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En-Sheka

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24.10.2001
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En-Sheka

En-Sheka


(Für Eva.)


Dies war die Welt des Augenblicks.
Keine Namen, keine Gesichter. Nur Augen, Schultern, Hüften - menschliche Eckpunkte im Muster des Stahls. Theras Klinge, blau wie ein Mittagshimmel, die anderen weiß und grau, drei kühle Striche in einem Staub aus unwichtigeren Wahrnehmungen. Sie fächerten auf, kamen von verschiedenen Seiten heran. Thera bewegte sich, nahm die Schritte ihrer Gegner vorweg. Ein blaues Zischen quer durch das Muster, das Spiel von Muskeln, die mehr ihrem Instinkt als ihrem Willen gehorchten. Helles Klirren von Stahl auf Stahl, noch eine knappe Bewegung, dann ein Keuchen und ein dumpfer Aufprall. Nur noch zwei feindliche Striche.
Wo der Geist versagt, bringt der Stahl Gerechtigkeit.
Jedes Mal, wenn sie ein Schwert zur Hand nahm, kam ihr dieser Satz in den Sinn. Uralt und völlig nutzlos in seiner Zweideutigkeit. Wie bei Kelchi-Weisheiten üblich, konnte man sich aussuchen, was man davon halten wollte. Aber es war der Satz, mit dem einst ihre Lehrerinnen eine jede Lektion begonnen hatten. Tag für Tag. Immer der gleiche Satz. Er war eine Gewohnheit wie das Atmen, untrennbar verknüpft mit dem Klirren von Stahl, mit dem Gefühl ihrer nackten Füße auf festgestampftem Sand, mit dem Schmerz in Schultern und Handgelenken, dem Schweiß auf den Armen. Er gehörte zu den Dingen, die sie niemals würde ablegen können, ganz gleich, was ihr neues Leben sonst von ihr forderte. Sie konnte ihn so wenig aus ihren Gedanken tilgen, wie sie ihren Kopf ablegen konnte.
Verflucht seien die Kelchi!
Eine Drehung. In die Knie. Ein Fußfeger. Ein weiterer Gegner ging zu Boden, blieb keuchend liegen. Der Mann, der ihr jetzt noch gegenüberstand, brachte gerade sein Schwert in einem weiten Bogen heran, träge und berechenbar. Sie hätte noch jemand anderen töten und ihr Schwert abwischen können, bevor seine Attacke sie erreichen würde. Plötzlicher Zorn rauschte durch ihre Schläfen.
Mag sein, dass Stahl Gerechtigkeit bringt – aber nicht, wenn man ihn wie einen Dreschflegel durch die Luft prügelt...
"Deine Deckung, du Tölpel!" fauchte sie, machte einen blitzschnellen Ausfall und schlug seine Klinge fast beiläufig zur Seite. Der Kämpfer strauchelte mitten in der Bewegung, stolperte zurück und quietschte erschrocken, als Theras kalte Klinge auf der Haut über seiner Halsschlagader zu liegen kam.
"Deine Technik ist erbärmlich", zischte sie. "Eigentlich sollte ich dich jetzt töten, damit die anderen sehen, welche Folgen eine solche Nachlässigkeit haben kann." Ihr Blick fiel auf die beiden anderen Kämpfer, die sie entwaffnet und von den Füßen geholt hatte und die sich soeben benommen wieder aufrappelten. Dann hob sie den Kopf, und ihr zorniger Blick wanderte über die übrigen Männer, die vom Rand der Sandfläche aus das Geschehen beobachtet hatten. Eine lange Reihe teils betretener, teils verblüffter Gesichter. Wie jedes Mal. Es war hoffnungslos.
"Wenn das alles ist, was ihr mit einem Schwert zustande bringt", sagte sie zu den versammelten Offizieren, "wundert es mich nicht, dass eure Truppen gegen die Kelchi keinen Fuß auf den Boden bekommen." Sie schob ihr Schwert zurück in die Scheide auf ihrem Rücken. "Schiere Überzahl nützt gegen die Kelchi überhaupt nichts. Jede einzelne von ihnen ist genauso gut wie ich. Oder besser. Wenn ihr eure Soldaten mit diesem Können in den Kampf schickt, werden sie zerhackt wie die Frühlingsochsen!"
"Bitte verzeiht, Hüterin der Gesetze," sagte einer der Offiziere, ein dürrer Hauptmann mit trüben Augen und fettigem, dunklem Haar, "aber unsere Männer sind diese Art von Kampf nicht gewohnt..."
"Natürlich nicht", entgegnete Thera ungehalten, "weil die meisten von ihnen Bauerntrampel sind, denen man ein Schwert und einen Bierkrug in die Hand gedrückt und gesagt hat, sie seien jetzt Soldaten. Für die Großen Häuser mag das genügen, aber von der Garde Oshnus wird ein bisschen mehr erwartet. Dies ist ein Krieg, keine Wirtshausrauferei."
"Natürlich, Hüterin der Gesetze." Der Hauptmann senkte den Kopf. "Wir werden unser Bestes tun, Eure Wünsche zu erfüllen."
Thera ging auf ihn zu, packte sein Kinn und riss seinen Kopf nach oben, so dass er gezwungen war, sie anzusehen. Wie die meisten Menschen musste er den Kopf in den Nacken legen, um ihr in die Augen sehen zu können.
"Mein Wunsch", sagte Thera, "wäre es, dass die Krieger Gottes etwas länger überleben als nur bis zu ihrer ersten Schlacht. Im Moment kommen von zehn, die wir ausschicken, acht nicht mehr zurück. Was wohl kaum an meinen mangelhaften Instruktionen liegen dürfte, sondern nur an eurem armseligen Training."
"Ja, Herrin", murmelte der Hauptmann. "Wir werden unsere Bemühungen verdoppeln."
"Das will ich hoffen, sonst werde ich wohl bald Kinder und alte Frauen bitten müssen, Oshnus Frieden gegen die Ungläubigen zu verteidigen..."
Sie hielt inne, weil sie spürte, dass jemand hinter ihr stand. Sie ließ von dem Hauptmann ab und drehte sich langsam um. Wenige Schritte entfernt stand ein winziger Mann in einer mausgrauen Kutte - offenbar einer der zahllosen dienstbaren Geister, die wie Ameisen unentwegt durch die Zitadelle wuselten, um Oshnus Willen zu vollstrecken. Zwei dunkle Augen blinzelten furchtsam unter der Kapuze zu der hochgewachsenen Frau empor.
Thera überlegte einen Augenblick, ob sie den Mann schon mal gesehen hatte, ob sie sich vielleicht an seinen Namen erinnerte, aber in ihrem Geist verschwammen all die Sekretäre und Priester stets zu einer anonymen grauen Masse aus kahlgeschorenen Köpfen und vom Umgang mit Pergament trocken gewordenen Händen. "Was gibt es?" fragte sie.
"Verzeiht, dass ich euer Training störe, Hüterin der Gesetze, aber seine Ehrwürden, der Hohe Priester, schickt mich mit einer Botschaft zu Euch." Er streckte die Hand aus und reichte ihr eine kleine, versiegelte Pergamentrolle. Thera nahm sie wortlos entgegen, und noch bevor sie sie ganz entrollt hatte, hatte der winzige Sekretär sich bereits ehrfürchtig verbeugt und war in den Schatten am Rande der Arena verschwunden. Auf dem Zettel fand sie die gedrungenen Buchstaben von Bariks schnörkelloser Handschrift, die drei simple Worte bildeten: "Wir haben sie!"
Sie las die Botschaft einmal, dann ein zweites Mal, und für einen Augenblick zog ihre Bedeutung wie ein kalter Windhauch durch ihre Seele.
Gepriesen sei Oshnu! Endlich!
Sie hatte schon nicht mehr daran geglaubt. Und nun sandte der Gott ihnen einen Hoffnungsschimmer: Das Unmögliche war geschehen!
Ein grimmiges Lächeln spielte um ihre Lippen, als sie zu der steinernen Bank hinüberging, auf der sie ihre Sachen abgelegt hatte. Sie zog sich rasch die schwarze Seidenrobe über und schlüpfte in ihre Stiefel. Die Männer standen noch immer in einer Reihe am Rande des Platzes und schauten irritiert zu ihr herüber.
"Trainiert ohne mich weiter", sagte sie, als sie die fragenden Blicke bemerkte. "Wir reden morgen noch einmal darüber."
Sie erhob sich und ging mit schnellen, festen Schritten quer über den Sand auf den Ausgang zu, eisern bemüht, die Erregung zu verbergen, die plötzlich von ihr Besitz ergriffen hatte. Möglicherweise hatte sich morgen um diese Zeit bereits ein Großteil ihrer Probleme in Luft aufgelöst.
Endlich habe ich dich, Dhela en Therim. Und jetzt wirst du für alles bezahlen!
Am Rande des Übungsplatzes hielt sie noch einmal kurz an. "Übrigens", rief sie zu den Männern hinüber, "den nächsten, der mir mit einer so lausigen Technik entgegentritt, werde ich töten!"

***

Der Kerkerbereich war nicht unbedingt der angenehmste Ort, und Thera hätte ihn gerne gemieden, aber Barik hatte darauf bestanden, dass sie persönlich anwesend war, wenn er die Gefangene inspizierte. Wahrscheinlich wollte er ihre Reaktionen beobachten, eine weitere seiner endlosen Prüfungen.
Sie stand in dem kleinen Vorraum, von welchem aus eine Treppe in die Tiefe führte. Die beiden Wachen, die für gewöhnlich an dem wackeligen Tisch ihre Zeit mit Würfeln verbrachten, standen ehrfürchtig am Treppenaufgang und vermieden es, Thera anzusehen. Die Angst vor ihr stand ihnen förmlich ins Gesicht geschrieben. Schließlich begegnete man nicht jeden Tag der Klinge Oshnus.
Thera war daran gewöhnt, und normalerweise machte es ihr nichts aus, aber heute beunruhigte es sie plötzlich auf eine Weise, die sie nicht in Worte fassen konnte. Irgendwo tief in ihrem Inneren war ihr klar, was diese Männer sehen mussten, wenn sie sie anblickten: den Tod. Wenn all die notwendigen Schrecken und Grausamkeiten von Oshnus Inquisition ein Gesicht hatten, dann war es das ihre.
Thera, die En-Sheka. Nicht mehr länger ein Geist ohne Namen, sondern Synonym für einen plötzlichen, schmerzhaften Tod...
"Endlich haben wir sie." Eine Stimme, direkt hinter ihr, rau und knisternd wie das Feuer eines Scheiterhaufens: Barik. Sie hatte ihn, wie üblich, nicht kommen gehört, und sie musste sich beherrschen, um nicht erschrocken zusammenzuzucken. Sie wandte sich langsam um. In den fast zehn Jahren, die sie jetzt bei ihm war, hatte sie die widerstreitenden Gefühle ihm gegenüber nie ganz abschütteln können. Sie verehrte ihn, aber er war ihr auch entschieden unheimlich. Auch jetzt überfiel sie eine leichte Beklemmung, als sie ihn betrachtete: schmal, fast hager, seine Gestalt unter der üblichen schmucklosen schwarzen Robe verborgen, beinahe furchterregend in seiner totalen Verneinung aller menschlichen Eitelkeiten, sein Gesicht ein Totem, unbewegt und alterslos im grauen Licht.
"Ja", sagte sie, "jetzt gehört sie uns."
"Ich nehme an, du bist sehr erfreut darüber. Eine große Stunde für unsere Sache - und für dich persönlich."
"Meine persönlichen Belange sind hier nicht von Bedeutung. Sie wird sterben, weil es so sein muss. Oshnus Wille, nicht der unsere."
"Eine gute Antwort." Barik nickte wohlwollend. "Aber von meiner besten Schülerin habe ich auch nichts anderes erwartet." Er wandte sich ab und ging ohne Zögern an den Wachen vorbei. Thera folgte ihm mit zwei Schritten Abstand, tief in Gedanken versunken.
"Wie ich höre, hattest du eine kleine Unterredung mit den Hauptmännern der Garnisonen", sagte er im Plauderton, während sie die Treppe hinabstiegen.
"Ach das, ja..." Ihr fiel es schwer, sich von den Gedanken zu lösen, die hinter ihrer Stirn durcheinander tobten, seit sie die Nachricht über Dhelas Gefangennahme erhalten hatte – ein seltsames Unbehagen, so als hätte sie etwas von entscheidender Bedeutung übersehen. "Es ist immer das gleiche: Hin und wieder muss man sie daran erinnern, an welchem Ende man ein Schwert anfasst. Ich wünschte wirklich, ich hätte besseres Material für meine Arbeit."
"Nun, so wie es aussieht, spielt das alles vielleicht bald keine Rolle mehr..."
Nach zahllosen Stufen erreichten sie schließlich den Fuß der Treppe. Thera tauchte hinter dem Hohen Priester in den fast lichtlosen Moloch der Kerkeranlagen, und wie jedes Mal erschauderte sie unwillkürlich, so unvermittelt eingehüllt von einer Dunkelheit, die nicht nur das Licht, sondern auch Geräusche und Gedanken zu ersticken schien. Sie fühlte sich stets wie erschlagen von diesem Geruch nach Angst und Tod, der sich wie eine muffige Decke über sie legte und ihr fast den Atem raubte.
Sie kannte zwar die Notwendigkeiten, die ihre Aufgabe mit sich brachte, und sie war ziemlich gut darin, alle diesbezüglichen Gefühle sorgsam dort zu verschließen, wo sie ihr nicht in die Quere kommen konnten, doch an diesen speziellen Ort hatte sie sich in all den Jahren nie wirklich gewöhnen können. Notwendigkeiten hin oder her – etwas in ihr verabscheute zutiefst, was Menschenhand hier erschaffen hatte: Eine unnatürliche Stille, hineingewebt in rußgeschwängerte, dämonische Finsternis, nur leidlich erhellt vom flackernden Schein der Feuerschalen. In den Schatten lauernd, lange Reihen von Türen, und hinter dem dunklen, eisenbeschlagenen Holz, in Verschlägen, die noch nie einen Sonnenstrahl gesehen hatten, die blassen, misshandelten Gestalten einst stolzer Männer und Frauen, jetzt nur noch Schatten im Hintergrund des Bewusstseins, durch die tagelangen Folterungen zu schwach zum Schreien. Hier endete alles Kämpfen. Dies war der Sumpf, in dem jeglicher Widerstand versickerte zwischen den Echos all der Leben, die kläglich hier verendet waren - menschliche Seelen, gefressen von der endlosen Finsternis, aufgesogen von den kalten, moosüberwucherten Steinen, erstickt vom schalen Geruch nach Blut, Exkrementen und fauligem Wasser...
Schließlich standen sie vor einer riesigen Tür aus geschwärztem Holz, die von zwei betont grimmig dreinblickenden Soldaten aus Bariks persönlicher Leibgarde bewacht wurde. Dahinter lag jener Raum, den Barik extra für Gelegenheiten wie diese hatte einrichten lassen. Er nannte es gerne "Das Verhörzimmer". Eine allzu schmeichelhafte Bezeichnung für eine Folterkammer, wie Thera fand.
Sie hatte offenbar unwillentlich gezögert, denn der Hohepriester legte ihr mit einem Mal seine schmale Hand auf die Schulter. "Fürchtest du dich?" fragte er leise.
Ja! dachte sie. Das heißt...die Kelchi in mir fürchtet sich...
"Ich kann noch immer nicht glauben, dass sie wirklich hier ist", antwortete sie schließlich.
"Dein Verdienst", entgegnete Barik knapp, und es war beinahe so etwas wie ein Lächeln in seiner Stimme.
Thera nickte einem der Gardisten zu, woraufhin dieser einen Eisenring ergriff und ächzend die Tür aufzog. Jenseits des Türrahmens öffnete sich eine farblose Düsternis, durchtränkt mit dem Geruch von Schmerz und Wahnsinn - ein klaffendes Loch im Gefüge des Menschlichen, das immer wieder aufs Neue schmerzhaft an ihren Gedanken zerrte und sie zu verschlingen drohte.
Barik trat einen halben Schritt zurück und ließ ihr mit einer knappen Geste den Vortritt. "Ich denke, es wird Zeit", sagte er leise, "dass du mich deiner Na-Ena vorstellst..."
Ihr Magen krampfte sich zusammen.
Er macht das mit Absicht...
"Wir sind keine Na-Ena mehr", erklärte sie mühsam beherrscht. "Das ist Vergangenheit."
Ein mitleidiges Lächeln schlich in Bariks Gesichtszüge. "Tatsächlich?"
Thera überging die Frage, holte ein letztes Mal tief Luft, bemüht, alle Anspannung von sich abfallen zu lassen, was ihr allerdings nicht so recht gelang. Sie machte einen Schritt in den Raum hinein, dann noch einen. Da waren die monströsen Umrisse der verschiedenen Folterinstrumente, die Flecken alten Blutes auf dem steinernen Boden, und inmitten dieser dichten Decke aus Tod und Verzweiflung: Dhela!
Wahrscheinlich wartete sie schon eine ganze Weile hier - Zermürbungstaktik, die bei den Gefangenen das letzte bisschen Mut und Zuversicht zerstören soll. Aber bei ihr schien es nicht so recht funktioniert zu haben. Sie wirkte erschöpft und zerschunden, aber trotz ihrer wenig vorteilhaften Position noch immer aufrecht. Sie kniete mit hoch erhobenem Haupt auf dem Boden vor der großen Folterbank, außer Thera niemanden auch nur eines Blickes würdigend.
Eine Bilderbuch-Kelchi, dachte Thera verbittert. Als sei sie direkt aus irgendeiner alten Sage entsprungen.
Weste und Hosen waren mit Blut befleckt, ihre Stiefel aus Schlangenhaut und der lange blaue Mantel staubig und zerrissen, doch all das änderte wenig an ihrer imposanten Erscheinung. Auf ihrem bloßen Oberarm schimmerten ihre Ghalis, acht tätowierte Ringe in leuchtendem Blau...
Acht Stück! durchfuhr es Thera. Dann stimmt es also doch! Sie ist Shin-Feyro – die Hohe Kriegerin!
Plötzliche Kälte erfasste ihr Herz. Sie hatte zwar Gerüchte gehört, dass Dhela inzwischen einen gewissen Einfluss bei den Stämmen besaß, hatte allerdings bis zu diesem Augenblick bestimmte Dinge nicht so recht glauben wollen. Doch die acht Ringe auf ihrem Oberarm ließen keinen Platz mehr für Zweifel. Als Hohe Kriegerin hatte sie das Recht, alle Kelchi-Stämme unter ihre persönliche Führung zu stellen, was erklärte, warum Bariks Leute seit neuestem täglich an Boden verloren.
Das ist sie also, die geheimnisumwitterte oberste Kriegsherrin der Schwerthexen, Fleisch gewordenes Schreckgespenst des aufblühenden Oshnu-Kultes. Stolz und aufrecht - und tödlich für jeden, der ihr in die Quere kommt. Kein Wunder, dass die Soldaten sie fürchten. Und sie hat mein Gesicht...
Thera erschauderte. Die leuchtend grünen Augen, die sie hinter dem Vorhang aus zerzaustem kupferfarbenem Haar anfunkelten, das schmale Gesicht, die scharf geschnittenen Wangenknochen, die gerade Nase, der ernsthafte Mund, alles durchwirkt vom Ausdruck einer Art mildtätigen Hochmuts. Wie ein Spiegelbild ihrer selbst. Auf den ersten Blick konnte man sie kaum voneinander unterscheiden.
Sie zwang sich, ihren Blick von der Kelchi-Kriegerin loszureißen und musterte statt dessen die übrigen Personen im Raum. Rings um Dhela stand ein gutes Dutzend Männer in bunt zusammengewürfelter Kleidung, alle bis an die Zähne bewaffnet und bemüht, trotz der bedrückenden Örtlichkeit einen möglichst selbstbewussten und gefährlichen Eindruck zu machen. Sie repräsentierten offenbar das, was von den Söldnern übrig geblieben war, welche Thera für viel Geld eingekauft hatte. In ihrer Mitte, direkt hinter der Gefangenen, stand ein riesenhafter Mann, der gelassen mit einem Dolch spielte. Schwarzes Haar fiel in wirren Strähnen in sein dunkles Gesicht und ein wölfisches Grinsen blitzte darunter hervor.
"Dein Paket, Herrin", sagte der Mann. Seine Stimme war tief, mit einem deutlichen südlichen Akzent. "Gut verschnürt und unversehrt."
Trotz ihrer Anspannung zwang sich Thera zu einem schmalen Lächeln: "Gute Arbeit, Belar. Offenbar bist du dein Geld wert. Weiß außer euch und dem Kerkermeister sonst noch jemand, dass sie hier ist?"
"Nur du und dein Priesterfreund."
Thera nickte. "Gut. Lasst uns jetzt allein."
"Alles, was du wünschst." Belar verneigte sich spöttisch, wenngleich sein Grinsen etwas zu aufgesetzt und verkniffen wirkte. Er besaß zwar die typische Arroganz eines Wüstenbewohners, der es nicht gewohnt ist, von Frauen Anweisungen entgegen zu nehmen, doch in dieser Umgebung, und in der Gegenwart gleich zweier Frauen, von denen er wusste, dass sie ihn im Ernstfall entmannen und töten konnten, ohne dabei auch nur ins Schwitzen zu geraten, schien ein wenig dieser Arroganz von ihm abzufallen.
Wahrscheinlich hast du mehr als einen deiner Leute durch Dhelas Klinge sterben sehen, dachte Thera und wunderte sich selbst über den Anflug von Stolz, den sie bei diesem Gedanken empfand. Vielleicht hat dich das ein wenig Respekt gelehrt, du aufgeblasener Bastard.
Belar und die übrigen drückten sich an ihr vorbei durch die Tür, unter dem missbilligenden Blick des Hohen Priesters hindurch. Den meisten konnte man die Erleichterung ansehen, diesen Ort verlassen zu können.
Barik warf den Söldnern einen abfälligen Blick hinterher. Seine Miene zeigte eine Andeutung echten Abscheus. "Ungewaschenes Gesindel", murmelte er, "schwer zu glauben, dass du die Hilfe solcher Leute in Anspruch genommen hast..."
"Sie hatte keine Wahl." Das war Dhelas wohlvertraute Stimme. "Schmutzige Männer für eine schmutzige Arbeit..."
"Halt den Mund!" fuhr ihr Thera dazwischen. "Du redest gefälligst nur, wenn du gefragt wirst!"
Dhela legte den Kopf schief und grinste frech: "Oh, natürlich, Herrin. Verzeiht mir, Herrin."
"Von mir aus sei so frech, wie du willst", knurrte Thera. "Bald werden dir die Späße vergehen." Die gefesselte Kriegerin ließ die Drohung unkommentiert, doch ihr spöttischer Gesichtsausdruck sagte mehr als genug.
Barik war inzwischen durch die Tür getreten, um die Gefangene eingehend zu betrachten. Wenn er dabei irgendein Gefühl des Triumphes empfand, so verbarg er es sehr geschickt. Zum Abschluss seiner Musterung wanderte sein Blick zu Thera. "Eine wirklich bemerkenswerte Ähnlichkeit", stellte er ungerührt fest. Dann fixierte er erneut die Hohe Kriegerin mit seinen dunklen Augen. Keine Gefühlsregung war darin zu erkennen. Wenn sie Fenster zu seiner Seele waren, so war es eine finstere Seele, schwarz und unbewegt wie ein unterirdischer See.
Die Kelchi schien durch Bariks Anwesenheit nicht im geringsten beeindruckt, was Thera ein wenig überraschte. Sie hatte gesehen, wie selbst die stolzesten Herren der Großen Häuser unter diesem Blick zusammengeschrumpft und erstarrt waren, wie ein Kaninchen beim Anblick der Schlange. Doch Dhelas Stolz schien eher zu wachsen, als genösse sie die besondere Aufmerksamkeit eines fachkundigen Publikums: "Du hast ihn also mitgebracht, deinen schwarzäugigen kleinen Teufel." Sie wandte sich direkt an Thera, so als sei Barik lediglich ein Wächter, der keinerlei weitere Beachtung verdiente. Alles, was sie ihm gönnte, war ein kurzer, abschätziger Blick. "Früher hast du mit hübscheren Männern das Bett geteilt..."
"Ich teile mein Bett mit niemandem!" zischte Thera.
Dhela verzog spöttisch das Gesicht. "Oh! Ist das jetzt auch schon verboten? Weißt du, ich glaube, deine komische neue Religion gefällt mir immer weniger."
Thera wollte gerade etwas erwidern, aber Barik gab ihr mit einem knappen Wink zu verstehen, dass sie schweigen sollte. "Der berühmte Stolz der Kelchi", sagte er, während er langsam um sie herum ging und sie von allen Seiten begutachtete wie eine Stute auf dem Frühjahrsmarkt. "Wenn ihr nicht so lästig wärt, könnte ich euch beinahe bewundern."
"Wir werden noch viel lästiger, darauf kannst du dich verlassen", entgegnete Dhela. "Oder hast du tatsächlich geglaubt, mit meinem Tod wäre alles vorbei?"
"Er wird zumindest vieles erleichtern." Wenn Barik verärgert war, dann ließ er es sich nicht anmerken. "Den Rest werdet ihr selbst erledigen - mit eurer Arroganz und eurem Starrsinn. Die neue Ordnung wird sich um so schneller durchsetzen, je heftiger ihr sie bekämpft."
Dhela schnaubte verächtlich: "Eine schöne neue Ordnung! Mit Scheiterhaufen für die Ungläubigen und Armut für die Überlebenden..."
"Zumindest ist es eine Ordnung", meinte Thera, ihre heisere Stimme bebend vor Erregung. "Zumindest müssen die Menschen hier nicht mehr wie Wilde leben."
"Viele von ihnen leben überhaupt nicht mehr", erinnerte sie Dhela. "Was hast du vor? Willst du die Bevölkerung zivilisieren, indem du sie ausrottest? Ich frage mich, wie du dich auf so was einlassen konntest."
"Vielleicht hatte ich es auch satt, wie eine Wilde zu leben!"
"Ein toller Aufstieg!" Dhela lachte kurz auf. "Du lässt andere für dich töten, und ein Mann sagt dir, was du tun sollst..."
"Mir sagt niemand, was ich tun soll", fauchte Thera.
"Stimmt das wirklich?" Die Hohe Kriegerin heftete ihren Blick zum ersten Mal bewusst auf Barik. "Sie ist dein Meisterstück, nicht wahr? All diese kleinen Tricks, mit denen du die Menschen manipulierst - bei ihr hast du wirklich ganze Arbeit geleistet. Sie sieht nicht einmal die Fäden, mit denen du sie dirigierst..."
"Sei still!" Theras Hand schoss hinter ihren Kopf, und noch bevor Barik eingreifen konnte, war ihr Schwert zischend aus der Scheide geglitten. Die Klinge zeigte selbst im Halbdunkel noch ihren bläulichen Schimmer, die Spitze setzte sich drohend in die kleine Kuhle unter Dhelas Kehlkopf. "Halt verdammt noch mal endlich deinen Mund!"
Dhela verzog keine Miene, doch Bariks ansonsten unerschütterlicher Gesichtsausdruck offenbarte zum ersten Mal so etwas wie Bestürzung. Er glitt vorsichtig an die vor Anspannung zitternde Thera heran und legte beschwichtigend eine Hand auf ihren freien Arm. Er war klug genug, ihr in dieser Stimmung nicht in den Schwertarm zu greifen. "Nicht hier", flüsterte er.
Für einen Augenblick schienen die Schatten im Raum zu gefrieren. Plötzliche Stille überrollte sie, spannte sich auf zwischen zwei grünen Augenpaaren und einem in die Dunkelheit zwischen ihnen gezogenen Strich aus blauem Stahl. Und in dieser Stille flüsterte die Möglichkeit eines schnellen, unspektakulären Todes, herangetragen von Theras schweren Atemzügen. Ihr ganzer Körper bebte, und in ihrem Gesicht konnte man deutlich den Kampf zwischen Selbstbeherrschung und zehn Jahre altem Zorn ablesen. Und dann, nur zwei Herzschläge später, war der Augenblick vorüber, die Entscheidung gefallen. Thera blinzelte, und mit einem unhörbaren Geräusch nahm die erstarrte Zeit ihren gewohnten Tritt wieder auf.
Dhela registrierte sichtlich amüsiert, wie der Druck der Schwertspitze von ihrem Hals verschwand und die Hüterin der Gesetze wortlos die Klinge in die Scheide zurück gleiten ließ. "Brauchst du noch mehr Beweise? Selbst dein Schwertarm gehört jetzt ihm."
Thera atmete geräuschvoll ein und aus, beide Hände zu Fäusten geballt, unfähig zu sprechen. Barik nahm ihr die Antwort ab: "Sie weiß, dass das nicht stimmt. Ihre Seele, ihr Schwert, all das gehört Oshnu allein. Sie dient niemandem außer der Wahrheit selbst. Einer Wahrheit, die alle Mythen und Lügen der Kelchi nicht mehr zunichte machen können."
Die Kelchi-Kriegerin gab sich jetzt keine Mühe mehr, ihre Abscheu für den Hohen Priester zu verbergen: "Das hatte ich ganz vergessen: Du bist ja ein Meister der Wahrheit. Nichts liegt dir mehr am Herzen als die Wahrheit, stimmt’s? Nun, dann hast du ihr doch sicherlich auch von deiner Vergangenheit erzählt, oder nicht?"
Bariks bislang eher spöttische Miene verhärtete sich für einen Augenblick, doch seine Selbstbeherrschung behielt die Oberhand.
"Hat er dir davon erzählt?" wandte sie sich wieder an Thera. "Von seiner Zeit im Süden? Dass er als Hohepriester des Tyrr-Kultes ganze Dörfer entvölkert hat? Oder von seinen kleinen Pilgerfahrten nach Dun Brion und dem Preis, den die Rangun-Schwestern auf seinen Kopf ausgesetzt haben, weil er auf Argeddons Altar Menschenopfer dargebracht hat? Hast du dich eigentlich jemals gefragt, wo der Oshnu-Kult hergekommen ist?"
Thera erschauderte, noch immer völlig verwirrt. Ihr Blick suchte nach Bariks dunklen Augen, in der Hoffnung, irgend etwas darin ablesen zu können. Doch seine Miene blieb unbewegt, als er antwortete: "Ha! Argeddon! Welch absurde Dinge ihr Kelchi ausbrüten könnt, ist wirklich erstaunlich." Und an seine oberste Inquisitorin gewandt fuhr er fort: "Du kennst die Wahrheit: Oshnu ist ein Gott der Ordnung, nicht des Chaos."
"Das glauben alle", versetzte Dhela ungerührt, "aber seine Ordnung birgt ein Chaos in sich, das du vor ihr und allen anderen sehr sorgfältig verborgen hältst. Und wenn sie es merken, wird es schon zu spät sein." Sie richtete ihren Blick wieder auf Thera. "Verstehst du? Deshalb bekämpft er uns. Weil wir seine Pläne durchschaut haben, so wie die Rangun ihn damals durchschaut haben. Er ist ein Lügner, und zwar ein erstklassiger, gut genug für die Herren der Großen Häuser, aber nicht gut genug für die Kelchi."
Thera stand wie versteinert, ihre Gedanken rasten auf der Suche nach einer Antwort in dem Dickicht von Fragen, die sich urplötzlich in ihren Geist ergossen. Sie musterte Dhelas Gesicht, jenes Spiegelbild ihres eigenen, den tadelnden Blick, den ungebrochenen Stolz in jenen leuchtend grünen Augen, die ihr mindestens ebenso vertraut waren wie ihre eigenen. Dann wanderte ihr Blick zu Barik. Seine Miene war verschlossen wie immer.
Einer von beiden ist ein Lügner...
Dhelas Argumente konnten wahr sein, sie konnten aber auch nur erfunden sein, nichts als Worte, die ihren Geist verwirren sollten. Aber konnte eine Kelchi so ehrlos sein?
All das Geschwätz von Ehre und Großmut! Doch damals, als ich vor dem Rat stand und zur En-Sheka erklärt wurde und sie mir alles nahmen, was ich besaß, da haben sie ihr wahres Gesicht gezeigt - dass sie grausam und herzlos sind. Wenn ihnen soviel an der Wahrheit gelegen wäre, dann hätte ich meine Heimat niemals verlassen müssen...
Dhelas Miene wurde plötzlich weicher. Als hätte sie ihre Gedanken gelesen, sagte sie: "Ich weiß, du bist zornig, vielleicht sogar verbittert. Aber du darfst nicht zulassen, dass dir diese Gefühle den Blick für die Wahrheit verstellen..."
"Pah! Was weißt du schon von Wahrheit?" fuhr ihr Barik ins Wort. "Ihr Kelchi mordet und plündert und benutzt alle nur erdenklichen Lügen, um es zu rechtfertigen. Aber euer falsches Spiel wird bald zu Ende sein. Thera hat eure Lügen durchschaut, und bald werden es alle tun. Jede Lüge bringt den, der sie erkennt, dem Kern der Wahrheit einen Schritt näher."
"Und wer wüsste das wohl besser als du", erwiderte Dhela zuckersüß. "Schließlich kennt niemand das Wesen der Wahrheit besser, als ein guter Lügner, der genau wissen muss, wie er ihr aus dem Weg gehen kann."
Barik lachte plötzlich laut auf, ein seltsamer kehliger Laut, der Thera irritierte, da sie ihn noch nie zuvor lachen gehört hatte. "Sehr gut", sagte er. "Ich hätte nicht gedacht, dass es so amüsant sein kann, mit einer halbnackten, tätowierten Wilden über Philosophie zu diskutieren. Leider ist meine Zeit begrenzt." Er nickte seiner Inquisitorin kurz zu. "Sie gehört dir", sagte er, warf einen letzten abschätzigen Blick auf die gefesselte Kriegerin und wandte sich der Tür zu. "Ich kann nur hoffen, deine Hinrichtung wird genauso amüsant", sagte er auf dem Weg nach draußen.
"Oh, das wird sie", versicherte Dhela, "fragt sich nur, für wen."
Falls Barik die Erwiderung gehört hatte, ignorierte er sie geflissentlich. Er verließ den Raum, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Thera stand noch immer an ihrem Platz und starrte die Gefangene wütend an. Sie war zornig, aber aus einem seltsamen Grund war sie nicht sicher, auf wen - auf Dhela, Barik oder auf sich selbst?
Dhela setzte ein selbstzufriedenes Grinsen auf: "Er ist wirklich lustig, dein kleiner Freund."
Thera musste sich zusammenreißen, um ihr nicht einen Faustschlag zu verpassen. "Du hast verdammtes Glück", knurrte sie, "dass ich dir nicht auf der Stelle die Kehle durchschneide."
"Und deinen Herrn und Meister verärgern? Das wäre wirklich eine Enttäuschung für ihn, nachdem er soviel Zeit in deine Dressur investiert hat..."
Theras rechte Hand schoss mit einem Mal nach vorne, umklammerte Dhelas Hals und riss die gefesselte Kelchi mit aller Kraft auf die Füße. "Treib es nicht auf die Spitze, Dhela! Allmählich habe ich deine kleinen Spielchen gründlich satt!"
Dhela konnte kaum atmen, dennoch antwortete sie: "Ich spiele nicht mit dir, und ich habe auch nie mit dir gespielt. Ich habe dich lediglich gelehrt, wo ich konnte, und ich habe von dir gelernt, so wie es vorgesehen war, Na-Ena. Ich habe nie irgendwelche Spielchen mit dir getrieben - ganz im Gegensatz zu ihm..." Sie deutete mit dem Kinn so gut es ging in die Richtung, in der Barik verschwunden war. "...er sitzt jetzt wahrscheinlich auf seinem kleinen Thron und belächelt heimlich deine Dummheit. Und wenn man mich vor deinen Augen hinrichtet, wird er sich mit Sicherheit ausschütten vor Lachen. Ich frage mich nur, ob du meinen Tod genauso amüsant finden wirst wie er."
Thera stieß geräuschvoll die Luft durch die zusammengebissenen Zähne und ließ schließlich von ihr ab. "Du vergeudest deine Zeit."
"Das werden wir sehen, Schwester."
Thera funkelte sie noch einen Augenblick zornig an, dann wandte sie sich um und schritt wortlos und so schnell, wie es ihr Stolz erlaubte, zur Tür und auf den Gang hinaus. "Schafft sie in eine Zelle!" befahl sie den Gardisten im Vorbeigehen. Dann lief sie, ohne sich noch einmal umzudrehen, durch das muffige Halbdunkel, bis sie außer Sichtweite der Wachtposten war, und lehnte sich erschöpft an die rußgeschwärzte Mauer. Einen Moment lang hatte sie Mühe, ein paar Tränen zu unterdrücken. Zorn und Frustration gärten in ihr, aber inzwischen kannte sie auch den Grund dafür. Es war nicht nur Dhelas herablassende Art. Sie wurde das Gefühl nicht los, dass sie zumindest in einem Punkt nicht ganz unrecht hatte: Barik schien tatsächlich ein Spielchen mit ihr zu treiben. Dieses Treffen war für Thera eine einzige Demütigung gewesen, und ihr war absolut schleierhaft, welchen Zweck der Hohe Priester damit verfolgt hatte. Wollte er sie testen? Oder wollte er sich nur amüsieren? Nun, wenn dies hier erst mal vorbei war, wurde es höchste Zeit, sich darüber Klarheit zu verschaffen. Bis dahin blieb ihr nicht viel, außer einen klaren Kopf zu behalten und zu beten.
Oh, Oshnu, hilf mir! Lass mich das Richtige tun!

***

"Ich halte das für keine gute Idee", sagte Thera zum wiederholten Male, während sie unruhig vor ihrem eigenen Schreibtisch hin und her lief, die Arme auf dem Rücken verschränkt.
Barik, der hinter dem Schreibtisch saß, schüttelte den Kopf. "Ich verstehe deine Bedenken. Sie sind registriert. Aber es gibt Wichtigeres zu bedenken, als dein Unbehagen."
"Eine öffentliche Hinrichtung!" Thera unterbrach ihre Lauferei und stützte sich auf den Tisch, so dass sie auf ihren Mentor herabsehen konnte. "Wenn die Stämme davon erfahren, werden sie nichts unversucht lassen, sie zu befreien. Und sie werden davon erfahren. Sie haben noch immer eine Menge Verbündete. Wenn sie erst mal rausgefunden haben, wo sie ist, werden sie kommen."
"Dann lass sie kommen." Der Hohe Priester faltete in einer selbstgefälligen Geste die Hände vor der Brust und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. "Wir werden genug Soldaten dort haben, um sie gebührend zu empfangen."
"Ich war erst gestern mit deinen Soldaten auf dem Übungsplatz. Ich weiß ganz genau, wie viel sie uns gegen einen gezielten Angriff der Kelchi nützen werden..."
"Außerdem reden wir hier nicht von einem schlammigen Dorfplatz mitten im Nirgendwo!" Bariks Stimme bekam einen schneidenden Unterton. Offenbar wurde er allmählich ungeduldig. "Dunharg ist eine Stadt, mit Mauern und Toren und einhundert Mann meiner persönlichen Leibgarde, die den Platz bewachen werden."
"Und wenn schon!" Thera schlug so heftig mit der Handfläche auf den Tisch, dass ein paar der dort liegenden Pergamente davon wirbelten. "Gib mir zweihundert solcher Kriegerinnen, und ich schleife dir diese verdammte Stadt mitsamt ihrer Zitadelle innerhalb von zwei Tagen, selbst wenn du deine Garde tausend Mann hoch um die Mauern stapelst!"
Barik sah sie einen scheinbar endlosen Moment lang schweigend an, dann zuckte ein spöttisches Lächeln um seine Mundwinkel. "Höre ich da so was wie Stolz in deiner Stimme?"
"Und dann diese Ansprache!" fuhr Thera fort, als hätte sie die Frage nicht gehört. "Ich frage mich, ob das wirklich nötig ist."
Der Hohe Priester lehnte sich nach vorne und bedachte sie mit einem vorwurfsvollen Blick. "Man könnte denken, du tust so was zum ersten Mal", brummte er. "Immerhin haben wir vor eine Kelchi zu töten, noch dazu eine, die hierzulande nicht ganz unbekannt ist und bei einigen Verblendeten noch immer gewisse Sympathien genießt. Ich denke, zu diesem Anlass sind ein paar erklärende Worte durchaus angebracht..."
"Geschwätz wäre wohl das passendere Wort", unterbrach ihn Thera, selbst erstaunt über die Heftigkeit ihrer Worte.
Bariks Miene verfinsterte sich. "Du solltest dir deine nächsten Worte sehr gut überlegen, wenn du nicht willst, dass ich wirklich ärgerlich werde."
"Ich versuche dir lediglich klar zu machen", entgegnete Thera unbeeindruckt, "dass deine törichte Vorliebe für große Gesten uns diesmal in ziemliche Schwierigkeiten bringen könnte." Sie verschränkte die Arme vor der Brust und kaute einen Augenblick abwesend auf ihrer Unterlippe. "Diese ganze Inszenierung ist überflüssig und gefährlich. Wenn man tötet, dann weil es richtig ist. Und wenn es geschieht, gibt es keinen Grund, es mit langen Reden zu rechtfertigen. Kelchi halten keine Ansprachen. Sie handeln und tragen dann die Konsequenzen..."
Noch während sie sprach, wurde ihr mit einem Schlag bewusst, was sie soeben gesagt hatte.
Auch Barik hatte es gehört. Er legte die Fingerspitzen unter dem Kinn zusammen und fixierte sie mit seinem eindringlichsten Blick: "Du bist keine Kelchi mehr!" Seine Worte knisterten durch ihr Bewusstsein wie brennende Seide. Ein gigantisches Salzkorn in einer plötzlich aufklaffenden Wunde tief in ihrer Seele. "Du hast Shin-Deykins Weg verlassen. Du gehst jetzt Oshnus Weg, und dazu gehören Worte, damit die Menschen verstehen..."
Thera wandte ihm in einer heftigen Bewegung den Rücken zu, um seinem Blick zu entkommen, für den Augenblick sprachlos. Der Hohe Priester erhob sich und kam hinter dem Tisch hervor. Sie hörte das Rascheln seiner Robe, als er sich bewegte, spürte dann seine Hände auf ihren Schultern. Er drehte sie behutsam um, so dass sie ihm in die Augen sehen konnte. "Du bist verwirrt", sagte er sanft.
Thera zögerte, senkte den Blick. Sie wusste, dass es sinnlos war, ihn anzulügen. Er konnte in Gesichtern lesen, und er kannte ihre Seele vielleicht sogar besser als sie selbst. "Ja."
"Könnte vielleicht dein Zusammentreffen mit Dhela daran Schuld haben?"
"Du selbst wolltest mich dabeihaben..."
"Ich weiß. Und ich habe inzwischen meine Zweifel, ob es wirklich eine so gute Idee war. Die Kelchi sind wahre Meisterinnen der Täuschung. All ihre kleinen, wohlkonstruierten Lügen über das Wesen der Welt, ein paar verklärte Geschichten aus der Vergangenheit...ich frage mich, ob du stark genug bist, ihren Bekehrungsversuchen zu widerstehen."
Thera sammelte sich und sah Barik fest in die Augen. "Ich habe die Kelchi schon vor langer Zeit durchschaut. Sie können mir nichts mehr anhaben."
Bariks Stimme senkte sich zu einem Flüstern, das beinahe Mitleid ausdrückte: "Und dennoch muss die Versuchung groß sein, in den Schoß ihrer Welt zurückzukehren."
"Es ist nicht mehr meine Welt", erwiderte Thera beinahe trotzig.
Der Hohe Priester gestattete sich den Anflug eines milden Lächelns, dann deutete er mit einer knappen Handbewegung auf das Fenster. "Sieh hinaus und sag mir, was du siehst."
Thera war für einen kurzen Moment verwirrt. Sie drehte sich um und sah durch den schmalen Schlitz in der Mauer, fixierte den grauen Flecken, der sich zwischen den schwarzen Steinen aufspannte, nur ein winziger, nichtssagender Ausschnitt der trüben Wolkendecke, die über der Zitadelle hing. Das konnte er wohl kaum gemeint haben, oder?
In einer Ecke hoch oben hatte eine Spinne gebaut. Ihr kugelförmiger Körper schaukelte sacht in der leichten Brise.
"Ich sehe eine Spinne."
"Bist du sicher?" Bariks Stimme klang beinahe tadelnd, der typische Tonfall, wenn er sich anschickte, ihr eine Lektion zu erteilen. "Ich sehe nicht mehr als einen schwarzen Fleck mitten im Nichts."
Er hatte recht. Die Spinne war im Grunde tatsächlich nicht mehr als ein dunkler Punkt, scheinbar in der Luft schwebend, ihr Netz unsichtbar vor dem grauen Winterhimmel.
Und dennoch weiß ich, dass es da ist.
Sie suchte noch nach den passenden Worten, als der Hohe Priester ihr zuvorkam: "Vergiss niemals: Nicht das Auge ist das Instrument der Wahrheit, sondern der Geist. Du musst dich auf das verlassen, was du weißt, nicht auf das, was du zu sehen glaubst. Die Welt der Kelchi mag verlockend sein, aber sie ist nichts weiter als ein leerer Mythos, weil ihnen die Wahrhaftigkeit fehlt. Der Kern deiner Wahrheiten ist dein eigenes Selbst."
"Und solange es von Oshnu erfüllt ist", wiederholte Thera die vertrauten Worte, "ist es von Wahrheit erfüllt."
Zu ihrer Überraschung blieb Bariks zustimmendes Kopfnicken diesmal aus. Seine Miene blieb unbewegt, doch sein Tonfall war beinahe zornig. "Ich kenne die Liturgie", zischte er, "nicht mehr als Worte, die jeder Bauer auswendig lernen kann. Ist das alles, was du dazu zu sagen hast?"
Thera war irritiert. "Verzeihung, ich..."
"Schon gut." Barik hob die Hand, ein Zeichen, dass er nicht beabsichtigte, diese Diskussion fortzuführen. "Wir sollten vielleicht besser später darüber reden." Er wandte sich von ihr ab und hob dann interessiert das Schwert auf, welches inmitten der zahllosen Pergamente auf dem Schreibtisch lag. Dhelas Schwert, das Thera sich hatte bringen lassen, aus Gründen, die ihr selbst nicht ganz klar waren. Es war ein typisches Kelchi-Schwert, jenem, das sie selbst noch immer trug, zum Verwechseln ähnlich: Eine lange gerade Klinge, einschneidig, mit einem doppelhändigen Griff ohne Parierstange.
Schließlich zog er es aus der Scheide und betrachtete einen Augenblick gedankenverloren das bläuliche Schimmern des Stahls. "Soviel Perfektion", bemerkte er fast beiläufig, während er das Abendlicht auf der Klinge spielen ließ. "Wirklich ein Jammer, sie so sinnlos zu vergeuden." Er schob das Schwert wieder in die Scheide und legte es bedächtig auf den Tisch zurück. Seine Stimme hatte mit einem Mal einen kaum merklichen Unterton von Bosheit, als er fragte: "Du willst sie töten, nicht wahr?"
Thera, die ihn die ganze Zeit schweigend und in Gedanken versunken beobachtet hatte, wollte ohne zu zögern antworten, aber etwas hielt sie zurück.
Will ich das wirklich? Oder will ich es, weil er es will...
Ihre Hand fuhr unbewusst zu ihrem rechten Oberarm, strich über die kühle Seide ihrer schlichten schwarzen Robe. Darunter verborgen lagen ihre eigenen Ghalis, jene rituellen Tätowierungen, die sie als Shin-Kah, als eine Schülerin von Shin-Deykins Weg auswiesen.
Elf Jahre meines Lebens, dachte sie grimmig. Fünf Ringe, jeder einzelne hart erkämpft. Damals der Stolz und Mittelpunkt meines Lebens. Und jetzt nur noch die langsam verblassende Erinnerung an eine törichte Vergangenheit...
"Sie bedeutet mir nichts mehr", sagte sie schließlich, genau wissend, dass dies seine Frage nicht wirklich beantwortete. Im Grunde, so stellte sie erschrocken fest, war sie nicht mal vollkommen sicher, ob diese Worte überhaupt der Wahrheit entsprachen.
"Das will ich hoffen", sagte Barik, und sein skeptischer Blick verriet, dass er zumindest einen Teil ihrer Gedanken erraten hatte. "Ich denke du weißt selbst ganz genau, wie wichtig diese ganze Angelegenheit ist – sowohl für dich persönlich, als auch für unsere Sache an sich." Er legte ihr ein weiteres Mal die Hand auf die Schulter. "Aber ich bin sicher, dein Herz wird den richtigen Weg erkennen." Seine Finger glitten an ihrem Arm entlang und verschwanden dann in den Falten seiner Robe. "Und lass dir nicht zuviel Zeit mit den Vorbereitungen für ihre Hinrichtung", sagte er im Hinausgehen. "Je schneller sie stirbt, desto besser."

***

Sechs bewaffnete Männer, um eine gefesselte Frau zu eskortieren – der Ruf der Kelchi scheint in der Tat ungebrochen zu sein...
Thera musterte gereizt das halbe Dutzend Gardisten, die selbst jetzt ihre Hände nicht vom Schwertgriff nehmen wollten, aus Angst, die erschöpfte und gefesselte Frau in ihrer Mitte könnte sich vielleicht mit irgendeinem Zaubertrick befreien und sie alle mit bloßen Händen töten.
Es ist Teil ihrer Magie, begriff sie. In dem Moment, in dem alle glauben, dass du zaubern kannst, kannst du es tatsächlich. Welche Art von Klinge braucht es, um einen Mythos zu töten?
"Wartet draußen!" befahl sie schließlich.
Der Leutnant der Truppe verbeugte sich. "Wir sind direkt vor der Tür, falls Ihr uns braucht."
Thera schoss ihren giftigsten Blick auf ihn ab: "Der Tag, an dem ich euch für irgendwas brauche, ist der Tag, an dem ich es verdiene, umgebracht zu werden. Geht jetzt!"
Der Leutnant verbeugte sich ein weiteres Mal und schob seine Soldaten wortlos vor sich her aus dem Zimmer. Offenbar waren sie allesamt erleichtert, der finsteren Laune von Oshnus Klinge zu entkommen.
Dhela sah ihnen nach und rümpfte die Nase. "Männer sind solche Angsthasen!" Sie feixte der obersten Inquisitorin ungeniert ins Gesicht. "Du gibst dich inzwischen mit erstaunlich wenig zufrieden..."
Thera musterte sie grimmig. Jetzt, in Dhelas Gegenwart, angesichts ihres unerschütterlichen Selbstvertrauens und ihrer schon fast unnatürlichen Gelassenheit, kamen ihr leise Zweifel, ob das, was sie hier tat, wirklich eine gute Idee war. Man hatte Dhela den Mantel und die Stiefel abgenommen, aber selbst das schien ihrer Erscheinung nicht wesentlich zu schaden. Ihr Blick war nach wie vor klar, ihre Züge spiegelten Gelassenheit wider, und nichts deutete darauf hin, dass sie in ihrer Situation mehr sah als lediglich eine geringfügige Unpässlichkeit. Tatsächlich sah sie nicht einmal halb so elend aus, wie Thera es sich gewünscht hätte. Beinahe bereute sie, dass sie den Wachen verboten hatte sie anzurühren.
Vielleicht ist das etwas, das mit dem achten Grad auf einen kommt, dachte sie verbittert, die Fähigkeit, den eigenen Belangen keine Beachtung mehr zu schenken. Jene anzulächeln, die dich foltern. Keine Schwächen zeigen, aufrecht bleiben bis in den Tod. Verdammt soll sie sein! Ich wünschte, sie wäre wenigstens wütend.
"Stolz bis zum letzten Atemzug", sagte sie schließlich, um das unbehagliche Schweigen zu überbrücken, das zwischen ihnen in der Luft hing. "Beinahe ein Jammer, dass du sterben wirst."
Dhela lächelte milde. "Versuchst du etwa immer noch, mir Angst zu machen?"
"Wie kommst du darauf, dass ich mit so was meine Zeit verschwenden könnte?"
"Es würde mich nicht überraschen. Immerhin hast du die letzten zehn Jahre damit zugebracht, so ziemlich jedem anderen auf dieser Welt Angst einzujagen. Mit großem Erfolg übrigens. Selbst deine eigenen Untergebenen halten dich für ein Monster."
"Ich habe nur getan, was nötig war."
"Das glaube ich dir sogar." Dhela setzte ein süffisantes Grinsen auf, das Thera schon immer bei ihr gehasst hatte. "Und wie ich dich kenne, planst du in diesem Augenblick bereits einen neuen, glorreichen Feldzug gegen die Ungläubigen, mit meiner Hinrichtung als Eröffnungszug und zahlreichen anderen Morden in Oshnus Namen..."
"Du redest von Mord?" Thera griff nach Dhelas Schwert, das nach wie vor zwischen den Papieren auf ihrem Schreibtisch lag, und hielt es ihr anklagend vor die Nase. "Dein Schwert!" Sie knallte es mit einer heftigen Bewegung zurück auf die Tischplatte. "Und es klebt mehr Blut daran, als Wasser den Del herunterfließt, also überlege dir gut, wen du hier eine Mörderin nennst."
Dhelas Miene verhärtete sich. "Wie soll ich dich denn sonst nennen? Hüterin der Gesetze? Welch hübscher Name für die Anführerin einer Inquisition. Hast du dich selber so genannt? Oder hat Barik dir den Titel verliehen - als kleines Belohnungshäppchen für sein Lieblingsschoßtier?"
Thera schwieg, ließ zu, dass sich erneut eine lastende Stille zwischen ihnen ausbreitete, durch die hindurch sie versuchte, in Dhelas Gesicht zu lesen, ihre Absichten zu erahnen.
Sie versucht ganz offensichtlich, mich zu provozieren. Aber warum? Ist es wirklich bloßer Hochmut? Oder verfolgt sie damit ein Ziel, das mir noch nicht klar ist?
Zu guter Letzt beendete sie das Schweigen: "Immer noch die alte Dhela, nicht wahr? Nie um eine Antwort verlegen. Weißt du, eine Zeit lang war ich tatsächlich unsicher, ob ich deinen Tod nicht vielleicht ein wenig bedauern würde..." Sie schenkte der gefesselten Kriegerin ein grausames kleines Lächeln. "Nun - das ist vorbei. Inzwischen kann ich es gar nicht mehr erwarten, dich sterben zu sehen."
"Bei einer Hinrichtung." Die Hohe Kriegerin spuckte das Wort aus, als sei es giftig. "Ich hatte dir ein bisschen mehr Ehrgefühl zugetraut."
Thera hob eine Augenbraue. "Eine Ketzerin spricht mir gegenüber von Ehrgefühl?" Sie klatschte mit der Hand auf den Pergamenthaufen. "Fast die Hälfte hiervon befasst sich ausschließlich mit dir! Die Liste deiner Verbrechen ist länger als mein Arm, also was in Oshnus Namen erwartest du von mir?"
"Dass du Oshnu aus dem Spiel lässt. Überhaupt alle Götter. Und auch deinen glattgesichtigen kleinen Dämonenfreund. Das hier ist eine Sache zwischen uns allein, ganz egal, wie sehr du dich hinter deinem albernen Papierkram verschanzt." Die Hohe Kriegerin spuckte demonstrativ auf den Boden. Ihr bislang eher abfälliger Blick wurde unvermittelt hart wie Stahl. "Du willst mich sterben sehen? Dann nimm mir diese Fesseln ab, und ich zeige dir, wie eine Kelchi stirbt!"
Thera musste unwillkürlich lächeln. Sie kannte das Feuer, das in diesem Moment in Dhelas Augen loderte. Kannte es von sich selbst. Sie erlebte es jedes Mal, wenn irgendein tölpelhafter Soldat auf dem Übungsplatz durch seine eigene Dummheit zu Boden ging: Ein kalter, ohnmächtiger Zorn, der aus der Gewissheit entsprang, wie die Dinge eigentlich sein sollten...
Und warum, verdammt noch mal, spüre ich es auch? War es das, was sie wollte? Mich zu einem Kampf herausfordern? Und warum verspüre ich plötzlich den Drang, die Herausforderung anzunehmen? Was macht sie mit mir?
Sie wusste, es war die Kelchi in ihr, die dermaßen instinktiv auf Dhelas Gegenwart reagierte, die ihre Worte, ihre Gesten aufnahm und die passenden Antworten suchte. Die subtile Wirkung, welche die Hohe Kriegerin auf sie ausübte, fraß sich wie Nebel unter ihre Schädeldecke, nahm ihren Geist gefangen in einem Ring aus Fragen. Jede Geste, jeder Satz, ihre bloße Anwesenheit, alles verwoben zu einem Geflecht aus Rätseln.
Es braucht eine Kelchi, um ein Kelchi-Rätsel zu lösen...
Sie kämpfte das Feuer nieder, rang um jene kühle, sanfte Ruhe, die den Geist Oshnus einließ, jene Ruhe, die Ordnung aus dem Chaos formte. Nach zwei scheinbar endlos langen Herzschlägen hatte sie sich wieder unter Kontrolle.
Verdammt seien die Kelchi und ihre Rätsel!
"Netter Versuch", sagte sie schließlich. "Aber du hast doch nicht allen Ernstes erwartet, mich auf diese Weise zu erwischen, oder? Hier geht es nicht um Fairness. Es ist einzig dein Tod, an dem ich interessiert bin. Und je schneller und einfacher ich dieses Ziel erreichen kann, desto besser."
Dhela kniff die Augen zusammen, und zum ersten Mal klang echter, tiefempfundener Zorn in ihrer Stimme: "Ich begreife nicht, wie du so was auch nur denken kannst. Hast du denn vergessen, wer du bist, Thera en Therim?"
Thera zuckte unwillkürlich zusammen, als sie ihren vollen Namen hörte – jenen Namen, den Dhela noch immer führte, den Namen ihres Clans, zu dem sie selbst schon seit langer Zeit nicht mehr gehörte. Für einen Augenblick geriet etwas in ihr aus dem Gleichgewicht. Sie schloss die Augen und senkte den Kopf, zwang sich dazu, ruhig zu atmen.
"Oh nein", entgegnete sie mühsam beherrscht. "Ich habe nichts vergessen." Sie hob den Kopf und zwang sich dazu, ihrer ehemaligen Clanschwester in die Augen zu sehen. "Aber du hast offenbar einiges vergessen. Ich bin nicht mehr länger Thera en Therim! Ich bin die En-Sheka, der Geist ohne Namen. Du musst es wissen. Du hast daneben gestanden und es geschehen lassen."
"Es war nicht meine Entscheidung. Du hattest gegen den Kodex verstoßen..."
"Oh ja, der Kodex...Shin-Deykins Weg!" Thera legte alle nur mögliche Verachtung in das Wort. "Das ganze Geschwätz von Ehre und Gerechtigkeit. Nichts als leere Worte. Wie könnt ihr es nur wagen, über mich zu urteilen? Jeder, der euer wahres Wesen kennt, weiß, dass ihr im Grunde nicht das geringste Recht hattet, mich zu verstoßen."
"Du hast ein Kind getötet..."
"Er war vierzehn Jahre alt!" Sie musste sich beherrschen, um nicht zu schreien. "Er war groß genug, ein Schwert zu tragen und mich damit anzugreifen. Es war Notwehr!"
"Der Rat sah das anders..."
"Der Rat!" Thera hatte die Fäuste geballt, spuckte die Worte förmlich aus. "Ein Haufen arroganter alter Weiber, die glauben, die Gerechtigkeit für sich gepachtet zu haben. Sie haben sich nicht einmal die Mühe gemacht, mich anzuhören..."
"Du weißt, dass das eine Lüge ist! Sie haben dich angehört. Sie haben dir sogar ein Angebot gemacht, dich zu rehabilitieren, aber du warst ja zu stolz, deinen Fehler einzugestehen." Dhelas Stimme bebte jetzt ebenfalls vor Zorn. "Vielleicht hat der Rat tatsächlich einen Fehler gemacht. Vielleicht hätten sie mich verstoßen sollen, weil ich zugelassen habe, dass du so wirst, wie du bist. Aber was immer sie dir am Ende angetan haben, hast du dir selbst zuzuschreiben..."
"Sei still!" Thera hatte die Faust erhoben, und es kostete sie jeden Rest an Selbstbeherrschung, nicht zuzuschlagen. Dann wurde sie schlagartig wieder ruhiger. Sie ließ die Hand sinken und verschränkte die Arme vor der Brust. "Ich durchschaue dich Dhela - endlich." Ihre Miene war mit einem Mal wie versteinert, ihre Worte erfüllt von einer tödlichen Ruhe. "Die große Schwester ist wieder da, nicht wahr? Du versuchst mich vorzuführen, deine Spielchen mit mir zu treiben, so wie du es schon getan hast, als wir beide noch Kinder waren, und später auf dem Übungsplatz. Lob und Tadel verteilen, wie es sich für eine große Schwester gehört. Aber die Tage, in denen ich den Boden anbetete, auf dem du gingst, sind inzwischen vorüber. Ich gehe jetzt meinen eigenen Weg." Sie wandte sich brüsk ab und sah aus dem Fenster. Für eine Weile schwiegen beide.
Es war Dhela, die schließlich die Stille brach. Sie war ebenfalls zum Fenster gekommen. In der Ferne leuchteten die schneebedeckten Gipfel des Adja-Ran im letzten Licht der Dämmerung, und ihr Blick hing scheinbar gedankenverloren daran fest, während sie sprach: "Ich war neulich im Naem-ja. Dort steht noch immer ein Lebensbaum, der unser beider Namen trägt. Und er blüht noch immer." Ihre Stimme war zu einem sanften Flüstern herabgesunken, und ihre nächsten Worte klangen beinahe zärtlich: "Die Myka haben deinen Namen noch nicht vergessen - und ich auch nicht, Na-Ena..."
Thera erstarrte, als hätte sie ein eisiger Windhauch getroffen.
Na-Ena...
Ihre Hände krampften sich um die Kante des Fenstersims. Unwillkürlich stiegen Erinnerungen in ihr auf - Bilder, die ein ganzes Lebensalter von ihr entfernt zu sein schienen...

...Morgennebel über dem Naem-ja, dem Garten Darivas. Im Dunst des Tales endlose Reihen von Lebensbäumen, grün und kräftig. Weit hinten im Tal, an einer freien Stelle, zwei Paar Kinderhände, die behutsam einen Myka-Setzling in die Erde einpflanzen. Eine Helferin, die mit einem Dolch ihrer beider Haut ritzt, damit sich ihr Blut mit der Lebenskraft des Myka verbinden und in ihm vereinigen kann. Und im Hintergrund die sanfte, eindringliche Stimme der Priesterin, die mit schlichten Worten die Liturgie des Ritus intoniert: "Wir vertrauen diesen Baum an Dariva-Sheyn, die Erde der Mutter. Die, die ihn pflanzen, werden ihn pflegen - einen Sommer lang. So werden sie lernen, Verantwortung zu übernehmen, denn dieser Baum ist ihr Leben, das sie Dariva anvertrauen. Und so, wie sie den Baum schützen und nähren, werden sie einander Schutz und Trost geben. Von nun an sind sie eins in der Seele des Myka. Zwei Äste am selben Stamm. Zwei Aspekte des einen Seins. Von nun an seid ihr mehr als Freundin, mehr als Schwester. Ihr seid Na-Ena – Seelenschwestern, von Dariva vereint und untrennbar, Gefährtinnen auf Shin-Deykins Weg, bis ans Ende eures Lebens und darüber hinaus..."

"Nein!" Theras Faust schlug entschlossen auf den Fenstersims. "Das ist Vergangenheit."
"Ja!" bestätigte Dhela. "Unsere Vergangenheit..."
"Hör auf damit!" Ein kurzer, beinahe gequälter Aufschrei. Thera entfernte sich mit ein paar schnellen Schritten vom Fenster und nahm ein weiteres Mal Dhelas Schwert in die Hand. "Hast du wirklich geglaubt, dass du mich damit rumkriegen könntest?" Sie hielt ihr das Schwert anklagend entgegen, dann warf sie es ein weiteres Mal fort, mit einer Heftigkeit, die sie selbst erschreckte – als könnte sie es gar nicht weit genug wegwerfen. Als müsste sie es so endgültig wie nur möglich loswerden, bevor sein Gewicht sie in den Strudel von Dhelas Worten hinunterziehen und an jenem finsteren Ort der Leere und Verzweiflung zurücklassen konnte, von dem sie sich mit Bariks Hilfe zehn Jahre lang mühsam zurückgekämpft hatte. "Dieses Schwert...du und ich...das ist vorbei!" Sie atmete tief ein, aber ihre Worte hatten jede Selbstsicherheit verloren: "Kelchi-Zauber...die Magie der Worte und Taten...Shin-Deykins Weg. Du glaubst noch daran, aber ich habe das alles längst hinter mir. Deine Worte haben keine Macht mehr über mich. Und nach deinem Tod wirst du auch keine Macht mehr über andere haben."
"Mein Tod ist bedeutungslos", entgegnete Dhela seelenruhig. "Glaubst du wirklich, mich umzubringen, löst alle deine Probleme? Wenn ich versage, werden andere kommen, die sich dir entgegenstellen, solange, bis es einer gelingt, dich und Barik unschädlich zu machen. Früher oder später wirst du verlieren."
"Das entspräche ganz der guten alten Kelchi-Tradition, nicht wahr? Niemals aufgeben. Lieber sterben als vernünftig werden. Aber vielleicht wird es all den Unverbesserlichen da draußen einen heilsamen Dämpfer verpassen, wenn sie sehen, dass nicht einmal ihre unbesiegbare Oberketzerin sich meinem Zugriff entziehen kann."
Dhela lächelte, als hätte Thera ihr soeben eine besonders amüsante Vermutung bestätigt. "Ist das Oshnus Wille? Die Herzen der Menschen mit Furcht zu erfüllen, damit Barik ihnen seine unnatürliche Ordnung aufzwingen kann?"
Thera wollte etwas erwidern, wollte sich verteidigen, und musste entsetzt feststellen, dass sie nicht wusste, was sie sagen sollte. Fragen strudelten durch ihren Geist.
Tyrr...Argeddon...Dun Brion – Kelchi und Rangun, die einen gemeinsamen Feind bekämpfen! Und eine Hohe Kriegerin, die so sorglos vor mir steht, als hätte ich sie auf einen Becher Wein eingeladen, anstatt sie zum Tode zu verurteilen. Und ich füge mich – schon wieder! Spiele ein weiteres Mal ihr Spiel und lasse zu, dass sie meinen Geist mit ihren verfluchten Kelchi-Rätseln vergiftet...
Sie kämpfte um ein paar passende Worte, aber sie wollten nicht kommen. Die Liturgie, die sie in den letzten Jahren so verinnerlicht hatte, schien plötzlich unendlich weit entfernt, hohl und nutzlos. Dort, wo für gewöhnlich ihre Überzeugungen ruhten, fühlte sie eine furchterregende Leere. War es das, was Barik gemeint hatte? Bedeutete wahrer Glaube, dass er im entscheidenden Augenblick seine eigenen Worte fand?
Sie bemühte sich, dem gelassenen, herausfordernden Blick, der ihr aus Dhelas grünen Augen entgegenfunkelte, standzuhalten, aber es gelang ihr nicht. Etwas in ihr wusste, dass Dhela die Runde gewonnen hatte. Dass sie auf ihren schwachen Punkt gezielt und genau getroffen hatte.
Schließlich wandte sie sich wortlos ab und ging erneut zum Fenster. Nur fort von diesem anklagenden Blick aus leuchtend grünen Augen, die den ihren so erschreckend ähnlich waren, schimmernd im Zwielicht, welches allmählich träge wie Nebel aus der aufkommenden Nacht herausfloss. Und mit dem Schwinden des letzten Lichtes kroch eine unbestimmte Düsternis in Theras Herz, tropfte wie schwarzes Wasser in ihre Seele und hinterließ winzige Wellen des Unbehagens. Sie spürte nur zu deutlich, dass sie bei dieser Konfrontation immer mehr an Boden verlor. Es war so, als fechte sie mit ihrem eigenen Spiegelbild. Wie konnte man einen solchen Kampf gewinnen?
Es hatte eine Zeit gegeben, da hatte sie unfehlbar gewusst, was richtig war. Dann hatte sie ihren Stamm verlassen und sich mit einem Schlag daran gewöhnen müssen, dass die Welt jenseits der Kelchi-Tradition viel schwieriger, zweideutiger und verwirrender war, als sie gedacht hatte. Und genau in dem Moment, als ihre Verwirrung sie zu überrennen drohte, war Barik gekommen und hatte sie unter seine Fittiche genommen. Er hatte ihr beigebracht, wie man in dieser Welt zurechtkam, hatte ihr neue Maßstäbe für richtig und falsch gegeben, sie vorsichtig eingewoben in das feine Gespinst seiner neuen Wahrheiten, dem sie nun ebenso wenig entkommen konnte, wie Dhela den unsichtbaren Fesseln ihres Kelchi-Blutes. Seine Vision von einer neuen Welt war wie ein fester Kiesgrund in einem reißenden Fluss, in den sie sich einstemmen und allen Anstürmen trotzen konnte.
"Alles wäre viel einfacher", sagte sie schließlich, "wenn ihr endlich aufhören würdet, die Kelchi-Wahrheiten als das Ende aller Dinge zu betrachten. Die Welt ist im Begriff, eine andere zu werden. So viele Dinge haben sich verändert - nur ihr seid immer noch die alten geblieben. Ihr könntet so vielen Menschen so viel ersparen, wenn ihr nur einmal vernünftig wärt und euch in das Unvermeidliche fügen würdet."
"Das können wir nicht", erklang Dhelas Stimme hinter ihr, "und das weißt du. Dariva gibt den Menschen Leben und Freiheit, und Shin-Deykin gab uns ihre Künste des Schwertes, damit wir beides aus eigener Kraft verteidigen können. Damit wir niemals vor irgendwem das Knie beugen müssen. Es trotzdem zu tun, hieße alles zu verraten, was wir sind. Barik gewähren zu lassen, würde bedeuten, diese Geschenke vor aller Augen in den Schmutz zu werfen. Das kannst du nicht von uns verlangen."
Thera erschauderte, irritiert von der plötzlichen Sanftheit in Dhelas Stimme. Sie verschränkte die Finger ineinander, löste sie dann wieder, ihre Fingerspitzen glitten suchend über Handrücken und Unterarme, ertasteten die unzähligen Schwielen und Narben, die sie sich in den vielen Jahren des Trainings und des Kampfes zugezogen hatte.
Vergangenheit, beschwor sie sich. Laß es hinter dir!
"Das Problem ist, dass wir beide nicht das gleiche sehen, wenn wir dort hinausschauen", sagte sie bedächtig. "Du siehst dort nur Darivas Garten, ein ewiger Zyklus ohne Ziel. Aber ich sehe dort draußen eine Welt voller Möglichkeiten, die nur darauf warten, von uns entdeckt zu werden." Sie drehte sich um, packte Dhela an den Schultern und schüttelte sie kurz, als könnte sie sie auf diese Weise dazu bringen, die Wahrheit zu akzeptieren. "Begreifst du denn nicht? Dies ist der Ort und die Zeit, wo Shin-Deykins Weg zu Ende geht und ein neuer beginnt." Sie ließ von ihr ab und sah noch einmal aus dem Fenster auf die nächtliche Ebene hinaus, auf die finstere Masse des Adja-Ran, verkroch sich mit dem Blick in seinem Gespinst aus Schatten und Erinnerungen. Unerwarteter Schmerz ließ ihre Stimme zittern, als sie weitersprach: "Und dein Tod ist der einzige Weg, es endlich Wirklichkeit werden zu lassen."
Dhela lächelte, ganz so, als sei endlich etwas geschehen, was sie die ganze Zeit über erwartet hatte. "Du weißt es noch nicht", sagte sie leise, "aber was das angeht, hast du ausnahmsweise absolut recht..."

***

Thera fühlte sich noch immer nicht wohl. Sie ließ ihren Blick zum wiederholten Male über die Menge der Schaulustigen schweifen, die sich mehr oder weniger freiwillig auf dem großen Platz im Zentrum von Dunharg versammelt hatten, um Dhelas Hinrichtung beizuwohnen: Bauern, Unfreie, Tagelöhner, Bettler und all das andere Gesindel, das die Stadtwache für diesen besonderen Anlass aus den düsteren Winkeln der Stadt heraus und zusammen getrieben hatte, damit sie eine angemessene Kulisse bildeten, wenn Barik sein Exempel statuierte. Eine wogende Masse aus Leibern, über der sich eine Dunstglocke aus Schweiß und schalem Bier gebildet hatte. Nicht unbedingt das angemessene Publikum für Dhelas letzten Auftritt. Zumindest in diesem Punkt musste Thera ihr Recht geben: Diese ganze Vorstellung war entwürdigend.
Wahrscheinlich hättest du tatsächlich einen besseren Tod verdient, dachte sie beinahe reumütig. Aber ich kann ihn dir leider nicht gewähren...
Sie hatte Barik vergeblich zu überreden versucht, die Hinrichtung im Inneren der Zitadelle vorzunehmen, doch er war eisern geblieben: "Macht ist nichts, wenn man sie nicht demonstrieren kann", hatte er zu ihr gesagt, "und ich habe nicht vor, diesen Augenblick des Triumphes hinter verschlossenen Türen stattfinden zu lassen!"
Sie hatte sich daher zumindest bemüht, den Platz abzusichern, so gut es ging. Lanzenträger hielten eine breite Gasse frei, durch die der Karren mit der Delinquentin von der Zitadelle herabkommen würde. Andere Soldaten bildeten einen Ring rund um das Podium, auf dem bereits ein maskierter Scharfrichter neben einem Hackklotz wartete. Für einen Außenstehenden schien alles so sicher, wie man es sich nur vorstellen konnte. Eine Kompanie von Gardisten war in der Menge verteilt, um eventuelle Störenfriede ausfindig zu machen und Angreifer, die sich zu Fuß zum Podium durchzukämpfen versuchten, abzufangen, was die einzige wirkliche Gefahr darstellte. Für eine Blitzattacke zu Pferde war angesichts der dichtgedrängten Menschenmassen einfach kein Platz, überall patroulierten Vierertrupps von Gardisten und auf den Dächern der umliegenden Häuser waren Bogenschützen postiert. Sie hatte ihr Bestes getan, es potentiellen Angreifern so schwer wie möglich zu machen. Dennoch blieb ihre Unruhe. Sie wusste nur zu gut, dass all das eine Handvoll entschlossener Kriegerinnen nicht aufhalten konnte.
Es sind Kelchi. Sie werden einen Weg finden. Haben ihn schon gefunden. Und wir kommen ihnen auch noch auf halbem Weg entgegen.
Ihr Blick wanderte hinüber zum Gildenhaus, welches die gesamte Südseite des Platzes einnahm. Auf einem Balkon auf halber Höhe stand Barik, umrahmt von zwei Leibwächtern, und sah mit unbewegter Miene auf das Geschehen herab.
In der Menge erhob sich unversehens erregtes Gemurmel: Oben auf dem Hügel hatte sich das Tor der Zitadelle geöffnet. Ein Holzkarren, gezogen von einem einzelnen Pferd und umringt von grimmigen Gardisten in roten Mänteln, kam heraus und rumpelte beinahe gemächlich die breite Hauptstraße herab. Auf dem langen Weg hatte Thera Gelegenheit, Dhela, die gefesselt auf der Ladefläche des Karren stand, noch einmal in aller Ruhe zu betrachten.
Die wenigen Kleidungsstücke, die man ihr gelassen hatte, waren schmutzig und zerrissen, aber selbst nackt und von oben bis unten in Schlamm verpackt hätte sie jedermann noch immer sofort als eine Kelchi erkannt. Es war die Art, wie sie auf dem Karren stand, aufrecht trotz aller Erschöpfung, den smaragdfarbenen Blick wie einen Blitzstrahl auf das Podium gerichtet, so als könne sie es nicht erwarten, die Sache hinter sich zu bringen. Dies war mehr als bloßer Stolz. Es war eine Würde, die daraus erwuchs, als Auserwählte in Shin-Deykins Weg hineingeboren zu werden, geleitet von einem Kodex so alt wie die Menschheit. "Tätowierte Wilde" hatte Barik sie genannt. Bei allem Hass, den sie für Dhela und die Kelchi an sich empfand, musste Thera dennoch zugeben, dass dies nur die halbe Wahrheit war.
Ja, sie sind wild. Aber ganz bestimmt nicht primitiv. Der Kodex zügelt ihre Macht, aber sie sind noch immer unbezähmbar wie die Wildnis, in der sie leben. Die Wildheit von Feuer und Erde steckt in ihnen, kocht in ihrem Blut. Wenn Oshnus Friede jemals über die Welt kommen soll, muss es uns gelingen, diese Wildheit zu zähmen, so wie ich die meine gezähmt habe.
Schließlich erreichte der Karren den Fuß des Podiums. Zwei Gardisten zerrten die Kelchi ruppig von der Ladefläche herunter und schleiften sie die Treppe hoch auf die Bühne. Die Hohe Kriegerin ignorierte ihre Grobheit. Ihr Blick war unablässig auf die Hüterin der Gesetze gerichtet, die direkt neben der obersten Stufe stand und mit der Linken das Schwert ihrer Gegenspielerin umklammert hielt.
"Lächele, Na-Ena", rief Dhela, als man sie an Thera vorbeiführte, "das ist doch dein großer Tag, oder nicht?"
"Halt den Mund!" zischte Thera leise.
"Ich bin ja so froh, dass ich dabei sein darf..." Dhela legte den Kopf in den Nacken und lachte.
Als sie schließlich in der Mitte des Podiums angelangt war, ging ein Raunen durch die Menge. Offenbar, weil vielen erst jetzt die bemerkenswerte Ähnlichkeit zwischen den beiden Frauen auffiel. Direkt nebeneinander gestellt, war es allzu offensichtlich, auf welches gemeinsame Erbe die Klinge Oshnus und ihre erbittertste Widersacherin zurückblickten.
Thera gab den beiden Trompetern links und rechts des Podiums einen Wink. Ein knapper Fanfarenstoß erklang, und die Zuschauer verstummten allmählich. Sie atmete tief ein, wartete, bis einigermaßen Stille eingekehrt war, dann stieß sie Dhelas Schwert mit einer abrupten Geste gen Himmel. "Seht her!" rief sie. "Dies ist das Schwert eines fruchtlosen und blutigen Widerstandes, welches vielen treuen Kindern Oshnus das Leben nahm. Das Blut eurer Brüder und Söhne klebt an diesem Schwert, und es war ihre Hand, die es führte!" Ihre rechte Hand schoss nach vorne und wies anklagend auf Dhela, die gelassen neben dem Hackklotz stand. Einzelne Stimmen im Publikum zischten zustimmend.
"Aber jetzt hat dieses Töten ein Ende" fuhr Thera fort, "denn das Schwert und seine Trägerin sind in unserer Hand, und der Wille Oshnus wird geschehen." Dhelas spöttisches Lächeln bei diesen Worten hätte ihr eigentlich eine Warnung sein sollen, doch sie ignorierte es, entschlossen, sich durch so etwas nicht mehr aus der Ruhe bringen zu lassen.
"Oshnu ist voller Gnade, und er gewährt sie gerne..."
Auch was die Ansprache anging, hatte sich der Hohe Priester nicht erweichen lassen, und Thera hatte letztendlich nachgegeben. Im Grunde machte es nicht wirklich einen Unterschied, was sie sagte oder nicht. Hauptsache, die ganze verdammte Angelegenheit fand endlich ein Ende.
"...doch in diesem Fall hat er beschlossen, dass so viel Frevel nicht ungesühnt bleiben darf. Und deshalb wird die Hexe sterben - zum Wohle aller. Auf das Oshnus Friede über uns komme und durch nichts mehr gestört werde."
Es wäre sicher in Bariks Sinne gewesen, wäre die Menge an dieser Stelle in lauten Jubel ausgebrochen. Aber alles, was die Menge von sich gab, war eine Mischung aus zustimmendem Gebrummel und eisigem Schweigen. Den meisten schien diese Vorstellung genauso wenig zu gefallen, wie Thera selbst. Nur Barik auf seinem Balkon hatte ein schmales Lächeln aufgesetzt. Für jemanden mit seiner beherrschten Mimik ein unvorstellbar deutlicher Ausdruck tiefer Zufriedenheit. Seine schmale Hand kam unter seiner Robe zum Vorschein und winkte knapp in Theras Richtung.
Sie nickte, und die beiden Gardisten zwangen Dhela, ihren Kopf auf den Klotz zu legen. Die Kelchi lächelte noch immer.
Theras argwöhnischer Blick wanderte erneut über die Zuschauer. In der vordersten Reihe machte sie ein paar Gestalten aus, die lange Kapuzen über ihre Köpfe gezogen hatten. Sie wurde misstrauisch. Warum sollten sie ihre Gesichter verbergen? Die Gestalten standen mit gebeugtem Rücken direkt an der Absperrung, welche die Soldaten mit ihren Lanzen gebildet hatten.
Aber sie sind nicht alt! durchfuhr es sie. Sie wollen...ihre Größe verbergen!
Theras Instinkte schlugen Alarm. Sie ging nach vorne an den Rand des Podiums, direkt auf eine der Kapuzengestalten zu. Hinter ihr hob der Scharfrichter sein Beil. Eine Art Aufseufzen ging durch die Menge, kräuselte die Atmosphäre, wie ein Windstoß die Oberfläche eines Sees. Unter der Kapuze funkelte ein Paar grüner Augen wütend in Theras Richtung.
Tieflandbewohner haben keine grünen Augen...
"Sie sind hier!"
Theras Stimme hallte über den ganzen Platz, aber es war zu spät. Ihr Alarmruf ging in einem plötzlichen Tumult unter, denn im gleichen Augenblick zischten plötzlich Pfeile aus mehreren Richtungen auf das Podium zu und trafen den Scharfrichter in Brust und Hals. Noch bevor er zu Boden sank, hatte Thera gesehen, was sie eigentlich nicht sehen wollte: blauschwarze Befiederung und ein Schaft aus frischem Eschenholz - Kelchi-Pfeile!
Unterhalb des Podiums herrschte völliges Durcheinander. Menschen liefen plötzlich in alle Richtungen davon, und mittendrin sah man immer mehr großgewachsene Gestalten, die Lumpen und Umhänge abwarfen. Kupferrote Haarschöpfe leuchteten überall, bläuliche Schwertklingen blitzten auf. Kampflärm, das Klirren von Schwertern, lautes Rufen und auch Schreie anderer Art, all das schlug mit der Wucht einer haushohen Meereswoge über ihr zusammen. Rings um sie her rannten Soldaten und Zivilisten wild durcheinander, Kelchi-Kriegerinnen pflügten durch die wogenden Massen hindurch, besetzten die Mündungen von Gassen und Straßen, um eventuelle Verstärkung von der Stadtwache oder aus der Zitadelle selbst abzufangen. Andere waren in der aufgelösten Menge verteilt, um die Gardisten in Zweikämpfe zu verwickeln und sie auf diese Weise vom Podium fernzuhalten. Eine geschickte Taktik, die Dhela genug Zeit verschaffen sollte, sich in Sicherheit zu bringen...
Dhela!
In dem Moment, in dem ihr bewusst wurde, dass sie noch immer wie gelähmt dastand und fassungslos auf das Chaos zu ihren Füßen starrte, hätte sie am liebsten laut geschrieen. Sie fühlte sich übertölpelt. Sie hatte zwar damit gerechnet, dass so etwas geschehen konnte, aber dass es nun tatsächlich passierte, dass die Kelchi tatsächlich gewagt hatten, sie auf ihrem eigenen Grund und Boden herauszufordern und auf diese Weise zu demütigen, hatte sie im ersten Moment vollkommen aus der Fassung gebracht. Sie zog Dhelas Schwert, das sie noch immer in der Hand hielt, und sah über die Leiche des Henkers hinweg dorthin, wo vor zwei Herzschlägen noch die Hohe Kriegerin der Kelchi gefesselt zwischen zwei Gardisten gestanden hatte. Die Gardisten lagen nun auf dem Rücken. Ein ganzer Strauß blauschwarz befiederter Pfeile ragte aus ihren Leibern. Dhela war natürlich spurlos verschwunden – abgetaucht, genau in dem Augenblick, in dem alle nur auf den Scharfrichter achteten. Die Taktik der Kelchi war aufgegangen: Sie hatten in einem einzigen explosiven Augenblick ein Höchstmaß an Verwirrung gestiftet und sich diesen ersten Moment des Chaos zunutze gemacht, um die Sache zu entscheiden, noch bevor die meisten - Thera eingeschlossen - mitbekommen hatten, was überhaupt los war. Und es hatte hervorragend funktioniert: Im Moment war Thera im Umkreis von fünfzig Fuß um das Podium die einzige Bewaffnete, und die Hohe Kriegerin war nirgends mehr zu sehen. Wahrscheinlich fortgespült von der panischen Menschenmenge, die zunächst ein wenig wüst durcheinander wirbelte und dann fluchtartig in den unzähligen Straßen und Gassen versickerte, davon floss wie Wasser auf einem Marmorboden. Und irgendwo in diesem Gewühl steckte eine Kelchi, die eigentlich schon tot sein sollte, und eine der anderen Kriegerinnen war inzwischen mit Sicherheit bei ihr, um ihr die Fesseln abzunehmen.
Noch nicht zu spät!
Thera wusste, dass sie trotz allem noch immer einen Weg finden musste, aus der Stadt heraus zu kommen, und das würde sie ihr so schwer wie nur irgend möglich machen. Sie sprang vom Podium herunter, stieß ein paar verwirrte Zuschauer zur Seite und suchte mit den Augen die Umgebung ab.
"Ie-yekaan!"
Der Kelchi-Schlachtruf hallte durch die Gassen, prallte gegen die Mauern der Zitadelle und wurde von dort in einem geisterhaften Echo wieder in den Hexenkessel zurückgeworfen, in den sich Dunharg innerhalb weniger Augenblicke verwandelt hatte. Dazwischen hörte sie das unverkennbare Geräusch von Pferdehufen, und fast im gleichen Moment einen verzweifelten Fanfarenstoß aus der Richtung des westlichen Stadttores.
Verdammt! Sie haben wirklich an alles gedacht.
Sie rannte die schmale Straße hinunter, die zum Westtor führte, und sah schon von weitem, was geschehen war: Einige Kelchi hatten sich offenbar im allgemeinen Durcheinander am Tor gesammelt und die Wachmannschaft überwältigt. Reiterinnen galoppierten durch die nun geöffneten Torflügel, preschten zwischen die verwirrten Zivilisten und auf die Grüppchen von Soldaten zu, mit dem einzigen Ziel, die Verwirrung noch zu vergrößern und jede planvolle Verteidigung im Keim zu ersticken. Auf den Hausdächern ringsum oder verschanzt hinter Obstkarren und anderen provisorischen Barrikaden, sah sie bärtige Männer mit langem rotem Haar – Kelchi-Jäger, die mit ihren kräftigen Langbogen alles mit Pfeilen spickten, das den Kriegerinnen zu nahe kam. Die übliche Taktik bei einem Blitzangriff. Thera vermutete, dass sich vor dem Tor der Zitadelle soeben ein ähnliches Szenario abspielte. Von dort war also so schnell keine Verstärkung zu erwarten. Diese Männer schossen nicht daneben.
Vom Fluss herauf kam eine weitere Gruppe von gut zwei Dutzend Reiterinnen auf das Tor zugaloppiert. Die Anführerin führte am Zügel ein zweites reiterloses Pferd. Thera brauchte nur den Bruchteil eines Herzschlages, um zu begreifen, für wen dieses Pferd bestimmt war.
Ohne viel nachzudenken, lief sie los. Wenn sie das Pferd erreichte, würde sie auch Dhela kriegen. Sie musste nur schnell sein. Sie ignorierte die überall um sie her schwirrenden Pfeile, wenngleich einige gefährlich nah an ihr vorbeiflogen, einer sogar so knapp, dass sie spüren konnte, wie die Befiederung ihr linkes Ohr streifte. Aber es kümmerte sie nicht wirklich, denn ihr war inzwischen klar, dass sie sich darum nicht allzu viele Gedanken machen musste. Wenn den Kelchi daran gelegen gewesen wäre, sie einfach zu erschießen, wäre sie bereits neben dem Henker auf dem Podium gestorben. Aber sie lebte noch. Und das bedeutete, dass Dhela noch etwas mit ihr vor hatte.
Oh, Dhela! Du und dein verqueres Gefühl von Ehrenhaftigkeit. Du willst diese Sache unbedingt auf die richtige Art und Weise zu Ende bringen. Ein schlichter Pfeil für die Abtrünnige wäre einfach nicht dein Stil...
Aus dem Augenwinkel sah sie die Bewegung. Ihre Reflexe entschieden, lange bevor ihr bewusst wurde, was es war. Sie ließ sich fallen, rollte sich über die Schulter ab und kam blitzschnell wieder auf die Füße. Nur wenige Zoll vor ihrem Gesicht zischte eine Schwertklinge quer durch ihr Blickfeld. Ein schneller Ausfallschritt nach hinten, dann brachte Thera ihr eigenes Schwert hoch und blockte die nächste Attacke ab. Die hochgewachsene Kelchi, die sich ihr in den Weg gestellt hatte, nutzte ihre Reichweite, indem sie einfach ihr Gewicht nach vorne verlagerte und auf diese Weise versuchte, den Block zu durchbrechen.
Ein Anfängerfehler! dachte Thera kühl. Verlass dich nie auf deine Reichweite. Behalte lieber die Balance.
Thera veränderte den Winkel ihrer Klinge und ließ das Schwert ihrer Gegnerin daran abgleiten, so dass diese ohne den Gegendruck unvermittelt nach vorne stolperte. Thera ging in die Hocke und ließ sie auf sich zufallen, eine blitzschnelle Drehung auf der Ferse, dann bohrte sich ihr Ellbogen mit einem harten Stoß in die Magengrube der Angreiferin. Die Kriegerin taumelte keuchend zurück, und Thera schraubte sich mit einer weiteren Drehung wieder hoch. Ihr Schwert beschrieb dabei einen weiten Halbkreis und grub sich unterhalb des Ellbogens bis auf den Knochen in den Schwertarm der Gegnerin. Dann noch ein gerader Stoß mit der Faust an den Kehlkopf, und Thera hatte wieder freie Bahn.
Da war Dhela! Von ihren Fesseln befreit sprintete sie durch den Pfeilhagel auf die Reiterinnen zu, die ihr, dicht über die Hälse ihrer Pferde gebeugt, entgegenpreschten. Nur noch wenige Herzschläge, und sie hatte sie erreicht.
Verdammt! Ich komme zu spät!
Ringsum war nicht ein einziger Gardist zu sehen. Die Kelchi hatten ganze Arbeit geleistet. Thera gab trotzdem nicht auf und sprintete hinter Dhela her. Die hatte inzwischen das Pferd erreicht und schwang sich in den Sattel. Sie wendete, und das Tier raste mit kräftigen Sprüngen in Richtung des Flusses davon. Ein Dutzend Reiterinnen folgte ihr, das andere Dutzend verteilte sich in den Straßen, um die Soldaten anzugreifen, die aus den beiden Nebeneingängen der Zitadelle herausströmten.
Ich brauche ein Pferd!
Thera bahnte sich schwertschwingend einen Weg durch die Kämpfenden und rannte unter dem Torbogen hindurch auf die Wiese, die sich zwischen der Stadtmauer und dem Fluss erstreckte. Sie orientierte sich kurz, änderte dann die Richtung und hielt geradewegs auf eine der Reiterinnen zu, die geduckt zwischen einigen völlig verwirrten Bauern hindurchgaloppierte.
Als die Reiterin sie bemerkte, lenkte sie ihr Pferd genau auf sie zu, das Schwert hoch erhoben, fest entschlossen, die abtrünnige Kelchi mit einem einzigen Streich zu erledigen. Doch Thera hatte oft genug gegen Berittene gekämpft, und sie würde ihr nicht den Gefallen tun, ihr in die Klinge zu laufen. Statt dessen stürmte sie geduckt auf die Brust des Pferdes zu, genau wissend, dass Kelchi-Pferde, im Gegensatz zu denen der Gardisten, nicht darauf trainiert waren, Menschen einfach niederzutrampeln. Als Thera und die Reiterin noch zwei Schritte voneinander entfernt waren, strauchelte das Pferd, wie Thera es erwartete hatte, und schickte sich an, um sie herumzulaufen. Die Reiterin brauchte im Augenblick ihre ganze Konzentration, um das Tier unter Kontrolle zu halten und nicht aus dem Sattel zu fallen, was Thera die wichtige Sekunde verschaffte, die sie brauchte. Sie sprang nach vorne, packte die Zügel und riss den Kopf des Pferdes mit ihrem ganzen Gewicht hart herum. Das Pferd strauchelte erneut und ging abrupt in die Knie. Die Reiterin stieß sich instinktiv aus dem Sattel, bevor sie unter dem stürzenden Pferd begraben wurde, rollte sich geschickt ab, kam aber nicht wieder auf die Füße, da Thera schon bei ihr war. Ein harter Tritt aus der Drehung heraus traf die Reiterin an der Schläfe, und sie sackte bewusstlos zusammen.
Thera versicherte sich, dass das Pferd keinen Schaden genommen hatte, und mit einem Ruck an den Zügeln brachte sie es dazu, wieder aufzustehen. Dann musste sie einen kurzen Moment dazu verwenden, es zu beruhigen. Es tänzelte ein wenig und warf den Kopf zurück, aber es war nicht übermäßig verstört. Offenbar hatte es bereits einige Kämpfe hinter sich und darüber hinaus gute Nerven. Einen Augenblick später konnte sich Thera bereits in den Sattel schwingen.
Kelchi-Pferde sind immer noch die besten.
Das Pferd war ein kräftiger Hengst, breit und massig, keiner der nervösen, langbeinigen Sprinter aus dem Tiefland, sondern ein echtes Hochlandpferd, auf Ausdauer und Nervenstärke gezüchtet. Genau das richtige, wenn man eine flüchtende Kelchi verfolgen wollte. Sie dirigierte den Hengst mit leichtem Schenkeldruck in die gewünschte Richtung und trieb ihn dann mit einem sachten Tritt in die Flanken an. Der Hengst preschte los, hinter der flüchtenden Reitergruppe her, die kurz davor war, aus Theras Blickfeld zu verschwinden.
Sie wandte sich ein letztes Mal um. In den Straßen, die sie durch das offene Tor hindurch sehen konnte, wimmelte es noch immer von verstörten Zuschauern und schimmernden Kelchi-Schwertern, dazwischen Soldaten, die bemüht waren, die Bogenschützen aus ihrer Deckung zu vertreiben und die Schwertkämpferinnen auf Abstand zu halten. Der Pfeilhagel hatte größtenteils aufgehört, und es war Bariks Leibgarde inzwischen gelungen, das Tor unter Kontrolle zu bringen. Ein Dutzend berittener Gardisten galoppierte mit wehenden Umhängen hindurch und nahm ebenfalls die Verfolgung der Flüchtenden auf.
Thera kümmerte sich nicht mehr darum. Es spielte keine Rolle mehr. Jetzt gab es nur noch die Jagd.
Ihr Tölpel könnt hier nichts ausrichten, dachte sie grimmig. Um diese Kelchi zur Strecke zu bringen, braucht es eine andere Kelchi...

***

Sie hatte einen scharfen, zweistündigen Ritt hinter sich, ohne Aussicht auf ein baldiges Ende, sie war noch immer zornig und frustriert, doch ein Teil von Thera fühlte sich so gut wie schon lange nicht mehr. Sie hatte in den letzten Jahren soviel Zeit damit verbracht, Leuten hinterher zuschnüffeln und Todesurteile zu unterzeichnen, dass sie schon beinahe vergessen hatte, was für ein herrliches Gefühl es war, auf der Jagd zu sein. Der stahlblaue Winterhimmel, der sich über ihr aufspannte, das Stampfen der Hufe, der wilde Geruch des heißgerittenen Pferdes und der kalte Wind, der sie ins Gesicht biss, hatten sie für eine Weile beinahe vergessen lassen, warum sie hier war und wer ihre Beute darstellte.
Allerdings wurde es ihr schlagartig wieder bewusst, als die Reihe ferner schwarzer Punkte, die in den vergangen zwei Stunden immer wieder abwechselnd hinter dem Horizont verschwunden und wieder aufgetaucht war, plötzlich ihre Richtung änderte. Die Punkte wurden größer und fächerten ein wenig auseinander, um den schmalen Streifen festen Bodens am Flussufer bestmöglich unter sich aufzuteilen. Die Reiterinnen hatten gewendet und kamen nun geradewegs auf sie zu.
Thera fluchte und warf einen Blick über ihre Schulter. Die Gardisten, deren Pferde für solche Jagden nur bedingt geeignet waren, waren schon vor geraumer Zeit weit zurückgefallen und jetzt mindestens eine dreiviertel Meile hinter ihr. Rechts von ihr war der Fluss, links erhob sich eine steile Böschung, gefolgt vom dichten Unterholz eines Wäldchens, in dem man selbst zu Fuß nur schwerlich vorankommen würde. Zumindest im Augenblick hatte sie keine Möglichkeit, den Angreiferinnen auszuweichen. Zorn und ein Anflug von Unbehagen wühlten sich in ihre Eingeweide.
Für soviel Dummheit verdiene ich es wohl zu sterben, dachte sie ärgerlich. Ich habe meine eigene Verstärkung abgehängt und bin ihnen nach allen Regeln der Kunst in die Falle gegangen. Kann man denn in so kurzer Zeit vollständig das Denken verlernen?
Der Rausch der Jagd war verflogen. Jetzt arbeitete ihr Verstand fieberhaft daran, das beste aus der Situation zu machen. Sie kniff die Augen zusammen und zählte aus reiner Gewohnheit die Punkte, die ihr entgegenkamen, um ihre Chancen besser abschätzen zu können. Ihr Gedächtnis sagte ihr, dass es eigentlich dreizehn hätten sein müssen, doch selbst nach dem zweiten Zählen war die Reihe unweigerlich bei zehn zu Ende. Wollte sich Dhela etwa doch die größte Beute ihres Lebens entgehen lassen und sich einfach davonmachen?
"So nicht, Dhela", flüsterte sie. "Ich kriege dich, und wenn es das letzte ist, was ich tue!" Sie wechselte Dhelas Schwert, das sie die ganze Zeit über in der Hand gehalten hatte, in die Linke und zog zusätzlich ihr eigenes Schwert.
Die Kelchi kamen jetzt schnell näher. Sie konnte bereits die Atemwolken der Pferde und das bläuliche Schimmern von Schwertern erkennen.
Thera richtete sich im Sattel auf, ließ die beiden Klingen kreisen, und als die Reiterinnen schließlich in Rufweite waren, holte sie tief Luft und stieß mit hocherhobenen Schwertern den Kelchi-Kampfschrei aus. Sie hatte eigentlich ein Echo erwartet, aber nichts geschah. Sie waren jetzt so nah, dass sie ihre Gesichter erkennen konnte. Das eine oder andere kam ihr sogar bekannt vor, aber damit konnte sie sich jetzt nicht beschäftigen. Sie zählte jetzt nur noch die Sekunden bis zum Zusammentreffen. Die Kriegerinnen waren tief über die Hälse ihrer Pferde gebeugt, die Spitzen ihrer Schwerter zeigten rätselhafterweise nach unten.
Ist das irgendein neuer Trick, den ich noch nicht kenne?
Noch zwei, höchstens drei Herzschläge, und die beiden in der Mitte hatten sie erreicht. Thera hielt den Atem an, und ein Teil in ihrem Inneren bereitete sich unbewusst aufs Sterben vor. Sie wusste, dass sie nur eine Chance hatte, nämlich so unbeschadet wie möglich durch die Linie zu brechen und dann einfach weiter zu reiten und zu hoffen, dass man sie nicht einholte.
Einen Augenblick später hörte alles Denken auf. Das Donnern von Hufen, das schwere Schnaufen von Pferden, direkt neben ihr. Sie schwang instinktiv ihre Schwerter, wartete auf das Funkenschlagen, wenn Kelchi-Stahl zusammenprallte, vielleicht auch auf den bohrenden Schmerz einer geschickt von unten geführten Klinge...
Nichts geschah. Sie riss ihre Augen, die sie unbewusst geschlossen hatte, wieder auf, brachte ihr Pferd zum Stehen und sah ungläubig hinter sich. Niemand hatte sie angegriffen. Offenbar hatten die beiden Reiterinnen in der Mitte ganz bewusst einen kleinen Bogen um sie gemacht, und die Linie preschte nun unbeeindruckt weiter in die Richtung, aus der Thera gekommen war.
Sie blinzelte einen Moment verwirrt, bis ihr klar wurde, was das zu bedeuten hatte.
Natürlich! Sie wollen mich von meiner Verstärkung abschneiden, damit ihre Hohe Kriegerin die Sache alleine beenden kann...
Sie verzog grimmig das Gesicht. Zehn Kelchi gegen zwölf Gardisten – die Männer hatten nicht die geringste Chance. Aber hier stand es jetzt nur noch drei gegen eine, besser als sie noch vor einer Minute zu hoffen gewagt hatte.
Also schön, Dhela. Wenn du das hier zu deiner Jagd erklärt hast, dann will ich dich nicht enttäuschen.
Sie trieb erneut ihr Pferd an und folgte im langgestreckten Galopp der Spur der verbleibenden drei Pferde. Sie war auf dem sandigen Boden relativ leicht auszumachen, und schließlich kam sie an eine Stelle, an der die Böschung sanfter wurde. Der Wald lag bereits ein gutes Stück hinter ihr, und die Spur machte einen eindeutigen Bogen vom Fluss weg die Böschung hinauf.
Thera hielt kurz an, um sich zu orientieren. Sie war bereits tief im Vorland des Adja-Ran, das Gelände wurde hügeliger, flache, grasbewachsene Erhebungen, hin und wieder nackter Fels zwischen hochgewachsenem Grün. Das Gebirge selbst, von der Zitadelle aus nicht mehr als ein dunkler Streifen, war hier greifbar nahe, eine zerklüftete, scharfkantige Masse, die wie eine bedrohliche graue Wand den gesamten nördlichen Horizont einnahm. Sie kannte diese Gegend. Sie und Dhela waren früher oft hier unterwegs gewesen, waren tagelang durch die Hügel und Wälder gestreift, manchmal um zu jagen, manchmal auch nur so zum Spaß.
Warum führt sie mich hierher? Wenn sie mich stellen wollte, hätte sie das schon vor Stunden tun können. Was soll das?
Aber jetzt, da sie wusste, wo sie sich befand, war sie auch ziemlich sicher, wo sie Dhela finden würde. Ganz in der Nähe gab es ein kleines Tal, das von allen nur "Der Bruch" genannt wurde: Ein irgendwie unsinnig erscheinender Einschnitt in den Hügeln, der aussah, als hätte jemand mit einem gewaltigen Schwert den felsigen Boden gespalten. Er lag windgeschützt und besaß eine eigene Quelle, weshalb sie ihn damals häufig als Lagerplatz benutzt hatten.
Sie trieb ihr Pferd an und lenkte es zielsicher durch das kniehohe, mit Büschen und kleineren Bäumen durchsetzte Gras. Sie kannte den Weg im Schlaf, auf die mehr oder weniger deutlichen Spuren achtete sie nur noch beiläufig.
Ich weiß, dass du dort bist. Es passt einfach zu dir - nur ein weiteres dieser kleinen Spielchen, die du schon in unserer Kindheit mit mir getrieben hast. Und du weißt auch genau, dass ich mitspielen werde, wie immer. Aber dieses Mal solltest du dich, was den Ausgang angeht, auf eine Überraschung gefasst machen...
Mit entschlossener Miene lenkte sie das Pferd auf den wohlvertrauten Pfaden über die Hügel, bis sie schließlich den Trampelpfad erreichte, der direkt in den Bruch hinabführte. Einige Schritte entfernt stand ein einzelnes, schweißnasses Pferd und trank aus dem kleinen Bach, der sich zwischen den Hügeln hindurchschlängelte und dann plötzlich im Boden verschwand, um unten im Bruch als kristallklare Quelle wieder aus den Felsen hervorzuschießen.
Sie hat die beiden anderen nach Hause geschickt. Um so besser. Das hier geht nur uns beide was an.
Thera saß ab und folgte dem Pfad, der sich zwischen zwei Hügelkämmen absenkte, auf einem kurzen Stück zu einem düsteren Hohlweg wurde und schließlich dreißig Fuß tiefer in einer Talsohle aufging.
Die Luft war kühl, und dünner Nebel hing über dem breiten Rinnsal, das sich von der Quelle aus in das Tal ergoss und auf der gegenüberliegenden Seite wieder im Felsen verschwand. Das trübe Nachmittagslicht, das durch den Spalt freien Himmels hoch über ihrem Kopf hereinfiel, tauchte alles in gespenstisches Grau.
Dhela saß etwa in der Mitte des Tals auf einem flachen Felsen. Sie hatte sich Hosen und ein Paar Stiefel geliehen, und ein blauschimmerndes Schwert lehnte zu ihren Füßen an einem Stein. Als sie Thera kommen sah, sprang sie anmutig von ihrem Sitzplatz herunter und blieb mit verschränkten Armen neben dem Schwert stehen. Ihr Lächeln wirkte beinahe freundlich.
"Ich wusste, dass du mich finden würdest."
"Du kannst die Spielchen nicht lassen, was? Oder glaubst du wirklich, mich hierher zu locken, ändert irgendwas?"
"Ich sage es dir noch mal: Ich spiele nicht mit dir..."
"Nein. Du versuchst nur, mich mit allen möglichen Tricks auf deine Seite zu ziehen."
Dhela lächelte. "Vielleicht ist das gar nicht mehr nötig."
Thera wollte gerade etwas erwidern, als ihr bewusst wurde, wie rätselhaft diese letzte Bemerkung war.
Sie will mich verwirren, mit einer weiteren ihrer kleinen Spitzen...oder ein weiteres Kelchi-Rätsel?
Dhela hatte ihre kurze Verwirrung offenbar bemerkt, denn sie lachte leise. "Du bist hier", sagte sie, "damit habe ich alles erreicht, was ich wollte."
"Dann hast du offenbar deinen Tod gesucht, denn das ist das einzige, was du erreichen wirst." Theras Antwort kam beinahe automatisch, doch hinter ihrer Stirn arbeitete es. War das alles hier nur eine raffinierte Falle? Hatte sie etwas übersehen?
"Dann bring es zu Ende, Thera!" Dhelas Miene war ernst geworden. Ihre Haltung spannte sich und sie griff nach ihrem Schwert.
"Warte!" Thera warf ihr das Schwert zu, das sie noch immer in der Hand hielt. "Ich denke, du solltest wenigstens mit deinem eigenen Schwert in der Hand sterben."
Dhela fing das Schwert geschickt auf und wog die Klinge bedächtig in der Hand. "Ich frage mich, wie du so zynisch werden konntest."
"Denk nach, Dhela! Alles, was ich war, war ich durch euch - und dann habt ihr mir alles genommen. Also musste ich mich selbst noch einmal neu erschaffen. Und auch die neue Thera habt letztendlich ihr erschaffen. Mit all ihrem Zorn..."
"Dann wird es Zeit, deinen Zorn zu vergessen, Na-Ena..."
"Das werde ich", entgegnete Thera, "sobald du und deinesgleichen von allen anderen vergessen sind. Mein Zorn stirbt zusammen mit der letzten Kelchi..."
"Oder mit mir", ergänzte Dhela.
Thera hob ihr Schwert und zögerte dann. Irgend etwas an diesem Gespräch war seltsam, und erneut stieg jener Zweifel in ihr auf, der schon seit dem Moment, in dem sie die Nachricht von Dhelas Gefangennahme bekommen hatte, am Rande ihres Bewusstseins nagte...
Ihre Gefangennahme! Belars Leuten war es gelungen, sie lebend und nahezu unversehrt zu erwischen - wie war das möglich? Wenn sie tatsächlich eine Shin-Feyro war, dann hätte eine ganze Armee nicht gereicht, sie lebend gefangen zu nehmen. Eine Shin-Feyro wird keine Kriegsgefangene...es sei denn, sie wollte es!
Was hat das zu bedeuten? Sie wollte, dass wir uns begegnen - warum? Dachte sie wirklich, sie könnte mich zurückgewinnen?
Eine Flut von Fragen ergoss sich ein weiteres Mal über ihren Geist. Die Kelchi in ihr kämpfte sich nach oben, genau wissend, dass nur sie in der Lage war, dieses Kelchi-Rätsel zu lösen, doch Thera wollte sie nicht gewähren lassen. Sie hatte zehn Jahre darum gekämpft, keine Kelchi mehr zu sein. Sie würde nicht zulassen, dass Dhela mit ihren Rätseln alles zunichte machte. Ihr Blick wanderte zu ihrer Gegnerin, und die schmale Gestalt der Kelchi-Kriegerin wurde zum Fokus ihres Zorns. Alle Rätsel, alle Verwirrung, aller Schmerz kamen von ihr - und würden mit ihr enden.
Sie hob ohne ein weiteres Wort ihr Schwert und ging in einer heftigen, von blinder Wut ausgelösten Attacke zum Angriff über. Dhela blockte ihren ersten Ausfall mit spielerischer Leichtigkeit ab und trieb sie dann mit einigen gezielt geführten Stößen ein Stück zurück. Die Leichtfüßigkeit von Dhelas Bewegungen und die erbarmungslose Präzision ihrer Schwertführung führten Thera schlagartig den Unterschied zwischen dem fünften und dem achten Grad vor Augen.
Wenn sie es nur halbwegs ernst meint, dann bin ich erledigt, bevor sie auch nur einen Tropfen Schweiß vergossen hat...
Doch Thera war entschlossen, dies hier zu Ende zu bringen. Sie hatte die Tatsache, dass sie sterben könnte, in dem Augenblick akzeptiert, als sie sich auf das Pferd geschwungen hatte, um Dhela zu verfolgen. Jetzt lag es an ihr, ob sie mit Würde aus diesem Kampf ging - tot oder lebendig.
Sie hat mich in diese Falle gelockt, und das konnte sie nur, weil sie genau wusste, was ich tun würde...sie weiß mindestens genauso gut, wie sie an meinen Fäden ziehen muss wie Barik. Vielleicht bin ich wirklich eine Marionette - aber ich kann noch immer ein Schwert führen. Vielleicht gelingt es mir hier und jetzt, diese unsichtbaren Fäden ein für alle Mal zu durchtrennen, und mich endlich von ihr zu befreien...
Ihr Zorn verlieh ihr zusätzliche Kraft, und sie schüttelte jede Furcht, überhaupt jedes Gefühl, jeden Gedanken von sich ab. Instinkte, die mehr als ein halbes Leben alt waren, gewannen die Oberhand und sorgten dafür, dass Dhela all ihre Kunst aufbringen musste, um sich Theras wirbelnde Klinge vom Leib zu halten. Sie durchliefen einen komplizierten Tanz aus Finten und Gegenfinten, heftigen, brachialen Attacken auf Theras Seite und filigraner, beinahe tänzerischer Geschicklichkeit auf Dhelas Seite. Immer wieder schlugen Funken, wenn die beiden Klingen aufeinander trafen, klaffte anklagendes Rot auf weißer Haut, wenn ein besonders geschickter Angriff eine winzige Lücke im Vorhang aus dicht gewebter Defensive fand. Nach kurzer Zeit waren die Arme und Schultern beider Kontrahentinnen überströmt mit Blut aus einigen kleineren Wunden. Ein ausgeglichenes Duell – ausgeglichener, als es eigentlich sein sollte. Thera wunderte sich beinahe, dass sie überhaupt noch am Leben und es ihr zudem tatsächlich gelungen war, Dhela ebenfalls zu verletzen. Entweder war sie selbst besser, als sie dachte, oder Dhela nahm sich mehr zurück, als gut für sie war.
Warum tut sie das? Sie ist um Welten besser als ich. Sie hätte mich schon bei der ersten Attacke erledigen können....was hat sie vor? Wieder eins ihrer verdammten Spielchen?
Thera legte all ihre neu erwachte Wut in eine heftige, mit mehr Kraft als Präzision geführte Attacke, doch es gelang ihr immerhin, ihre Widersacherin so in Bedrängnis zu bringen, dass diese sich durch einen gewaltigen Sprung nach hinten für einen Moment außerhalb ihrer Reichweite bringen musste.
Thera blieb einen Augenblick stehen, senkte ihr Schwert und funkelte ihre Gegnerin zornig an.
"Tu das nicht!" sagte sie atemlos. "Demütige mich nicht noch mehr, indem du nur mit halber Kraft kämpfst. Wenn du mich töten willst, dann tu es - aber hör endlich auf, mit mir zu spielen!"
"Begreifst du es immer noch nicht?" erwiderte Dhela. "Das hier ist kein Spiel! Es ist tödlicher Ernst! Eine von uns beiden wird heute sterben und damit die Zukunft der Kelchi und auch der restlichen Welt für immer verändern..."
Ein Ruck ging durch Dhelas Körper. Sie veränderte ihre Schwerthaltung, und ihre Gestalt löste sich in einem blitzschnellen Bewegungsablauf auf, den Thera nicht kannte - offenbar eine Technik des achten Grades. Thera blieben nur Sekundenbruchteile, um zu reagieren. Ihr war klar, dass sie Dhelas überlegener Technik nichts entgegenzusetzen hatte, außer vielleicht Schnelligkeit und ein bisschen Glück. Aber zumindest machte sie endlich ernst.
Dhelas Klinge wirbelte heran, und nur Theras extrem gute Reflexe verhinderten, dass der erste Streich sie enthauptete. Doch Dhelas Bewegungen waren zu schnell, zu unberechenbar geworden, um sie planvoll abzuwehren. Sie konnte nur noch reagieren, sich ducken, zurückweichen, versuchen, den nächsten Angriff so gut es ging vorauszuahnen.
Jetzt ist es soweit, dachte sie. Jetzt fällt die Entscheidung. Aber hier stirbt kein Geist ohne Namen. Hier sterbe ich - Thera en Therim...
Während ihr Körper völlig ohne ihre Hilfe mit der Schwertarbeit beschäftigt war, erschauderte Theras Geist. Was sie soeben gedacht hatte, war ohne jeden Zweifel ein Kelchi-Gedanke reinsten Wassers - einer jener Gedanken, die sie so lange unterdrückt hatte. Sie hatte den Namen en Therim vor langer Zeit abgelegt, und jetzt, im Augenblick ihres sicheren Todes, war er das einzige, an das sie denken konnte...
Das ist absurd!
Ihr wurde erst jetzt bewusst, dass Dhela sich zurückgezogen hatte. Ihre Attacken hatten aufgehört, und sie stand, einen Schritt außerhalb ihrer Reichweite, in Grundstellung, das Schwert in halber Höhe vor der Brust ausgestreckt. Wie lange stand sie schon da? Wie lange hatte sie gegen sie gekämpft, ohne darauf zu achten?
Die Schwerttrance war eine Technik des achten Grades, und niemand hatte sie ihr jemals auch nur ansatzweise beigebracht, und dennoch hatte sie sie soeben angewandt.
Das Schwert geht seinen eigenen Weg! Nicht deine Gedanken, nur dein Herz führen es an den richtigen Ort zur richtigen Zeit. Das ist Shin-Deykins Weg...
"Was tust du mit mir?" brüllte Thera.
Dhelas Miene wurde sanft, fast zärtlich, als sie sagte: "Ich liebe dich, Na-Ena!"
Dhela machte einen blitzschnellen Ausfallschritt nach vorne und fiel in eine weitere Shin-Feyro-Technik, von der Thera überzeugt war, dass sie sie nicht würde abwehren können. Doch wieder reagierte ihr Körper völlig selbständig, das Schwert zuckte, als hätte es einen eigenen Willen, in eine ganz bestimme Richtung, unkontrollierbare Instinkte suchten die Schwachstelle in Dhelas Attacke - und fanden sie. Inmitten der tanzenden Bewegung von Dhelas Klinge sah sie die riesige Lücke in ihrer Deckung und reagierte unwillkürlich. Doch noch während sie ihr eigenes Schwert beobachtete, wie es vorschoss und sich in Dhelas ungeschützten Unterleib bohrte, wurde ihr bewusst, dass hier etwas vollkommen falsch war.
Sie ist eine Shin-Feyro! Sie würde niemals einen solchen Fehler machen!
Ihr Blick löste sich von ihrem Schwert, schoss hinauf zu Dhelas Gesicht - und fand dort ein Lächeln.
Bei Dariva...sie wollte es!
Ihre innere Verteidigung zerbrach. Die Kelchi in ihr stieg, genährt vom altvertrauten Tanz der Schwerter, an die Oberfläche, und mit einem Mal lösten sich all die Rätsel und Fragen, die wie Staudämme um ihre Seele gelegen hatten, unvermittelt auf, zersplitterten in unzählige schmerzhafte Funken und gaben einer eiskalten, bitteren Welle der Erkenntnis freie Bahn.
Die Gefangennahme, die Befreiung, dieser Kampf - das war Teil eines sorgfältig ausgeklügeltem Plans. Und was immer sie beabsichtigte, es hat sich soeben erfüllt...
Sie zog ihre Klinge zurück und warf sie fort. Dann sank sie neben der tödlich verwundeten Kriegerin auf die Knie, sah ihr in die Augen, verwirrt und von plötzlichem Schmerz wie betäubt.
"Warum?"
Dhela lächelte. "Es war der einzige Weg, dich zurückzuholen. Oder hast du wirklich geglaubt, ich hätte dich auch nur einen Tag lang aufgegeben?"
Thera wollte etwas erwidern, doch ihre Stimme versagte. In ihrem Geist herrschte völliges Chaos. Unzählige Fragen häuften sich übereinander, wurden zu einem Knäuel, in dem sie zu ersticken drohte.
Dhela griff nach ihrer Hand. "Ich brauche nur in dein Gesicht zu sehen, um zu wissen, dass es mir gelungen ist..."
Thera schloss die Augen, kämpfte vergeblich gegen die Tränen. Gewaltiger, übermächtiger Schmerz schloss sich wie eine stachelige Faust um ihr Herz, als die Erkenntnis gleich einem Lichtstrahl durch ihr Bewusstsein schoss.
Nicht das Auge, nur der Geist...
Sie erforschte ihren Geist und fand weder Freude noch Triumph - alles was sie fand, waren Gedanken und Gefühle einer Kelchi. Der Schmerz einer Kelchi, die soeben ihre Seelenschwester getötet hatte. Dieser Schmerz war real, er füllte alles in ihr aus, ließ keinen Raum mehr für Zweifel. Er war der Kern ihres Selbst, der Beweis, dass sie nie etwas anderes gewesen war, als Thera en Therim, von Kelchus Blut, Schülerin von Shin-Deykins Weg.
"Du hättest einen anderen Weg finden können, mir das zu beweisen", flüsterte sie, noch immer vom Schmerz überwältigt.
"Nein", antwortete Dhela sanft, "Dein Zorn und dein Schmerz waren so groß, dass es eines anderen, noch größeren Schmerzes bedurfte, um dich davon zu heilen."
Thera schluckte, kämpfte die Tränen nieder.
"Aber es war vergeblich" sagte sie bitter. "Ich kann nicht zurückkehren. Ich bin die En-Sheka, für immer eine Ausgestoßene..."
Dhela drückte ihre Hand so fest, dass es schmerzte und holte tief Luft, sammelte ihre schwindende Kraft, um einen Kelchi-Ruf auszustoßen. "Hört mich und seid meine Zeugen!" rief sie dann.
"Wir hören dich!"
Thera fuhr herum. Aus dem Schatten des Hohlweges traten zwei junge Kelchi-Kriegerinnen hervor. Dhela richtete sich auf, so gut es ging. "Hört mich! Dies ist Thera en Therim, fensha Na-Ena, meine Seelenschwester. Sie soll Kan Linday sein, Erbin all meines Besitzes und all meiner Rechte und Titel. Ihr Schwert und ihr Wort sollen das meine sein. Ehrt sie und gehorcht ihr, als ob ich selbst vor euch stünde!"
"Wir haben dich gehört, Shin-Feyro. Der Rat wird es erfahren und sich deinem Urteil beugen." Die beiden jungen Frauen verneigten sich und verschwanden wieder im Schatten.
Thera schüttelte ihre Konfusion ab, so gut es ging. Ihre Hand glitt zärtlich über Dhelas Wange. "Aber...das kannst du nicht. Ich bin keine Shin-Feyro. Ich kann niemals eine sein..."
"Du hast eine Shin-Feyro im Kampf besiegt", unterbrach sie Dhela mit schwächer werdender Stimme, "ich musste weniger tun, um eine zu werden." Sie lächelte wieder.
"Aber wieso?" flüsterte Thera, noch immer völlig verwirrt.
"Du hattest Recht", antwortete Dhela, "die Kelchi müssen sich verändern. Der Weg Shin-Deykins muss eine neue Richtung einschlagen - aber ich kann ihn ihnen nicht zeigen. Das kannst nur du..."
"Aber der Rat...ich bin eine Mörderin. Ich habe unzählige Kelchi getötet oder hinrichten lassen..."
"Vergiss den Rat", unterbrach sie Dhela, "ich bin die Shin-Feyro. Mein Wort ist Gesetz, und wenn ich dich zu meiner Nachfolgerin bestimme, dann werden sie sich fügen müssen. Du wirst vielleicht am Anfang einen schweren Stand haben, aber am Ende werden alle erkennen, dass ich recht habe. Sie werden eben lernen müssen..." Ihre Worte erstarben und ihr Körper wurde von einem Krampf geschüttelt. "Ich liebe dich, Na-Ena", sagte sie schließlich, als sie sich wieder im Griff hatte.
Thera ließ nun ihren Tränen freien Lauf, senkte ihren Kopf, bis ihre Stirn die ihrer Seelenschwester berührte. "Verdammt sei dein Starsinn", flüsterte sie zärtlich, "Na-Ena..."
Der Schmerz in ihrem Herzen war noch immer übermächtig, aber in ihrem Geist war nichts mehr als Klarheit: Barik hatte sie tatsächlich all die Jahre betrogen, sie - schlimmer noch - dazu gebracht, sich selbst zu betrügen. Doch hier und jetzt lag vor ihr die Wahrheit: Ihre Na-Ena, die ihr Leben geopfert hatte, um sie in den Schoß Darivas zurückzuführen. Dies war die Liebe einer Seelenschwester, das wahre Gesicht der Kelchi, vor dem Oshnu und Barik und alles andere zu dem zerfiel, was es war: eine Lüge.
Der Griff von Dhelas Hand lockerte sich. Ein Schleier legte sich über ihre grünen Augen, die wie ein Spiegelbild der ihren waren...und dann war sie tot.
Thera vergrub ihr Gesicht im Haar ihrer Na-Ena, und zum ersten Mal seit sehr langer Zeit weinte sie um jemand anderen als sich selbst...

***

Thera kniete im niedrigen Gras des Naem-ja unter dem schlanken Baum, den sie und ihre Na-Ena einst gemeinsam gepflanzt hatten, und betrachtete ein letztes Mal Dhelas Asche, die sie in der lockeren Erde um die Wurzeln verstreut hatte.
Ein gewagter Plan, Na-Ena. Es gab so viel, das hätte schief gehen können. Aber du hattest ja schon immer deine ganz persönliche Magie, die Dinge nach deinem Willen geschehen zu lassen...selbst über deinen Tod hinaus...
Es musste Dhela gewaltige Anstrengung gekostet haben, den Rat von ihrem Plan zu überzeugen, aber es war ihr zweifellos gelungen. Thera war zwar nicht gerade überschwänglich wieder aufgenommen worden, doch niemand hatte es auch nur im Ansatz gewagt, ihren Anspruch und damit den letzten Willen der verstorbenen Hohen Kriegerin in Frage zu stellen. Und die neue Hohe Kriegerin war fest entschlossen, den Willen ihrer Seelenschwester Wirklichkeit werden zu lassen, angefangen mit der Zerschlagung des Oshnu-Kultes und seiner Ableger.
"Gute Reise" flüsterte sie, stieß ihre Klinge tief in die Erde neben dem Stamm des Myka und griff dann nach Dhelas Schwert, das neben der Urne lag. "Es soll dein Schwert sein, Na-Ena, das deinen Traum wahr macht." Sie warf die leere Urne gegen einen Felsen, damit sie zersplitterte und die letzten Reste von Dhelas Geist freigab, und stieg den schmalen Pfad entlang aus dem Naem-ja heraus.
Am Ausgang des Tales hielt sie kurz inne. Tief unter ihr breitete sich die Ebene aus, geteilt vom silbrigen Band des Del. In der Ferne sah sie Dunharg, ein dunkler Fleck im grünen Teppich des Tieflandes. Wie ein scharfkantiger Zahn ragte daraus der Umriss der Zitadelle empor. Dort, eingegraben in schwarzen Stein, saß der Hohepriester Oshnus und fragte sich wahrscheinlich gerade, was aus seiner Meisterschülerin geworden war.
"Du hast mich viele Lektionen gelehrt, Barik. Jetzt wird es Zeit, dass du eine lernst", sagte sie leise, und ein grimmiges Lächeln spielte um ihre Lippen. "Betrüge niemals eine Kelchi..."

[ 29.05.2002, 14:56: Beitrag editiert von: Horni ]

 

Hilfe, ich will eine Kritik schreiben und keine Rezensierung! ;)

aber ernsthaft....ich halte das eindeutig für zu lange für eine Kurzgeschichte bei KG.de.

habs kopiert: 31 seiten in word bei größe 12. kann sein, dass es das beste literarische werk aller zeiten ist, aber das werd ich wohl nie erfahren.

versuchs vielleicht mit einer leseprobe oder einer serie. sonst glaube ich, wirst du es schwer haben, leser zu finden, die so lange auf dem monitor lesen.
und wenns nur für eva ist, druck es aus und schick es ihr per Brieftaube. die sollten auch kurzgeschichten schaffen. :D
(he, das wäre eine regel wert: hier sollten nur KG gepostet werden, deren gedruckte form eine brieftaube tragen kann )
Juhu, idee! :bounce:

gruß,
franzl

[Beitrag editiert von: franzl am 04.03.2002 um 23:55]

 

(he, das wäre eine regel wert: hier sollten nur KG gepostet werden, deren gedruckte form eine brieftaube tragen kann )
Ich glaub, da bekommen wir Ärger mit dem Tierschutzbund ;) .

@Horni
Bei mir warens 19 ausgedruckte Seite, die ich mir schon Mal in der Arbeit zurechtgelegt habe. Soll heißen: Kritik kommt noch.

 

Mahlzeit!

@franzl:

aber ernsthaft....ich halte das eindeutig für zu lange für eine Kurzgeschichte bei KG.de.
Hmm...okay, sie ist lang - aber auch nicht zu lang. (Viele Kurzgeschichten, auch in Anthologien, haben einen ähnlichen Umfang!) Ich glaube sogar - nach einem kurzen Stöbern durch die Archive von KG.de - fast, sie ist noch eine der kürzeren bis mittelfeldigen Stories, gerade hier in der Fantasy-Rubrik... ;)

und wenns nur für eva ist, druck es aus und schick es ihr per Brieftaube
Das Prinzip der Widmung ist Dir vertraut? Daß die Geschichte ihr gewidmet ist, heißt ja nicht, daß auch nur sie sie lesen soll... ;)

@Abraxas:
Laß Dir ruhig Zeit... ;)

 

jaja, ich weiß, ich weiß. ;)

wollte nur wieder lustig sein. ;) sag ichs halt so: mir ist sie zu lang. wenns humor, satire oder scifi (meine genres) wäre, hätte ich sie ausgedruckt, aber fantasy ist ohnehin nicht so meins, vergib mir :D

es gibt auch kurzgeschichten mit mehr als 50 seiten umfang, aber das nur am rande. ich vertrau da den mods, die wissen eher als ich was hier her gehört und was nicht........

ich hoffe deine geschichte findet viele leser! :)

grüße,
franzl

 

Man muß bedenken, daß man DinA-4 Seiten mal 2 nehmen muß, um sie in Buchformat umzurechnen, oder? Demnach wäre die Geschichte dann ja doppelt so lang... Also meines Wissens nach... :rolleyes:

Ich muß ehrlich zugeben; ich hab auch keine Lust, Stunden vor dem Computer zu verbringen und diese Geschichte hier zu lesen... :( Da mag sie noch so gut sein... *heul*
Aber ich schließe mich an; hoffentlich findet Sie dennoch viele Leser!

Das ist sowieso komisch; ich beklag mich über lange Kurzgeschichten, dabei hab ich auch welche, die 50-90 Seiten umfassen... :rolleyes:
Aber die stell' ich nicht ins Internet, weil ich nicht glaub, das die einer durchhält... :D

Gruß und alles Liebe!

Griasle
stephy

[Beitrag editiert von: stephy am 05.03.2002 um 21:30]

 

@franzl:

wollte nur wieder lustig sein
Kenn ich - ich werd da auch immer mißverstanden...
aber fantasy ist ohnehin nicht so meins, vergib mir
Asche auf Dein Haupt - Dir sei vergeben, mein Sohn...bla...salbader... :D
ich hoffe deine geschichte findet viele leser!
Hey, ich auch! Thanx anyway... ;)

@stephy:
s.o. und: Ist ja auch nur ein Angebot, also, wenn ich so ne Story hier reinstelle, ist ja dann keine Verpflichtung für die Kundschaft, auch zu lesen, insofern kann ich auch verstehen, daß man sich's bei einer so langen Story zweimal überlegt, mach ich ja auch so, lese dann aber manchmal doch, allerdings offline und in mehreren Häppchen. Stelle die Story aber gerne ins Netz, weil ich sie dann doch recht gut gelungen finde (was ich mir immer so einbilde... :D ) bzw. mich schon interessiert, was andere davon halten. Vielleicht findet die hier ja doch noch ein paar willige "Opfer"... schaun mer mal, wie der Kaiser sagt. :D

Ach ja:

Demnach wäre die Geschichte dann ja doppelt so lang...
Nö. Die Geschichte ist noch genauso lang, nur das Papier ist nur noch halb so groß...oder nich? <img src="confused.gif" border="0">

[Beitrag editiert von: Horni am 05.03.2002 um 21:42]

 

@ Horni

Da hast Du natürlich recht. Ich hab mich nur mal wieder unglücklich ausgedrückt... höhö... :D

Also was ich sagen wollte... Wenn man die Seiten der Story mal 2 nimmt, dann hat man doch die Länge, die sie in Buchformat haben würde. Jedenfalls grob. Oder? :confused:
Demnäch wär sie dann ja doppelt so lang... Ach, scheiße, Ich sollte aufhören, so früh zu posten... :D

Gruß
stephy

 

Wenn man die Seiten der Story mal 2 nimmt, dann hat man doch die Länge, die sie in Buchformat haben würde. Jedenfalls grob. Oder?

So ungefähr magst Du wohl Recht haben - aber ich glaub, die Formel stimmt so wirklich nur bei den sog. Normseiten - ansonsten druckt ja jeder daheim doch eher so nach eigenem Gusto (bzw. möglichst papiersparend, so wie ich), da verutschen die Verhältnisse dann wohl doch ein wenig. Diese Story hat exakt 63 Normseiten, was dann (so grob nach nicht nur Stephys Frühmorgens-oder auch-Spätabends-Buchseiten-Mathematik) wohl so ungefähr auf 100-120 Buchseiten hinausliefe...ach, ist doch auch egal - zählen wir doch einfach die Worte, et voilá: Es sind... eins, zwei... viele... :D

Gruß,
Horni

[Beitrag editiert von: Horni am 06.03.2002 um 08:16]

 

Es ist Mittag. Jetzt kommt das "Warum" dieser Gleichung :D :

Wenn sie (Deine Geschichte, Horni) mehr als 60 Normseiten hat (ca 120 Buchseiten), dann ist sie nun wirklich keine Kurzgeschichte mehr... ;)

Gruß
stephy

 

Es ist Abend. Jetzt kommt das "Hä?" in dieser Konversation... :D

Wenn sie (Deine Geschichte, Horni) mehr als 60 Normseiten hat (ca 120 Buchseiten), dann ist sie nun wirklich keine Kurzgeschichte mehr...
Aber was ist sie denn dann??? :drool: Denn ein Roman ist es ganz eindeutig auch nicht...menno... :heul:
Aber, im Grunde könnte man natürlich auch sagen: :whocares:

Gruß,
Horni (der sich gerade fragt, ob es nicht doch eher so war: 1 Normseite = 1 Buchseite? :confused:)

[Beitrag editiert von: Horni am 06.03.2002 um 17:36]

 

Ponchers Chandra hat 63 Seiten in 10pt und die bleibt, also bleibt diese Geschichte auch.
Mal wieder: Ende der Diskussion ;)

 

Ich bin der letzte Mensch der Welt, der will, daß diese Geschichte FLIEGT - davon war nie die Rede, Herr Webmaster... :)

Also; jetzt Mund zu. Und lesen! :D

Gruß
stephy

 

Hallo Ihr Disputanden, Tanten, äh...

Ich lese sie nachher ausgedruckt in meinem Bettchen liegend, da fangen die Augen nicht so an, zu flimmern. Und irgendwann demnächst gibts dann auch einen Kommentar dazu.

Zu den Buchseiten: Das kommt nicht nur darauf an, wie groß und mit welchem Abstand man selber tippt, sondern auch noch, wie dann das Buch gesetzt wird. Ich rechne grob mit anderthalb Seiten Buch aus einer Seite Manuskript (welches es ja im eigentlichen Wortsinne nicht mehr ist, aber egal) und freue mich über jede Zeile, die mein derzeitiges "Langer-Text-Projekt" wächst!
Liebe Grüße und eine große Tüte Senf von Eurer

chaosqueen :queen:

 

Hm, Senf?

Naja, ich hab die Geschichte bisher so zur Hälfte gelesen. An sich find ichs natürlich beachtlich, dass du so ne ellenlange Geschichte zu Papier (naja...) gebracht hast.
Leider ist das Argument berechtigt, das sorgt dafür dass sie kaum gelesen wird. Vielleicht wäre es sinnvoller gewesen, die Geschichte in Abschnitten in Serien zu posten.
Ansonsten fiel mir bisher vor allem auf, dass der Hauptperson ein paar Gefühle ganz gut tun. So wie ich das bisher mitbekommen hab ist sie eigentlich blos die ganze Zeit am rumrätseln ob das jetzt ein Trick sei oder nicht...

Wanderer :)

 

OK, hier kommt die versprochene Antwort.

Die Geschichte besitzt echt Qualität. Ich könnte mir genausogut auch vorstellen, sie in einem Laden in gedruckter Form für fünf Euro erhalten zu haben.
Mir sind jetzt beim Lesen eigentlich keine Rechtschreib- und Gramatikfehler aufgefallen, die Handlung ist zwar größtenteils nicht allzusehr überaschend, weil es eigentlich nur eine Möglichkeit gibt wie die Geschichte wohl weitergeht, aber das Ende überrascht trotzdem etwas (ich hätte erwartet dass sie beide den Kampf überleben).

=> Viel Positives. :thumbsup: , und das bisserl Negatives, das da noch drin ist, sollen doch andere raussuchen. Ich hab nicht die Energie dazu deine Geschichte nochmal auf Fehler durchzukämmen.

Mir hat sie gut gefallen.

Gruß Wanderer

 

Thanx, Wanderer! Freut mich, daß Dir die Geschichte tatsächlich gefallen hat. Das mit der "Qualität" beglückt mich besonders! :) Und auf das Negative, das einige evtl. noch finden (ich wg. "Betriebsblindheit" nämlich allmählich nicht mehr) bin ich echt gespannt - man lernt ja bekanntlich nur aus seinen Fehlern... ;)

[Beitrag editiert von: Horni am 11.03.2002 um 19:03]

 

Hallo Horni,

bis jetzt habe ich zwar erst die Hälfte Deiner Geschichte gelesen, aber ich kann Dir schon sagen, dass sie mir sehr gefällt. Besonders gutfinde ich, wie Du den inneren Konflikt bei Thera beschreibst. Etwas komisch finde ich den Ausdruck "Ehrwürden". Kann aber sein, dass es daran liegt, dass ich nur "Hochwürden" kenne.

Abraxas,
der sich schon aufs Weiterlesen freut

 

wenn abraxas eine (sehr) gute kritik schreibt, werde ich die geschichte wohl auch lesen. hab kein buch mehr im haus, das ich nicht gelesen hätte. sogar die 32 bände meiner weltgeschichte-sammlung habe ich jetzt durch! das muss ein zeichen der verzweiflung sein ;)

grüße,
franzl

[Beitrag editiert von: franzl am 25.03.2002 um 22:54]

 

Unglaublich, so viele Kritiken die isch einzig und allein auf die Länge beziehen....*schüttelt den Kopf*
Ich wünschte ich hätte die Geduld dazu so viel zu schreiben. Die Idee ist da nur der Wille nicht.

Zu deiner Geschichte Horn:
Dein Schreibstil ist wirklich sehr ausgesucht und nicht sehr oft anzutreffen, ich schätze so etwas. Bis ich die Geschichte fertig gelesen habe, werde ich nicht mehr dazu sagen.
Trotzdem: Weiter so!

 

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