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Emma & Aida
Das ist die beste Stunde des Tages. Mit den ersten Sonnenstrahlen beginnt das Hechtkraut zu leuchten, blau wie chinesische Seide. Die Teichrosen öffnen sich, Libellen schwirren im Licht. Der Reiher erhebt sich widerwillig, ich störe ihn beim Frühstück.
Mein Teich ist mein Stolz, ich kann stundenlang auf dem Steg sitzen und nur schauen. Langweilig wird es nie. Vielleicht überträgt sich der Gleichmut der Frösche auf mich. Die Turbulenzen der Welt erreichen uns nicht.
„Bodo?“, ruft Edna von der Terrasse.
„Ja, hier bin ich!“ Ich winke ihr zu.
„Hör mal, Ibi hat angerufen. Sie sind schon um sieben losgefahren. Sie sagt, die Mücken hätten sie aus dem Bett getrieben.“
Ich überblicke sofort die Lage: „Von Szeged nach Pécs brauchen sie drei Stunden. Zu spät fürs Frühstück, zu früh fürs Mittagessen ...“
„Na und? Wo ist das Problem? Wir machen Brunch.“
Ich überlege. Ja, könnte man machen. Ich analysiere Ednas Vorschlag, einiges spricht dafür: Man muss nicht drei Gänge servieren, stellt einfach alles auf den Tisch und setzt sich dazu, basta.
Eins zu Null für meine Gattin.
Ja, sie ist helle. Doch schon rasseln auch bei mir die Algo-Rhythmen durchs Hirn. „Dann pack ich das Huhn gleich in den Ofen – zack-zack und fertig.“ Den Rest mach ich mit Links: Gambas mit reichlich Knofel, Baguette und eine Riesenplatte Salate.
Bei all der Schnippelei habe ich mich dann doch verschätzt; weiß nicht, warum in der Küche die Zeit doppelt so schnell vergeht wie in der übrigen Welt. Jedenfalls ist beim Eintreffen des Besuchs fast alles fertig.
Die beiden Frauen fliegen aufeinander zu, wir Männer belassen es bei einem kräftigen Händedruck.
Ein zarter Prosecco stimmt auf‘s Essen ein – schon sitzen wir am Küchentisch und langen ordentlich zu. Das Huhn ist in Ordnung, arabisch gewürzt, kross und saftig. Die Gambas muss jeder selbst schälen, das verhindert zu hastiges Essen.
Ibi wendet sich an Edna: “Dein Tee ist klasse. Bei wie viel Grad brühst du?“
Die zuckt die Achseln: „Weiß ich nicht. Wenn‘s Wasser kocht halt ...“ Die Freundin schaut sie zweifelnd an, da fällt meiner Frau noch etwas ein: „Ich nehm das Wasser vom Brunnen. Ob‘s daran liegt?“
„Ja, gut möglich. Unser Wasser ist viel zu hart.“
Wir verdrücken noch einen Berg Baiser mit Sahne und Blaubeeren. Der reine Luxus.
Zum Ausgleich für das Große Fressen wollen wir ein paar Schritte übers Grundstück gehen. Zuvor zieht mich Gergö zum Auto.
„Wir haben euch was mitgebracht“, sagt er, nimmt einen Karton vom Rücksitz und überreicht ihn mir.
Ein Karton mit Luftlöchern, ich habe keine Ahnung vom Inhalt. Vielleicht ein Hamster, oder …? Gergö schaut mich lauernd an. „Mann“, sage ich, „du spannst mich auf die Folter. Was ist es?“
„Mach‘s auf.“
Einen Moment. Hoppla. Zwei Schildkröten haben die Köpfe eingezogen, ich sehe nur die Panzer.
„Ihr seid ein bisschen verrückt. Aber eine tolle Idee!“ Ich rufe zu Ibi rüber: „Überraschung gelungen! Besten Dank, ihr Lieben.“
Auf zum Teich! Unter der Trauerweide setzen wir unsere neuen Freunde ins Wasser.
Doch statt sich mitzufreuen, nörgelt Gergö, der Teich habe verdammt wenig Wasser. So traurig hätte er noch nie ausgeschaut.
„Das ist am Ende des Sommers nun mal so“, erkläre ich leicht pikiert, „es will einfach nicht regnen.“
„Aber Edna sprach doch von Brunnenwasser“, setzt er nach.
Ich schalte sofort: „Ach, du meinst …?“
„Ja, genau! Die Pumpe ist ja schon drin, wir brauchen nur noch einen Schlauch, der lang genug ist.“
Habe ich nicht, doch ich bin Weltmeister im Improvisieren. „Wir könnten aus zwei kurzen einen langen machen“, schlage ich vor.
Mein Freund ist geschickt und bald plätschert klares Brunnenwasser in den Teich.
„Mann Gergö, du hast es echt drauf!“, sage ich anerkennend. Obwohl – die Idee war von mir.
Die Mittagsstunden vertrödeln wir, Edna macht eine tolle Limonade. Unser Besuch staunt. „Grüne Limo hat man nicht alle Tage.“
Mit unterdrücktem Stolz zählt Edna alles auf, was sie da reingemixt hat: grüner Apfel, Gurke, Minze, Basilikum, Petersilie, Kiwi und Limette. Ibi und Gergö sind begeistert, mir schmeckt sie nicht.
Für den Nachmittag beschließen wir, in Pécs eine Runde zu drehen.
Dann ziehen sich die Damen zurück, weil Ibi meiner Frau ihre Fortschritte in japanischer Papierschneidekunst zeigen will. Und Gergö bemüht sich, meinen Laptop wieder fit zu machen. Ich nutze die Stille im Haus für ein Nickerchen.
Doch bald klappern Türen, etwas scheppert, jemand ruft jemanden. Wir machen uns chic für die Stadt.
Vorher gehe ich nochmals zum Teich; er füllt sich leider langsamer, als ich annahm. Ich lege den Schlauch tiefer auf den Teichgrund, das Wasser muss nicht plätschern, sondern kann nun bequem einfließen. Für die Dauer unserer Abwesenheit schalte ich die Pumpe aus, man kann nie wissen.
Die beiden kennen die Stadt schon, sie machen noch ein paar Fotos von der alten Moschee, von Innenhöfen voller Nostalgie und Geranien, von den Prachtfassaden der Patrizierhäuser. Dann steuern wir die schöne Kastanienallee zum Dom an. Da geht‘s heute ungewohnt quirlig zu, mit Weinverkostung, Lángos, roten Würsten und Spanferkel vom Grill und immer wieder Wein.
Wir sind weder hungrig noch durstig, trotzdem trinken und essen wir. Zu erzählen gibt es genug, seit fast dreißig Jahren sind wir befreundet. Buchara, Samarkand, Taschkent haben wir bereist, uns in Ehekrisen beigestanden und sind gemeinsam aus der katholischen Kirche ausgetreten.
Unser Schiffchen wiegte sich im Wind, jetzt aber fetzen uns die Segel um die Ohren, das Meer schüttelt sich den Dreck von den Schultern und wird uns böse heimsuchen. Die Welt brennt und die Menschen auf der Wohlstandsseite verfetten und verblöden. Von Corona und Afghanistan ganz zu schweigen.
Edna sieht die Stimmung kippen – und rettet sie: „Sagt mal, wie heißen unsere ‚Neuen‘ eigentlich?“
Wir sehen Ibi und Gergö gespannt an.
„Einen Namen haben die noch nicht, Für uns waren sie ‚die zwei‘.“
„Das ist das Diplomatischste“, sage ich. „Wenn eine ein Kröterich ist, dann kann man ihn nicht ‚Emma‘ taufen.“
Gergö kriegt den Schluckauf: „Ich kann nicht mehr – Emma!“
„Ich find das süß“, sagt Ibi.
Edna pflichtet bei: „Aber ja, ich auch“.
„Also zwei : zwei“, kommentiert Gergö.
„Du meinst wohl drei : eins? Ich bin auf jeden Fall für Emma.“
Ibolya überlegt, wie denn die andere heißen soll. Schwierig allemal. ‚Aurora‘ wird verworfen, ‚Emily‘ ebenfalls. Dóra, Zsófia, Jeanette – keine Chance. Nach einer Runde trockenen Tokajers und um das Thema endlich abzuschließen, fällt uns nichts Besseres ein als ‚Aida‘. Tokajer und Oper, in Gottes Namen, Amen.
Nach einigen Stunden sind wir gut in Fahrt. Ich werde von meinen Pflichten als Chauffeur entbunden und bestelle die nächste Runde. Und das Taxi werde ich auch übernehmen.
Wie nicht anders zu erwarten, werden wir vor dem richtigen Haus ausgeladen. Mit dem Taschenrechner findet der Fahrer den Fahrpreis heraus einschließlich Trinkgeld, ich zahle ohne zu murren. Wir sind etwas angeschlagen, doch einen Absacker sollten wir noch haben, einen Sauerkirschbrand aus der Schwarzdestille nebenan.
Die Damen nippen nur und zieren sich, noch einen anderen zu prüfen – vielleicht Williamsbirne oder Quitte. So bleiben Gergö und ich noch sitzen und stecken hin und wieder die Nasen ins Glas wegen der olfaktorischen Unterschiede. Zum Vergleich noch einen Calvados.
Gepriesen sei der Sonntag. Und Ednas Disziplin. Ich höre Geschirrklappern, unser Besuch bekommt ein ordentliches Frühstück. Beruhigend zu wissen; ich brauche noch etwas Schlaf.
Doch statt mich auf die andere Seite zu drehen, fahre ich in die Höhe – Edna schreit und flucht in der Küche, wie ich es noch nie gehört habe. Ich muss mich drum kümmern.
Sie kommt mir schon entgegen, die Wasserkanne mit einer bräunlichen Flüssigkeit in der Hand. Ich zeige mit dem Finger drauf und frage interessiert: „Kaffee oder Tee?“
„Brunnenwasser, eben abgefüllt.“
Vielleicht merkt sie mir an, dass ich nichts verstehe. Und weil ich nicht reagiere, faucht sie: „Würdest du dich eventuell mal zum Brunnen bemühen und schauen, was da los ist?“
Ich reibe mir die Augen, da giftet sie: „Aber nur, wenn‘s keine besonderen Umstände macht, der Herr.“
Ich düse ab. Mit dem Brunnenhäuschen ist alles okay, der Kupferhahn sitzt noch obenauf. Also hebe ich den Deckel und blicke hinein ins gemauerte Loch. Der Wasserstand ist unerwartet hoch, allerdings kann ich nicht erkennen, ob das Wasser klar oder trübe ist. Ich kratze mich hinterm Ohr.
"Wasser ist sicherlich genug drin, vermute ich.“ Gergös Stimme.
„Ach Mensch, hab dich gar nicht kommen hören. Und wieso vermutest du das?“
„Ist nur so eine Ahnung, denn wenn‘s im Teich nicht mehr ist, muss es eben woanders sein, gelle?“
„Wenn‘s im Teich nicht mehr ist? Was soll das denn heißen, Mann Gottes?“ Ich warte seine Antwort nicht ab, sprinte um die Hecke – und vor mir liegt die Welt in ihren letzten Zügen. Matsch und Matsche, schwarz, grau und bräunlich, als wenn sich ein Dino entleert hätte. Von der alten Pracht ist fast nichts übriggeblieben, weiße und rosafarbene Seerosen liegen platt im Schlamm. Ich versuche, mit Nitrospray einem Schlaganfall zuvorzukommen. Aber ein Schnaps wäre besser.
Jetzt nehme ich auch die Fische wahr. Die auf dem Trockenen sind hinüber, die in den flachen Pfützen liegen auf der Seite und schnappen nach Luft, oder wohl eher nach Wasser. Und erst jetzt fallen mir die … wie hießen die noch? … die beiden ein. Ach du große Scheiße – hoffentlich leben die noch.
Aber da sehe ich Gergö neben dem Schlauch kauern. „Jetzt sag mir mal, wie das passieren konnte!“, motze ich. „War ja deine Idee!“
Er bleibt in der Hocke und erklärt mir die Sache.
„Ah, verdammt. Was bin ich doch für ein Rindsviech!“, entfährt es mir.
Gergö steht auf und klopft mir auf die Schulter. „Nur keine Aufregung, Alter.
Hab die Pumpe wieder angeworfen. Mal sehen, was noch zu retten ist.“
Ich ärgere mich über meine Blödheit, die Sonntagslaune ist im Eimer.
Alkohol ist nicht die Lösung, grüne Limo auch nicht. Ich hole zwei Bier ‚ohne‘ und wir setzen uns – nein, nicht ans Wasser, das ist im Moment unerfreulich – unter die Pergola, erzählen von alten Zeiten, dem aufdringlichen Pater Arpád und der Tanzstunde mit mühevoll gebundenen Krawatten, auf Hochglanz polierten Schuhen und unserem gemeinsamen Schwarm Verónika Vörös.
Doch plötzlich bin ich wieder in der Gegenwart.
„Oh“, sage ich, „mir fällt grad ein: Was fressen die eigentlich?“
Gergö nimmt noch einen Schluck alkoholfreies Bier und schaut mir tief in die Augen: „Aaalso … Fertigfutter auf keinen Fall. Rührei hingegen schon, auch Bratkartoffeln mit Sülze oder ...“
„Cheeseburger“.
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