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Empathie

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21.07.2013
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Empathie

In meinem Magen ist ein Loch und weit vorn der Brezelstand, der meine Fantasie mit braunen Salzkringeln behängt, sodass ich an nichts anderes mehr denken kann. Bis sich dieser Typ ins Blickfeld drängt, der da am Brückengeländer klebt, als wäre es der letzte Halt seines Lebens.

Die zerrissene Tasche seiner Jacke hängt schlaff herab. Er ist durch alle Maschen gefallen. Ich will vorbei, was geht es mich an? Die Brezel ruft! Aber mein Körper vollführt eine Neunzig-Grad-Drehung, als wäre er ferngesteuert und das massive Metallgeländer zieht mich an wie ein Magnet, sodass ich keinen halben Meter neben diesem Ausgesiebten lande.

Ich will protestieren, aber bringe nur ein schmerzliches Zucken der Mundwinkel zustande, bevor mein Blick in die Tiefe fällt und mein hohler Magen sich auskleidet mit weisser Höhenangst. Meine Lunge ist plötzlich eingesperrt zwischen zwei Brettern mit höchstens drei Zentimetern Abstand. Trotzdem versuche ich zu atmen. Atmen.

Wie kann jemand überhaupt erwägen, da hinunter zu springen? Allein der Gedanke ist schon eine Folter, auch wenn die Sehnsucht nach dem Verlöschen mir vertraut ist. Ich versuche es mit seinen Augen zu sehen.

Das Sonnenlicht spiegelt sich auf der Oberfläche des Wassers. Will er in diesen Spiegel springen, ihn zerbrechen, das Licht verscheuchen und eintauchen in eine Dunkelheit, die das Leuchten seines Lebens aufsaugen, das letzte Aufflackern schmerzlicher Erinnerungen in einem Sud aus totaler Finsternis ersticken würde?

Wenn dem so ist. Wenn alles nur noch Schmerz ist, was habe ich für ein Recht, ihm die Erlösung zu verweigern? Ich weiss ja nicht einmal, weshalb ich hier stehe, geschweige denn, was zu tun ist. Was sage ich zu jemandem, der springen will? Der vielleicht so wild entschlossen ist, dass er mich mit in die Tiefe reisst, wenn ich ihn daran hindern will?

Ich kann die positiven Aspekte des Lebens aufzählen. Verständnis, Freundschaft, Zuneigung, Geborgenheit, Genuss, Spass, Spannung. Aber wenn ich ihn so betrachte, komme ich mir vor, als suchte ich auf einer Müllhalde nach Designer-Möbeln.

Der Mann bewegt sich und mein Herz macht einen Satz. Atmen. Atmen. Schweiss.

„Ähm, ein schöner Tag heute“, versuche ich ihn mit unsicherer Stimme von seiner Absicht abzulenken.

Seine müden Augen, die von einem langen Leben künden, richten sich auf mich. Ja, ja, siehe, da ist ein menschliches Wesen, das nimmt Notiz von dir, nimmt Anteil an deinem Schicksal!

Starr schaue ich nach vorn, um mein leeres Gehirn mit einem Satz zu füllen, der sie fortsetzt, die Illusion von Anteilnahme. Denn ich kann ja nicht wirklich mit diesem mir völlig Fremden, diesem ...

„Die Aussicht ist beeindruckend. Eine herrliche Stadt!“, plappert mein Mund. „Wie ist es so, hier zu wohnen?“

Nicht, dass ich mit einer Antwort gerechnet hätte. Wer mit dem Leben abgeschlossen hat, ist wohl nur zögerlich bereit, sich wieder darauf einzulassen. Trotzdem empfinde ich die Unbewegtheit, mit der er wieder auf das Wasser starrt und mich ignoriert, als verletzend.

Das Wasser, so weit unten, dass mir schwindlig wird und meine Finger sich ans sonnenwarme Metall klammern, sodass es aussehen muss, als ob ich selber bald springen würde.

Plötzlich ist da wie ein Felsen in meinem schwimmenden Blick seine Hand, deren Finger aussehen wie aneinander gereihte Würstchen, und eine Stimme knarzt, als wäre sie von einer eingerosteten Mechanik erzeugt: „Vous avez un franc?“

Er schaut mich an. Ja, ich habe einen Franken. Wenn sein Leben von einem Franken abhängt. Ich gebe ihm zehn.

Sein zerklüftetes Gesicht verformt sich zu einem Lächeln, wie mir scheint. Dann dreht er sich um und entfernt sich mit einem bedächtigen, wiegenden Gang, als gehörte ihm alle Zeit dieser Welt, während ich, eingebunden in die Hektik des Alltags, dastehe, innerlich zitternd wegen eines Abenteuers, das wohl nur in meinem Kopf stattgefunden hat.

Unwillkürlich folgt ihm mein Blick bis zum Brezelstand, wo er sich mit meinem Geld meine Brezel kauft. So simpel. Ein Lächeln bricht sich Bahn und wird unaufhaltsam breiter. So simpel. Gleichzeitig lässt mich ein Hauch von Ehrfurcht erschauern, denn ich bin eben dem genialsten Bettler meines Lebens begegnet.

 

Hallo Bertram,

herzlich willkommen auf Kurzgeschichten.de!

Deine erste Geschichte ist gar nicht mal schlecht. Mir hat sie gefallen.

Gefallen hat mir das Thema und zum Teil auch seine Umsetzung.

Die Umsetzung zum Teil nur, weil ich an manchen Stellen fand, dass du präziser hättest zeigen können, was passiert.

Ich versuch mal von Anfang an mich durchzuarbeiten.

Wollte er sich umbringen? In meinem Magen war ein Loch und dort vorn der Brezelstand, um den alle meine Gedanken kreisten, bis sich dieser Typ hineindrängte, der da über dem Brückengeländer hing, als wäre es der letzte Halt seines Lebens.

Schon der Anfang behagt mir irgendwie nicht so recht. Klar, man soll ja, so die Schreibschulen, immer mit einem spannenden Satz anfangen, einem Satz, der aber auch geeignet ist, in die Geschichte reinzuziehen. Und da fängt bei mir das Problem an. Der erste Satz ist an sich ok, aber dann bremst der zweite wieder aus, zumal er ja eine neue Sichtweise beinhaltet.

Zuerst der Blick (wie sich dann später aus dem Zusammenhang ersehen lässt) auf den vermeintlichen Selbstmörder, zweiter Satz Blick auf den Erzähler.

Ich glaube, die Geschichte wirkt runder, wenn du den ersten Satz weglässt.
Dann aber würde ich noch deutlicher das Thema Brezel und Hunger darauf ausbeuten. Wie schmecken die? Vor allen Dingen wie riechen sie? Eine Geschichte lebt auch durch die Beschreibung der anderen Sinne wie Riechen, Schmecken, Hören, Fühlen.
Ich würde also noch ein zwei Sätzchen mehr dazu beschreiben, deutlicher machen, wie sehr es den Erzähler zum Brezelstand treibt.


sodass ich keinen halben Meter neben dem alten, unrasierten, schäbig Gekleideten festklebte.

Da benutzt du leider stereotype Bezeichnungen. Alt, unrasiert, schäbige Kleidung. Ist das in dieser Art wirklich so wichtig? Wichtig ist doch, dass der Mann dem Erzähler so vorkam, als sei er ein Tippelbruder, nicht wahr? Nun gibt es zwei (nein, es gibt unendlich viel mehr) Möglichkeiten, es darzustellen. Du beschreibst die Gedanken des Erzählers. Ein Tippelbruder sagt er sich und vielleicht wundert er sich über die Tatsache, dass alles wie ein Klischee passt. Das Unrasierte, die schäbige Kleidung, wobei ich schäbige Kleidung nie verwenden würde, beschreibe einfach ein Detail der Kleidung. Schäbig ist ein Sammelbegriff für jede Menge wunderbare Details eines Daseins. Vielleicht müffelt er noch ein wenig streng nach Urinschweißranzigkeit? Du kannst ihn mit zwei Sätzen charakterisieren, indem du dem Leser darstellst, was dein Erzähler entweder über den Typen denkt oder was er sieht.

In dem einen Fall gibt der Erzähler dem Leser seine Gedanken preis, in dem anderen Fall leiht er dem Leser quasi seine Augen.


Eben hast du noch gelungen die Angst dargestellt, die einen überkommen kann, wenn man in furchterregende Tiefen blickt, und schwups, nämlich fast nahtlos klickt sich dein Erzähler aus seiner eigenen Furcht heraus.

Allein der Gedanke war schon eine Folter. Ich zwang mich dazu, es mit seinen Augen zu sehen. Das Sonnenlicht spiegelte sich auf der Oberfläche des Wassers. Wollte er in diesen Spiegel springen, ihn

Der Übergang, auch wenn du von "sich zwingen" sprichst, ist zu hart.
Ich würde mindestens noch einen Gedankengangsatz des Erzählers dazwischen schieben, weshalb er jetzt für den Mann Empathie aufbringen kann.
Vielleicht wirft er sich sein ewiges sich in die Haut des anderen versetzen sogar vor. Vielleicht hält der Erzähler sich für unfähig, gut für sich selbst zu sorgen? Ich würde etwas mehr Brüchigkeit in ihn legen.

Mit anderen Worten: Ich kann nicht eben noch Todesangst empfinden, wenn ich in die Tiefe blicke und eine Sekunde später das Glitzern des Wassers erkennen und die Schönheit, die es als Spiegel hat. Du beschreibst das alles sehr gut, aber der Übergang von a nach b ist zu brutal.

Wenn alles nur noch Schmerz war, was hatte ich für ein Recht, ihm die Erlösung zu verweigern?
Erlösung ist zu schwülstig. Diese Formulierung hat dein Erzähler nicht nötig. "Was hatte ich für ein Recht, überhaupt einzugreifen?"


Angestrengt dachte ich nach. Liesse sich nicht aus Fundstücken einer Müllhalde ein halbwegs wohnliches Quartier einrichten?
Also das ist jetzt eher so eine Gefühlssache und Gefühle sind ja bekanntlich unterschiedlich. Vielleicht sagt einer der anderen Leser noch etwas dazu: Ich finde du gehst eine Ecke zu weit mit deinen Vergleichen. Der erste Satz mit den Designermöbeln, der war irgendwie noch originell und gut. Aber nun wird weiter drauf geritten und das wirkt gestelzt.

Was denkt denn so einer in solch einer Situation?
Gewiss doch nicht, wie er dennoch Designermöbelstücke finden kann. Nein, der sagt sich, dass er trotzdem eingreifen muss. Man kann den doch nicht einfach springen lassen oder? Ich glaube, da wird nicht viel gedacht.

„Ähm, ein schöner Tag heute“, versuchte ich ihn hilflos von seiner Absicht abzulenken
Der Leser ist nicht blöd. Wenn der Erzähler "einen schönen Tag noch" sagt, weiß er selbst, dass das ein dilettantischer hilfloser Versuch ist. Das muss man also dem Leser nicht auch noch als Regieanweisung mitgeben. Wenn du dich trotzdem nicht von der Aussage ansich trennen willst, dann schwenke rüber zu den Gedanken des Erzählers, er denkt über sich selbst und verurteilt sich selbst.

Seine alten Augen richteten sich auf mich. Ja
Was sind alte Augen? Geh einfach ins Detail und zeige dem Leser, was er sehen soll.

Verzweifelt schaute ich nach vorn
Wie sieht der Erzähler aus, wenn er verzweifelt ist? Hat er ein verzerrtes Gesicht? Verkrampft er sich ins Geländer?


um mein leeres Gehirn mit einem Satz zu füllen, der sie fortsetzte, die Illusion von Anteilnahme.
Ich würde den Satz umstellen: "um mein leeres Gehirn mit einem Satz zu füllen, der die Illusion von Anteilnahme fortsetzte."
Klingt runder.

ziemlich Unappetitlichen ...
Was soll ich als deine Leserin mir nun vorstellen. Ein bisher schäbig gekleideter alter Mann ist nicht gleich unappetitlich, wenn er unrasiert ist. Mehr weiß ich von ihm nicht.

Trotzdem empfand ich die Unbewegtheit, mit der er wieder auf das Wasser starrte und mich ignorierte.
Da fehlt ein entscheidendes Wort.

der hektische Idiot
Das würde ich weglassen.


Unwillkürlich folgte ihm mein Blick zum Brezelstand, wo er sich mit meinem Geld meine Brezel kaufte. So simpel. Ein Lächeln brach sich Bahn und wurde unaufhaltsam breiter. So simpel. Gleichzeitig liess mich ein Hauch von Ehrfurcht erschauern, denn ich war eben dem genialsten Bettler meines Lebens begegnet.
Du hast den Hang zum schwerfälligen Formulieren. Wie wäre es mit: "Unwillkürlich sah ich zum Brezelstand, wo er sich mit meinem Geld meine Brezel kaufte. So simpel. Mein Lächeln wurde unaufhaltsam breiter. So simpel. Und gleichzeitig erschauerte ist, denn ich war eben dem genialsten Bettler meines Lebens begegnet."


Also das sind meine Vorschläge zur Verbesserung des Textes. Entscheide, was du davon annehmen magst und was nicht. Schlecht ist die Geschichte nicht! Das sei nochmals am Ende klar gesagt.

Lieben Gruß

lakita

 

Hallo lakita

Herzlichen Dank für deine grosse Arbeit!

Es ist eigenartig: Wenn ich die Geschichte mit deinen Augen betrachte, fallen mir die Mängel sofort auf, während mir beim Stricken des Textes offenbar die Übersicht fehlt.

Ich freue mich darauf, deine Anregungen umzusetzen. Es ist wie Lack ausbessern an einem selbst geschreinerten Möbel. (Wenn ich schon ein Möbel aus der Geschichte rausnehme, dann kann ich es hier verwenden ;-)

Liebe Grüsse

Bertram

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo lakita

Ich habe versucht deine Anregungen harmonisch einzuflechten. Hier die paar Punkte, die ich anders sehe:

Schon der Anfang behagt mir irgendwie nicht so recht. Klar, man soll ja, so die Schreibschulen, immer mit einem spannenden Satz anfangen, einem Satz, der aber auch geeignet ist, in die Geschichte reinzuziehen. Und da fängt bei mir das Problem an. Der erste Satz ist an sich ok, aber dann bremst der zweite wieder aus, zumal er ja eine neue Sichtweise beinhaltet.

Zuerst der Blick (wie sich dann später aus dem Zusammenhang ersehen lässt) auf den vermeintlichen Selbstmörder, zweiter Satz Blick auf den Erzähler.

Ich glaube, die Geschichte wirkt runder, wenn du den ersten Satz weglässt.
Dann aber würde ich noch deutlicher das Thema Brezel und Hunger darauf ausbeuten. Wie schmecken die? Vor allen Dingen wie riechen sie? Eine Geschichte lebt auch durch die Beschreibung der anderen Sinne wie Riechen, Schmecken, Hören, Fühlen.
Ich würde also noch ein zwei Sätzchen mehr dazu beschreiben, deutlicher machen, wie sehr es den Erzähler zum Brezelstand treibt.


Ich habe versucht die Brezel zu beschreiben, aber es wurde mir zu "backwarig" ;-)

Erlösung ist zu schwülstig. Diese Formulierung hat dein Erzähler nicht nötig. "Was hatte ich für ein Recht, überhaupt einzugreifen?"

Wenn die Schmerzen so gross sind, dass jemand sich den Tod wünscht, dann empfindet er diesen als Erlösung.

Ich würde den Satz umstellen: "um mein leeres Gehirn mit einem Satz zu füllen, der die Illusion von Anteilnahme fortsetzte."
Klingt runder.

Dadurch ginge der Effekt verloren. Es soll zuerst an die brave Fortsetzung einer Unterhaltung gedacht werden, dann kommt der, zugegeben kleine Schock mit der Verlogenheit des Erzählers.

Du hast den Hang zum schwerfälligen Formulieren. Wie wäre es mit: "Unwillkürlich sah ich zum Brezelstand, wo er sich mit meinem Geld meine Brezel kaufte. So simpel. Mein Lächeln wurde unaufhaltsam breiter. So simpel. Und gleichzeitig erschauerte ist, denn ich war eben dem genialsten Bettler meines Lebens begegnet."

"Ich sah" nicht zum Brezelstand, sondern ich beobachtet ihn, wie er bis zum Brezelstand ging. Ich habe noch ein "bis" hinzugefügt, um es etwas zu verdeutlichen.

Dass sich "ein Lächeln Bahn bricht" ist exakt mein Empfinden. Ich werde sozusagen gelächelt. Meiner Meinung nach sind wir Zaungäste unseres Denkens, das einfach geschieht.

Der "Hauch von Ehrfurcht" ist hier wichtig, weil er zeigt, dass die anfängliche Geringschätzung des Bettlers in Bewunderung umgeschlagen ist. Das Erschauern hingegen ist nur ein untergeordnetes "Symptom" der Ehrfurcht.

Nochmals Danke für deine Hinweise.

 

Hallo Bertram,

klar, backwarig sollen die Brezel nicht beschrieben werden. Es geht mir um das, was dein Erzähler wahrnimmt. Überlege doch bitte einmal. Was genau ist so verführerisch an Brezeln? Der Duft. Sie riechen mehr als normale Brötchen nach Frischgebackenem. Was macht das Charakteristische ihres Geschmacks aus? Es ist der salzige Geschmack und ein glatter Teig, nicht so porös wie bei Brötchen, kompakter eben.
Dazu könntest du schreiben und es sogar elegant mit dem Geruch des Bettlers verbinden. Der Bettler könnte sich quasi dem Duft der Brezeln in den Weg stellen mit seinem übertönenden Geruch.


Die ausgefranste Jacke, die zotteligen Haare und die nackten Füsse mit den schwarzen Zehennägeln stiessen mich ab
Ich habe zwar geschrieben, dass du mehr ins Detail gehen sollst, als in sozusagen Allgemeinplätzen zu beschreiben, aber hier ist es zu viel des Guten.

Mir würden die schwarzen Zehennägel schon reichen, um ihn zu charakterisieren. Beispielsweise so: Ich blickte auf schwarze Zehennägel, die er am Brückengeländer schabte. Die feinen Duftfäden der frischgebackenen Brezel waren plötzlich verschwunden. Es roch nach gammeligem Waschlappen.

Das brauchst du nicht übernehmen, ich will dir nur aufzeigen, wie ich es meine.

ihm die Erlösung zu verweigern?
Das Wort Erlösung ist hier nicht so das arg störende. Bitte entschuldige, dass ich mich da unpräzise ausgedrückt habe. Es ist diese Formulierung, dass der Erzähler ihm die Erlösung verweigert. Ich finde das ist zu nah dran. Das klingt zu überheblich, dabei willst du in diesem Moment ja nur die Empathie darstellen.

Lieben Gruß

lakita

 

In meinem Magen war ein Loch und dort vorn der Brezelstand ... Die Brezel ruft!

Die Brezel rief! würde ich meinen, denn der Rest Deines Textes spielt sich in der Vergangenheitsform ab.

Ganz allgemein ein Text, den ich im Präsens schreiben würde. Es würde ihn aktiver, schneller, klarer machen. Versuchs mal und lese Dir dann beide Varianten laut vor, wollen wir wetten, welche Variante Du wählst?

Schöne Grüße nastro.

 
Zuletzt bearbeitet:

@ nastro:

Ich bin ganz deiner Meinung. Ich liebe das Präsens und habe die Geschichte zum Vergleichen unten dran gehängt.

@ latika:

klar, backwarig sollen die Brezel nicht beschrieben werden. Es geht mir um das, was dein Erzähler wahrnimmt. Überlege doch bitte einmal. Was genau ist so verführerisch an Brezeln? Der Duft. Sie riechen mehr als normale Brötchen nach Frischgebackenem. Was macht das Charakteristische ihres Geschmacks aus? Es ist der salzige Geschmack und ein glatter Teig, nicht so porös wie bei Brötchen, kompakter eben.
Dazu könntest du schreiben und es sogar elegant mit dem Geruch des Bettlers verbinden. Der Bettler könnte sich quasi dem Duft der Brezeln in den Weg stellen mit seinem übertönenden Geruch.

Der Brezelstand ist in meiner Vorstellung noch über hundert Meter weit weg. Der Einstieg geht für mich deshalb auch weniger über die Nase als über den visuellen Eindruck. Das fantasierte Bild wird dann durch das Bild aus der Wirklichkeit verdrängt.

Ich habe zwar geschrieben, dass du mehr ins Detail gehen sollst, als in sozusagen Allgemeinplätzen zu beschreiben, aber hier ist es zu viel des Guten. Mir würden die schwarzen Zehennägel schon reichen, um ihn zu charakterisieren.

Du hast recht: zu viel des Guten. Die schwarzen Zehennägel sind mir aber mittlerweile zu abstossend, weshalb ich ein "milderes" Detail genommen habe, um ihn zu charakterisieren.

as Wort Erlösung ist hier nicht so das arg störende. Es ist diese Formulierung, dass der Erzähler ihm die Erlösung verweigert. Ich finde das ist zu nah dran. Das klingt zu überheblich, dabei willst du in diesem Moment ja nur die Empathie darstellen.

Es geht hier um die Einstellung zur Sterbehilfe. Wenn der Erzähler das Wort "Erlösung" braucht, lässt dies eine positive Meinung dazu erahnen. Sein Problem ist nur die knifflige ethische Frage, ob Sterbehilfe auch Depressiven gewährt werden sollte, wenn sie doch eigentlich mit Hilfe von Medikamenten noch Jahrzehnte lang leben könnten? Er sieht sich also nicht in der Rolle des Jesus, der Erlösung gewährt, sondern in der Rolle des Stimmbürgers, der sich ethisch dafür oder dagegen entscheiden muss.

Diese Erörterung würde jedoch den Rahmen der Geschichte und der psychischen Befindlichkeit unseres Erzählers sprengen, weshalb sie hier nur kurz gefühlsmässig in dem Wort Erlösung aufblitzt.

 

:) Gefällt mir besser, der Präsens.

Er ist durch alle Maschen gefallen. Ein Ausgesiebter.
Sagt zweimal das Gleiche. Mach ich auch ständig, krieg ich auch nicht los (hast Du's gemerkt :)), das mir zwei Bilder oder Metaphern passend erscheinen. Oftmals wirkt eine stärker ...

Ich will vorbei, was geht es mich an.
Würde ich ein Fragezeichen setzen.

Meine Lunge ist plötzlich eingesperrt zwischen zwei dünnen Brettern mit höchstens drei Zentimetern Abstand.
Nee, kein guter Vergleich, da ensteht kein Bild bei mir. Deine Lunge wird sich niemals zwischen zwei Brettern befinden. Vielleicht: "Ich schnappe nach Luft beim Blick nach unten, auf zwei Bretter mit drei Zentimetern Abstand und dazwischen das Nichts."

Wie kann jemand nur erwägen
Streichen! Einfach "Da hinunter springen?"

Verständnis, Freundschaft, Zuneigung, Geborgenheit, Genuss, Spass, Spannung.
Die drei stärksten Gefühle würden mir reichen ...

...diesem Müffelnden ...
Stell Dir vor, Du stehst wirklich neben einem Selbstmörder, vierzig Meter über dem Abgrund. Das er müffelt, nimmst Du da gar nicht mehr wahr, geschweige denn beeinflusst das Deine Entscheidung, ihm zu helfen.

...deren Finger aussehen wie aneinander gereihte Würstchen ...
Wurstfinge assoziiere ich mit einem dicken Mann, bisher war der Lebensmüde aber eher so ne dünne Jesusfigur für mich ...

Alles in Allem :thumbsup:

 

Hallo nastro

Auch dir vielen Dank für deine sorgfältige Betrachtung.

Sagt zweimal das Gleiche. Mach ich auch ständig, krieg ich auch nicht los (hast Du's gemerkt ), das mir zwei Bilder oder Metaphern passend erscheinen. Oftmals wirkt eine stärker ...

Ich habe den "Ausgesiebten" ans Abschnittsende gezügelt.

Nee, kein guter Vergleich, da ensteht kein Bild bei mir. Deine Lunge wird sich niemals zwischen zwei Brettern befinden. Vielleicht: "Ich schnappe nach Luft beim Blick nach unten, auf zwei Bretter mit drei Zentimetern Abstand und dazwischen das Nichts."

Bilder sind wohl immer subjektiv. Stell dir vor, du wärest in diesem spanischen Unglückszug zwischen zwei Stuhllehnen eingeklemmt und könntest eben noch ganz flach atmen. Ich habe mal das "dünn" bei den Brettern weggelassen, damit sie massiver werden.

Stell Dir vor, Du stehst wirklich neben einem Selbstmörder, vierzig Meter über dem Abgrund. Das er müffelt, nimmst Du da gar nicht mehr wahr, geschweige denn beeinflusst das Deine Entscheidung, ihm zu helfen.

Ja, der "Müffelnde" hat mir auch gemüffelt. Ich habe ihn jetzt einfach weggelassen, weil dem Erzähler in dieser Situation wohl keine passende Abwertung einfallen mag.

Streichen! Einfach "Da hinunter springen?"

Nach Meinung des Erzählers erwägt der Mann erst zu springen, tut es aber (noch) nicht. Ich habe das "nur" durch "überhaupt" ersetzt, damit deutlicher wird, wie sehr der blosse Gedanke einen Höhenängstlichen abschreckt.

Die drei stärksten Gefühle würden mir reichen ...

Ist ein bisschen so, wie wenn jemand dich fragte, welche drei deiner sieben Kinder du behalten möchtest. Ich konnte mich nicht entscheiden ;-)

 

Ist ein bisschen so, wie wenn jemand dich fragte, welche drei deiner sieben Kinder du behalten möchtest. Ich konnte mich nicht entscheiden ;-)

Zum Glück habe ich nur zwei :)

Ich bleibe aber dabei: weniger wäre hier mehr und bei mehr als drei Stck. bin ich als Leser befriedigt mit der Tendenz zur Laangeweeile ...

Viel Spaß beim weiteren Texten,

nastro.

 

Mit nicht ansatzweise so viel handwerklichem know-how wie meine Vorredner, schlicht aus der Sicht eines laienhaften Lesers: ich habe jeden einzelnen Satz genossen, gemischt mit etwas Neid auf deinen fabelhaften Schreibstil!

Ich würde nach dem Lesen einer Seite dieser Art, dein Buch kaufen. Und in 99% aller Fälle lege ich ein Buch nach dem Lesen einer Seite zurück ins Regal.


Beste Grüße,
Irgendwie.

 

@ Irgendwie:

Dein Lob freut mich natürlich sehr.
Das Kompliment geht aber auch an die Leute, die mir mit ihren Kommentaren die Schwächen aus dem Pelz klopfen ;-)

Ich hoffe, bald auch was von dir zu lesen.

 

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