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Ende Juli
Ich war dafür bekannt, meine Opfer unauffällig und lautlos in den sicheren Tod zu schicken. Geduldig wartete ich im Garten, einem Eldorado für Insektenliebhaber wie mich. Die Vorräte gesichert, der Winter in weiter Entfernung. Und die Konkurrenz? Sie schlief offenbar. Glücklich saß ich an der Hauswand, sinnierte über jugendliche Flatterhaftigkeit, nächtliche Exzesse, beste Freunde ... All das kannte ich nur aus Erzählungen von jenen, die sich zufällig mal in den Garten verirrten. Um wen es sich bei den Gästen im Einzelnen handelte, vermochte ich aufgrund meiner hochgradigen Kurzsichtigkeit nicht genau zu sagen. Mein Hörvermögen war ebenfalls recht eingeschränkt. Besucher mussten sich schon in unmittelbarer Nähe zu mir aufhalten, damit ich sie verstand, doch die meisten kamen ohnehin sehr nah an mich heran, weil sie nicht die geringste Notiz von mir nahmen. Es schien ihnen egal zu sein, welch tödliches Risiko von mir ausging.
Ich genoss die Sommersonne im Schatten eines blühenden Gewächses. Was war das? Konturen? Geräusche? Beides? Störenfriede kreuzten auf! Ihr respektloses Getrampel brachte die Umgebung zum Beben. Eine ganze Armada durchschritt mein Revier. Die reinste Provokation! Ich wartete auf den richtigen Zeitpunkt, um wie gewöhnlich zuzuschlagen.
Zu spät erkannte ich die Gefahr, in der ich schwebte. Vom Täter zum Opfer, hatte ich mal gehört. Jetzt wurde mir klar, was damit gemeint war. Entgegen meiner kurzzeitigen Annahme, es könnte sich um ein Versehen handeln, liefen die Eindringlinge direkt auf mich zu.
Benommen beobachtete ich die Umgebung. Welches Gift hatten sie mir verabreicht? Flucht, schoss es mir durch den Kopf. So schnell wie möglich flüchten. Aber wie? Alles um mich herum klebte, meine Beine gehorchten nicht.
Ihre dunkle Hautfarbe, ihre fremde Sprache, ihr eigenartiges Verhalten. Das sind die Folgen der Vergiftung, beschloss ich. Ganz klar. Was auch sonst? Keine Vergiftungserscheinungen. Realität. Eine schmerzliche Erkenntnis. Ihre Aufgabe erledigte die Dame mittleren Alters gewissenhaft. Der Biss saß. Ich landete auf dem Boden. Dort nahmen zahlreiche Ameisen meinen gelähmten Körper in Empfang.
Bruchstücke. Mehr verstand ich nicht. Lange Reise, Fallschirme spinnen, Australien. Warum töten die mich nicht? Hier und jetzt. Dann habe ich es hinter mir. Ballooning. Was? Eine Leidensgenossin wurde in ihrem Kokon auf einer Parallelstraße der Ameisen befördert. Sie erzählte mir vom Fallschirmnetzwerk der Australierinnen, die europäische Webspinnen entführten, damit ihre Babys und Jungtiere nicht mehr die schwere Webarbeit leisten müssten. Wir? Als Sklaven in Down Under? Tag und Nacht an einem gigantischen Netz weben? Für die nächste Überflutung? Welcher Windstoß? Wovon redet die Weberin nebenan eigentlich?
Von einem Kitzeln auf der Haut wachte ich auf. Eine Spinne krabbelte über mein Gesicht. Vorsichtig setzte ich das Tierchen auf den Boden und träumte kurz darauf weiter.