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Enden

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21.04.2014
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Enden

Die Tür zum Atelier war unverschlossen, ich stieß sie langsam auf. Schwer zu sagen, warum ich mich nicht bemerkbar machte. Ich hatte ein ungutes Gefühl, schlich unter ihren Gefangenen weiter, Holzplastiken, alles Frauen, die in einer Art Voliere von der Decke hingen. Ich bemerkte Raela durch den Raumteiler aus alten Obstkisten hindurch. Sie kniete auf dem Metallbett, in dem wir uns so oft aalten. Ich schritt unbemerkt näher. Schweiß auf ihrer Haut ließ sie glänzen wie eingeölt. Ihre Augen verbarg sie hinter den Händen, als wolle sie der Welt den Zutritt verwehren. Dann glitten die Finger über ihr Gesicht, bis sie das leicht erhabene Kinn erreichten, wo sie verharrten und die kleine Narbe verdeckten. Raela atmete geräuschvoll aus, betrachtete den leblosen Mann, der unter ihr ruhte, packte dessen Ohr und drehte seinen Kopf von links nach rechts - seidene Speichelfäden fielen ihm wie ein Spinnennetz auf Wange und Hals. Sie stieg aus dem Bett, griff nach Boxershorts, die achtlos auf dem Boden lagen, und wischte sich mit ihnen zwischen den Beinen ab.
»Christoph?«, erschreckte ich sie und gleichzeitig mich selbst. Ich trat vor, erkannte, dass es ihr Ehemann war, der dort lag. »Er ist tot!« Mein Blick blieb kurz an seinem erschlafften, feuchten Glied hängen, was mir einen Stich versetzte.
Sie zuckte zusammen. »Ja«, sagte sie.
Ich wollte nachsehen, zögerte jedoch. »Was ist passiert?«
Raela sah mich nur an. Wunderschön war sie, mit ihrem braunen Haar, das ihr ovales, blasses Gesicht umspielte. Haare wie Kringel, die man auf Papier malt, während man mit Gedanken ganz woanders ist.
»Verdammt, Raela! Sag was!«
Sie rührte sich nicht.
»Erst fickt er dich, dann krepiert er einfach, oder was?« Ich hüllte jedes Wort in Speichefetzen, die ich in ihre Richtung spie, bevor ich kurz auflachte. Ein schrilles, verrücktes Lachen.
»Sch«, sagte sie, einen Finger über ihren Mund gelegt.
»Was hast du gemacht, hm? Sag's mir! Ihn totgelutscht?«
»Hör auf!«
»Hör auf? Spinnst du?« Ich schüttelte den Kopf. »Du sagst mir, was passiert ist!« Mein Blick huschte zu dem Toten, strich erneut über sein Glied.
Sie legte den Kopf nach hinten und blickte nach oben.
»Rael...«
»Okay«, sagte sie, stemmte trotzig ihre Hände in die Hüften: »Ich hab ihm ein Kissen aufs Gesicht gedrückt. Zufrieden?« Das Zufrieden klang nicht mehr so tough, ihre Stimme brach. Ich schob sie beiseite und betrachtete die Leiche eingehender. Erst jetzt bemerkte ich die Handschellen an Füßen, Händen und Bettpfosten, sah rote, teils blutige Striemen auf der Haut. Ich drehte mich zu ihr um. Sie sah wohl etwas an mir, was ihr nicht gefiel. Reala eilte davon, ihre nackten Füße klatschten auf dem Boden. Ich setzte nach und packte sie am Arm, zwang sie, mich anzusehen. Sie stand eine Hand breit vor mir, es roch nach Schweiß und Seife, in meinen Ohren fiepte ein greller Ton und mein Herz schlug geräuschvoll auf mich ein. Ich schob sie weiter zurück und drückte sie gegen die Wand. »Wieso hast du das gemacht?«
Eine Träne rann ihr die Wange hinab.
»Wieso?«
»Weil ich es musste«, sagte sie, schluchzte und sah mich an. Nie war sie schöner. Ich wollte sie schlagen. Ihr wehtun. Stattdessen streichelte ich über ihr welliges, widerspenstiges Haar, sie wirkte so verletzlich, so unschuldig. Sie bebte. Ich fühlte mich elend. Hatte sie es für mich getan? Für uns? Ich umarmte sie, komm her murmelnd, spürte ihre Brüste. Meine Finger strichen ihren Rücken entlang nach unten, jetzt war ich es, der sagte: »Sch.« Ich löste mich von ihr, hielt ihr nasses Gesicht in Händen, fixierte ihre Augen, fasziniert von den Mustern auf ihren Iriden. In meinem Bauch herrschte Schwerelosigkeit, ebenso in meinem Kopf. »Raela?«, hauchte ich. »Du ... Was ...« Ich presste die Lippen auf ihre, einmal, zweimal, meine Zunge suchte einen Weg. Sie ließ es zu. Ich schmeckte ihre Süße und das Salz ihrer Tränen, die es bis zum Mund geschafft hatten. Sie schluchzte oder stöhnte. Mein Penis rieb an ihrem Bauch, pulsierte, ich konnte nichts dagegen tun. Sie nestelte an meiner Hose, der Knopf sprang auf, dann begann sie zu wimmern. Heulte laut auf. Ich drückte sie fest an mich, bereit, sie gegen jeden und alles auf der Welt in Schutz zu nehmen. Die Gedanken an den Mann im Rücken versperrte ich und legte den Schlüssel weg. Vorerst kein Gedanke mehr an ihn, überhaupt keine Gedanken mehr.

***​

Ich dachte an die Geschütze - obwohl man keine zu Gesicht bekam -, die dem Kanonenplatz seinen Namen verliehen, fragte mich, ob sie jemals geschossen hatten. Bestimmt hatten sie das, eigentlich war es mir aber egal. Mir war vieles egal. Der Job, meine Ex, einfach alles. Ich kam oft hier hoch, trotz des schweren Aufstiegs. Meine Daumen schoben sich unter die Trageriemen, als wöge der Rucksack schwer, er verbarg jedoch nur eine Flasche Wasser und einen angelesenen Roman, bei dem ich nicht weiterkam, den ich nicht mochte und trotzdem mit mir herumschleppte. Ich weiß auch nicht warum. Die Mauer war unbequem, der Schmöker lag wie immer an meiner Seite und die Füße baumelten vor und zurück. Bleierne Wärme und tief hängende Wolken drückten auf Mensch und Land. Ich sah Richtung Horizont, nicht nach unten, nicht dorthin, wohin es die Beine zog.
»Hannes? HANNES!«
Ich drehte mich um. Die Frau auf der Bank kreischte, der vollbärtige Mann daneben kippte langsam zur Seite wie ein Penner, der zu viel getankt hatte. »Hilfe«, rief sie und: »Hannes«, und: »Oh Gott« und dergleichen. Ich dachte an Infarkt oder Insult, als ich zu ihnen rannte. »Ich bin Arzt«, sagte ich und mein Gesichtsfeld schrumpfte auf den Bärtigen zusammen. »Hallo, H-a-l-l-o!«, schrie ich ihn an, trommelte grob mit Fingern auf seiner Brust. Ich fragte: »Ist er Diabetiker?«, während ich ihm den Kiefer runterklappte und seine Mundhöhle inspizierte, »Herzerkrankungen?«, während mein linkes Ohr über seine geöffneten Lippen schwebte, eine Hand auf seinem Bauch. »Sind sonst irgendwelche Krankheiten bekannt?« Ich suchte nach einem Puls. Nichts. »Nein«, und »Nein«, und »Heuschnupfen«, hatte ich sie sagen gehört. Den Mann packte ich am Kragen und zog ihn auf den kiesgesäumten Boden. Jetzt blickte ich in die erschrockenen Gesichter um uns. Die Frau sagte: »Oh Gott!«, hielt sich den Mund, ich beachtete sie nicht weiter.
»Du!«, weckte ich einen Jugendlichen mit weißen Kopfhörern, die er wie ein Sklavenring um den Hals trug. »Ruf' Hilfe, einen Notarzt, ja!«, und ehe ich noch jemanden aussuchen konnte, kniete eine Frau aus der Menge nieder und berührte meine Hand. Raela. Konsterniert sah ich sie an.
»Ich helfe ihnen«, sagte sie.
Bevor ich etwas zu erwidern im Stande war, schloss sie ihre Lippen um die Nase des Mannes und pustete Luft in den nach hinten gekippten Schädel. Ich drückte. Wir waren ein gutes Team, wie im Rausch. Erst das Martinshorn heulte uns in die Nüchternheit zurück. Es half letztendlich nichts, auch der Notarzt füllte kein Leben mehr in die leere Hülle. Der Mann war für immer fortgegangen und es fühlte sich so an, als hätte er ein klein wenig von mir mitgenommen.

Wir bestellten Wodka, in einer nahegelegenen Kneipe, während wir uns damit trösteten, richtig gehandelt zu haben, und dass man eh nie wisse, wie ein Reanimierter zurückkehrte. Dass er womöglich froh sein könne, bla, bla, bla.
Als Raela zum Wein überging und ich zum Hefe, wurde das Gespräch zunehmend interessanter. Sie erzählte von ihrer Kunst, Ein Käfig voller Frauen - sie stellte aus -, von ihrer Zeit als Krankenschwester und ihrem großen Traum, mit dem Fahrrad quer durch Finnland zu reisen.
»Durch Finnland?«
»Ja«, sagte sie.
»Wieso denn Finnland?«
»Keine Ahnung, ich habe eine Doku über Finnland gesehen, und einiges gelesen. Das hat mich einfach verzaubert.« Sie lachte und spielte mit einer Locke. »Und bevor du fragst, nein, ich bin kein Radcrack, ich habe nur ein altes Damenrad und das steht platt im Keller rum.«
»Okay.« Jetzt lachte ich. »Klar, warum auch nicht, mit ’nem platten Damenrad durch Finnland. Immerhin trampeln dich dabei keine Touris nieder, oder?«
»Eben.«
Wir stießen an und spätestens in diesem Moment war es um mich geschehen. Da war diese Traurigkeit in ihrem Blick - mit Augen wie gemalt -, Haare voller unbändigem Eigensinn, das Muttermal am Nasenflügel und die feine Narbe an ihrem Kinn. Ich zeigte darauf.
»Ach, aus der Kindheit«, sagte sie und rieb darüber.

Wir nahmen ein Taxi zu ihrem Atelier. Ich war beeindruckt von ihren Werken. Bilder in grellen Farben, Bilder ohne Farben, schwarz und weiß. Betonskulpturen und Plastiken in Metall. Frauenmotive, dick und dünn, ausdruckslos in ihren Gesichtern - schwer zu deuten.
Ich steckte den Finger zwischen die Gitterstäbe eines Vogelkäfigs, indem ein Mädchen kauerte. Ich bemerkte weitere Gefängnisse aus Draht und Eisen. »Wieso hälst du die Frauen alle gefangen? Wieso das Mädchen hier?«
»Ich mach' das nicht. Vielleicht hält sie das Leben gefangen. Muster, Erinnerungen ...«
»Männer?«
»Ja. Kann sein.« Sie hob die Brauen für einen Moment. »Oder sie sich selbst.« Sie stand jetzt nah neben mir. Ihr Haar duftete wie Heu.
»Siehst du?« Reala sperrte die Käfigtür auf. »Sie könnte einfach raus.«
»Hm.« Ich schloss die Tür wieder.

Wir unterhielten uns über meine Arbeit in der Rehaklinik, Bandscheibenvorfälle und Hüftprothesen. Ich hatte nicht die geringste Lust darauf. Wir sprachen über eine ihrer Vernissagen, über Erfolge und Misserfolge. Ich kannte mich nicht aus mit der Kunst, das spielte aber keine Rolle. Sie öffnete eine Flasche Faustino, wir tranken weniger als ein Glas, bevor wir zum besten Sex meines Lebens übergingen.
Der Verstorbene hatte mir etwas genommen, hinzugewonnen hatte ich mehr. Und es sollte noch viel mehr werden.

***​

Eine Erinnerung bohrte oft in mein Bewusstsein. Das KaiKa, ein nettes Café, in dem ich öfter saß, meist zum Lesen. Raela war ich hier noch nie begegnet, bis zu diesem Montag. Christoph hatte sie begleitet - ich hatte ihn das erste Mal gesehen, ausgefüllte Jackettärmel, flacher Bauch, Ray Ban auf der Nase - ein Klischee, hatte ich gedacht.
Als sie mich sah, weiteten sich ihre Augen, nur für einen Moment, kaum wahrnehmbar. Mein Mund wurde trocken, obwohl er voll Cappuccino war. Beinahe hätte ich ihn ausgespuckt. Ich setzte ungelenk die Tasse ab, braune Flüssigkeit schwappte in die Untertasse. Ich starrte Raela an - beinahe hätten meine Lippen ihren Namen geformt -, glaubte Christophs Blick zu spüren, durch die dunklen Gläser seiner Sonnenbrille, und tat so, als richtete ich meine Aufmerksamkeit wieder der Straße zu, zwang mich, der Dame mit Rollator nachzuschauen, die gebeugt und mit sich selbst plappernd ihrer Wege schlich. Der Schmöker - ich kam einfach nicht weiter mit ihm - lag in meiner Hand. Ich las Satz um Satz, ohne den Inhalt zu begreifen. Spürte Raela im Rücken, fühlte mich wie auf einem Podest. Mein Cappuccino wurde kalt, zu trinken traute ich mich nicht.
Ich wollte zahlen, suchte den Kellner mit Gesten, er schien mich zu ignorieren. Aus den Augenwinkeln sah ich sie, zwei Tische hinter mir.
»Ich möchte gehen«, hörte ich sie sagen. Es war, als könnte ich alle Geräusche ringsum ausblenden.
»Wir sind doch eben erst gekommen«, seine Stimme klang sonor, ich hasste sie..
»Mir geht's nicht gut.«
»Auf ein Mal? Was ist denn?«
»Keine Ahnung, Kopfweh.«
»O-k-a-y, willst du ein Wasser?«
»Nein, ich will gehen!«
»Hey, ich möchte aber bleiben, nur auf einen Kaffee, ja?«
»Dann bleib doch!«, sagte sie. Ich hörte, wie erst ein Stuhl, dann der zweite zurückgeschoben wurde. Reala eilte Richtung Gehweg, er hinterher, schnappte ihren Arm - ich wäre am liebsten aufgesprungen und hätte ihm eine verpasst.
»Was ist denn?«, fragte er sie.
Sie riss sich los und rieb eine Stelle an ihrem Kinn. »Mir geht's einfach nicht gut! Kapierst du das nicht? Idiot!«
Ich sah, wie er die Zähne fletschte und nach ihr grapschte, dann sprang ich auf, sie sah es, schüttelte den Kopf. Er drehte sich zu mir um, erhob einen Finger. »Was?«, rief er mir zu. Noch bevor ich etwas erwidern konnte, packte Raela ihren Mann am Arm, zog daran und sagte: »Komm. Lass uns gehen.« Er taxierte mich, ich war unfähig etwas zu sagen oder zu tun. »Komm, bitte«, sagte sie und er ließ sich von ihr wegziehen. Ich stand da wie eine Galionsfigur ohne Schiff, sah, wie er immer wieder den Kopf zu ihr drehte - einmal auch nach mir -, sie ansprach oder schrie, Raela blickte nur nach vorne. Ich fühlte mich feige. »Darf's noch was sein?«, fragte der Kellner. Ich zuckte zusammen, bemerkte viele Blicke auf mir ruhen. »Zahlen bitte«, sagte ich und nahm wieder Platz. Meine Schläfen pochten und ich fragte mich, wohin sie wohl gingen. Was sie noch tun würden. Ich schämte mich dafür.

***​

Ich liebte es, wenn sie mir den Nacken streichelte, genau so, wie sie es tat, als sie mich fragte, was mein letzter Wunsch wäre, ginge die Welt unter.
»Ich weiß nicht«, sagte ich, »Das.«
Sie wollte wissen, was ich meine.
»Na du und ich, so, wie wir jetzt liegen. Du löffelst mich, streichelst mich und wir bewundern gemeinsam den Lichtblitz und die Rauchsäule, die sich bis in den Himmel schraubt, bevor alles vorbei ist.«
Sie lachte und fragte, ob ich nicht eher an Sex dachte, während sie mir auf die Schulter schlug.
»Nein«, sagte ich. Und nach einer Pause: »Na ja.« Ich grinste. Presste ihren Arm an meine Brust. »Der Sex ist schon toll ...« Ich hob meinen Kopf, um sie sehen zu können, schaffte es jedoch nicht ganz. »Ich liebe dich, Raela«, sagte ich in ihre Richtung.
Sie blies mir kühle Luft ins Haar, Gänsehaut überzog mich, dann trafen feuchte Lippen die Stelle, an der ein Halswirbel die Haut wölbte.
»Ich weiß«, sagte sie.
»So, das weißt du also?«
»Natürlich.«
Ich drehte mich um - unsere Knie berührten sich -, spielte mit einer ihrer Locken, zog sie durch meine Finger und ließ sie zurückschnappen, als wäre sie aus Gummi. »Ich will, dass wir zusammen sind. Wir gehören zusammen.«
Raela schloss die Augen. »Ich will das auch«, sagte sie.
»Was hindert uns denn? Wir packen unseren Kram und hauen ab. Ich fasste an ihr Kinn, sie hob ihren Kopf nicht.
»Du weißt es.«
»Scheiße!«, sagte ich. »Er kann dich nicht festhalten.«
»Ich weiß.«
»Du musst an dich denken, an dein Leben. Du hast nur eins, weißt du!«
»Ich weiß.«
»Ja, und?«, fragte ich.
»Was und?«
Ich schnaubte und sprang aus dem Bett.
»Ich liebe dich«, sagte sie.
»Das reicht mir aber nicht!«, schrie ich sie an. Ich begann mich anzuziehen. »Du fickst ihn immer noch, oder?«
Sie blickte zur Decke, kratzte an ihrer Narbe am Kinn.
»Also fickst du mit ihm. Oh Mann!« Meine Füße kämpften mit den Socken. Weg, ich wollte nur weg.
»Hör mal ... hey ...« Raela berührte mich am Bein, ich sah sie wütend an.
»Gib mir etwas Zeit, ja«, sagte sie.
»Fuck! Wie viel Zeit denn noch? Reichen acht Monate nicht? Weißt du, ich glaube dir nicht mehr! Du willst dich nicht trennen. Ich bin doch nur ein Nebenfick, stimmts nicht? Zum Zeitvertreib! Ein Nervenkitzel!«
»Ich liebe dich!«, sagte sie.
»Und wieso verlässt du dieses Arschloch dann nicht einfach? Ich glaube dir kein Wort!«
»Wir haben ein Kind verloren.«
Ich hielt inne. »Ihr habt ein Kind verloren?«
»Ja.«
»Du warst Mutter?«
»Ja«, ihre Stimme klang monoton, als sie weitersprach, »Steven war vier.«
»Okay.«
»Christoph hatte eine schwere Zeit. Ich glaube, es war noch schlimmer für ihn, als für mich, wenn so was überhaupt geht.« Sie schnaubte. »Das hat alles verändert, er hat sein Kind verloren, dann seine Arbeit, sich selbst. Und mich ... Mich hat er auch verloren.« Sie schluchzte. »Es würde ihn umbringen, wenn ich ihn jetzt auch noch verlassen würde, ich hab Angst um ihn. Und ja«, sie schrie jetzt, »ich habe ihn einmal sehr gemocht. Er war ein guter Mann! Sorry, wenn du das nicht hören willst. Aber es war so! Halte das mal aus!«
Ich sah sie nur an.
»Er hat den Wagen gefahren und es vergeht kaum ein Tag, an dem er nicht mit sich ringt, ob er Steven folgen soll, da half auch keine Therapie und keine verfickten Pillen! Scheiße! Und ja, gottverflucht!, ich hab mich in dich verliebt, auch wenn ich noch verheiratet bin. Obwohl ich noch verheiratet bin!« Tränen rannen an ihr herab, sie wischte sie ungestüm ab. »Also gib mir ein wenig Zeit! Bitte!«
Ich setzte mich.
»Ich finde schon einen Weg! Meinen Weg, okay?«
»Oh Mann«, sagte ich und rieb mir die Stirn. »Wieso muss das alles so beschissen kompliziert sein, hm? Warum können wir nicht einfach ...«
»Was?«
»Na ja ...« Ich legte eine Hand auf ihre Wange. Raela sah aus wie erstarrt, wie eine dieser Wachsfiguren.
»Das war ... ist schwer für dich«, sagte ich.
»Du hast keine Ahnung.« Sie schüttelte den Kopf, nahm meine Hand von ihrem Gesicht. »Keine Ahnung davon, wie es für mich war, du weißt gar nichts!« Jetzt sprang sie aus dem Bett. Ihr Zeigefinger zielte in meine Richtung. »Niemand macht mich mehr fertig! Weder Gott noch sonst wer. Auch du nicht!« Ihr Finger schlug einen Takt. »Ich entscheide, was richtig und falsch ist! Ich! Und ja, es ist mein Leben! Das geht auch verfickt niemanden was an! Und wie es mit Christoph weitergeht, entscheide auch ich! Nicht mal er selbst! Nie wieder wird er das!«
Reala stürmte ins Bad und knallte die Tür hinter sich zu. Ich wollte nachsetzen, ließ es aber. »Raela«, rief ich, doch sie antwortete nicht.

***​

Monate wie Jahre, Monate wie Tage. Ich verbrachte die glücklichste, traurigste, wütendste, leidenschaftlichste Zeit meines Lebens - Achterbahn der Gefühle. Ich aß so gut wie nichts mehr, hatte Ärger bei der Arbeit, meldete mich öfter krank, ertappte mich dabei, wie ich mir wünschte, ihr nie begegnet zu sein, und verfluchte mich sofort danach dafür. Wir hatten Wochenenden in Prag, Saarbrücken und Breisach - ganz egal -, wir nutzten kostbare Zeit mit Zärtlichkeiten, Sex und schönen Worten, wir verplemperten Zeit, mit Streit und Vorwürfen, Forderungen und Garstigkeiten. Es war unwirklich, verrückt und wundervoll.

Die Stimme auf der Mailbox forderte mich auf, heute nicht ins Atelier zu kommen. Ich ging trotzdem hin. Raela hatte das gewusst, dessen bin ich mir sicher.
Die Tür war unverschlossen, ich stieß sie langsam auf. Ich hatte ein ungutes Gefühl, schlich unter ihren Gefangenen weiter, Holzplastiken, alles Frauen, die in einer Art Voliere von der Decke hingen ...
Was ich aufgestoßen hatte, war die Tür zum letzten Kapitel: Die Zeit war gekommen.

***​

Schließlich stellten wir uns, nein, Raela stellte sich. Ich begleitete sie. Wir gaben unsere Aussagen ab, jeder in einem separaten Raum. Die Ermittlungen gegen mich wurden bald fallengelassen. Den Gedanken an Flucht hatten wir nie zu Ende gedacht, nie ernsthaft in Betracht gezogen.
Während der Verhandlung sagte sie kaum ein Wort. Sie sprachen von Vorsatz und davon, dass sie ihren Mann für den Tod des Kindes verantwortlich gemacht hatte und vieles mehr, auch von mir, klar. Meine Zeugenaussage änderte nichts. Raela nahm das alles scheinbar gleichgültig hin.
Ich glaube, sie hat sich einfach einem Schicksal ergeben. Ich sah es an ihren Augen. Ich sah, dass sie nicht kämpfen wollte. Nicht mehr. Ich sah Schuldgefühle. Mit mir redete sie nie wieder. Warum, weiß ich nicht. Einmal drehte sie sich während der Verhandlung zu mir um und formte etwas mit den Lippen. Ich liebe dich, las ich heraus, aber vielleicht bildete ich mir das nur ein. Auf meine Briefe hat sie nie geantwortet. Auch nicht auf Postkarten mit Finnland- oder Fahrradmotiven. Manchmal habe ich Angst um sie. Ich habe oft Angst um sie. Letztendlich ist sie fortgegangen und hat viel mehr mitgenommen, als ich eigentlich aushalten kann. Das Buch habe ich übrigens fertig gelesen. Es wurde nicht besser, aber immerhin habe ich es zu Ende gebracht.
Ob zu mir irgendwann ein Notarzt kommen wird, weiß ich nicht. Ob mich wer reanimieren wird, ob und wie ich daraus erwachen werde, weiß ich ebenfalls nicht. Es ist mir auch egal. Ich werde einfach warten, und sehen, was die Zukunft bringt.

 

Hej hell,

warum sich noch niemand hier deiner Geschichte angenommen hat, ist ungewöhnlich.
Denn es ist nicht so schön, wenn ich als erste mitteilen muss, dass sie mir nicht so wahnsinnig nahe ging. Also vom Rhythmus und Stil her ist sie gut zu lesen. Sie scheint auch rund und stimmig zu sein, aber mir reicht das leider nicht.
Und wegen all der positiven Elemente klingt das umso fieser, wenn ich es eigentlich gar nicht objektiv begründe. Ich mag die Protagonisten nicht, ich kann die Zufälle nicht leiden, in denen sich Szenen aufschlüsseln, sie sich begegnen, seine "Liebe" und "Leidenschaft" erreicht mich nicht, wirkt künstlich, die Dialoge aufgesetzt.
Ich hoffe, du bekommst noch konstruktive Kommentare.

Herzliche Grüße, Kanji

 
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Hallo Kanji,

na ja, wer veröffentlicht, muss auch damit klar kommen, wenn er auf die Nase bekommt :aua:.

Also vom Rhythmus und Stil her ist sie gut zu lesen. Sie scheint auch rund und stimmig zu sein ...

Das freut mich dann doch, wenn du das so empfunden hast.

Du baust keine Sympathien zu den Protas auf, hm, das war wohl auch nicht meine vorrangige Intension, wenngleich das natürlich auch gewagt ist, klar, denn dadurch entsteht ganz automatisch eine Distanz.
Dass du die Dialoge als aufgesetzt und seine "Liebe" und "Leidenschaft" als künstlich wahrnimmst, ist natürlich ein vernichtendes Urteil - damit haben Texte bei mir dann auch verloren.

Da du benennst, was dich stört, empfinde ich deinen Kommentar schon als konstruktiv und bedanke mich fürs Lesen und deine Gedanken zu meiner Geschichte.

Grüße

hell

 
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Hola@hell,

das ist ja ein Skandal: Deine anspruchsvolle, akribisch ausgearbeitete Geschichte und fast keine Resonanz!
Könnte mir egal sein, aber durch Deinen Komm zu peregrinas KG bin ich auf Dich aufmerksam geworden: Da schreibt einer, der nicht blendet, sondern etwas zu verkaufen hat!

Und so empfinde ich Deinen Text hier. Ich verspüre beim Lesen des Autoren Willen zu hoher Qualität; ich glaube, die Arbeit und Sorgfalt zu empfinden, die in allen Details steckt. Alle Bestandteile einer guten KG finde ich hier vor – und wenn ich hier und da stutze, stocke oder mich wundere, dann soll das für mich kein Grund sein, Korrekturen einzufordern.

Es ist einfach so, dass es so furchtbar konstruktiv nicht sein kann, wenn ich meine Ansichten zum besten gebe. In erster Linie muss (und will) ich annehmen, dass der Autor alle Möglichkeiten erwogen hat, um das bestmögliche Resultat zu erzielen. Daraus ergibt sich Respekt vor der Leistung.
Und da es nicht möglich ist, die Gedanken des Autoren und seine Vorstellungen so tief zu ergründen, dass ich etwas dazu sagen könnte, gehe ich gern davon aus, einen ausgereiften, hundertmal überarbeiteten Text lesen zu dürfen, der das Maximum darstellt.

Ich denke daran, einmal die Frage zu stellen (Blog), ob die Güte, der Erfolg einer KG durch die Höhe der ‚Zähler’ gemessen werden kann (soll). Ein Punkte-System fände ich dienlicher.
Wieviel ‚Zähler’ bekommen manche haarstäubenden KGs, weil die Zuschriften überwiegend negativ sind. Da wird dann umgeschrieben – das bedeutet wiederum ‚Zähler’, auch der Titel wird verändert – dito etc.
Für Deine Geschichte würde ich zehn von zehn möglichen Punkten geben. Leider kann ich nur mit einer Zuschrift dienen. Schade.

Hell – habe die Ehre!
José

 
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Hallo hell,

du fährst hier wirklich schwere Geschütze auf. Ein Auftakt mit einem Tötungsdelikt ist für mich heftig, normalerweise halte ich mich von Mord- und Totschlaggeschichten fern. Und doch hat sich deine Geschichte wunderbar lesen lassen. Dein Text wirkt auf mich sprachlich und stilistisch geschliffen und poliert, ja ich möchte sagen, irgendwie aristokratisch.

Trotzdem sind mir sprachliche Stolperstellen aufgefallen, muss nichts heißen, oft sind mundartliche Eigenheiten der Grund für Beanstandungen, die dann doch keine sind. Entscheide selber!

… und wischte sich mit ihnen zwischen den Beinen.
Möglich: und wischte sich mit ihnen zwischen den Beinen ab oder
fuhr sich mit ihnen zwischen die Beine

Christoph?“, erschreckte ich sie und gleichzeitig mich selbst.
Hat mich etwas verwirrt, erst beim Nachlesen habe ich begriffen, wie das gemeint ist.
Vielleicht: entfuhr es mir

Ich drückte. Wir waren …
Vielleicht eleganter: Ich drückte auf den Brustkorb oder bearbeitete seinen Brustkorb?
Sicher weiß jeder Leser, was du sagen willst, aber …

Wir waren ein gutes Team, wie im Rausch.
Den Satz finde ich besonders gelungen, der Vorbote auf die sexuelle Obsession der beiden.
Sehr schön.

Eine Erinnerung bohrte oft in mein Bewusstsein.
Nicht besser: bohrte sich in mein Bewusstsein?

… bemerkte viele Augenpaare auf mir liegen.
Das ist unfreiwillig komisch geraten. Viele Augenpaare auf mich gerichtet oder
viele Blicke auf mir ruhen, kommt besser

Ein Wort zu formellen Sachen. Im Mittelteil, bei der Reanimationsszene, haben sich unterschiedliche Sprecher ineinander verkeilt. Ein Versehen, denn mit Zeilenumbrüchen kennst du dich aus, wie ich weiß.

Die Frau sagte: „Oh Gott!“, hielt sich den Mund, ich beachtete sie nicht weiter. „Du“, weckte ich einen Jugendlichen.

Dann solltest du vielleicht noch mal den Einsatz der Gedankenstriche überprüfen. Bin mir da nicht sicher, ob in jedem Falle das angehängte Komma hingehört.
So, jetzt hab ich genug gemeckert.

Insgesamt hast du da ein sehr feinsinniges Liebesdrama geschaffen. Die handelnden Personen sind für mich greifbar, besonders Reala komme ich sehr nahe. Selbst ihre irrationale Handlung kann ich beim genaueren Hinsehen verstehen. Ich spüre ihre Zerrissenheit, sie hasst ihren Mann dafür, dass er ihr Kind auf dem Gewissen hat. Hasst sich, weil sie nicht die Kraft hat, ihn zu verlassen. Hasst ihren Geliebten, weil er sie unter Druck setzt. Verwirrung, Verzweiflung, Ausweglosigkeit, Totschlag im Affekt (sicher kein geplanter Mord, oder doch?).

Was ich nicht verstehe: Warum hat Reala mit ihrem Mann ausgerechnet im Atelier Sex?
Mir kommt das wie eine Entweihung des Liebesnestes vor.

Übrigens, das Einflechten dieses scheußlichen Romanes empfinde ich als interessanten Kunstgriff. Etwas offensichtlich zwar, aber wirkungsvoll.
Habe mich gefragt, ob dieses Buch einen Titel braucht, mit Bezug zur Geschichte, aber das wäre dann vielleicht etwas plump. Sag mal, was du darüber denkst!

Und was soll ich sagen, anfänglich wollte mir der Titel nicht gefallen. Und nun finde ich ihn intelligent und alles sagend. In ihn vereinen sich all die beendeten Menschenleben, das Ende einer Liebe, das ausgelesene Buch und zwei sinnlos gewordene Existenzen. Genial.

Bevor ich mich hier in Lobeshymnen verliere, beende ich meinen Komm.

Liebe Grüße,
peregrina

 
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Hallo hell,
dein Stil erinnert mich etwas an den Stil eines Autoren, der hier vor längerer Zeit schrieb, und das soll jetzt ein verbrämtes Kompliment sein, denn er schrieb exzellent. Und das sag ich dir jetzt auch einfach mal so.
Du schreibst einerseits sehr, sehr gewählt, du hast andererseits, und das gefällt mir gut, weil es deinen Stil realistischer macht, den Mut, mit den Sprachebenen mal zu brechen, da kommt dann mal eine etwas ungeschliffenere Formulierung oder eine ungewöhnliche Ausdrucksweise daher. Aber gerade das macht für mich den Reiz aus. Ich habe das oft erlebt, wenn jemand nur glatt und hochgewählt schreibt, ohne dass da mal was gezielt "daneben" formuliert wird, aus der Sprachkiste eine Etage drunter rausgesucht wird, dann wirds für mich einfach langweilig.
Mir gefallen aber nicht nur Wortwahl, Satzbau, die gesamte Packung eben, sondern auch die Art, wie du zwischen den Zeiten springst und uns so die Geschichte einer tragischen Liebe enthüllst. Dass du so anfängst, also mit der Entdeckung der Mordszene, Totschlag, was auch immer, das fand ich ausgesprochen gelungen. Weil in dieser Szene alle Facetten dieser verrückten, unglücklichen Liebe stecken. Denn eigentlich ist das ja irgendwie auch widerlich, wenn die vor der Leiche des toten Mannes miteinander schlafen. Der Tote mit seinen Speichelfäden ist ziemlich erbarmungslos gezeichnet, das ist alles schon recht bizarr - und durch die Skrupel des Protagonisten, so wie du sie gegen Ende beschreibst, ist es dennoch glaubwürdig. Ja, alles ist beisammen, um ein Drama zu sein, Charaktere, die nicht eindimensional sind, sondern sehr sehr grau, Tod, Tragik, eine amur foux und ein bisschen was an den Charakteren, dass man sich denken kann, och ne, Jungs, was seid ihr für Duffköppe. So hätt ich das ja nie gemacht. :D Aber das meine ich gar nicht mal negativ, manchmal denkt man sich sowas einfach, weil man mitgeht in der Handlung.

Ich kann nicht sagen, dass mir die Frau besonders sympathisch ist, Das ist vielleicht Geschmackssache, eine Figur muss ja auch nicht sympathisch sein, um glaubwürdig zu sein. Das ist sie nämlich schon. Alle ihre Motive liegen auf dem Tisch. Und trotzdem so ein paar Puzzleteilchen ihres Charakters greifen aus meiner Sicht nicht ganz. Da ist der Kummer über das tote Kind, die Last mit dem Ehemann, den sie nicht mehr liebt, den sie sich aber auch nicht getraut zu verlassen, weil sie befürchtet, dass er sich dann töte, da ist das Hin- und Hergerissensein zwischen Mann udn Liebhaber,
Du gibst als Grund, warum sie den Mann nicht verlässt an, dass sie Angst hat, er könnte sich was antun. Und da ist die Schwäche aus meiner Sicht an dieser Figur.
Es ist halt sehr kurz gedacht, dass sie aus Angst vor seinem Selbstmord ihn nicht verlässt, um dann das gleiche Resultat zu erzielen, indem sie ihn umbringt. Dann hätt sie ja gleich gehen können. Sinn macht dieses Verhalten nur, wenn du sie narzisstischer zeigst, von dem Wahn besessen, Gott zu spielen, indem sie dem Mann die Entscheidung, was er nach dem Abhauen der Ehefrau aus seinem Leben macht, aus irgendeinem Grund nicht überlassen kann und/oder will.
Damit diese Schwäche in der Logik ausgeglichen wird, müsstest du es nachvollziehbarer machen, warum sie glaubt, nicht gehen zu können, um iden Mann zu beschützen, und sich trotzdem seiner entledigt. Entweder müsste da irgendeine nachvollziebare Szene kommen, die dieses Verhältnis zwischen ihr und dem Ehemann ausleuchtet. Oder du müsstest die ganze Frau innerhalb der Geschichte noch ambivalenter und tragischer machen und ja, auch verrückter.
Aus meiner Sicht steckt der Schlüssel dazu eh schon in deiner Geschichte drin: Sie hat ja den Wahn, Schuld und Sühne austeilen zu müssen. Denn die Tatsache, dass sie den Liebhaber ins Atelier, in diese bizarre Sexszene lockt, zu dem toten Ehemann mit seinem verschrumpelten Glied, und auch ihr Verhalten später im Gefängnis, das klingt, als wollte sie sich an dem Liebhaber rächen, ihn strafen für seine Ungeduld, sich selbst freisprechen für ihre Tat. Sätze wie der hier unten sprechen dafür. Aber es gibt noch mehr Stellen.

»Okay«, sagte sie, stemmte trotzig ihre Hände in die Hüften: »Ich hab ihm ein Kissen aufs Gesicht gedrückt. Zufrieden?«
Mir gefällt das sehr gut, dass du ihr Handeln und ihre Motive in diese Richtung treibst. Und gerade deswegen könnt ich mir vorstellen, dass das der Schlüssel zur Lösung für diese eine schwierige oder unklare Sache weiter oben in ihren Handlungen ist, warum sie denn in Gottes Namen ihren Gatten tötet.

Viele Grüße
Novak

 

Hallo hell,
ohne ins Detail zu gehen (da würde ich die Punkte wiederholen, die peregrina schon genannt hat): mir gefallen Sprache, Stil und Aufbau deiner Geschichte. Lässt sich sehr gut lesen und ich habe auch "Bilder im Kopf" (was mir persönlich ja immer sehr wichtig ist...Stichwort "Kopfkino"). Ich muss allerdings auch sagen, dass es mir ein bisschen ging wie Kanji: ich konnte keine wirkliche Sympathie bzw. "emotionale Bindung" mit den Figuren aufbauen. Leider kann ich dir nicht sagen, woran das liegt. Es stört mich aber auch nicht. Klingt komisch, ich weiß.
Ich entschuldige mich an dieser Stelle, dass dies kein besonders konstruktives Feedback ist, sondern einfach nur ein persönlicher Leseeindruck.
LG, KonfuziFen

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo José, peregrina, Novak und KonfuziFen,

nur ganz kurz: Ich habe mich sehr, sehr über euer Feedback gefreut. Euch allen: Vielen Dank schon mal! Es wird mir ein Vergnügen sein, auf jeden Kommentar eingehen zu dürfen, und da ich nächste Woche frei habe, werde ich auch mehr Zeit dafür haben, wird mein Kopf freier sein.
Jetzt gehe ich erst mal wählen, dann geht's zur Arbeit :).

Schönen Sonntag euch

hell

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo José,


zugegeben, nachdem ich durch den ersten Kommentar auf meine Geschichte erst mal abgewatscht wurde, hat mich deiner umso mehr gefreut. Ich weiß gar nicht, wie ich darauf angemessen antworten kann :shy:.
Du hast natürlich recht damit, dass ich mich um hohe Qualität bemüht habe, das machen vermutlich die meisten Wortkrieger hier. Alles natürlich im Rahmen dessen, zu was man in der jeweiligen Entwicklungsstufe eben im Stande ist. Ja, auf dem Text habe ich schon eine ganze Weile herumgekaut, das stimmt, schön dass du die Arbeit dahinter erahnst, was mich allerdings auch nicht wundert, denn du weißt garantiert, wie intensiv so eine Auseinandersetzung mit eigenen Texten sein kann.
Was deine Frage (Blog) anbelangt, ist sicher interessant, so eine Diskussion anzustoßen, allerdings denke ich - völlig abgesehen von meinem eigenen Text -, die Empfehlungsrubrik reicht da völlig aus (hast ja selbst einen sehr guten Text mit drin :)), um auf besonders lesenswerte KGs hinzuweisen. Zudem habe ich mal irgendwann hier gesehen, dass es eine Wahl zur besten Geschichte des Jahres gab oder geben wird, dann gibt es ja noch die Challenges ...; reicht für meinen Geschmack. Ich glaube, das Für und Wider eines Punktesystems wurde auch schon aufgegriffen und diskutiert. Dabei wurde, wenn ich mich recht entsinne, auf die Gefahr hingewiesen, dass sich Kommentare auf bloße Punktevergabe reduzieren könnten. Die Gefahr sehe ich auch, denn gerade die Textarbeit und das intensive Befassen mit den Geschichten, macht die Seite so wertvoll, finde ich. Das gilt insbesondere für schwächere Texte, das ermöglicht Entwicklungsbooster.

Für Deine Geschichte würde ich zehn von zehn möglichen Punkten geben. Leider kann ich nur mit einer Zuschrift dienen. Schade.

Das freut mich natürlich sehr, José, vielen lieben Dank für die Blumen!


José, ich habe die Ehre!


hell


Hallo peregrina,


dir zu antworten, fällt mir nicht schwer. Dass du was mit meiner Geschichte anfangen konntest - obwohl du sonst Mord und Totschlag meidest -, freut mich. Ist ja aber auch weder Thriller, Horror noch Krimi, den du lesen musstest :).

Direkt zu den Stolperstellen:

… und wischte sich mit ihnen zwischen den Beinen.

Möglich: und wischte sich mit ihnen zwischen den Beinen ab oder
fuhr sich mit ihnen zwischen die Beine

Hab' ich geändert.


Christoph?“, erschreckte ich sie und gleichzeitig mich selbst.

Hat mich etwas verwirrt, erst beim Nachlesen habe ich begriffen, wie das gemeint ist.
Vielleicht: entfuhr es mir

Hm, ja, darüber denke ich noch nach. Ich hatte das auch später im Text - dort habe ich umgeschrieben.


Ich drückte. Wir waren …

Vielleicht eleganter: Ich drückte auf den Brustkorb oder bearbeitete seinen Brustkorb?
Sicher weiß jeder Leser, was du sagen willst, aber …

Möchte ich gerne so abgehackt belassen, du schreibst ja selbst, dass der Leser weiß, was gemeint ist.


Eine Erinnerung bohrte oft in mein Bewusstsein.

Nicht besser: bohrte sich in mein Bewusstsein?

Da hast du schon recht. Allerdings neige ich zu diesen sich-Formulierungen und habe diesen den Krieg erklärt. Zwei, drei Sätze später verwende ich sie schon, da wollte ich auch die Wiederholung meiden. Ich glaube, das funktioniert auch so.


… bemerkte viele Augenpaare auf mir liegen.

Das ist unfreiwillig komisch geraten. Viele Augenpaare auf mich gerichtet oder
viele Blicke auf mir ruhen, kommt besser
Stimmt, danke, auch für den Hinweis später, einen Zeilenumbruch setzen zu müssen.


Die handelnden Personen sind für mich greifbar, besonders Reala komme ich sehr nahe. Selbst ihre irrationale Handlung kann ich beim genaueren Hinsehen verstehen. Ich spüre ihre Zerrissenheit, sie hasst ihren Mann dafür, dass er ihr Kind auf dem Gewissen hat. Hasst sich, weil sie nicht die Kraft hat, ihn zu verlassen. Hasst ihren Geliebten, weil er sie unter Druck setzt. Verwirrung, Verzweiflung, Ausweglosigkeit, Totschlag im Affekt (sicher kein geplanter Mord, oder doch?).

Das ist schön, dass das so für dich funktioniert, dass du ihr Handeln nachvollziehen kannst. Ich glaube auch nicht, dass sie die Tötung geplant hat :). Da sind so viele Faktoren, die auf Raela einwirken/eingewirkt haben, die da bestimmt eine Rolle spielen.
Ich denke darüber nach, ob ich da noch etwas nachlegen sollte, dazu werde ich später noch was schreiben, wenn ich Novak antworte.

Was ich nicht verstehe: Warum hat Reala mit ihrem Mann ausgerechnet im Atelier Sex?
Mir kommt das wie eine Entweihung des Liebesnestes vor.

Entweihung des Liebesnestes gefällt mir. Ich möchte eigentlich gar nicht näher darauf eingehen.

Habe mich gefragt, ob dieses Buch einen Titel braucht, mit Bezug zur Geschichte, aber das wäre dann vielleicht etwas plump.

Ja, ein hoffentlich dezenter Kunstgriff, der erfreulicherweise gut bei dir ankam. Ich denke jedoch, ein Titel würde sehr prominent aufblähen, was womöglich störend empfunden werden könnte - zu künstlich eben. Mich würde das stören.


Zum Titel: Ich kann verstehen, dass der nicht unbedingt zum Lesen animiert, aber ja, ich finde ihn sehr treffend. Schön auch, dass er dir im Nachhinein gefallen hat.


Liebe peregrina, vielen Dank für deine Hinweise, deine Gedanken und dein Lob - hat mich alles unheimlich gefreut.


hell


Novak und KonfuziFen, zu euch komme ich auch noch, später ...


Hallo Novak,


ich hatte bereits meine Antwort verfasst, einen Knopf gedrückt und alles war weg. Mist! Dann eben noch mal.

Schön, wieder von dir zu lesen :).
Was du über die Sprache und den Stil anmerkst, sind riesengroße Komplimente für mich. Ich finde, das sind elementare Dinge, wichtiger noch, als Inhalt und Plot. Wenn da nicht die richtigen Töne beim Leser getroffen werden, hat ein Text wohl im vornherein verloren. Ich versuche meist zu lackieren, ein wenig nachzuschleifen, um einen Hauch shabby reinzubringen; anschließend wird poliert. Toll, wenn dir das gelungen scheint.

Mir gefallen ... auch die Art, wie du zwischen den Zeiten springst und uns so die Geschichte einer tragischen Liebe enthüllst. Dass du so anfängst, also mit der Entdeckung der Mordszene, Totschlag, was auch immer, das fand ich ausgesprochen gelungen. Weil in dieser Szene alle Facetten dieser verrückten, unglücklichen Liebe stecken.

Was die Zeiten angeht. Ja, ich finde das sehr interessant, schwierig auch. Wie erzählt man - auf Zeitebene -, was man erzählen möchte. Auf lineare Art und Weise, finde ich meist nicht so spannend. Ich habe da gerne das Bild im Kopf, wie mir wer unvorbereitet seine Geschichte auftischt. Da gibt es meist auch Zeitsprünge, wird was angepappt, erschließt sich vieles erst durch andere Elemente und ergibt gegen Ende (hoffentlich :)) dann doch was rundes. Ähnlich habe ich das hier versucht.
Und ja, das Verrückt-Bizarre wollte ich früh anschneiden.

Ich kann nicht sagen, dass mir die Frau besonders sympathisch ist, Das ist vielleicht Geschmackssache, eine Figur muss ja auch nicht sympathisch sein, um glaubwürdig zu sein. Das ist sie nämlich schon. Alle ihre Motive liegen auf dem Tisch.

Glaubwürdigkeit war mir da auch wichtiger - was schon eine schwere Aufgabe bei ihr war, für mich. So ganz scheint mir das ja auch nicht bei dir gelungen zu sein ...
Da bisher jeder angemerkt hat, dass da nicht gerade viel an Sympathie ist ... hm, werde ich wohl noch mal darüber nachdenken müssen.

Es ist halt sehr kurz gedacht, dass sie aus Angst vor seinem Selbstmord ihn nicht verlässt, um dann das gleiche Resultat zu erzielen, indem sie ihn umbringt. Dann hätt sie ja gleich gehen können. Sinn macht dieses Verhalten nur, wenn du sie narzisstischer zeigst, von dem Wahn besessen, Gott zu spielen, indem sie dem Mann die Entscheidung, was er nach dem Abhauen der Ehefrau aus seinem Leben macht, aus irgendeinem Grund nicht überlassen kann und/oder will.
Aus meiner Sicht steckt der Schlüssel dazu eh schon in deiner Geschichte drin: Sie hat ja den Wahn, Schuld und Sühne austeilen zu müssen. Denn die Tatsache, dass sie den Liebhaber ins Atelier, in diese bizarre Sexszene lockt, zu dem toten Ehemann mit seinem verschrumpelten Glied, und auch ihr Verhalten später im Gefängnis, das klingt, als wollte sie sich an dem Liebhaber rächen, ihn strafen für seine Ungeduld, sich selbst freisprechen für ihre Tat. Sätze wie der hier unten sprechen dafür. Aber es gibt noch mehr Stellen.
»Okay«, sagte sie, stemmte trotzig ihre Hände in die Hüften: »Ich hab ihm ein Kissen aufs Gesicht gedrückt. Zufrieden?«
Mir gefällt das sehr gut, dass du ihr Handeln und ihre Motive in diese Richtung treibst. Und gerade deswegen könnt ich mir vorstellen, dass das der Schlüssel zur Lösung für diese eine schwierige oder unklare Sache weiter oben in ihren Handlungen ist, warum sie denn in Gottes Namen ihren Gatten tötet.

Ich glaube nicht, dass sie geplant hat, ihren Gatten zu ermorden; hab das peregrina gg bereits erwähnt. Deshalb denkt sie vermutlich kurz.
Aber ja, ich verstehe schon, was du meinst. Das habe ich eben versucht, hast du ja auch herausgelesen, darzustellen, dass sie ein wenig verrückt geworden ist - narzisstisch wollte ich sie dann aber doch nicht zeichnen, na ja, vielleicht ein bisschen :). Was sie erlebt hat, dieser Schicksalsschlag und dessen Folgen - das Meiste kann der Leser nur erahnen -, die neue Beziehung ... das hat sie alles (völlig) aus der Bahn geworfen, ja, das wollte ich zeigen. Und zwar aus den Augen des Ich-Erzählers, dem sie sich gg natürlich auch als Liebende präsentieren möchte.
Ich muss darüber nachdenken, das ist ein sehr guter Hinweis von dir - ich habe da auch schon was eingebaut, in der Szene, in der sie vom Schicksalsschlag berichtet; kannst ja mal schauen, wenn du magst.


Novak, dein kluger Kommentar hilft mir weiter (und gibt mir zu denken), deine lobenden Worte haben mich natürlich voll erreicht :).
Vielen lieben Dank für deine Zeilen, deine Zeit und Gedanken, die du investiert hast!


hell


PS: Mich würde noch der Autor interessieren, den du erwähnt hast. Magst du mir seinen Namen verraten?


Hey KonfuziFen,


ich finde es klasse, dass du mir deinen Leseeindruck mitteilst - ist ja das Wichtigste, nachdem man veröffentlicht hat, herauszufinden, wie der Text ankommt. Dass du ihn positiv aufnimmst, freut mich natürlich sehr. Du teilst offenbar peregrinas Ansichten darüber. V. a. dass ich Bilder in dir erzeugen konnte, finde ich großartig. Ich glaube, S. King schrieb irgendwann dazu, dass das wie Telepathie sei, ein kleines Wunder, wenn es gelingt, Bilder zu transportieren, obwohl man nur Buchstaben schreibt. Toll!

Ich danke dir herzlich für deine Worte!


Grüsse


hell

 

Hi hell,

ich schreib mal beim Lesen mit.

Sie kniete auf dem Metallbett, in dem wir uns so oft aalten.
aalten?!

Schweiß auf ihrer Haut ließ sie glänzen wie eingeölt. Ihre Augen verbarg sie hinter den Händen, als wolle sie der Welt den Zutritt verwehren. Dann glitten die Finger über ihr Gesicht, bis sie das leicht erhabene Kinn erreichten, wo sie verharrten und die kleine Narbe verdeckten. Raela atmete geräuschvoll aus, betrachtete den regungslosen Mann, der unter ihr ruhte, packte dessen Ohr und drehte seinen Kopf von links nach rechts - seidene Speichelfäden fielen ihm wie ein Spinnennetz auf Wange und Hals. Sie stieg aus dem Bett, griff nach Boxershorts, die achtlos auf dem Boden lagen, und wischte sich mit ihnen zwischen den Beinen ab.
Ich hab mir hier ein bisschen schwer getan, mir das vorzustellen, rein von der Sprache her. Ich finde, du zeigst hier sehr viel, auch Details, die du womöglich weglassen könntest -also mir ist das hier ein bisschen zu verhaspelt: Ich glaube, die Szene würde gewinnen, wenn du dich aufs Wesentliche fokussierst. Ich dachte erst: Hä? Sex? Leckt er sie? Wieso dreht sie ihn an seinen Ohren?!
Ich fände es eben gut, wenn man als Leser selbst aus der von dir gezeigten Szene schon schlussfolgern könnte, dass der Ehemann tot ist, und das nicht erst dein Prot in der nächsten Szene in den Raum werfen muss.

Ich schob sie beiseite und betrachtete die Leiche eingehender. Erst jetzt bemerkte ich die Handschellen an Füßen, Händen und Bettpfosten, sah rote, teils blutige Striemen auf der Haut.
Nein, das gefällt mir so nicht. Also ich nehme dem Erzähler einach nicht ab, dass er das erst jetzt erkennt. Ich würde das gleich zu anfang einbauen, dass er da gefesselt liegt.

Sie sah wohl etwas in mir, was ihr nicht gefiel.
in meinem Blick?

Iriden
hab ich glaub ich noch nie in meinem Leben gelesen, das Plural von Iris :D

Der Mann war für immer fortgegangen und es fühlte sich so an, als hätte er ein klein wenig von mir mitgenommen.
guter Satz. Allgemein finde ich das Kennenlernen der beiden sehr originell.

Da war diese Traurigkeit in ihrem Blick - mit Augen wie gemalt -
würde ich streichen und genauer beschreiben: Das ist eine abgedroschene Floskel, unter der ich mir als Leser auch nicht so viel vorstellen kann, wie die Augen genau aussehen

»Ruf' Hilfe, einen Notarzt, ja!«, und ehe ich noch jemanden aussuchen konnte, kniete Raela nieder und berührte meine Hand. Konsterniert sah ich sie an.
Kleinigkeit: Da war ich mir kurz nicht sicher, ob Raela die Begleiterin des Sterbenden ist, oder ob sie eine zufällig Herbeigeeilte ist. Ist aus der Situation nicht 100%ig ersichtlich

Und ja, gottverflucht!, ich hab mich in dich verliebt, auch wenn ich hin und wieder Sex mit ihm habe. Aus Mitleid! Und Angst um ihn!«
Ist nur eine Feinheit, ein Gefühl, aber: Ich würde sie nicht mehr mit ihm schlafen lassen. Lass sie mit ihrem Mann weiterhin zusammenleben und lass sie ihn küssen und mit ihm vertraut sein, aber lass sie nicht mehr miteinander schlafen. Und diese Vertrautheit, das Noch-Verheiratet-sein der beiden macht deinen Prot so zu schaffen. Wenn's dem Ehemann von Raela echt so mies geht, wäre für mich nur logisch, dass er keinen Bock auf Sex hat, und sie will es ja eigentlich auch nicht, sie hat sich ja schon innerlich von ihm getrennt, emotional, nur eben nicht offiziell ... nur so ein Gefühl.

Monate wie Jahre, Monate wie Tage. Ich verbrachte die glücklichste, traurigste, wütendste, leidenschaftlichste Zeit meines Lebens - Achterbahn der Gefühle. Ich aß so gut wie nichts mehr, hatte Ärger bei der Arbeit, meldete mich öfter krank, ertappte mich dabei, wie ich mir wünschte, ihr nie begegnet zu sein, und verfluchte mich sofort danach dafür. Wir hatten Wochenenden in Prag, Saarbrücken und Breisach - ganz egal -, wir nutzten kostbare Zeit mit Zärtlichkeiten, Sex und schönen Worten, wir verplemperten Zeit, mit Streit und Vorwürfen, Forderungen und Garstigkeiten. Es war unwirklich, verrückt und wundervoll.
Könntest du meiner Meinung nach auch auserzählen, szenisch zeigen, show don't tell: Wenn man als Leser direkt bei so einer Auseinandersetzung deiner Figuren dabei gewesen ist, dann hat man ein ganz anderes Empfinden deinen Prots gegenüber - dann fühlen sie sich authentisch, echt an; Nacherzähltes gibt einem als Leser zwar die nötigen Infos, die man zum Voranschreiten der Story braucht, aber wirkliche, packende Empathie erzeugst du nur, wenn du wirklich solche prägnanten Szenen auch szenisch zeigst, und den Leser zuschauen und sich selbst seine Meinung bilden lässt.
Wie gesagt, das funktioniert schon, aber szenisch könntest du halt noch mehr aus der Story rausholen - auch, wenn sie dann noch etwas länger werden würde.

Schließlich stellten wir uns, nein, Raela stellte sich. Ich begleitete sie. Wir gaben unsere Aussagen ab, jeder in einem separaten Raum. Die Ermittlungen gegen mich wurden bald fallengelassen. Den Gedanken an Flucht hatten wir nie zu Ende gedacht, nie ernsthaft in Betracht gezogen.
Hier nimmst du viel Konflikt weg.


Jo, hell, finde ich eine feine Geschichte. Nachlegen könntest du noch bei deinen Figuren: Lass die mich als Leser noch mehr kennenlernen, erzähle, wieso Raela Kunst macht, was sie antreibt, was ihre Träume, Wünsche sind, was sie für Eigenheiten hat; und genauso könntest du deinen Erzähler noch genauer beschreiben, nach was sehnt er sich, warum sehnt er sich danach, wer ist er? Er ist mir noch ein bisschen zu blass. Ich finde das halt immer wichtig und auch wunderbar, wenn man nach dem Lesen einer Story wirklich das Gefühl hat, gerade zwei oder drei Personen wirklich kennengelernt zu haben; dass man sie gefühlsmäßig so kennt, wie man einen guten Freund kennt. Und so ist das bei diesen Figuren hier für mich noch nicht, sie sind mir noch einen Ticken zu blass. Das könntest du durch szenisches Erzählen und durch die Erzählstimme des Erzählers, der einfach noch etwas von den Figuren erzählt, noch ausbauen. Auch, dass Raela ihren Mann dann umbringt, kann ich als Leser nicht zu 100% nachvollziehen, weil ich sie eben zuvor nicht so gut kennenlerne, dass ich das hätte kommen sehen oder dass ich das im Nachhinein zu 100% nachvollziehen, verstehen kann.

Aber ich finde es keineswegs eine schlechte Geschichte. Ich mag die Idee und auch die Story an sich, ich hab das gerne gelesen.

Hoffe, meine Anmerkungen konnten dich weiterbringen.

Viele Grüße,
zigga

 

Hey zigga,

schön, dass du dir Zeit für meine Geschichte genommen hast und dir Story und Idee gefallen konnten, freut mich sehr :).

Du pickst gute Punkte heraus, die mich nachdenken lassen. Dafür brauche ich etwas Zeit, um mir das durch den Kopf gehen zu lassen. Ich antworte natürlich noch ausführlicher auf deinen Komm.
Erst mal: Vielen Dank dafür!

Viele Grüße & bis dann ...

hell

 

Hey zigga, ich noch mal ...

Sie kniete auf dem Metallbett, in dem wir uns so oft aalten.
aalten?!
Ich wollte Wortwiederholungen meiden :), aber für mich geht das auch so.

Ich fände es eben gut, wenn man als Leser selbst aus der von dir gezeigten Szene schon schlussfolgern könnte, dass der Ehemann tot ist, und das nicht erst dein Prot in der nächsten Szene in den Raum werfen muss.
Na ja, ich wollte das eben durch den Prot so erleben lassen, ist ja personalisiert hier. Er erkennt das eben nicht auf Anhieb - oder hält es erst nicht für denkbar. Deine Anmerkung hat mich allerdings dazu bewogen, ein bisschen was umzuändern, um das früher klar zu machen.

Ich schob sie beiseite und betrachtete die Leiche eingehender. Erst jetzt bemerkte ich die Handschellen an Füßen, Händen und Bettpfosten, sah rote, teils blutige Striemen auf der Haut.
Nein, das gefällt mir so nicht. Also ich nehme dem Erzähler einach nicht ab, dass er das erst jetzt erkennt. Ich würde das gleich zu anfang einbauen, dass er da gefesselt liegt.
Da der Prot eine eingeschränkte Sicht auf das Szenario hat, passt das schon für mich. Zudem erklärt es unmittelbarer, wie es für Raela möglich war, einen Mann im Bett überhaupt erdrosseln zu können. Ich wollte nicht, dass man da hängen bleibt.

Sie sah wohl etwas in mir, was ihr nicht gefiel.
in meinem Blick?
In seinem Blick, seiner Mimik, Gestik ... Das weiß der Erzähler nicht, da er ja nicht in den Kopf Raelas sehen kann. Trotzdem habe ich was geändert, denn sie sieht ja nichts in, sondern an ihm.

»Ruf' Hilfe, einen Notarzt, ja!«, und ehe ich noch jemanden aussuchen konnte, kniete Raela nieder und berührte meine Hand. Konsterniert sah ich sie an.
Kleinigkeit: Da war ich mir kurz nicht sicher, ob Raela die Begleiterin des Sterbenden ist, oder ob sie eine zufällig Herbeigeeilte ist. Ist aus der Situation nicht 100%ig ersichtlich
Hab ich klarer gemacht, hoffe ich. Danke.

Und ja, gottverflucht!, ich hab mich in dich verliebt, auch wenn ich hin und wieder Sex mit ihm habe. Aus Mitleid! Und Angst um ihn!«
Ist nur eine Feinheit, ein Gefühl, aber: Ich würde sie nicht mehr mit ihm schlafen lassen.
Ja, hast recht. Zudem finde ich es jetzt auch übererklärend - mit dem Mitleid und der Angst. Ich habe das rausgenommen, verändert. Gutes Gefühl, zigga, danke.

Monate wie Jahre, Monate wie Tage. Ich verbrachte die glücklichste, traurigste, wütendste, leidenschaftlichste Zeit meines Lebens - Achterbahn der Gefühle ...
Könntest du meiner Meinung nach auch auserzählen, szenisch zeigen, show don't tell: Wenn man als Leser direkt bei so einer Auseinandersetzung deiner Figuren dabei gewesen ist, dann hat man ein ganz anderes Empfinden deinen Prots gegenüber - dann fühlen sie sich authentisch, echt an; Nacherzähltes gibt einem als Leser zwar die nötigen Infos, die man zum Voranschreiten der Story braucht, aber wirkliche, packende Empathie erzeugst du nur, wenn du wirklich solche prägnanten Szenen auch szenisch zeigst, und den Leser zuschauen und sich selbst seine Meinung bilden lässt.
Wie gesagt, das funktioniert schon, aber szenisch könntest du halt noch mehr aus der Story rausholen - auch, wenn sie dann noch etwas länger werden würde.
Ja, kann schon sein, ich wollte die Szenen zuvor als Show-Elemente repräsentativ verstanden haben. Dachte, da kann ich jetzt nicht wirklich Neues hinzufügen, dachte, das bremst die Story aus. Hm, an dem Punkt überlege ich aber noch ... Danke auch für diesen Hinweis.

Schließlich stellten wir uns, nein, Raela stellte sich. Ich begleitete sie. Wir gaben unsere Aussagen ab, jeder in einem separaten Raum. Die Ermittlungen gegen mich wurden bald fallengelassen. Den Gedanken an Flucht hatten wir nie zu Ende gedacht, nie ernsthaft in Betracht gezogen.
Hier nimmst du viel Konflikt weg.
Das stimmt natürlich, allerdings wollte ich das nicht prominenter darstellen, keine Gewichtung darauf legen. Dieser Konflikt war mir einfach nicht wichtig bei der Geschichte.


Jo, hell, finde ich eine feine Geschichte. Nachlegen könntest du noch bei deinen Figuren ... erzähle, wieso Raela Kunst macht, was sie antreibt, was ihre Träume, Wünsche sind ...
Erst mal: Danke für die feine Geschichte.
Zum zweiten Punkt: Ich habe etwas nachgelegt, da bin ich aber auch noch am Überlegen. Es wurde ja auch von anderen Lesern mangelnde Sympathie angemerkt. Hm ... muss ich nachdenken.


Zigga, klar bringt mich dein Komm weiter. Du hast einen guten Blick und ein gutes Bauchgefühl! Vielen Dank für beides, deine Zeit und deine Gedanken zu meiner Geschichte.


Viele Grüße


hell

 

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