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Endstation

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23.01.2014
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Endstation

Meine Hand strich über die leere Wolldecke, die auf der Couch des Hotelzimmers lag, und es war, als richteten sich feine Haare auf, als sprächen die Fasern mit meiner Haut, sagten ihr irgendwas.
Gestern hatte sie unter ihr geschlafen.

Schmucklose, graue Fabrikhallen, die sich nur kurz neben mir aufhielten und hinter mir verschwanden. Nicht wert, den Kopf zu drehen. Weiß der Teufel, was in ihrem Inneren hergestellt wurde. Etwas, das irgendjemandem Geld einbrachte, am wenigsten denen, die an den Toren standen und hastig an ihren Zigaretten zogen. Alter dreckiger Beton, rissig, Graffitis mit hellen Flecken überall da, wo der bemalte Putz abgebröckelt war.
Sie war zugestiegen und hatte sich mir gegenübergesetzt, obwohl der ganze Zug leer war. Sie sprach kein Wort.
Die Hallen draußen waren noch da. Andere nun, die nicht anders aussahen. Aber es stand jetzt kein Mensch mehr davor. Wir verließen die Stadt. Wir verließen die Menschen. Der Schienenweg führte an einem schmalen Fluss entlang, der schmutziges Wasser und Müll führte. Vorstadt wie aus einem Endzeit-Movie, die Welt wie nach der Bombe. Manche der Fensterläden hatten sich noch verblichene grüne oder braune Flecken bewahrt, die bei genauerem Hinsehen doch nur grau waren. Der Farbeindruck nur ein Wunsch meiner Vorstellung, die sich nicht darauf einstellen wollte, dass dieses B-Movie in Schwarz-Weiß gedreht war.
Sie war klein, stämmig, hatte einen blonden Bürstenhaarschnitt. Unreine Haut. Ich war voller Dankbarkeit für den Farbfleck auf ihrem Kopf. Sie stierte vor sich hin, durch mich hindurch, als ob es mich nicht gäbe. An der Endstation stieg sie mit mir aus.
Endstation. Niemand wartete. Außer uns beiden war auch niemand ausgestiegen.
Ich verließ den Bahnsteig. Auch am Schalter in der kleinen Wartehalle, an der Imbissbude, dem Tabakkiosk. Keine Menschenseele. Kein Zug, der zurück fuhr. Ich wandte mich dem einzigen Ausgang zu. Auch kein Bus vor dem Bahnhof.
Ich nahm die Straße, die am Fluss entlang zurückführte. Bis zu der Station, an der wir zuletzt Halt gemacht hatten, konnte ich zu Fuß gehen. Dort hatte ich noch Menschen gesehen. Hier hatte ich nichts verloren.
Ich ging auf einem schmalen Gehsteig, ein rostiges Geländer zwischen mir und einem Graben. Ich hörte die Frau atmen, die jetzt neben mir schritt.
Ich fragte mich, warum ich sie nicht ansprach. „Was wollen Sie von mir?“ Warum tat ich das nicht?
Aber sie war so vollkommen unaufdringlich. War einfach da. Wie ein Schatten.
Nur um mich zu vergewissern, dass sie nicht zufällig denselben Weg hatte, verlangsamte ich meinen Schritt. Sie ebenso. Ich hatte nichts anderes erwartet.
Als ich wieder Menschen sah, fühlte ich mich falsch zwischen ihnen. Sie saßen in Autos. Es gab Ampeln und ich musste bei Rot stehenbleiben. Mein Schatten auch. Warum empfand ich keine Erleichterung?
Die Frau folgte mir in den Bahnhof, bestieg mit mir den Zug, der zurück ins Zentrum fuhr, ging neben mir, bis wir vor dem Eingang meines Hotels standen. Den Zimmerschlüssel hatte ich nicht abgegeben.
Noch hatten wir kein Wort miteinander gewechselt.
Im Lift war es eng zwischen uns. Sie stand mir gegenüber und ihre Brüste berührten mich fast.
Wir stiegen aus. Sie folgte mir durch den schmalen Korridor. Ich hörte sie nicht, weil ihre Schritte sich meinen anpassten, obwohl sie so viel kleiner war als ich. Und weil der blaue muffige Teppich, der die Fußbodenleisten mit bezog, die Schritte dämpfte.
Aber ich wusste, dass sie da war.
Die schmalen Türen, die wir passierten, waren mit einer Schicht rissiger, aufgeklebter Holzfolie beklebt. Es roch modrig und nach Putzmitteln. Am Ende des Korridors, mein Zimmer.
Als ich es betrat, schloss sie die Tür hinter mir.
„Wer bist du?“
Ich wusste nicht, ob sie die Frage erwartet hatte. Vielleicht dachte sie, wenn ich sie bisher nicht gestellt hatte, bräuchte ich die Antwort nicht.
„Ich dachte, du fragst nicht, weil du es weißt.“
Natürlich wusste ich es, aber was bedeutete Wissen?
Wusste ich, warum ich hier war? Noch einmal diese Stadt sehen, in der ich nicht mehr gewesen war, seit ich die Mauer überwunden hatte.
Als es sie Jahrzehnte später nicht mehr gab, wollte ich nicht zurück. Wollte sie nicht sehen, herausgeputzt, fremd geworden.
Aber jetzt nach der Diagnose. Noch einmal die Orte, wo ich gespielt hatte, wo meine Schule war. Ich hatte nichts wiedergefunden. Alles war unkenntlich oder nicht mehr da. Nur die Menschen sprachen so, wie ich längst verlernt hatte, zu sprechen.
Natürlich wusste ich, wer diese Frau war.
„Du kommst früh“, sagte ich.
„Ich? Du warst zu früh. Du hast dich doch auf den Weg gemacht. Vor der Zeit. Solche Sehnsucht nach Stille?“
Ich blickte zu Boden. Auf den verschlissenen Teppich, auf den Koffer, der aufgeklappt auf dem Boden vor dem Schrank lag. Ich hatte noch nicht alles ausgepackt.
„Ich hab dich zurück begleitet, weil die Zeit noch nicht da war.“
„Gehst du wieder?“
„Ich schlafe ein paar Stunden“, antwortete sie und blickte sich im Zimmer um. „Ich bin müde. So einen Menschentrubel bin ich nicht gewohnt. Wenn du aufwachst, bin ich weg. Du kennst ja den Weg. Und du wirst wissen, wann du aufbrechen musst.“
Sie griff sich die Wolldecke, die zerknüllt am Fußende meines Bettes lag, weil mir heute Morgen kalt gewesen war. Wie so oft in der letzten Zeit. Sie legte sich auf die Couch, rollte sich ein und gab schon nach wenigen Augenblicken ein leises Schnarchen von sich.
Ich kroch in mein Bett. Auch ich war müde. Dachte an die farblose Welt vor den Zugfenstern, an den Bahnhof, der nicht das Ziel sein konnte. Hörte das laute Atmen von der Couch.

Als ich wach wurde, dämmerte es und sie war weg.
Ich fühlte noch Kraft in mir. Kraft zu denken, Kraft, die Bilder zu betrachten, die in mir auftauchten. Kraft, hinzunehmen, zu bleiben, zu warten.
Eines Morgens nicht mehr.
Ich fand das Gleis. Fand den Zug wartend. Er war bereits voll.
Ich wusste, wo die Menschen aussteigen würden. Spätestens.
Ich blieb sitzen. Sie stieg ein. Blieb neben der Tür stehen, sah mich.
Der Zug fuhr wieder an.
Sie lächelte, zog die Jacke aus, den Pullover. Ihr Oberkörper war jetzt nackt. Muskulös, wie der eines Mannes. Auch ihre Brüste wie Muskeln.
Aus den Schulterblättern wuchsen weiße Flügel, entfalteten sich langsam, gerade soweit, wie es die Enge des Zuges zuließ.

 

Hey @wander,

das war ein cooles Leseerlebnis.

Erst dachte ich: "Gut geschrieben, tolle Atmosphäre, aber hä? Check ich nicht, wieso fährt der bis Endhaltestelle und dann wieder zurück in die Stadt. Und ist doch voll unglaubwürdig, was läuft die ihm einfach hinterher und er sagt die ganze Zeit nix?!"

Aber dann, ja dann kam das große AHAAAA. Diesen Aufbau finde ich echt gut gemacht, das hat mir gefallen. Gut, eventuell hätte ich durch den Titel der Geschichte auch früher drauf kommen können, bin ich aber nicht. Und deshalb hatte das für mich etwas Überraschendes.

Ich kann da auch gerade gar nicht viel Produktives beitragen, denn mir gefällt das sprachlich echt gut. Das einzige, das mir nicht so sehr gefallen hat, war das Ende. Da würde ich früher rausgehen. Dieses "Ich freute mich auf das Auspacken" klingt irgendwie so ... Hm ... So nach: "Okay, da muss jetzt noch ein guter Schlusssatz hin." Das fügt sich für mich nicht in den Tonfall der Geschichte ein. Ja, ich würde nach "zuließ" aufhören.

Die Sache mit dem Koffer verstehe ich nicht, das muss ich zugeben.

Pack morgen deinen Koffer. Aber nimm nichts mit. Es ist ein langer Weg.
Ich warte mal ab, was sich hier noch in der Diskussion so entwickelt, vielleicht verstehe ich es dann. Im Moment erschließt sich mir der Sinn dieses Koffers nicht ...

Trotzdem gerne gelesen!
Liebe Grüße
RinaWu

 

hallo @RinaWu,
puh....das erste Mal, dass ich so "Fantasy-Endzeit-Todes-Zeug schreibe. Weiß auch nicht, was mich da geritten hat.
Freut mich riesig, dass du es gar nicht so übel fandest.
Und ich freu mich aufs Kürzen. :-)
Der Schlusssatz ist schon kassiert.
Und der Koffer? Ja, da müssen halt die Flügel rein, die er bekommen hat. Drum ist da kein Platz für anderes Zeug. Du kennst das doch beim Verreisen. "Was brauch ich wirklich? :-)
Danke fürs Lesen und einen lieben Gruß an dich
wander

 

Wow, @wander

was für eine abgedrehte Story. Fühlte mich ein wenig an David Lynch und M. Night Shyamalan erinnert, zwei meiner Lieblingsregisseure.

Kleinigkeiten:

Das Buch lag flach im Regal.
Kann ein Buch denn anders als "flach" liegen?

Der Titel: „Tu, was du tun musst.“
Würde den Titel ohne Gänsefüßchen setzen, z.B. kursiv, zum Unterschied zur wörtlichen Rede.

Schmucklose kantige graue Hallen,
Mir ahnt, dass hier ein Komma fehlt.

Schmucklose kantige graue Hallen, die sich nur kurz neben mir aufhielten und hinter mir verschwanden.
Komma?

Die Hallen draußen waren noch da. Andere, die nicht anders aussahen.
Welche Hallen sind das eigentlich?

Sie stierte vor sich hin, durch mich hindurch, als ob es mich nicht gäbe. Wenn sie in einem vollen Zug einen letzten Sitzplatz mir gegenüber ergattert hätte, aber der Zug war leer.
Versteh den 2. Satz nicht, Wenn ... dann?

Ich verließ den Bahnsteig. Auch die Schalter in der kleinen Wartehalle, die Imbissbude, der Tabakkiosk. Keine Menschenseele.
Würde hinter Tabakkiosk einen Doppelpunkt setzten, dann liest sich das einfacher.

„Ich dachte, du fragst nicht, weil du es weißt“
Punkt.

Gut gemacht, hat mir gefallen. Gruseliger Besuch im Osten :shy:

Schönes Wochenende und liebe Grüße,
GoMusic

 

danke @GoMusic, auf David Lynch steh ich auch. Ist ja ein Riesen-Kompliment, allein dass du an ihn denkst! ;-) Ich hab deine Korrekturen berücksichtigt.
Ich freu mich, dass du die Story abgedreht findest. Das sollte sie sein.
mercí
wander

 
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Hey wander,

woran die Leute nicht so alles denken bei deinem Text ... ich z.B. musste an @Peeperkorn und seine Totentänze denken. Aber egal, woran ich rechts und links des Weges gedacht habe, mir hat dein Text gefallen.

Ich fand es am Morgen, nachdem sie weg war. Oder es fand mich.
Nice!

Ein Ratgeber zur Selbstverwirklichung. Folge deiner Bestimmung! ...
Ich öffnete das Buch und es stand nichts drin. Nur weiße Blätter. (Es musste wohl noch geschrieben werden. Aber von wem?)
Sehr schön. Erst ohne dem Wissen um den Rest und mit dem Wissen noch ein wenig schöner. Was in Klammern steht wäre für mich entbehrlich.

Meine Hand strich über die leere Wolldecke auf der Couch des Hotelzimmers und es war, als richteten sich feine Haare auf (und streichelten mich gegen), als sprächen die Fasern mit meiner Haut, sagten ihr irgendwas.
Das in Klammern hat mich eher verwirrt, als mich weitergebracht und ist bisschen schade, diese Verwirrung.

Gestern hatte sie unter ihr geschlafen.
Feine, kleine, fiese Irreleitung ;).

Schmucklose, kantige graue Fabikhallen, die sich nur kurz neben mir aufhielten und hinter mir verschwanden. Nicht wert, den Kopf zu drehen. Weiß der Teufel, was in ihrem Inneren fabriziert wurde. Etwas, das irgendjemandem Geld einbrachte, am wenigsten denen, die an den Toren standen und hastig an ihren Zigaretten zogen.
Mag ich!

Sie war klein, stämmig, hatte einen blonden Bürstenhaarschnitt. Unreine Haut. Alles andere als mein Typ, aber ich war voller Dankbarkeit für den Farbfleck auf ihrem Kopf.
Auch schön.

Endstation. Niemand wartete. Niemand stieg ein. Außer uns beiden war auch niemand ausgestiegen.
Ich verließ den Bahnsteig. Auch die Schalter in der kleinen Wartehalle, die Imbissbude, der Tabakkiosk. Keine Menschenseele. Kein Zug, der zurück fuhr. Ich wendete mich dem einzigen Ausgang zu. Auch kein Bus vor dem Bahnhof.
Ich nahm die Straße, die am Fluss entlang zurückführte. Bis zu der Station, an der wir zuletzt Halt gemacht hatten, konnte ich zu Fuß gehen. Dort hatte ich noch Menschen gesehen. Hier hatte ich nichts verloren.
Okay, hier kommen die tags ins Spiel, dachte ich mir und war gespannt.

Die Frau folgte mir in den Bahnhof, bestieg mit mir den Zug, der zurück ins Zentrum fuhr, ging neben mir, bis wir vor dem Eingang meines Hotels standen. Den Zimmerschlüssel hatte ich nicht abgegeben.
Noch hatten wir kein Wort miteinander gewechselt.
Schräg, aber auf eine angenehme Art und Weise.

„Ich dachte, du fragst nicht, weil du es weißt.“
Natürlich wusste ich es, aber was bedeutete Wissen?
Langsam beschleicht auch mich eine Ahnung.

Aber jetzt nach der Diagnose.
Ahnung korrekt.

Natürlich wusste ich, wer diese Frau war
„Du kommst zu früh“, sagte ich.
„Ich? Du warst zu früh. Du bist doch zu mir gekommen. (Solche Sehnsucht nach Stille?)“
Hehe, Klammern für mich wieder entbehrlich.

Pack morgen deinen Koffer. Aber nimm nichts mit. Es ist ein langer Weg.“
Oh je ...

Ich fand das Gleis. Fand den Zug wartend. Er war bereits voll.
Ach herr je. Aber, ja.

Sie reichte mir ein Paket, deutete ebenfalls auf meinen Koffer. Ich öffnete ihn und legte das Paket hinein.
„Was ist da drin?“
...
Aus den Schulterblättern wuchsen weiße Flügel, entfalteten sich langsam, gerade soweit, wie es die Enge des Zuges zuließ.
Du schreibst in einem Komm, dass es Flügel sind, die er/sie ihm in den Koffer legt, ich habe das nicht gecheckt. Das ihr/ihm Flügel wachsen - ja, aber dass deswegen auch Flügel im Geschenkpaket sind - schwierig. Aber vielleicht bin ich auch einfach blind für solche Sachen.

Ja, ich habe gar nicht viel Kritik dabei, deshalb habe ich Dir einen Leseeindruck dagelassen. Schräger-melancholischer Text. Mir gefällt, dass aus dem Fluss ein Zug geworden ist und aus Charon dem Fährmann ein/e Zugbegleiter/in. Man weiß ja nun nicht, ein zwittriges Wesen auf jeden Fall.

Beste Grüße, Fliege

 

Danke @Fliege.
Du hast Recht mit deinen Anmerkungen. Wenn man schon die Kürze mag, muss man auch Unnötiges weglassen. Da helfen Kommentare wie deiner.
Nur bei der Flügelsache bin ich wohl zu vage gebleiben. Da habe ich jetzt ein bisschen Aufklärung betrieben.
Mercí und lieben Gruß
wander

 

Hallo @wander!

Mir gefällt dein Text und auch dein Schreibstil sehr. Abgedreht, aber auf positive Art. Mich hat die Geschichte wiederum an 'Hard-Boiled Wonderland und das Ende der Welt' von Murakami erinnert. Zumindest von der Grundstimmung.

Vieles wurde ja schon gesagt und du hast ja auch bereits ein paar Sachen angepasst.

Das Einzige das ich anzumerken hätte, wäre das Wort 'Movie'.
Für mich könnte da auch einfach 'Film' stehen. Aber das ist definitiv Geschmacksache.

Ich fand es am Morgen, nachdem sie weg war. Oder es fand mich.

Mag ich sehr!


Insgesamt, wie schon gesagt, eine tolle Geschichte, über die man erst mal nachdenken muss. So wie es eben sein sollte. :)

Liebe Grüße
Paifyr

 

Lieber @wander,

ich mag deine kleine Geschichte, ihre Einzelheiten und ihre Atmosphäre. Ich sehe sie als ein Gleichnis für das Geholtwerden an, für das in den Tod-Gleiten eines unheilbar Kranken. Ein wenig erinnert sie mich an den Film 'Rendezvous mit Joe Black'.

Allerdings gelingt mir nicht bei all deinen Details eine Zuordnung: Mir fällt nichts ein, mit dem ich das Buch mit den leeren Seiten gleichsetzen soll. Das gelebte Leben ist ja meist eher ein Buch mit beschriebenen Seiten. Und auch der Koffer will mir nicht so recht gefallen: In ihn legt sie zum Schluss das Paket, in dem etwas ist, was die Flügel (vorerst) ersetzen soll.

Sie reichte mir ein Paket, deutete ebenfalls auf meinen Koffer. Ich öffnete ihn und legte das Paket hinein. Der Inhalt war weich.
„Was ist da drin?“
"Für den Weg, bis deine gewachsen sind."
Das ist mir ein bisschen zu prosaisch in einem ansonsten eher poetischen Zusammenhang.

Die größte Schwierigkeit habe ich allerdings mit der Einordnung und dem Verständnis der ersten Zugfahrt. Was bedeutet sie? Wenn ich von einem Parabelcharakter deines Textes ausgehe, was ist dann das mit dieser Fahrt und vor allem mit der Rückkehr Gemeinte? Warum wird das Ende verzögert? Warum kehrt er noch einmal zurück, um dann am nächsten Tag dieselbe Strecke mit derselben Begleiterin wieder zu fahren?

Dieser Kringel erschließt sich mir nicht. Vielleicht hätte ich lieber eine linear verlaufende Handlung gehabt ohne dieses Hin und Her, das ich nicht zuordnen kann. Möglicherweise teilt sich mir da etwas nicht mit, was anderen evident ist.

Zu einzelnen Stellen:

Das Buch lag im Regal. Rücken zu mir. Ich fand es am Morgen, nachdem sie weg war.
Wie gesagt, die Bedeutung des Buches wird mir nicht klar. Weder für sich genommen noch im Zusammenhang des Textes.

Oder es fand mich.

Das erste Mal, als ich den Ausspruch: 'Es wird mich (schon) finden', von einer Freundin hörte, fand ich ihn originell. Nachdem ich nun mehrmals gehört habe, dass nicht ich etwas finden muss, sondern es mich schon finden wird, erscheint er mir ein bisschen abgenutzt.

Gestern hatte sie unter ihr geschlafen.
Wie ebenfalls schon gesagt, ich kann dieses Gestern in deiner Geschichte nicht einordnen, kann es einfach nicht deuten.

Wir verließen die Stadt. Wir verließen die Menschen.
Das geht ja in eine klare Rchtung. Aber dann steigen sie aus, er geht zu Fuß zurück, sie gesellt sich wieder zu ihm und sie fahren zurück in sein Hotel.

„Du kommst zu früh“, sagte ich.
„Ich? Du warst zu früh. Du bist doch zu mir gekommen. Solche Sehnsucht nach Stille?“
Sie deutete auf den Koffer, der aufgeklappt auf dem Boden vor dem Schrank lag. Ich hatte noch nicht alles ausgepackt.
Ich hab dich zurück begleitet, weil die Zeit noch nicht da war. Pack morgen deinen Koffer. Aber nimm nichts mit. Es ist ein langer Weg.“

Möglicherweise steht diese erste Zugfahrt für einen Suizid-Versuch, aber auch dann erklärt sich mir die Verzögerung nicht. Warum kehrt er um?
Ich meine, hier müsste etwas Sinnvolles hin, etwas, was erklärt, warum es zu früh war, weshalb er noch einmal umkehren muss. Nur noch einmal im schäbigen Hotel zu schlafen, um es dann am nächsten Tag zu wiederholen, ist mir irgendwie zu wenig und zu nichtssagend. Es gibt ja sehr viele ähnliche Geschichten, in denen der Tod auftaucht und es eine Verzögerung gibt. Aber diese ‚retardierenden Momente‘ haben dann immer eine Bedeutung: Der dem Tod Geweihte tut noch etwas Besonderes, z.B. etwas, was er im Leben aufgeschoben hat.

Mal abgesehen von meinen Deutungsschwierigkeiten habe ich deinen Text sehr gerne gelesen. In schlichten Sätzen zeichnest du hier ein am Ende beinahe poetisches Bild vom Abschiednehmen.

Liebe Grüße
barnhelm

 

hallo @PaifyrTenerel,
vielen Dank fürs Lesen! Es freut mich, dass du den Text magst und dass die Stimmung der kleinen Geschichte so rüber kam, wie ich sie haben wollte. Ich war da anfangs schon etwas unsicher.
Mercí
Wander

Lieber @barnhelm ,
du machst mich gerade sehr froh, denn deine Gedanken oder Hypothesen erfassen das, was ich mir beim Schreiben dachte.
Aber wenn ich das klar schildern oder auserzählen hätte wollen, wäre mir die Poesie völlig davongeschwommen.
Ich hatte ursprünglich auch das mit dem Paket mit dem Flügeln „dunkler“ gelassen. Aber das konnte dann wirklich niemand mehr (auch nicht intuitiv) begreifen.
Ja!!!!!
Die erste Zugfahrt war ein Suizidversuch. Er wollte noch einmal seine Geburtsstadt sehen und dann ein Ende machen.
Aber der Engel zeigt ihm, dass nicht ER die Zeit wählen kann und geleitet ihn zurück.
Eine sanfte und verständnisvolle Kritik bringt er an: „Du warst zu früh…. So eine Sehnsucht nach Stille?“
Dass es ein „Danach“ gibt, leitet sich ja schon aus der Person des Engels oder Begleiters ab. Dieses „Danach“ ist ein Neuanfang. Darum sind die Seiten des Buches (noch!) leer.
Es wäre eine ganz andere Geschichte geworden, wenn ich das alles erzählt hätte. Umso mehr freut es mich, dass du (wenn auch fragend) mitgegangen bist.
Ehrlich gesagt….alles ziemlich schwierig. Ich weiß nicht, ob ich mich nochmal an so eine Art Text heranmache, ;-) War echt schon Challenge genug. :-)
Vielen Dank für deinen Kommentar!
wander

 

Lieber @wander,
die Vorstellung, dass da ein Engel ist, der einen am Ende begleitet, der aufpasst, dass alles so läuft, wie es soll, der einen schon mal mit Flügeln für den Übergang versorgt, das ist alles so tröstlich, es passt bestens in die Weihnachtszeit. Und dann sind da auch andere Menschen am Ende in dem Zug, die dasselbe Ziel haben, wenn ich das recht verstehe. Auch so eine Sehnsucht, nicht allein gehen zu müssen. Das könnte wahnsinnig kitschig sein, vielleicht ist es sogar ein bisschen kitschig, aber da ist der Kontrast durch die trostlose Umgebung. Da ist seine gedrückte Stimmung und der Engel hat unreine Haut. Tolles Bild, ein Engel mit unreiner Haut. Irgendwie scheint das Jenseits dann doch von dieser Welt zu sein. Den Anfang fand ich ein bisschen abgenudelt, z.B. das Buch zu Beginn, da ging es mir wie @barnhelm.

Das Buch lag im Regal. Rücken zu mir. Ich fand es am Morgen, nachdem sie weg war. Oder es fand mich.
Der Titel: Tu, was du tun musst.
Ein Ratgeber zur Selbstverwirklichung. Folge deiner Bestimmung! Ich musste lachen.
Was sollte ich tun? Ihr einfach folgen? Himmel, Hölle, Niemandsland, kalte Erde, Nichts?
Egal.
Ich öffnete das Buch und es stand nichts drin. Nur weiße Blätter.
Ja, da stellen sich mir auch alle Esoterik-Sensoren im Nacken auf. Auch bei dem Titel und auch bei den leeren Seiten. Und wenn er stirbt, geht es dann echt noch um Selbstverwirklichung?

Meine Hand strich über die leere Wolldecke auf der Couch des Hotelzimmers und es war, als richteten sich feine Haare auf, als sprächen die Fasern mit meiner Haut, sagten ihr irgendwas.
Das finde ich wiederum wunderschön.

Schmucklose, kantige graue Fabrikhallen, die sich nur kurz neben mir aufhielten und hinter mir verschwanden. Nicht wert, den Kopf zu drehen. Weiß der Teufel, was in ihrem Inneren fabriziert wurde. Etwas, das irgendjemandem Geld einbrachte, am wenigsten denen, die an den Toren standen und hastig an ihren Zigaretten zogen. Alter dreckiger Beton, rissig, Graffitis mit hellen Flecken überall da, wo der bemalte Putz abgebröckelt war.
Auch sehr schön, auch lustig, wie du mit so biblischen Begriffen spielst. "Weiß der Teufel ..."

Alles andere als mein Typ, aber ich war voller Dankbarkeit für den Farbfleck auf ihrem Kopf.
der Heiligenschein? Sehr hübsch.

Diese ganze Sache, wie der Engel ihm folgt, finde ich sehr spannend, eine schöne Idee. Ja, der Plot ist ein bisschen kompliziert, aber beim ersten Lesen habe ich da gar nicht so drauf geachtet, dass ich erstmal nichts kapiert habe. Das habe ich jetzt erst durch die Kommentare und deine Antwort.

Nur die Menschen sprachen so, wie ich längst verlernt hatte, zu sprechen.
Gut gemacht, wie er sich fremd fühlt in der Welt. Er scheint ein Einsamer zu sein, ein Entwurzelter und dazu noch sterbenskrank.

Sie reichte mir ein Paket, deutete ebenfalls auf meinen Koffer. Ich öffnete ihn und legte das Paket hinein. Der Inhalt war weich.
„Was ist da drin?“
"Für den Weg, bis deine gewachsen sind."
Bevor ich ihr erklären konnte, dass ich nichts verstand, zog sie ihre Jacke aus, ihren Pullover. Ihr Oberkörper war jetzt nackt. Muskulös, wie der eines Mannes. Auch ihre Brüste wie Muskeln.
Aus den Schulterblättern wuchsen weiße Flügel, entfalteten sich langsam, gerade soweit, wie es die Enge des Zuges zuließ.
Die Flügel in dem Koffer, das ist so schräg, das es mir schon wieder gefällt. Irgendwie bist du auch mutig, sowas zu schreiben, auf jeden Fall experimentierfreudig. Ich bin deiner Geschichte sehr gerne gefolgt und wünsche mir, dass mich auch jemand abholt, wenn es soweit ist, zum Beispiel ein untersetzter Engel mit Bürstenschnitt.

Liebe Grüße von Chutney

 

Hallo @wander,

ich habe deine kleine Geschichte ganz gerne gelesen, auch wenn ich nicht viel verstanden habe. So was funktioniert wohl nur bei einem kurzem Text, den man zur Not auch öfters lesen kann.
Aber ich muss zugeben, ohne die anderen Kommentare würden wohl noch mehr Fragezeichen über meinem Kopf schweben.

Ich habe es jetzt so verstanden.
Teil 2 – Selbstmordversuch, der Engel nimmt ihn wieder mit nach Hause und schläft dort auf der Couch.
Teil 3 – Nächster Tag – Tod, Rückkehr zum Zug und Wiedersehen mit dem Engel.

Aber wann spielt Teil 1? Dazwischen? Der Engel hat ja anscheinend schon unter der Decke geschlafen.
Brauchst du diesen Teil? Brauchst du das Buch?

Ich würde einfach hier einsteigen:

Sie sprach kein Wort.

Das Hinübergleiten in diese neue Welt mag ich sehr gern. Zum Beispiel diese Stelle hier:
Manche der Fensterläden hatten sich noch verblichene grüne oder braune Flecken bewahrt, die bei genauerem Hinsehen doch nur grau waren. Der Farbeindruck nur ein Wunsch meiner Vorstellung, die sich nicht darauf einstellen wollte, dass dieses B-Movie in Schwarz-Weiß gedreht war.

Alles andere als mein Typ
Ich finde es irgendwie echt unnötig, dass er anscheinend jedes weibliche Wesen erstmal darauf prüft, ob es eine passende Partnerin wäre. Macht ihn unsymphatisch.

Das mit dem Koffer, der leer sein soll, für ein leeres Buch und Paket mit Flügeln, erschließt sich mir nicht ganz. Erscheint mir sehr konstruiert. Warum dieses leere Buch? Und warum bekommt er ein Paket mit Flügeln, das er dann in den Koffer packt, obwohl er diese doch für den Weg braucht?

Ich finde, du hast die Atmosphäre echt gut eingefangen, dieses Aktzeptieren, nicht Hinterfragen. Das mag ich irgendwie.
Insgesamt hätte ich mir dann doch etwas mehr Klarheit gewünscht. Aber ich bin beim Lesen auch einfach nicht so der Rätseltyp.

Vielen Dank für deinen Challengebeitrag und liebe Grüße,

Nichtgeburtstagskind

 

Liebe @Chutney , liebes @Nichtgeburtstagskind ,

Nichtgeburtstagskind, ist die Verzeitung des ersten Abschnittes nicht klar durch den Satz: „Er fand es am Morgen, nachdem wie weg war.“?
Vielen Dank, liebe Chutney. Es freut mich, dass du den Text magst. Du lässt dich von der Atmosphäre mitnehmen. Findest deine eigenen Antworten aus deinen eigenen Gedanken und der Atmosphäre des Textes. Das ist auch die Idee, die ich beim Schreiben hatte.
Ich muss so viel erklären und fast alle von euch Lesern fragen mich nach Bedeutungen. Ich antworte. Und dann klärt sich einiges aus meinen Antworten, statt aus dem Text.
Irgendwas läuft da nicht so richtig.
Die Geschichte sollte etwas wirr sein. Gerade so klar, dass man sich einiges erschließen und verstehen kann, ohne sicher zu sein. Einiges darf aber auch im Nebel bleiben. Ein wenig wie bei einem Gedicht.
Barnhelm denkt an den Suizidversuch. Chutney beim blonden Bürstenhaarschnitt an einen Heiligenschein. Genau das war mein Wunsch. Der Text sollte rätselhaft sein und zum Rätseln und zum Assoziieren anregen. Aber nicht im Sinn eines Krimis, bei dem man durch das Rätseln und Grübeln eine Wahrheit entdecken kann.
Naja….ein bisschen hat’s geklappt. Zum Teil aber auch nicht.
Viele schreiben mir, dass sie den Text mochten, obwohl sie ihn nicht verstehen. Ist ja eigentlich super.
Aber ich mach sowas nicht nochmal. :-)))))))))))

 

Hallo @wander

Nachdem ich deine letzte Antwort gelesen habe, war ich mir eine weitere Erklärungsversion. Ich bin ohnehin kein Fan von Rätselgeschichten, Parabeln, die alle möglichen Deutungen zulassen und noch viel weniger von welchen, die eindeutige Antworten geben. Deshalb empfinde ich den Text eher als wirren Traum, in dem ich ein wenig schwelgen kann, weil ich mich vom Tonfall mitreißen lassen, stelle mir dabei gar nicht die Frage, ob ich den Text mag oder nicht. Ist wie bei einem Traum, der irgendwann einfach vorbei ist. Dann steige ich in die Bahn und fahre zum Beispiel von Marzahn nach Spandau und wieder zurück.

Der Titel: Tu, was du tun musst.
Den Anfang finde ich zäh, zu naturalistisch.

Ich öffnete das Buch und es stand nichts drin. Nur weiße Blätter.
oha, Schreibtherapie

Der Farbeindruck nur ein Wunsch meiner Vorstellung, die sich nicht darauf einstellen wollte, dass dieses B-Movie in Schwarz-Weiß gedreht war.
hübsches Bild

Nur um mich zu vergewissern, dass sie nicht zufällig denselben Weg hatte, verlangsamte ich meinen Schritt. Sie ebenso. Ich hatte nichts anderes erwartet.
Trägt sie eigentlich einen Koffer?

Aber jetzt nach der Diagnose. Noch einmal die Orte, wo ich gespielt hatte, wo meine Schule war. Ich hatte nichts wiedergefunden. Alles war unkenntlich oder nicht mehr da. Nur die Menschen sprachen so, wie ich längst verlernt hatte, zu sprechen.
Natürlich wusste ich, wer diese Frau war
„Du kommst zu früh“, sagte ich.
und das Kind hat er auch nicht wiedergefunden, oder? Zu früh, zurückzukommen, den Faden wieder aufzunehmen, passt nicht ganz in mein Bild

Ich kroch in mein Bett. Auch ich war müde. Dachte an die graue Welt. An einen Koffer, den ich packen sollte, ohne etwas mitzunehmen.
graue Welt, so ein abgenutztes Symbol

"Für den Weg, bis deine gewachsen sind."
Bevor ich ihr erklären konnte, dass ich nichts verstand, zog sie ihre Jacke aus, ihren Pullover. Ihr Oberkörper war jetzt nackt. Muskulös, wie der eines Mannes. Auch ihre Brüste wie Muskeln.
Aus den Schulterblättern wuchsen weiße Flügel, entfalteten sich langsam, gerade soweit, wie es die Enge des Zuges zuließ.
Ach, ein Engelchen als Hemaphrodit

Mehr kann ich nicht beitragen. Ich hoffe, dass dir mein Eindruck trotzdem hilft.

viele Engelssehnsuchtgrüße
Isegrims

 

„… Denn tausend Jahre sind vor dir / wie der Tag, der gestern vergangen ist, und
wie eine Nachtwache. Du lässest sie dahinfahren wie einen Strom, / sie sind wie ein Schlaf,
wie ein Gras, das am Morgen noch sprosst, das am Morgen blüht und sprosst und des Abends welkt und verdorrt. Das macht dein Zorn, dass wir so vergehen, und dein Grimm, dass wir so plötzlich dahinmüssen. … Darum fahren alle unsre Tage dahin durch deinen Zorn, wir bringen unsre Jahre zu wie ein Geschwätz. ...“ Aus dem Psalm 90, 4 - 9
Ein Ratgeber zur Selbstverwirklichung. Folge deiner Bestimmung! …
[...]
Ich öffnete das Buch und es stand nichts drin. Nur weiße Blätter.

Hoppela, in “Shining“ (ich kenn nur die Verfilmung durch Kubrick) findestu den fehlenden Text im Manuskript Nicholsons, in der deutschen Fassung ist es die Folter aller jungen Menschen „was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf Morgen“,

wander(er),

und jetzt komm ich mal nicht mit dem „Engel der Geschichte“ (einem Aufsatz aus Walter Benjamins „Über den Begriff der Geschichte“) und Benjamins letzte Reise auf der Flucht vor den Nazis ging auch mit der Eisenbahn durch halb Europa und deren Ende wirstu kennen oder doch ahnen.
Wenn es heißt, „wenn einer eine Reise tut, so kann er was erzählen“ (aus „Urians Reise um die Welt" des Matthias Claudius), aber mit der letzten bleibt der Reisende stumm. Immer!

Und – für meine Begriffe angemessen, der geradezu „alttestamentarische“ Ton.

Kleine Flusenlese

Sie war zugestiegen und hatte sich mir gegenüber gesetzt, obwohl der ganze Zug leer war.
m. E. kommt der Zug ohne besondere Betonung durchs Adjektiv aus

Vorstadt wie aus einem Endzeit-Movie, die Welt wie nach der Bombe. … Der Farbeindruck nur ein Wunsch meiner Vorstellung, die sich nicht darauf einstellen wollte, dass dieses B-Movie in Schwarz-Weiß gedreht war.
Warum angloamerikanische „bewegte Bilder“, wenn es doch eher „bewegende Bilder“ sind?

Kein Zug, der zurück fuhr. Ich wendete mich dem einzigen Ausgang zu. Auch kein Bus vor dem Bahnhof.
Ich nahm die Straße, die am Fluss entlang zurückführte.
Warum die Ungleichbehandlung von „zurückführen“ und „zurückfahren“?

Die schmalen Türen, die wir passierten, waren mit einer Schicht rissiger[,] aufgeklebter Holzfolie beklebt.
Die Gegenprobe mit „und“ widerspricht dem Komma nicht und sträubt sich nicht einmal …

Am Ende des Korridors[,] mein Zimmer.
Ersatzweise statt des Kommas (oder des Verbs) ein Gedankenstrich ...

Die einzige Flüchtigkeit, die mir aufgefallen ist

Als ich es betrat, schloss sie di[e] Tür hinter mir.

Aus den Schulterblättern wuchsen weiße Flügel, entfalteten sich langsam, gerade so[...]weit, wie es die Enge des Zuges zuließ.

Unter Nr. 13 (09.12.2019) schreibstu

Viele schreiben mir, dass sie den Text mochten, obwohl sie ihn nicht verstehen. Ist ja eigentlich super.
Aber ich mach so[...]was nicht nochmal.
Versteh ich nicht - der feine Text kann doch mit dem Psalter mithalten ...,

findet der

Friedel

 

Vielen Dank @Isegrims , dass du dich auf den Traum eingelassen hast. "Graue Welt" ist kein Symbol, sondern bezieht sich auf das Bild vor dem Zugfenster, in dem er keine Farben erkennen konnte. Als Symbol wäre es allerdings abgenudelt.
Merci und gute Reise von Marzahn nach Spandau. ;-)

Vielen Dank @Friedrichard .
für entdeckte Kleinigkeiten, über die ich mich gleich hergemacht habe. "Feiner Text" habe ich sehr gern gelesen, Friedel.

wander

 

Hallo @wander ,

deine seltsame Geschichte hat mir, obgleich ich nicht so gerne solche Sachen lese, weil ich so ungerne Rätsel rate, gut gefallen. Das lag zum einen daran, dass ich glaube, dass es gar nicht so schwer war, die Bedeutung zu entschlüsseln, wobei ich denke, es gibt vielleicht sogar mehrere Bedeutungen und nicht nur die eine einzige. Zum anderen hast die Geschichte spannend aufgebaut und sprachlich gut verpackt. Gut gemacht.

Vielleicht möchtest du meine Deutung lesen, also das, was ich mir dabei gedacht habe?
Der Protagonist bekommt eine Diagnose, die sehr wahrscheinlich ankündigt, dass er bald sterben wird.
Er kehrt, vielleicht aus Sehnsucht, vielleicht aus Neugierde an den Ort zurück, wo er sich früher befunden hatte, vielleicht als Kind, vielleicht auch als Erwachsener. Es ist vielleicht tatsächlich räumlich zu verstehen, könnte aber auch einfach nur ein mentales Zurückkehren sein.

Auf jeden Fall bringt diese Aktion, nämlich das Einsteigen in den Zug und das Fahren bis zur Endstation seinen Todesengel auf den Plan, der ihn vorsorglich begeleitet. Für mich ein Missverständnis zwischen Lebenden und Zwischenwesen, aber vielleicht hat dein Protagonist auch einfach nur mal schauen wollen, ob er schon bereit ist, seinem Leben ein Ende zu machen. Er kommt dann zu dem Ergebnis, dass er es noch nicht tun möchte, was ihm sein Engel ja auch bestätigt.
Wobei es bei der Frage der Vorzeitigkeit wohl eher nicht um eine zeitliche Frage geht, denn wieder im Hotel angekommen, wird ihm ja mitgeteilt, dass er alsbald seinen Koffer packen soll, um an die Endstation mit vielleicht demselben Zug oder aber mit einem anderen Zug zu fahren.
Auf jeden Fall befindet er sich am Ende in einem Zug mit lauter Fahrgästen, die allesamt sterben werden.

Wobei er offensichtlich nicht sterben soll, sondern als Zwischenwesen engelähnliche Funktionen bekommen soll.
Das leere Buch, ist für mich Symbol eines neuen Abschnitts.
Vielleicht soll er beginnen, so rein wie ein unbeschriebenes Blatt, vielleicht steht aber auch deswegen nichts in dem Buch, weil sein altes bisheriges Leben ausgelöscht werden wird. Denkbar ist bestimmt auch noch mehr.

Was mir nicht ganz einleuchtet ist das weiche Päckchen, das er von seinem Engel gereicht bekommt. Wozu das gut sein soll, erschließt sich mir nicht. Aber gerade bei so einer Geschichte muss vielleicht auch nicht alles erklärt werden.

Auch, wenn ich bestimmt nicht alles verstanden habe, so habe ich doch deine Geschichte gern gelesen!


Lieben Gruß
lakita

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo wander,
jetzt kommst du auf meinem Weg mit deiner (bei aller Kritik weiter hinten) wunderschönen und eigennrtigen Geschichte.

Ich schreib mal, wie ich beim Lesen mit dem Mann mitgelaufen bin und was ich dabei gedacht habe, war nämlich eine kleine Lesereise für mich, die mir sehr gefallen hat:
Endstation heißt die Geschichte. Oha, das klingt nicht gut für wen auch immer. Das klingt nach Abschied, nach Tod. Au wei.

Das Buch lag im Regal. Rücken zu mir. Ich fand es am Morgen, nachdem sie weg war. Oder es fand mich.
Naja, wenn da irgendeine Frau weg war, dann hat doch wohl sie das Buch hingelegt. Und nicht das Buch sich selbst. Klingt künstlich nach Bedeutungsaufladung. Also weg mit diesem Buchfindequatsch.

Der Titel: Tu, was du tun musst.
Oha, was ist das denn für ein Besuch gewesen? Mutter, Schwester, das kann es nicht gewesen sein, die sind ja immer mal gut für Ratschläge und Lebensweisheiten. Also eher eine zufällige Geliebte? War der Mann so schlecht im Bett, dass sie ihm so ein Selbsthilfebuch geben muss? Also vielleicht doch eher eine für ihn wichtige Person. Eigenartiger Besuch jedenfalls. Macht mich sehr sehr neugierig.

Ich öffnete das Buch und es stand nichts drin. Nur weiße Blätter.
Naja, das ist ja jetzt ein Ding. Er soll seine Bestimmung also selbst finden. Komisches Selbstverwirklichungsbuch. Aber warum nicht. Er soll halt loslegen mit dem Schreiben.

Meine Hand strich über die leere Wolldecke auf der Couch des Hotelzimmers und es war, als richteten sich feine Haare auf, als sprächen die Fasern mit meiner Haut, sagten ihr irgendwas.
Schön. Das wird eine melancholische Atmosphäre aufgebaut, da ist ein Mann, ja, vielleicht auch eine Frau ganz auf sich selbst gerichtet.
Überhaupt mal ein ganz großes Lob für viele, sehr sehr schöne Schilderungen. Das machst du echt toll und regt mich an, mal in deine sonstigen geschichten reinzuschnuppern.

Sie sprach kein Wort.
Du hast es zwar im letzten Satz angedeutet, dass jetzt eine Rückblende folgen könnte wegen dem "gestern". Aber mir war das zu wenig. Ich hätte mir hier ein beruhigendes PQP im ersten Satz gewünscht, um noch schneller zeitlich einzuordnen, dass jetzt eine Rückblende folgt. Finde ich in dem Fall nicht verkehrt, denn der Leser läuft ja doch etwas im Nebel umher. Was keine Kritik sein soll, denn die story an sich, das Geheimniscolle an ihr, das erzeugt einen Sog, einen Entdeckungsdrang im Leser.

Schmucklose, kantige graue Fabrikhallen, die sich nur kurz neben mir aufhielten und hinter mir verschwanden.
aufhielten find ich sprachlich unzutreffend.

Vorstadt wie aus einem Endzeit-Movie, die Welt wie nach der Bombe. Manche der Fensterläden hatten sich noch verblichene grüne oder braune Flecken bewahrt, die bei genauerem Hinsehen doch nur grau waren. Der Farbeindruck nur ein Wunsch meiner Vorstellung, die sich nicht darauf einstellen wollte, dass dieses B-Movie in Schwarz-Weiß gedreht war.
Oh je, wo ist der da? Arme Sau, das klingt wirklich wie in einem Endzeitfilm. Aber geil gefilmt.

Sie war klein, stämmig, hatte einen blonden Bürstenhaarschnitt. Unreine Haut. Ich war voller Dankbarkeit für den Farbfleck auf ihrem Kopf.
Hmmm, ich hatte das Bild eines Onenightstands im Kopf bei dem Besuch im Hotelzimmer. Also dafür beschreibt er sie aber wenig attraktiv. Aber immerhin verbreitet sie ein wenig Wärme mit ihrem gelben Kopffarbklecks. Es wird immer eigenartiger. Und spannender!!!

Und danach bei der Endhaltestelle und auch bei der Rückkehr in die Stadt, das war natürlich sehr geheimnisvoll, aber so langsam, so ganz langsam mit dem Titel im Hintergrund dämmerte es mir. Das ist kein normaler Gang. Wirklich toll gemacht.

„Ich? Du warst zu früh. Du bist doch zu mir gekommen. Vor der Zeit. Solche Sehnsucht nach Stille?“
Sie deutete auf den Koffer, der aufgeklappt auf dem Boden vor dem Schrank lag. Ich hatte noch nicht alles ausgepackt.
Okay, klar, da hat jemand eine furchtbare Diagnose erhalten. Er wird sterben. Vielleicht hat er einen Selbstmordversuch unternommen oder ist im Traum oder in einer Halluzination vorzeitig zur Endstation gelaufen. Von seiner persönlichen Wegbegleitung wurde er zurückgeleitet, weil der Zeitpunkt falsch war. Soweit finde ich das alles nachvollziehbar trotz aller Rätselhaftigkeit. Und bin voll des Lobes.

Das ändert sich jetzt, verzeih meinen ein wneig leidenschaftlichen Tonfall, mich reißts halt manchmal fort, wenn ich denke, da gerät eine eigentlich tolle Geschichte in schieflage.

„Ich hab dich zurück begleitet, weil die Zeit noch nicht da war. Pack morgen deinen Koffer. Aber nimm nichts mit. Es ist ein langer Weg.“
Nee, das glaube ich jetzt nicht. Bisher hatte diese eigenartige Wegbegleitung trotz aller Merkwürdigkeiten mein Interesse und auch ein wenig Sympathie. Ich merk ja schon, es steuert alles auf sein Ende hin und sie geleitet ihn. An der Stelle aber zweifel ich an dem Verstand von dem Engel. Was soll denn der Scheiß, hab ich gedacht, der wird zurückbegleitet, obwohl er nur noch so kurze Zerit da bleibt? Da hätte der Engel ihn doch gleich dort lassen können an der Endstation. Das wäre gnädiger gewesen. So finde ich das irgendwie unbarmherzig. Okay, vielleicht gehorcht der Engel auch nur einer höheren Macht, aber das wird nicht erwähnt. Und ich verstehe auch nicht, dass der Mann sich dann so fügt. Da hätte ich einen gewissen Hader erwartet. Nicht viel, denn er ist ja schwach und ausgelaugt von der Krankheit und der Erfahrung des nahen Todes und dem Gang zur Endstation und wieder zurück, aber so ergeben finde ich das für die Geschichte und das Geschehen unpassend.

Und nun noch mein letzter Kritikpunkt. Die anderen fanden das ja toll oder abgefahren, die Sache mit den Flügeln im Koffer. Mir gefällt das leider gar nicht. Es wirkt sehr unlogisch und so, wie wenn du unbedingt dem Koffer themengemäß eine Rolle hättest zuweisen müssen. Und dann wurde der Koffer reingezwängt in die Geschichte, ob es passte oder nicht. Dabei hast du doch auch ohne diesen dämlichen Koffer eine wunderbare Koffergeschichte erzählt! Halt im übertragenen Sinn. Ich hab das schon einmal ganz allgemein im Faden geschrieben: Ich finde das schade, dass sich so wenige getraut haben, das Thema des gepackten Koffers nur symbolisch oder immateriell in einer Geschichte zu erzählen. Immer muss irgendwo ein echter Koffer als Stolperstein rumstehen. Ich betone das so, weil ich es in dem Fall deiner Geschichte echt bedaure. Zumal das ja auch albern ist, jetzt kommen wir zum Logikteil, dass der Mann dann im Grunde genommen zwei Paar Flügel hat. Eines hat er sowieso, die Flügel wachsen ihm ja während der Fahrt. Und dann muss er sie trotzdem noch mal im Koffer mit sich mit sich führen? Um immer mal wieder draufzugucken, damit er sich die richtigen wachsen lässt? Was soll das für einen Nutzwert haben?
Nee, erscheint mir echt unlogisch und wirklich schade für die schöne Geschichte.

Ich tat im Bad, was ich tun musste. Hunger hatte ich nicht.
Also das klingt unfreiwillig komisch. Als wenn man dem Klogang eine höhere Bedeutung zuschustern wollte.

Also @wander, ich fand deine Geschichte hochinteressant und sehr gut. Atmosphärisch gut gemacht, rätselhaft und doch sich am Ende richtig auflösend. Einziger Stolperstein wie gesagt das Ende mit dem leeren Koffer, der für seine Flügel gedacht ist. Auch, dass er das leere Buch mitnimmt, empfinde ich irgendwie künstlich und nicht wirklich logisch, denn im Nachhinein ist ein Selbstverwirklichungsbuch, das leer ist, nachdem der Engel ihn zurückbegleitet hat, doch ein Zeichen dafür, dass er noch Zeit haben soll, seine Geschichte zu schreiben. Und dann muss er gleich wieder zurück? Den Engel würde ich auf Vertragsverletzung verklagen.
Innere Logik bekäme das alles, wenn du es irgendwie klar machst, dass zwischen dem nächtlichen Hotelzimmerbesuch des Engels und der Rückkehr des Mannes zur Endstation eine längere Zeit vergeht. Dann wären aber auch ein paar Seiten in dem Buch gefüllt.

Viele Grüße von Novak

 

Hallo @Novak
vielen lieben Dank für deine wohlwollene Kritik. Du hast mir sehr vielem Recht.
Ja, ja...der Koffer!
Ich werde, anstatt den Engel wegen Vertragsverletzung zu verklagen, die ganze Geschichte nochmal überarbeiten, ohne an die Challenge zu denken. Ich freue mich schon drauf, weil ich auch selbst dran glaube, dass da was Gutes drin steckt.
Danke nochmal...
wander

 

Hallo @wander,

der Vor- oder auch Nachteil bei der Challenge ist ja, dass einige Teilnehmer versuchen, einen Kommentar dazulassen. So also auch ich. Ich habe Deine Geschichte schon vor Längerem gelesen, eben nochmals. Ich habe den Eindruck, dass Du schon einiges überarbeitet hast und dass sie dadurch etwas glatter geworden ist. Leider kann ich nicht konkret festmachen, woran das liegt.

Ich gehe jetzt nicht sprachlich im Detail durch den Text. Mir ist jedenfalls nichts aufgefallen, bei dem sich gleich die Nackenhaare aufgestellt haben. Das lässt sich also gut lesen.

Inhaltlich bin ich noch am Schwanken, wie sehr mir das gefällt. Ich finde das Thema Tod generell gerade schwierig. Liegt vielleicht an der Weihnachtszeit und dem Ausblick auf das nächste Jahr, wo man eher mit den Gedanken an die Zukunft und nicht an die Endstation des Lebens beschäftigt ist.

Ich finde Du hast das schon gut gemacht, das Rätselhafte und irgendwie Phantastische. Meine persönliche Schwierigkeit ist, dass ich bei solchen Texte immer anfange, nach einer tieferen Aussage zu suchen und da bin ich nicht so richtig fündig geworden.

Durch das Rätselhafte ist er kein rein Unterhaltungstext, aber für mich ist er auch keiner, der einem nach dem Enträtseln oder darauf Rumdenken eine tiefe Erkenntnis offenbart.

Vieles bleibt auch einfach rätselhaft (die anderen Kommentatoren vor mir haben da auch schon viele Punkte genannt) und man bekommt den Eindruck, dass man als Leser doch selbst die Leerstellen füllen soll.

Aber mich lässt so eine Strategie immer unbefriedigt zurück, so wie auch hier.

Zusammengefasst: sprachlich gut, rätselhaft, interessant aber für mich auch irgendwie unbefriedigend.

Vielleicht ist es auch ein Nachteil, denke ich mir gerade, dass man bei der Challenge jeden Text kommentiert, denn was sollst Du mit meinem Kommentar anfangen? Letztlich ist das einer von vielen Leseeindrücken, ob Dir das tatsächlich weiterhilft, kann ich gerade gar nicht sagen. Aber es ist Challenge ...

Gruß
Geschichtenwerker

 

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