. Muss kämpfen. Es kann nur besser werden, wenn jeder es weiß. Wenn jeder denkt! Jeder mit Verstand. Mit dem eigenen Verstand. Wir müssen nur wollen! Wollen, müssen wir! Dann wird es einen Morgen geben. Bin zurück. Die Stühle frei, der Tisch schon leer. So still. Sie ist bereits fort. Ich bin zu spät. Muss sie anrufen. Habe ihre Nummer nicht. Wird sie kommen? Wegen der Zeche? Wegen mir? Ich weiß es nicht. Was wird sie denken? Wird sie es selber tun? Oder wurde bereits für sie gedacht? Was ist das für eine Welt? Regiert von den Mächtigen. Geld, Ideologie, Fanatismus. Von den Dummen. Vaterland, Ehre. Alles nicht echt. Alles Schach. Soldaten, Polizisten, folgen blind den Idealen der Mächtigen. Von den Feigen. Bürgermeister, Manager, Chefs, führen Befehle aus, ohne selbst zu denken. Wenn sie es nicht machen, würde es ein anderer tun. Natürlich, wenn jeder so denkt. Feige! Wir leiden! Die Natur, der Mensch!
Mächtig. Dumm. Feige. Mächtig, dumm und feige. Macht. Dummheit. Feigheit.
Bin fast daheim. Beeile mich nicht. Genieße die Luft. Die Bäume so schön, so weiß. Vielleicht drehe ich noch eine Runde. Es wird gerade erst schön.


ENDE

 

Hallo,

ich bin neu hier in der Gemeinde. Würde mich über Kritik freuen.

Liebe Grüße und einen schönen Samstag!

 

Hallo,

das würde sich jeder. Geben und Nehmen. Andere Geschichten lesen und kommentieren wirkt manchmal Wunder.Viel Spaß hier!

Gruss, Jimmy

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Wachsmuth,

zunächst muss ich sagen, dass ich länger gezögert habe deinen Text zu lesen, da mich Texte ab einer gewissen Länge eher abschrecken als einladen. Aber gut, das ist ja auch Geschmackssache. :)

Zum Inhalt:

1 München
Den Einstieg mag ich, er holt mich ab und nimmt mich mit, hat Tempo.

Die Beschreibung der Szene mit den Polizisten ist mir ehrlich gesagt zu plakativ. Mag daran liegen, dass ich selbst in Berlin wohne und dieses „böser Bulle vs. guter Autonomer/Punk/Dealer/Linker/Hippie/wasauchimmer“ - das ist echt einfach schon so ein bisschen ausgelutscht, sorry...

„Nicht wirklich, oder? Misst."
Wird hier etwas vermessen oder gibt es da ein „s“ zuviel? ;)

2 Berlin
Diese Szene kann ich mir nicht verbildlichen: Irgendjemand wird zusammengeschlagen. Pause.
Der Prot. Läuft in eine Bank und versteckt sich hinter einem Terminal? Die Situation verstehe ich nicht, meinst du hinter einem Schalter? Wo sind dann die anderen Leute, Mitarbeiter, Kunden... oder ist es nur der SB-Bereich? Also ich persönlich kenne da keinen, der freistehende Terminals hat. Aber gut, ich kenne ganz bestimmt auch nicht jede Bankfiliale in der Stadt – aber sogar wenn es sowas gibt, wie will der Prot. sich dann da wirklich verstecken? Er würde sofort gefunden, egal, ob sein Handy klingelt oder nicht.
Dann wird er von seinem Erzeuger verprügelt, das habe ich verstanden.

3 Bad Soden
Der Prot. kauft Bio-Heidelbeeren und löst dabei einen Pfandbon ein? Oder hat er Lebensmittelgutscheine? Ganz ernst gemeinte Frage: Gibt es die für H4ler? Ich kenne hier aus Berlin nur diese Bildungsgutscheine …

4 München
Die Szene kann ich nachvollziehen, aber wer redet so:

„Schon gestern warst du trainieren."

5 Berlin
Diese Episode finde ich sehr gut! Hier bekommt der Konflikt Kontur und Schärfe.

6 Bad Soden

Ich koche, kann ich selbst sein.
Diesen Satz verstehe ich nicht. Szene: Prot. trifft eine Frau, mit der er mal zusammen war?

7. München
Jetzt doch wieder eine „sie“? Die aus 6? Eine andere? Ein Rückblick? Ein Traum? Und wo ist der Prinz aus 5? Ich bin verwirrt, vielleicht würden Namen helfen.

8 Berlin
Ok, zum Prot. können sie nicht aus Angst vor seinem Vater, ist klar. Aber wieso können sie nicht zu ihm? Oder in sein Auto, wenn er schon eins hat (was sogar extra erwähnt wird)? Oder ins Roses, da wären sie bis Sonnenaufgang sicher gut aufgehoben... ?

9 Bad Soden

„Helga? Das musst du mir erklären?" Da steht sie nun. Und ich? Bin stumm.
Was soll sie erklären und wer sagt das, wenn der Prot. doch stumm bleibt?

10 München
Mh – starke Momente in den Gedanken an den Feind und die Freiheit, verschlabbert sich dann aber irgendwie ohne Pointe.

11 Berlin
Mh, mh, mh …

12 Bad Soden
Diesen letzten Absatz lese ich wie ein Plädoyer für das bedingslose Grundeinkommen, einer Gesellschaftsidee, der ich ja sehr zugetan bin. ;) Allerdings verliert auch der sich dann eher in Selbstmitleid – oder eher in einem hin-un-her-gerissen-sein, aus Selbstmitleid und Aufbruchstimmung. Aber ganz ehrlich? Ich würde nicht unbedingt wissen wollen, wie es mit dem Prot. weitergeht, dazu hat es mich alles in allem dann doch zu wenig gepackt, tut mir leid.

Fazit: Ich glaube, ich habe eine Ahnung davon, worauf du hinaus willst, aber ganz rund oder befriedigend finde ich die Sache nicht. Episodenerzählungen mag ich allemal. Aber die müssen schon ziemlich fein gestrickt sein, damit es passt und Sinn ergibt, z.B. damit Zeitebenen deutlich werden (wenn es welche gibt und diese relevant sind) und ein Bezug zu den Charakteren, damit diese nicht nur wie Staffage wirken. Das finde ich ist dir, sagen wir mal, semigut gelungen.

Die sonnigsten Grüße zum Sonntag sendet dir
heiterbiswolkig

 
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Hallo heiterbiswolkig,

vielen Dank für deine Kritik. Werde die Punkte durchgehen.

Dir auch einen schönen Sonntag

Hallo heiterbiswolkig,

nun möchte ich darauf eingehen.

Zuerst schrieb ich die Geschichte in Form eines Drehbuches, mit normalen Dialogen. Später änderte ich sie in diese Form, als Kurzgeschichte. Im Mittelpunkt sollen die drei unterschiedlichen Menschen stehen, die alle einen anderen Feind haben, der ihre Freiheit verhindert (1. Staat, 2. Familie, 3. Gesellschaft).

Deine Punkte zeigen mir, welche Episoden zurzeit nur visuell funktionieren. Denn in der "Bad Soden" Episode geht es um eine ältere Dame, oder am Anfang der "Berlin" Episode läuft der Protagonist vor seinem Vater davon.

Die zweite und dritte Episode funktionieren so wahrscheinlich nur in meinem Kopf. Hier werde ich genauer beschreiben müssen.

Deine Kritik hat mir sehr viel gebracht, vielen Dank für die Mühe. Ich werde die Geschichte nun gezielt überarbeiten. Die anderen Kritikpunkte, zu denen ich mich nicht geäußert habe helfen mir auch weiter.

Danke und liebe Grüße

 

Hallo Wachsmuth,

also, dass es sich um 3 verschiedene Protagonist/innen gehandelt hat ist mir zumindest überhaupt nicht klar geworden. Dafür sehe ich leider auch gar keinen Hinweis im Text (wenn es welche gibt, die ich überlesen habe, so weise mich gerne darauf hin). Für mich war es einer, in verschiedenen Lebenslagen bzw. ev. zu verschiedenen Zeiten, der halt mal bei seiner Mutter, mal bei seinem Vater, mal alleine ist usw.

Ich glaube, um diese ganz konkrete Aussage der drei Feinde in Verkörperung von Staat, Familie und Gesellschaft zu sehen, bleibt in deinem Text einfach vieles zu abstrakt...

Bin jedenfalls gespannt auf eine andere Fassung.
Viel Spaß und Erfolg dabei! :)
Wünscht
heiterbiswolkig

 

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