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Endstation

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06.08.2002
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Endstation

„2 Jugendliche von Bahn erfasst“ titelte die Schlagzeile der städtischen Zeitung.
Wie soll das gehen?
„Es war nach 23 Uhr, nach Plan fuhr keine S-Bahn mehr, das betreffende Fahrzeug war auf dem weg zum Fuhrpark...Die 3 Jugendlichen waren auf dem Heimweg von der Disco.“
- wahrscheinlich total besoffen -
„Sie wogen sich in Sicherheit doch dann geschah das Unheil...“
- selber schuld -
„ ...die Bahn versuchte eine Vollbremsung, kam aber nicht rechtzeitig zum stehen“
- der Fahrer war wohl auch nicht ganz nüchtern -
„Eine der Personen konnte sich retten die anderen beiden...“
waren mit ihren Gedanken schon im Bett. Tragische Geschichte, wirklich sehr tragisch...
aber irgendwie unglaubwürdig...Selbst wenn die Typen total besoffen am rumsingen waren und alles im Kopf hatten als eine verdammte S-Bahn, würde die Aktion: erschrecken-umdrehen-realisieren-wegspringen doch nicht mehr als 10 Sekunden dauern. Wenn die Bahn nun 100 km/h...

Ich warf die Zeitung neben mich auf den dreckigen Sitz der U-Bahn.

Ich war auf dem Weg zur Schule, es war ein stinknormaler Dienstagmorgen und wie fast immer ging ein Haufen Mist durch den Kopf.
Wie an jedem Tag war das besser als mit vollem Bewusstsein seine Umwelt zu begutachten.

Wegen diesem Artikel war ich nun wie wild mit rechnen beschäftigt. Nur um zu klären wer an dem Unglück Schuld war. Das kalkulieren der Aktion und derer automatischen Folgen erschien mir logischer und viel interessanter als es einfach zu lesen und etwas zu trauern, wie es wahrscheinlich Tausende vor und nach mir getan hatten und tun würden.
Da saß ich also, den Blick aus dem Fester auf die wunderbare Pracht der vorbeirasenden U-Bahnschächte gerichtet, mit den Gedanken 100 Km/h schnell und dabei 3 Jugendliche zu überrollen.

Auf einmal spiegelte sich ein wunderschönes Gesicht in meinem Fenster. Ich wusste die Qualität dieser Begegnung nicht gleich zu schätzen, es kam mir bloß sehr ungewöhnlich vor, dass sich meine Gedanken innerhalb kürzester Zeit vollkommen abschalteten und sich mein Verstand unaufgefordert hundertprozentig auf die Person im Spiegelbild des Fensters konzentrierte.
Schöne Frauen waren in den dunklen Schächten der U-Bahn zwar nicht an der Tagesordnung, aber es gab Zeiten, da hätte ich ein solches Zusammentreffen mit Wohlgefallen, jedoch ohne weitere Gefühlsausbrüche, hingenommen.

Dieses perfekte Gesicht aber schien meinen Blick magnetisch anzuziehen und so drehte ich mich also herum und blickte dem Mädchen in ihre Augen.
Sie beachtete mich gar nicht, würdigte mich nicht mal eines Blickes.
In diesem Moment empfand ich das wohl auch als besser so, es verhinderte, dass sich meine Scham, wie ein kleiner bohrender Schmerz im Hinterkopf, zu Wort meldete und ich mich, eingeschüchtert von diesem kleinen aber feinen Brennen, wieder völlig in meine Gedanken zurückzog.

Eine Weile musterte ich das Mädchen völlig offen und neugierig. Ihr bloßer Anblick schien meinen kalten, berechnenden Charakter wie Eis in der späten Nachmittagssonne zuschmelzen.
Ich fühlte mich seltsam bewegt, vielleicht wie noch nie in meinem Leben. Sie beachtete mich noch immer nicht, saß, wie ich noch eben, in sich versunken auf der schmutzigen U-Bahnbank vor mir und beobachtete vorbeiziehende Stationen.
Ich wusste nicht wie viel Zeit vergangen war, Minuten? Mir war es vorgekommen wie eine wunderschöne Ewigkeit, als sie schließlich meinen Blick zuspüren schien und aufsah.
Alle Alarmglocken in meine Körper fingen mit einem Schlag an zu schrillen und ich stellte mich schon einmal seelisch auf die körperliche Blockade ein, die gleich meinen Körper erobern sollte.

Es geschah nichts. Ich senkte nicht den Blick. Etwas in mir schrie danach Sieh weg! Aber ein ungleich größerer Teil war gefesselt von ihren Augen. Von ihren kristallklaren großen Augen. Unsere Blicke trafen sich.
Es wäre normal gewesen hätte ich nun den Blick gesenkt. Ich Hätte ich mich wieder in meine berechnenden und meist herablassenden Gedanken zurückgezogen und hätte binnen weniger Minuten die Situation für immer aus meinem Gedächtnis verdrängt.
Aber da war etwas. Ich fühlte irgend ein drängendes Stechen in meinem Herz, das stechen eines Gefühls das wie ein Schwert auf meiner Brust zu liegen schien, und mir mit herrlich bedingungsloser Brutalität davon abriet wegzugucken, weil es sonst zustoßen würde.

Ich konnte in dieser schier ausweglosen Situation, in der mein Herz, vielleicht zum ersten Mal in meinem Leben die Oberhand gewonnen hatte und verteidigte, sogar ein verkrampftes Lächeln in mein Gesicht schnitzten.
Da sah ich es zum ersten Mal, Ihr bezauberndes unwiderstehliches Lächeln.
Diesen Anblick werde ich nie vergessen, nicht in 1000 Jahren. Sie stieß mich damit völlig aus der Realität. Es war eine tödliche Schönheit wie ich im Nachhinein fast unverwundert feststellen musste, denn wie konnte eine solch liebevolle Begegnung frei von Mängeln sein? Doch folgenschwer oder nicht, wird dieser Augenblick in meinem Dasein, der wohl Schönste bleiben.

Ich hätte ihr stundenlang in ihre tiefen Augen sehen können. Doch so schnell der Traum begonnen hatte so schnell zerbarst er wieder.
Eine grausame Stimme vom Band verkündete meine Station und ich stand auf, ein letzter Blick in ihr Gesicht und ich stieg aus und machte mich auf den Weg.
Den gleichen Weg den ich immer ging, diesmal allerdings sicher mit einem etwas glücklicheren Gesichtsausdruck. Meine Gedanken waren immer noch bei diesem Lächeln, es ließ mich nicht mehr los. Gedankenversunken schlenderte ich durch die Straßen.
Wie immer hielt ich an der Ampel kurz vor der Schule. Schnelle Autos rasten an mir vorbei, in dem Moment war mir gar nicht klar wie wenig meines Bewusstseins in meiner menschlichen Hülle stecken geblieben waren.

Ich ging los als ich aus den Augenwinkeln die vertraute Bewegung eines Passanten registrierte der sich in Bewegung setzte...und das letzte, was ich hörte, war ein dumpfer Schlag, als mein Körper eine riesige Delle in eine Motorhaube rammte.
Kein Schmerz, kein Gezeter, nicht mal Überraschung. Einfach das Ende einer menschlichen Existenz.

Nun sitze ich hier und überblicke die ganze Stadt, bin noch immer hier als Toter unter den Lebendigen. Wie ich es vielleicht unbewusst mein ganzes Leben war.
Jeder Jugendliche und jedes Kind, das stirbt, verharrt in dieser Welt bis sie genug an Weisheit gewonnen haben um ihren Teil im Reich der Toten zu verrichten. Also sitze ich hier im Zwielicht der Straßen, beobachte die Menschen und versuche aus ihren Fehlern zu lernen. An manchen Tagen schaue ich Ihr zu, wie sie mit der Bahn fährt, und überlege ob unsere kurzweilige Begegnung, den Tod vielleicht rechtfertigte.

- Ende -

Autor: Christopher Arlt
Überarbeitet: Marvin Papies

[ 07.08.2002, 17:37: Beitrag editiert von: Kain ]

 

Hallo Kain,

Dein Text liest sich besser, wenn Du die Zahlen ausschreibst.
Zitat: „die anderen beiden...“ waren mit ihren Gedanken schon im Bett.“ Das ist unverständlich. Ebenso: „und alles im Kopf hatte“ - alles andere.
Und: „ging ein Haufen Mist durch den Kopf“ usw.
Vielleicht solltest Du den Text editieren.
Übrigens ist die Wortwahl und die Pointe nicht gerade neu.
Sorry- bis zum nächsten Mal!

Tschüß... Woltochinon

 

Hallo Kain,

die Geschichte ist sehr schön philosophisch, sehr nah am Hauptdarsteller erzählt und schafft doch eine schöne Entfernung zu alltäglichen Denkgewohnheiten. Für mich: ein Psychogramm eines Jugendlichen auf der Höhe der Zeit oder ein wenig in der Zukunft. Das Abgeklärte macht sie interessant und freilassend.

Sprachlich finde ich sie alles in allem gut.
Kleinigkeit: Zwei Sätze hintereinander würde ich nicht mit Ich beginnen lassen (das ist für philosophische Texte zu stark)
Es gibt viele Füllworte z.B. "nicht *mal* eines Blickes" und "Wohl auch besser *so*"
Der Abschied ist zu steril - da muss mehr passieren.

War es jetzt ein Traum, oder eine reale Begegnung?

Ist das hier eigentlich auch ein Forum um die Inhalte philsophisch zu diskutieren. Da hätte ich mehr zu sagen ... ;-)

Viele Grüße,
Dein Michael

 

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