Endrille
Anm. d. Autors: Text befindet sich derzeit in Überarbeitung
Endrille
Als ich kurz vor ein Uhr Nachts in die Wohnung kam, war Hanna nicht da. Die Tür zum Balkon war offen, und das Rauschen und Knacken einer zu Ende gespielten Schallplatte untermalte den Vorhang, der sich im Wind hin und her bewegte.
...sssssssssstschackssssssssssstschack...
Ich ging vorsichtig über den Boden, auf dem Klamotten, Schallplatten, Fotos, ihr Handy, Verpackungen ihrer Medikamente, und dergleichen lagen, zum Plattenspieler, und stellte die Nadel zurück an den Anfang. Es war eine 12-Inch Single von Michael Jacksons Don’t Stop ’Til You Get Enough. Ich legte meine Jacke ab, ließ mich in die Couch fallen und rauchte erst einmal eine.
Als die Schallplatte wieder zu Ende war, hob ich Hannas Handy auf, und rief Idil an. Idil klang etwas überrascht, sagte, dass Hanna mich eigentlich vom Flughafen hätte abholen wollen, und fragte mich ob mein Flug denn früher angekommen war.
„Nein, wir hatten sogar zwanzig Minuten Verspätung“, sagte ich.
„Hanna hat sich wahrscheinlich in der Zeit geirrt.“
Eigentlich hatte ich mit Hanna ausgemacht, sie solle mich nicht abholen. Vermutlich hatte sie es sich kurzfristig anders überlegt, alles stehen und liegen gelassen, und war zum Flughafen gefahren. Vermutlich zu spät, so dass wir uns gerade verfehlten.
Ich schloss die Augen, und lauschte dem Geräusch der Endrille. Nach einem neunstündigen Flug, und einer Stunde im Taxi hatte ich wenig Lust, noch einmal zurück zum Flughafen zu fahren. Irgendwie hatte ich aber ein schlechtes Gefühl, als ob Hanna etwas zugestoßen war. In ihrem Zustand war so ein Verschwinden durchaus ein Grund zur Beunruhigung. Es schien mir am vernünftigsten, doch noch zum Flughafen zu fahren, und sie zu suchen. Ich rief ein Taxi, schrieb Hanna, solange ich wartete, eine Nachricht, und trank eine Dose Coca-Cola.
Trotz dem Cola schlief ich im Taxi fast ein; nur das Radio hielt mich wach. Eine Stunde später befand ich mich wieder vor Terminal B, und ich rief als erstes zuhause an. Nach zwanzigmaligem Läuten gab es keine Antwort, was bedeutete, dass Hanna sich entweder noch im Flughafen befand, oder gerade auf dem Weg nach Hause war.
Es war schon nach zwei Uhr, und in der Schalterhalle war so gut wie gar nichts los; die nächsten Flüge würden erst in einigen Stunden ankommen, beziehungsweise abfliegen. Ein Paar Reinigungsleute wischten den Boden mit ihren Mops, und ein Backpacker schlief auf einer der Bänke. Von Hanna keine Spur.
Schließlich fand ich sie auf einem der langen Fließbänder, zwischen zwei Terminals. Hanna ging in die entgegengesetzte Richtung des Fließbandes, hatte den Kopf zum Boden gesenkt, und eine Hand auf dem Geländer. Ich wusste, dass sie es nicht loslassen konnte.
Ich fuhr auf dem Fließband, bis ich vor ihr stand, und sie mich weinend anblickte. „Ich habe hier auf dich gewartet“, sagte sie.
„Komm, sei vernünftig“, sagte ich, „gehen wir auf das andere Fließband.“
Was hatte ich nur für einen Blödsinn gesagt. Selbstverständlich ist es vernünftig, in die gleiche Richtung wie ein Fließband zu gehen, wenn man vorankommen will, aber für Hanna, deren Leben von Zwangshandlungen bestimmt war, schien es genauso vernünftig auf der Stelle zu gehen, das Geländer unter ihrer Hand gleiten zu lassen, und auf mich zu warten.
Eine Zeit lang ging ich neben ihr, und wir lauschten dem bekannten Geräusch des Fließbandes:
...sssssssssstschackssssssssssstschack...
[ 10.07.2002, 21:34: Beitrag editiert von: I3en ]