- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 5
Endlich am Ziel
Chaos.
Chaos war das erste was sie wahrnahm. Und Schmerzen. Sie sah ein Haus. Und sie spürte das Chaos, dass es wie eine Glocke völlig zu umschließen schien. Doch auch Luna war stark, sie hatte den Höhepunkt ihrer Macht fast erreicht und Vior’La fühlte ein inneres Zerren, dass sie zu rufen schien.
Und da war auch noch etwas anderes. Schwach, aber noch nicht ganz vertrieben. Etwas dass Luna sehr ähnlich war und sich doch ebenso sehr von ihr unterschied, etwas verwandtes.
Dann sah sie die Elfen. Noch nie hatte sie so viele an einem Ort gesehen. Und plötzlich spürte sie sie. Sasha war auch hier, und sie kämpfte! Verbissen wie der Wolf, dessen Blut auch in ihren Adern rann ließ sie nicht ab von ihrem Gegner. Und sie kämpfte nicht alleine, alle anderen Elben waren ebenso in Kämpfe verstrickt, sei es gegen die Diener des Chaos oder gegen sich selbst.
Völlig verwirrt wachte Vior’La auf. Ihr Atem ging schwer und für einen Moment war sie ein wenig orientierungslos. Dann spürte sie erneut dieses Ziehen. Sie hatte es sich also doch nicht eingebildet. Nachdem sie sich auf der Laurenburg Luna sehr fern gefühlt hatte, spürte sie ihre Macht nun um so deutlicher.
Sie erhob sich aus ihrem Bett, an Schlaf war jetzt sowieso nicht mehr zu denken. Vorsichtig goss sie Wasser in die Waschschüssel und wusch sich den Schlaf aus den Augen. Als sie den Blick hob, sah sie ihr Ebenbild im Spiegel einen Moment lang nachdenklich an, fuhr über die dunkelblauen Muster in ihrem Gesicht, die ihrem Volk, ebenso wie die blaue Hautfarbe, so eigen waren. Vash’Ya nannten sie sich, die Wanderer der Ebenen. Nachdem Lunia, ihre Heimatebene fast zerstört worden war, und sie die Prophezeiung über ihre Göttin empfangen hatten, waren sie zu dem geworden, Ebenenwanderer, Wanderer zwischen den Welten. Nirgendwo wirklich zu Hause, ständig auf der Suche nach dem Ort, wo SIE sein würde, wo die Nacht von einer strahlenden Scheibe am Firmament erhellt wurde. Bis jetzt, wo sie sie endlich gefunden hatten. Hier auf Dera wurden die Voraussetzungen erfüllt und auch das Gefühl der Nähe zu Luna war stark. Hier waren sie langsam sesshaft geworden, hatten einen Orden gegründet, den Lumen Lunis, das Licht des Mondes. Und nun war Sasha, ihr liebste Freundin und Anwärterin zum Paladin, ausgezogen, das Chaos zu bekämpfen, das Luna so verhasst war und hatte sie hier zurück gelassen. Wie gerne hätte Vior’La sie begleitet, doch wurde sie vom Ältestenrat zurück gehalten. Sie war noch sehr jung, hatte sich als Priesterin ihren Studien zu widmen und durfte sich nicht in Gefahr begeben, auch wenn es sie noch so sehr reizte, ihre Neugier auf diese Welt zu stillen. Und jetzt kämpfte Sasha für Luna und sie war hier und hätte alles gegeben, um bei der Wolfselbe zu sein!
Nachdenklich stellte sie sich an ihr Fenster und sah dem fast vollen Mond entgegen. Da wurde es im Hof lauter und Shas trat mit Phys’Thor, beide Vash’Ya so wie sie und der letztere der oberste der Paladine und anführendes Ratsmitglied, hinaus. Shas nickte und war gleich darauf aus dem Tor hinaus, während ihm Phys’Thor noch eine Weile hinterher sah. Vior’La konnte sich denken, wohin er ging. Er folgte der Weisung, dem Zerren...
Hastig zog sie sich an und rannte aus ihrem Zimmer in Richtung des Hofes. Auf halben Weg kam ihr Phys’Thor entgegen und sah sie tadelnd an. Vior’la senkte den Blick und verbeugte sich respektvoll. Dann sah sie ihn aufgeregt an.
„Bitte, lasst mich mit! Wenn ich gehe, kann ich Shas noch einholen!“ flehend sah sie Phys’Thor an, doch der schüttelte nur den Kopf. „Du hast dich deinen Studien zu widmen und wirst hier bleiben.“ Sagte er ruhig.
„Aber...“ setzte die junge Priesterin verzweifelt an und wollte ihm erklären, was sie spürte, und was er ebenso spüren musste, doch er schnitt ihr sofort das Wort ab.
„Kein Aber! Du wirst hier bleiben und lernen. Außerdem ist es viel zu gefährlich für dich!“ Er nahm sie am Arm und führte sie sanft aber bestimmt zu ihrem Zimmer zurück.
„Ich kenne dich, Vior’La Ta’Lissera Lunis, und deshalb werde ich das hier tun müssen, auch wenn es mir nicht gefällt.“ Er lächelte entschuldigend und schob sie in ihr Zimmer. „Du kennst deine Pflichten und wirst sie erfüllen.“ Damit schloss er die Tür und Vio hörte, wie sich der Schlüssel in der Türe umdrehte. Mit einem leisen Fluchen ließ sie sich auf ihr Bett fallen. Sie konnte nicht hier bleiben! Sie konnte einfach nicht, selbst wenn sie es gewollt hätte. Es war zu stark, sie hörte Lunas Ruf und musste ihm folgen, egal was es kosten würde. Wieder stellte sie sich ans Fenster und zum ersten mal war sie von Herzen dankbar, dass ihr Zimmer nur im ersten Stock lag.
Einen Moment überlegte sie, dann ging sie zu ihrem Kleiderschrank und griff nach ihrer einzigen Hose, die sie behalten hatte, nachdem man sie von einer Templer- zu einer Priester-Novizin gemacht hatte. Für einen Moment verharrte sie und dachte an das Ereignis zurück. Sie war spazieren gewesen, im Park, als sie ein leises Jaulen gehört hatte. Alarmiert war sie dem Geräusch gefolgt und hatte Sasha gefunden, völlig zerschlagen, aus vielen kleinen und nicht wenig größeren Wunden blutend und mit ihren Kräften sichtlich am Ende. Niemand war da gewesen um ihr zu helfen außer der jungen Vash’Ya. Entsetzt hatte sie sich über ihre Gefährtin gebeugt. Man hatte ihr das Verbinden und Behandeln von Wunden beigebracht, doch hatte Vior’La gesehen, dass das alleine hier nicht helfen würde, zu viel Blut hatte die junge Elbe verloren, zu schnell war das Leben aus ihrem Körper gewichen. Vio war nichts weiter eingefallen, als ein Stoßgebet zu Luna zu schicken, sie inbrünstig darum zu bitten, ihre Freundin zu heilen, ihr zu helfen. Alles wolle sie dafür geben, wenn nur Sashas Leben gerettet werden konnte. Zu ihrer Überraschung und großer Freude schien die Göttin Mitleid zu haben. Die junge Priesterin hatte gespürt, wie durch ihre Hände, die sie auf Sashas gelegt hatte, eine reine Kraft floss, die die Wunden langsam geschlossen hatte, den Kreislauf ihres Körpers wieder hergestellt hatte. Anscheinend hatten auch andere diese Kraft gefühlt und waren daraufhin ebenfalls zum Park geeilt. Phys’Thor hatte sie dort knien sehen, und Sasha hatte in dem Moment gerade die Augen geöffnet und zu Vio hoch gelächelt. Auch auf den Lippen des Ratsführers breitete sich ein Lächeln aus.
Nachdem Sasha dann vollends versorgt war und in ihrem Bett lag und schlief, hatte er Vior’La mitgeteilt, dass sie, auf Grund der Nähe zur Göttin, die sie bewiesen hatte, das Templertum aufgeben würde und zur Priesterin ausgebildet werden würde.
Noch einmal lächelte sie im Gedanken daran, dann aber zog sie schnell die Hose über und holte noch zwei Bettlaken und einen Mantel mit Kapuze aus dem Schrank, und zog den Mantel ebenfalls an. Sie musste sich beeilen, denn so wie sie Phys’Thor kannte, würde er in spätestens zehn Minuten wieder vorbeischauen und sehen, ob alles rechtens war. Er kannte sie einfach zu gut!
Schnell knotete sie die Bettlaken zusammen und hoffte, dass sie lang genug waren. Dann suchte sie nach einem geeigneten Platz, wo sie ein Ende anknoten konnte. Ihr Blick fiel auf ihr Bett und die vier Pfosten daran und sie entschied sich, es dort zu versuchen. Selbst wenn es nicht halten würde, würde sie nicht allzu tief fallen...
Vio lehnte sich aus dem Fenster und blickte aufmerksam über den Hof, niemand war zu sehen. Einen besseren Zeitpunkt würde sie nicht bekommen. Sie streifte die Kapuze über den Kopf und warf das andere Ende der verknoteten Laken vorsichtig aus dem Fenster und sah zu ihrer Erleichterung, dass sie lang genug waren. Dann schloss sie die Augen, umschloss den Mondstein an ihrem Hals kurz und holte tief Luft. Das konnte nicht falsch sein, sie tat das Richtige und folgte Luna.
Als sie die Augen wieder geöffnet hatte, kletterte sie auf das Fensterbrett und nahm das Laken in die Hand, um sich langsam die Wand hinunter zu lassen. Sie hatte die ersten anderthalb Meter schon hinter sich, als sie das Geräusch langsam reißenden Stoffes hörte. Vio schluckte schwer und versuchte so schnell es ihr möglich war, den Rest runter zu klettern aber etwa einen Meter über dem Boden gab es ein lautes „rrrratsch“ und ihr Halt gab nach.
Mit einem dumpfen Geräusch landetet sie recht unsanft auf ihrem Hinterteil. Ihr blieb einen Moment lang die Luft weg, teils vor Schreck des Sturzes wegen und teils weil sie befürchtete man hätte sie gehört haben können. Erschrocken sah sie sich um, aber alles war ruhig. Sie rappelte sich auf und schlich, bemüht sich im Schatten zu halten, aus dem Tor hinaus.
Draußen beschleunigte sie ihre Schritte. Sie achtete kaum auf den Weg, denn sie folgte einzig und allein ihrem Gefühl, ließ sich davon leiten. Sie wanderte die ganze Nacht hindurch, vollkommen versunken in Gedanken und dem was vor ihr liegen mochten, vergaß sie jegliches Zeitgefühl.
Als die Sonne langsam den Horizont erklomm, durchquerte sie einen kleine Lichtung und spürte zum ersten Mal seit ihrem überstürzten Aufbruch ihre Müdigkeit. An einer breiten Eiche machte sie halt und lehnte sich an den Stamm. Nun fiel ihr auch auf, dass sie in der Hast weder ihre Schärpe trug noch ihre Tasche mit dem Gebetsbuch mitgenommen hatte. Sie seufzte leise und schloss einen kurzen Moment die Augen.
Als sie sie wieder öffnete, war die Sonne ein großes Stück gewandert und neigte sich langsam ihrem Untergang entgegen, aber auch die Umgebung hatte sich irgendwie verändert, auch wenn Vio nicht mit dem Finger draufzeigen konnte. Und sie spürte Lunas Gegenwart hier wesentlich deutlicher als zuvor und sie fühlte eine Zufriedenheit und Ruhe, die sie nicht erwartet hatte. Auch war das Chaos verschwunden und die Präsenz, die sie auch in ihrem Traum schon wahrgenommen hatte, hatte an Macht gewonnen und schien nun die Wunden zu heilen, die das Chaos hinterlassen hatte.
Lächelnd stand sie auf. Sie verstand nicht ganz, was genau hier passiert war, aber das würde Sasha ihr sicher erklären können. Bei dem Gedanken an die Wolfselfe zuckte sie kurz zusammen. Sasha würde bestimmt nicht sehr erfreut sein, sie hier zu sehen. Sie zuckte resigniert mit den Schultern und setzte ihren Weg fort.
Auch wenn das Chaos besiegt war, spürte sie immer noch ein Ziehen in ihrem Geist, dass sie anspornte, ihr Ziel, auch wenn sie nicht wusste, wo es war, so schnell es ihr möglich war zu erreichen. Sie wusste, dass Luna sie führen würde.
Langsam brach die Nacht herein und mit jedem Moment spürte Vior’La Lunas Macht deutlicher. Heute war Vollmond und die Macht der Hüterin der Nacht auf ihrem Höhepunkt angelangt. Noch sah sie nichts von der silbernen Scheibe am Himmel, doch setzte sie ihren Weg unbeirrt fort.
Mittlerweile war es vollkommen dunkel geworden. Einige Wolken verdeckten das blasse Licht der Sterne doch die junge Priesterin fand ihren Weg. Durch einige Büsche sah sie dann Lichter und wusste, dass sie endlich angekommen war. Auch konnte sie Sasha in der Nähe spüren. Sie beschleunigte ihre Schritte und näherte sich einem Haus, dass eine Taverne zu sein schien. Vor dem Haus stand ein großer Pavillon und darunter stand die Wolfselfe, zusammen mit Silfar, dem elfischen Magier, in tropfender Gewandung.
Sasha sah sie tadelnd an. „Vio, was bitte machst du denn hier?! Lauft ihr mir alle nach?? Shas ist schon wieder weg.“
Entschuldigend lächelnd sah Vior’La Sasha an. „Ich konnte nicht anders. Es ging einfach nicht. Ich musste herkommen, ich habe es gespürt!“
Sashas Blick wurde weicher und sie lächelte. „Ist schon gut.“
Dann begrüßte Silfar, den sie schon etwas länger kannte, die Priesterin und setzte sich auf eine der Bänke. Sasha setzte sich neben ihn und Vio auf eine Bank gegenüber. Silfar, der die ganze Zeit schon ein schelmisches Grinsen im Gesicht gehabt hatte, begann plötzlich einige Formeln zu murmeln und Sasha sprang hastig auf und ein Stück weg von ihm. Als er die Worte ausgesprochen hatte explodierte um ihn herum eine Kugel aus Feuer und Vio wich auf der Bank so weit es ihr mit dem Tisch im Rücken möglich war zurück. Silfar grinste immer noch. Seine Kleidung war nun warm und trocken und er hatte keinen Schaden davon getragen. Als sich ein Elf verwundert deswegen erkundigte, erklärte Silfar etwas von Beherrschung der Magie, das Vio nicht wirklich verstand. Mit Magie hatte sie nicht viel am Hut.
Da sie zu aufgeregt war um zu sitzen erhob sie sich wieder von der Bank und stellte sich neben Sasha, um sie nach den Geschehnissen der vergangenen Nacht zu fragen, als Lunas Präsenz, die sie die ganze Zeit über gespürt hatte, plötzlich um ein vielfaches stärker wurde.
Sasha schien es auch zu spüren, denn sie sah Vior’La ungläubig an.
Vior’Las Herz schlug bis zum Hals und sie berührte ihren Mondstein. Konnte das wahr sein? Täuschte sie ihr Gefühl nicht? Hatte sich der weite Weg gelohnt? Waren sie endlich an ihrem Ziel angekommen?
Langsam drehten sich die beiden um.
Vor ihnen stand eine wunderschöne Frau, klein und zierlich, aber mit einer Aura der Macht umgeben. In ihren Augen leuchteten Sterne und sie war von einem hellen, reinen Licht umgeben. Sie trug ein schimmerndes weißes Kleid und dunkle Haare flossen über ihren Rücken und umrahmten ein überirdisch schönes Gesicht, das ein warmes Lächeln zierte.
Vollkommen überwältigt wankten die angehende Paladine und die Priester-Novizin einige Schritte nach vorne und sanken ehrfürchtig auf die Knie. Luna, sowohl Sasha als auch Vior’La wussten mit absoluter Sicherheit dass sie es war, näherte sich ihnen. Vior’La hatte den Kopf gesenkt und Tränen stiegen in ihren Augen auf. Sie war hier! Die Reise und alle Mühen hatten sich gelohnt!
Vor Sasha blieb die Göttin stehen. „Steh auf!“ sprach sie leise und sanft. Als Vior’La ihre Stimme hörte, erschauerte sie und die ersten Tränen flossen ungehindert über die Wangen. Diese Stimme schien ihr Innerstes zu erreichen, ihre Seele und alles was sie ausmachte, auch wenn sie nicht an die junge Vash’ya selbst gerichtet war. Sie rührte etwas in ihr an, von dem sie selbst nicht gewusst hatte, dass es in ihr verborgen lag. Sie vertrieb den letzten noch so kleinen Zweifel, der ungesehen in ihr geruht hatte.
Langsam erhob sich Sasha und sah Luna zögerlich ins Gesicht. Ein Lächeln erwartet die junge Wolfselfe dort.
„Du hast dich hier bewiesen.“ Begann die Göttin erneut zu sprechen. Vior’La wusste diese Stimme nicht zu beschreiben. Sie klang wie ein Mondstrahl, der in einer dunklen Nacht den Weg erleuchtet, wie der letzte Schimmer Hoffnung in einer ausweglosen Lage, wie die tröstende Stimme einer Mutter. „Du hast den Tod nicht gefürchtet. Du hast für dieses Land und für mich gekämpft. Dafür sollst du etwas erhalten.“
Sie hob ihre Arme und etwas silbrig glänzendes lag darin.
„Nimm dieses Kettenhemd. Es ist aus Mondsilber, dass so hell leuchtet, wie der Mondschein selbst. Trage es, wann immer es etwas zu beschützen und das Chaos zu bekämpfen gilt. Bewahre es gut.“
Sasha nahm das Kettenhemd entgegen und zog es mit zitternden Händen über.
„Das werde ich!“ sagte sie leise, aber nachdrücklich und nicht ohne Stolz.
Vior’La schluchzte leise. Sie freute sich mehr als alles andere für ihre Freundin, die ihr eine treue Gefährtin und ihre liebste Freundin war, seit sie auf dieser Ebene angekommen war. Und endlich wusste sie, wofür sie den weiten Weg gegangen war, obwohl ihr alles immer noch wie ein Traum erschien. Sie wusste nicht, womit sie es verdient hatte, in diesem Moment an Sashas Seite stehen und diesen Augenblick mit ihr teilen zu dürfen. Allein um diese Stimme noch einmal zu hören, ihr Antlitz noch einmal sehen zu dürfen, würde sie alles tun. Ein leises Schluchzen entrang sich erneut ihrer Kehle und noch immer strömten Tränen ungehindert über ihr Gesicht.
Dann wandte sich die Göttin der Nacht der Priesterin zu. Sie legte ihr sachte eine Hand unter ihr Kinn und hob ihren Kopf an. Überrascht und immer noch völlig von ihren Gefühlen überwältig hob Vior’La den Blick und sah ihrer Göttin zögernd ins Gesicht. Ein warmes Lächeln umspielte Lunas Lippen und mit ihrer anderen Hand wischte sie Vior’La sanft die Tränen aus dem Gesicht. Vior’La konnte kaum glauben, was geschah. Ihr war nicht nur die Ehre zuteil geworden, das Antlitz ihrer Göttin erblicken zu dürfen, nein, sie hatte sie auch berührt. Noch nie hatte sie sich so gefühlt, so ganz und gar vollkommen, als hätte ihr ihr Leben lang etwas gefehlt, was sie nun erhalten hatte. Am liebsten wäre sie Luna in die Arme gefallen, hätte ihr gesagt, wie viel ihr das alles bedeutete, doch tief in ihrem Inneren spürte Vior’La, dass Luna es wusste. Noch immer war der Strom ihrer Tränen noch nicht versiegt, als Luna sich wieder einige Schritte von ihnen entfernte und ihre beiden treuen Dienerinnen noch ein letztes Mal liebevoll ansah. Dann war sie verschwunden und die Nacht verdunkelte sich wieder. Als der letzte Schimmer ihrer Präsenz verschwunden war, stieß Sasha ein tiefes Heulen aus und als stummes Echo sprach Vio in Gedanken ein Gebet an die Herrin der Nacht, in das sie all ihre Gefühle, ihr Dankbarkeit, ihre Treue und ihre Liebe legte.
Sie verstand nur zu gut, was Sasha jetzt fühlte. Nun war die Kriegerin in den Stand des Paladins erhoben worden und das nicht von Phys’Thor und den anderen Ratsmitgliedern, sondern von Luna selbst, der Göttin, der sie, wie Vior’La auch, ihr Leben verschworen hatte. Sashas Heulen verklang und sie sah hinunter zu der aufgelösten Priesterin. Lächelnd reichte sie ihr die Hand und half ihr auf. Erst jetzt nahm Vior’La ihre Umgebung wieder wirklich wahr. Einige Augenblicke sahen sie sich an, beide ungläubiges Staunen, aber auch unbändige Freude im Blick und langsam versiegten Vior’Las Tränen. Sasha fand als erstes ihre Worte wieder.
„Ich kann es nicht glauben...ich....“ murmelte sie leise und Vior’La nickte nur, immer noch nicht in der Lage, ein Wort zu sprechen. Gefühle und Gedanken flogen in einem wirren Wirbel in ihrem Kopf umher und sie konnte ihnen keinen Ausdruck verleihen, nur hoffen, dass Sasha sie verstand. Sie standen einige Momente schweigend beieinander, bis Vio dann auch zu sprechen begann.
„Sie ist hier, Sasha, sie ist hier!“ hauchte sie atemlos und wieder rannen Tränen über ihr Gesicht. Sasha lächelte nur, nahm sie in den Arm und drückte sie wortlos. In diesem Moment wich die Anspannung endlich von Vior’La und langsam begann sie zu verstehen, was vor einigen Augenblicken geschehen war. Sie lösten sich wieder voneinander und sahen sich lächelnd an und ein leises, glückliches Lachen ertönte von Vior’La.
Sie gingen hinaus auf die Wiese und nun endlich sah man den Vollmond leuchtend am Himmel stehen. Vior’La sank erneut auf die Knie und dankte Luna in einem stummen Gebet und Sasha ließ wieder ein wölfisches Heulen erklingen.