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Endlich - ein moderner Vater
Als Vater benötigst Du viel Nervenkraft. Hättest Du diese nicht, wären Deine Kinder heute nicht mehr die Nachkömmlinge eines angeschlagenen Vaters, sondern Halbwaisen.
So aber hast Du es mit ein wenig Geschick und einer übermäßig großen Portion Glück bis hierher geschafft.
In den ersten Lebensjahren eines Kindes gibst Du Deine Erfahrungen an die Kleinen weiter, achtest darauf, dass sie unbeschadet ihren Lebensweg zwischen den vielen physischen und psychischen Fallstricken nehmen. Fast unmerklich kehrt sich das Verhältnis dann um, ohne dass Du es zuerst gewahr wirst. Die Kinder wollen Deine Ratschläge nicht mehr hören, Deine wohlmeinenden Empfehlungen nicht annehmen. Ja, noch viel schlimmer. Plötzlich bist Du in der Situation, dass sie Dir etwas zu sagen haben.
Das beginnt mit Kleinigkeiten. Da wird Deine konservative Kleidung kritisiert, Dein Haarschnitt ist von gestern. Das Auto, dass Du fährst, ist ohnehin megaout. Die Art und Weise, wie Du sprichst oder denkst, passt einfach nicht mehr in diese Zeit. Das beginnt bei von Dir genutzten Vokabeln, die nicht hipp sind. Deine Artikulation ist nicht trendy , die Welt der Kids bleibt Dir verschlossen. Du gibst Dich nicht cool genug.
Zur Gänze decken wir den Mantel des Schweigens über Deinen Musikgeschmack. Nicht nur, dass Du nicht den Hauch einer Idee hast, welcher Stil gerade oberaffengeil ist, Deine eigene musikalische Ausrichtung....forget it.
Auch wenn Du es nicht wahrhaben möchtest, Du stehst im Abseits. Deine Kinder fangen vorsichtig an, Dich zu verleugnen. Obwohl Du als Grufti in den Augen der Kids ohnehin eine Erscheinung aus dem Jenseits bist, jemand, der aus der Sicht der jungen Generation Bismarck und Schiller noch persönlich begegnet sein muss, schämen sie sich Deiner. Wenn in ihren Kreisen die Sprache auf die Eltern kommt, mutierst Du langsam, aber sicher von „mein Vater hat gesagt...“ zu „ähhh....“. Deine Kinder leugnen schlichtweg Deine noch im Diesseits vorhandene Existenz und geben sich als virtuelle Halbwaisen aus.
Diese Wandlung vom Vorbild meiner Kinder zum abschreckenden Beispiel hat mich doch tief getroffen. Als verantwortungsbewusster Vater musste ich an diesem Problem arbeiten, mir durch Anpassung die Anerkennung meines Nachwuchses zurück erobern.
So habe ich angefangen, mich erst mit halbstündiger Verspätung zum Sonntagsfrühstück einzufinden. Statt des früher üblichen „Guten Morgens“ entbietet ich meinem Nachwuchs – nach Aufforderung – ein müdes „Hi“, bevor ich mich unrasiert und im Unterhemd niederlasse. Auf das erschreckende „Was ist denn mit Dir los?“ meines Sohnes antworte ich mit einem müden Gähnen „Was, kein Orangensaft da?“. Der Rest der irritierenden Anfragen der lieben Kleinen geht im hämmernden Bass der Heavy-Metall-CD unter, die ich statt der sonst gewohnten und oft kritisierten dezenten Instrumentalmusik laufen lasse. Ich empfinde diese neue unterhaltungstötende Art der Musik als recht angenehm, erspart sie einem doch unerwünschte verbale Auseinandersetzungen mit dem Nachwuchs.
Es mag wohl später Nachmittag gewesen sein, als ich, bäuchlings auf dem Sofa liegend und einen Actionfilm im Fernsehen verfolgend, nebenbei mitbekommen habe, wie zwei meiner Kinder – unaufgefordert! – den Frühstückstisch abgeräumt haben. Viel später erschien ein Parlamentär der drei um vorsichtig nachzufragen, ob man Verhandlungen über die Zubereitung des Abendessens aufnehmen könne. Natürlich war mir bewusst, dass mein Wortschatz noch etwas ungelenk war, ich habe es aber trotzdem versucht: „Nee, hab null Bock. Ich zieh mir nachher ne Pizza rein...“ Ich hatte auch gelernt, dass man seiner Aussage noch eine zusätzliche Bekräftigung anfügen muss. Darum ergänzte ich ganz cool.“ ...oder so...“.
Ich war richtig stolz auf meine Kinder. Sie erwiesen sich als ausgesprochen zäh und hartnäckig. Sie hielten schließlich eine halbe Woche durch, bis einer der Kinder die fast leere Pappschachtel des Pizzaservices vom Wohnzimmertisch wortlos entsorgt hat.
Am kommenden Wochenende war mir sogar die Witterung hold. Es war angenehm warm, so dass ich mit offenem Schiebedach und heruntergekurbelten Fensterscheiben langsam Runde für Runde durch unser Wohnviertel kurven und voller Besitzerstolz feststellen konnte, dass der Sound meiner HiFi-Anlage im Auto doch mehr hergab als die läppischen Installationen in den ungewaschenen Kleinwagen der Kids. Jedenfalls überdröhnten meinen acht Lautsprecher an jeder roten Ampel problemlos die aktuellen Charthits aus den mit jungen Menschen besetzten Nachbarfahrzeugen.
Natürlich kann ich dem Nachwuchs die nötige Anerkennung für ihre Standfestigkeit nicht versagen. Vier Mal musste ich vor dem kleinen Park vorfahren, auf dessen Bänken sich die jungen Leute des Viertels zum Plauder-Inn versammelt hatten, bis sie entnervt vor Heino und seiner schwarzen Barbara kapitulierten, die ich lautstark aus meinem fahrbaren Untersatz zum Besten gab. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sich mein Sohn, der sich unter diese Gruppe gemischt hatte, mächtig ob seines Vaters schämte.
Als Erwachsener verfügt man über die Erfahrung zu wissen, dass man nichts überziehen sollte. So habe ich für den Abend ein kooperatives Friedensangebot unterbreitet und meinen Kindern eröffnet, dass ich sie in ihre Lieblingsdisco begleiten werde, um bei tougher Musik einmal so richtig abzurocken.
Ausschließlich mir zu liebe habe ich davon doch Abstand genommen. Aus zuverlässiger Quelle ist mir aber vermittelt worden, dass meine drei Lieblinge den Abend, begleitet von Cola und anderen Softgetränken, im Kreise auch mir bekannter Freunde in irgend einem Hinterzimmer mit Monopoly verbracht haben. Die ganze Truppe hat an jenem Abend einen großen Bogen um alle Institutionen gemacht, an denen möglicherweise ein alternativer Vater hätte auftauchen können.
Während am darauffolgenden Montag mein jüngster Sohn – leger wie immer – die Schule aufgesucht hat, konsultierte ich meinen Friseur. Auch für ihn war die folgende Aktion ein Novum. Letztlich waren wir beide nicht unzufrieden mit dem pinkfarbenen Streifen, der von der Stirn bis zum Nacken mein kammartig hochgestyltes Haar zierte. Die Metallringe an Augenbraue, Nase und Unterlippe waren – zugegeben – nicht geschlossen, sondern nur geklemmt, zwickten aber trotzdem heftig. Das enge T-Shirt mit dem Konterfei einer Girlsgroup wirkte ein auf dem von Lebenserfahrung und anderen leckeren Kleinigkeiten proportionierten Leib ein wenig straff und vorsichtig zog ich es immer wieder hinunter zum breiten nietenbeschlagenen Gürtel. Dafür waren aber die Rissstellen und Löcher in der abgewetzten Jeans echt. Die zentimeterdicken Plateausohlen hoben mich zudem soweit an, dass ich meinem jüngsten wieder einmal hätte in die Augen sehen können.
Ich schien mir selbst als ausgesprochene Zierde meiner Generation geraten zu sein, als ich solchermaßen ausstaffiert am Schultor Position bezog, um meinen Sohn von der Schule abzuholen und nach Hause zu begleiten.
Ich war mir absolut sicher, dass er ob eines so modern denkenden und sich aktuell angepassten Vaters freuen würde. Auch wenn es – zugegeben – sehr viel persönliche Überwindung gekostet hat, so wollte ich doch allen Freunden meines Sohnes demonstrieren, dass er modern denkende Eltern besitzt.
Nach Betätigung der Schulglocke strömten die Massen aus dem Gebäude. Ich musste eine Unmenge von Kommentaren über mich ergehen lassen, wobei durchaus nicht alle wohlmeinend waren. Lässig, mit offenem Mund Kaugummi zwischen den Zähnen zermalmend, ließ ich es über mich ergehen.
Nur meinen Sohn habe ich nicht zu Gesicht bekommen.
Zuverlässigen Quellen zufolge hat er an diesem Tag das Schulgebäude durch das Toilettenfenster der rückwärtig gelegenen Hausmeisterwohnung verlassen, ist durch zwei Vorgärten geschlichen, um dann über ein kleines Gewerbegebiet in eine abseits gelegene Nebenstrasse auszuweichen.
Seit diesem Tag hat sich eine Wandlung vollzogen. Wenn ich im tristen Grau daherstolziere und abgelegte und selbst für modisch anspruchslose Männer öde Freizeitkleidung trage und nicht schnell genug reagieren kann, um die auch mir nicht geheuerlichen Bergmusikanten im Radio abzuschalten, wird mir doch immer wieder von meinen Kindern bestätigt, was für einen modernen und zeitgemäßen Vater sie doch hätten.....