Endzeit
Der Morgennebel wallte, der Wald schläft noch, nur hie und da ein knacken, rascheln, ein leises zwitschern. Die Sonne erhebt sich träge über den Horizont
und schwingt sich gemächlich auf ihre Bahn. Drei zankende Nebelkrähen streiten sich um ein stück Korn auf dem Acker, obwohl Tausende noch rundherum liegen. Ein Rüttelfalke, auf einen Hochspannungsmasten thronend,
beobachtet gelangweilt das Geschehen. Über den Wiesen liegt der Nebel noch dick wie ein Teppich, den hie und da der Rücken eines Rehs durchpflügt als würden sie bis zum Hals durch weißes Wasser waten.
Dreimal läuten die Glocken.
Dreimal werden sie überhört.
Im Mühlteich versenkt liegt die Leiche der alten Müllerin die vor Jahren verschwand und den armen Müller alleine ließ.
Dreimal schlagen die Glocken.
Dreimal hört sie niemand.
In der alten Scheune ächzt ein Balken unter dem Gewicht des Bauern, der leblos mit blauem Gesicht und nasser Hose am Hanfseil hängt und leicht im Wind schaukelt.
Dreimal läuten die Glocken.
Niemand hört es.
Über die Brüstung des Hochsitzes hängt der Jäger, ohne Hinterkopf, den Gewehrlauf noch im Mund, die Augen weit aufgerissen, blutunterlaufen, sein Gehirn fließt langsam den Baum hinter der Leiche hinunter.
Dreimal läuten die Glocken.
Ungehört verhallt ihr Klang.
Leise tropft das Wasser des Wasserhahnes in die Badewanne in der die Dorfschönheit liegt, totenbleich, in scharlachrotem Wasser, ihr Gesicht noch immer so schön wie zu Lebzeiten und dieses leichte süße lächeln umspielt ihre Mundwinkeln.
Dreimal läuten die Glocken.
Keiner hört es.
Über dem leeren Hauptplatz fliegt eine Taube an einem Fenster im dritten Stock des Rathauses vorbei, wirft einen Blick hinein, der Bürgermeister liegt in einer Blutlache den Revolver in der Hand, den Schuss hat niemand gehört.
Dreimal läuten die Glocken.
Sie blieben ungehört.
Niemand bedient die alte Mühle, der Müller liegt nun wieder bei seiner Frau einen Stein um den Hals, sein Testament flattert am Ufer im Wind.
Dreimal läuten die Glocken.
Keiner hört etwas.
Kein helles klingen des Hammers an diesem Morgen. Der Schmied ist gesprungen, verdreht und zerschmettert liegt sein Leichnam im Tal.
Dreimal läuten die Glocken.
Keiner hört hin.
Eng umschlungen, zusammengerollt liegen der Bäcker und die Bäckerin im Tode vereint, am Nachttisch die tödliche Medizin.
Dreimal läuten die Glocken.
Und keiner hat sie gehört.
Vom Hafer bedeckt liegt die Bäuerin mit durchschnittener Kehle, der Hund jault bei ihr nur langsam verzweifelt, verstummt auch das Tier.
Dreimal läuten die Glocken.
Das Dorf , es bleibt still.
Der Pfarrer ist nicht erstaunt, die Leute hier waren noch nie sehr gläubig, so war es überall auf der Welt, nur letzten Sonntag spürte er ihr Interesse als er die sieben Todsünden erklärte und sie eindringlich beschwor die Beichte zu besuchen. Er lässt das Läuten sein und geht wieder in die Messstube um sich in die Bibel zu vertiefen. „ Diese wahnsinnigen Hinterwäldler, nun ist es zu spät“ murmelte die Inkarnation des Todesengels.
Das Dorf ist wieder leise, die Nebelkrähen haben ihren Streit beigelegt, der Bach gurgelt still vor sich hin, nur das morgendliche Zwitschern der Vögel wird lauter, ansonsten totenstill. Der Rüttelfalke schwebt über der Schulwiese auf der einige Kinder Fußball spielen. Keiner hat die Glocken gehört, was sollen sie auch in der Kirche, sie sind UNSCHULDIG. Aber der Todesbote weiß, wenn sie Erwachsen sind, sind sie genauso wie ihre Eltern heute. Und er fühlte wie am Horizont der Sturm der endgültigen Vernichtung aufzog.
„Gib mir was ich will und ich werde gehen!“
„Was willst du denn?“
„Aller Menschen TOD!- Mit seinem Hochmut hat der Mensch seinen eigenen Untergang besiegelt!“
„Wie heißt du?“
„Legion! Denn wir sind viele!“
Und aus der heißen Plutoniumverseuchten Asche, wie einst Phönix, erhob sich der Engel des Todes und seine Tränen spülten den Staub des Infernos von seinen Wangen. Sein Klagelied warf kein Echo von den zerstörten, verkohlten Mauerresten. Als sein Klagen verstummte wurde ihm klamm ums Herz. Kein Hauch regte sich, kein Wind wehte, es herrschte absolute Stille in der Vernichtung. Seit der Entstehung der Zeit hatte er nicht mehr so eine Stille gehört. Wahnsinn schlich sich in seinen unsterblichen Körper und er schrie, sein Schreien steigerte sich zu einem orkanartigen Brüllen, um diese Stille, dieses Schweigen wie Glas zu zerschmettern.
Als der Schmerz begann seine Kehle zuzuschnüren und Blut aus seinem Hals drang, sank der Engel des Todes auf die Knie. Wie oft hatte er gleiches gesehen,
das Todesleid und nichts konnte er tun, als dabeizustehen in seinen Milliarden Inkarnationen, Trost spenden, denjenigen die sich der Illusion eines Lebens nach dem Tode hingaben. Er, der untätige Beobachter. Er der Vernichter und Samariter war. Es war als wollte der Strom der bitteren Tränen nie mehr versiegen.
Und da geschah es, einem Wunder gleich, eine Stimme erreichte ihn, leise, aber sicher. Alt und doch lebendig. Eine Stimme in der Stille einer vernichteten Welt.
Sie sagte:“ Wein doch nicht mein Junge.“ Und der Engel sah einen alten Mann auf sich zuschreiten. Vom grauen Staub überzogen, ließ auch sein Haar ergrauen, wo die Zeit es noch nicht vollbracht hatte. Der Alte lächelte und als er neben dem Engel stand, tätschelte er dessen Schulter. “Könnte doch viel schlimmer sein.“ Dem Engel wurde etwas mulmig. Die Welt dieses Mannes war von einigen wenigen Waffen in eine verstrahlte Wüste verwandelt worden, vernichtet, zu Staub gebombt, jegliches Leben vernichtet. Wie schlimm sollte es denn noch kommen? „Alle sind tot! Alles vernichtet!“ Krächzte der geflügelte.
Der Alte lächelte und strich über die Wangen des Engels. Er sank neben ihm ebenfalls auf die Knie und sah den Engel in die Augen und jetzt erst bemerkte der Himmelsbote die kleinen Tränenperlen in den Augenwinkeln des Alten.
Seine Lippen zitterten. Die ganze Zuversicht an ihm war falsch, gelogen, vorgegaukelt, um nicht völlig wahnsinnig zu werden. „Das weiß ich doch mein Jungchen.“ Sagte er und begann zu schluchzen, aber sein bebendes Lächeln blieb. In stiller Trauer und Dankbarkeit ob eines geretteten Lebens, wusste er nicht was er tun oder sagen sollte, so nahm er den Alten in den Arm. Weltverloren saßen sie da , ein Mann dessen Leben vorbei schien, als die ganze Welt um ihn herum in Schutt und Asche fiel und ein Wesen, dass nie das Sterben erfahren würde. Leichenduft geschwängerter Rauch und Asche umwehte sie.
Der Engel wusste, dass der Alte nicht mehr lange leben würde. Zu viele Bakterien, Viren und die Strahlung würden ihn töten. Er ließ geistig Revue passieren, auf wie vielen Welten er so viel Vernichtungswut erlebt hatte, doch
Das war nicht oft der Fall gewesen. Zorn wallte in ihm hoch und ließ seine Trauer vergessen.
„Warum habt ihr diesen Wahnsinn losgelassen?“ fragte er denn alten Mann. Der setzte sich auf den Boden und sah den Engel mit leeren Augen an. Dann dachte er nach. Seine Finger zeichneten irgendwelche unsinnigen Figuren in den radioaktiven Staub, dann zuckte er resigniert mit den Schultern.“ Ich weiß es nicht.“ Sein Blick glitt über die zerstörten Häuserwände. Aus einem Fenster wehte halbzerfetzte Kinderkleidung im Wind.“ Vermutlich ist es unsere Natur..
...... gewesen. Oder wir haben es nicht anders verdient weil wir den Sinn unseres
Daseins nicht begriffen haben.“ Der Engel runzelte die Stirn.“ Verdient? Niemand hat so ein Ende verdient, nicht auf diese weise!“ Und der Alte antwortete ihm:“ An nichts haben wir geglaubt, nicht mal an uns selbst. Kein Wunder, keine Vernunft, kein Gott konnte uns retten, weil wir nicht mal an das Gute glaubten. Nur Geld, Sex und Drogen, Gewalt und Tod das waren unsere Religionen. Nicht einmal dem Satan haben wir zugestanden zu existieren. Geradeso, wie eine Krankheit es tun würde. Und unser Ende war dennoch gnädig.“
„Sag mal spinnst du? Gnädig?“
Der Alte nickte resigniert.
„Sieh dich doch um mein Junge. Schnell und mit absoluter Effizienz haben wir uns weggefegt vom Antlitz dieser Erde. Nur ich weigere mich zu sterben.“ Seine Stimme sank auf ein Flüstern:“ Noch mein Junge noch!“ Der alte Mann legte sich auf den Boden und schloss die Augen. Speichel rann aus seinen Mundwinkel und tropfte in den Staub. Der Engel legte seine Hand trostspendend auf den Kopf des Alten. Aber er berührte nur einen Schlafenden.
Und Gott trat zu dem Engel.
Also fragte ihn der Engel:“ Hat er recht, hat er wirklich recht?“
Doch Gott sah ihn nur an und schwieg.
„Warum? War es eine.... Strafe? Dieses Ende? All dies?“
Gott sprach- nein! –sie selbst straften sich, verwehrten sich das geschenk des lebens! ignorierten was ich ihnen gab! –nichts anderes haben sie verdient!
Der Engel erhob sich mit zorniger Miene:“ Und so endet es stets, eine jede deiner Schöpfungen stirbt.
- alles stirbt einmal!
Das Gesicht des Todesengels verzerrte sich vor Wut gegenüber seinen Herrn.
- ich!
Er ballte die Hände zu Fäusten, das die Gelenke knackten.
- und auch du! sagte gott. und er lächelte sanft.
Der Engel sah Gott mit großen Augen an. Zweifel erfassten ihn.
Gott lächelte ihn weiterhin an, sah wie der Geflügelte nach Worten suchte:“ Du?“
Gott nickte.
Der Engel straffte sich, reckte sich empor“ Aber der Todesbringer kann nicht sterben, er nicht!“ rief er aus.
Und Gott lächelte erneut.
- alles stirbt! Du, ich, er! alles!
Der Engel sah mit traurigen Blick auf den Alten hinab und dachte nach.
„Aber warum?“
Eine Sturmböe wirbelte den Staub auf und rollender Donner erschallte aus der Ferne.
- sieh! selbst der planet haucht sein leben aus! erst zerbricht die athmosphäre,
dann alles restleben! schließlich das land und dann alles andere! übrig bleibt
vergehendes feuer im weltenraum!
-die gesamte schöpfung ist dem untergang geweiht! du magst es vergessen haben, aber das einzige wesen, das am anfang war, war nicht ich!
Der Engel runzelte die Stirn. Uraltes, verdrängtes Wissen drang an die Oberfläche und grub sich in sein Bewusstsein. Diese uralte Stimme in ihm formten die Antwort. Entsetzen färbte seine Stimme“ICH?“
Gott nickte.
. am anfang war nur der todesbringer! das ist die natur der schöpfung! aus dem tod entsteht alles leben!
„Erzähl keinen Scheiß!“
- was?
„Wie bitte?“ der Engel sah verduzt auf den Alten hinab, der wiedererwacht war und nun zornentbrannt Gott anstarrte.
„Du Arschloch willst mir erzählen du wärst Gott?“
- ja sagte gott
Der Alte rappelte sich ächzend in die Höhe.
„Warum bist du nicht eingeschritten und hast diese Scheiße nicht verhindert?“ Und mit höhnisch triefendem Sarkasmus:“ Oh, Allmächtiger.“
Gott lächelte.
- alles stirbt !
Erstaunt sah der Engel wie der Alte auf Gott zutrat. „So, so! Alles stirbt. Ist das so einfach, ja?
- richtig
Der Alte stemmte mit grimmigen Gesichtsausdruck die Hände in die Hüften.
„ Und wozu soll das ganze gut sein? Was wäre dann der Sinn der Schöpfung?“
Gott lachte leise und beugte sich amüsiert hinab zu dem alten Mann.
- es gibt keinen sinn der schöpfung!
Der Alte wich erstaunt zurück.
„ Nicht? Keinen Sinn?“
Gott schüttelte den Kopf.
- den sinn haben immer nur die menschen gesucht, weil sie immer und ewig mit allem unzufrieden waren! alle anderen geschöpfe im universum haben sich damit begnügt zu leben!
Der alte Mann setzte sich auf einen Felsbrocken und er begann langsam zu begreifen, Verstehen glätteten die Falten auf seiner Stirn.
- tut mir leid!
„ Oh, ja“ sagte der Alte. „ Mir auch, verdammt mir auch.“
Der Todesengel drückte sanft die Schulter des Mannes.
Der Alte hob den Kopf und blickte in den rot gefärbten Himmel. „ Wie lange werden ich wohl noch haben?“
Und der Engel antwortete mit sanfter Stimme: „ Ein paar Stunden.“
„ He was ist kommt ihr mit?“ fragte der Alte.
- wohin ?
Der alte Mann ließ seinen Blick zum Horizont schweifen. „ Weiß nicht. Noch ein bis´chen was von der Welt anschauen, schätze ich.“
Er sah den Engel und Gott fragend an.
Der Engel nickte.
- ja!
Sie erhoben sich und machten sich auf den Weg.
Und der Engel des Todes und ein alter Mann, der letzte der Menschheit und Gott streiften über die zerstörte Erde und diskutierten und lachten miteinander, mit dem Wissen aus aller Ende entsteht neues Leben.
ENDE