Elternfreuden
1.
Als Mark Bohring die Eingangshallen des grossen Kaufhauses betrat, begrüsste in die freundliche, sanfte Frauenstimme: „Willkommen bei „Nanny`s Industries“ dem führenden Babysitting-Androiden Hersteller der Welt. Ihre Kinder werden es ihnen danken, dass sie sich für uns entschieden haben.“
Mark ging auf dem glänzenden Fussboden am grossen Springbrunnen vorbei und vor ihm erstreckten sich plötzlich unzählige Abteilungen, in denen die verschiedensten Modelle der modernsten und teuersten Babysitter-Androiden der Welt angeboten wurden. Manche waren äusserlich so menschlich und wunderschön gebaut, dass sich Mark körperlich zu ihnen hingezogen fühlte. Es gab sie mit den verschiedensten körperlichen Eigenschaften: mollig, kräftig, sportlich, athletisch, zierlich, es gab Alte, Junge, sogar einzelne männliche Modelle fand Mark ausgestellt. Es gab auch welche, denen man ansah, dass sie künstlich waren. Es gab solche in verschiedenen Farben, Elfen oder Clowns oder schlichte Robotermodelle aus Metall, mit Rädern und Metallarmen versehen. Staunend und mit weit aufgerissenen Augen schlenderte Mark durch die Abteilungen. Kaum fand er ein Modell, das perfekt schien, gab es zehn andere, die seine Aufmerksamkeit auf sich zogen.
„Guten Tag, mein Herr.“
Eine junge, fröhliche Stimme zog Marks Aufmerksamkeit auf sich. Es war ein Mann mitte zwanzig, der Mark in adrett geschneidertem Anzug und mit breitem Lächeln im Gesicht begrüsste. Auf Brusthöhe lag sein Namensschild ans Sacko geheftet. „Michel Bernard“ stand in grossen, schwarzen Lettern auf der Plakette.
„Kann ich ihnen bei ihrer Suche vielleicht helfen?“, fragte Michel Bernard freundlich.
Mark nickte froh einen Berater gefunden zu haben und meinte: „das wäre wirklich sehr freundlich“.
„Wie alt ist das zu umsorgende Kind bzw. die Kinder?“, erkundigte sich Michel.
„Ein Junge, er wird in der nächsten Stunde möglicherweise zur Welt kommen.“
„Ich gratuliere.“, rief Michel überschwenglich und reichte Mark die Hand.
„Folgen sie mir.“, meinte er, als er sich wieder etwas beruhigt hatte.
Sie liefen an ein paar Abteilungen vorbei, bis sie vor dem Model einer wunderschönen Frau ankamen, einem Model einer jungen, grossen, sportlich attraktiven Frau mit stark ausgeprägten Körperproportionen in violettem Sommerkleid. Michel begann dem staunenden Mark das Model zu erklären:
„Das ist ein sehr lebendiges und vitales Modell. Zu ihren besonderen Fähigkeiten gehören ihre stark positive, energievolle Präsenz. Mit jungen aber verantwortungsbewusstem Geist. Die Zeit mit einem Neugeborenen ist sehr nervenbelastend, da schafft es dieses Modell eine lockere Stimmung zu schaffen.“ Michel redete schnell, deutlich und mit selbstbewusster Stimme. „Dieses Modell beherrscht alle Praktiken im Umgang mit Säuglingen und muss auch dann nicht erneuert werden, wenn das Kind älter wird. Mit seiner Vitalität kann sie auch perfekt mit heranwachsenden und älteren Kindern umgehen. Sie ist sowohl fürsorglich als auch schon mal streng zu den Kleinen und ist auch im Haushalt voll Einsatzfähig.“
Er machte eine Pause, legte seine rechte Hand auf Marks Schulter und fuhr fort:
„und seien wir doch mal ehrlich, welcher Mann wünscht sich nicht eine solche Frau Haus.“
Nachdem ihm das zwölfte Modell erklärt wurde, meinte Mark begeistert:
„Wissen sie, seit unsere Nachbarn, einen Babysitting-Androiden gekauft hatten, wussten wir, ich und meine Frau, dass wir auch einen bräuchten.“
Nach 2 Stunden hatte Mark 40 verschiedene Modelle gesehen und stellte noch immer emsig Fragen, als sein Phone plötzlich klingelte. Er zog den Connecter aus seiner rechte Jackentasche und vor ihm auf dem kleinen Schirm erschien seine Frau verschwitzt und mit rotem, aufgedunsenen Kopf.
„Ja, Schatz?“, begann Mark.
„Der Junge ist da.“, erklärte sie leise.
„Toll!“
„Hast du schon ein Modell gefunden?“
„Ich glaube, ich....“
„Gib mir mal einen Verkäufer.“
Mark wandte sich an Michel: „Meine Frau möchte mit ihnen reden.“
Michel griff erschöpft nach dem Apparat und wurde in ein langes, ausführliches Gespräch verwickelt, da auch Marks Frau ihre ganz eigenen Vorstellungen von dem perfekten Babysitting-Androiden hatte.
2.
„Es ist so schön, nicht?“, meinte Maria mit dem Blick durch das klare Fenster in den Garten gerichtet.
„Das stimmt“; antwortete Frank und nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarette.
Draussen im Garten spielten ihre beiden Kinder Judith und Frank jr. Mit Helena, ihrem Babysitting-Androiden.
„Sie sind so glücklich.“, fügte Maria schwelgend hinzu.
„Ja, Helena ist wirklich ein Engel.“, bestätigte Frank.
„Die Kinder haben solches Glück. Am Morgen werden sie zärtlich von ihr geweckt, dann schaut sie, dass sie sich hübsch anziehen und waschen, macht das Frühstück. Dabei achtet sie auf eine ausgewogene Ernährung...“
„und in ihrer Begleitung gehen sie sogar gerne zur Schule.“, fuhr Frank an Marias Stelle fort, „Sie holt sie wieder von der Schule nach Hause, macht mit ihnen Schularbeiten, spielt mit ihnen, bereitet ein tolles Abendessen zu und bringt sie zu Bett..“
„Sie singt oder erzählt „Gute Nacht-Geschichten.“, fügte Maria hinzu, „Ist auch mal hart zu ihnen und weiss wann die Kinder über die strenge schlagen.“
„Ja, sie ist einfach toll.“ brachte Frank das Gespräch auf den Punkt, drückte die Zigarette aus und die Beiden wendeten sich wieder ihrem Plasmaschirm zu, der mit dem übertragen einer Filmpremiere begann.
Ein Knirschen lenkte Marias Blick zur Wohnzimmertür, wo er erstarrt hängen blieb.
„Frank.“, flüsterte sie erschrocken.
„Was ist?“
Genervt drehte sich ihr Mann zur Tür und erstarrte. An die Wand gedrückt standen ihre beiden Kinder Judith und Frank jr. Von Helena fehlte jede Spur.
„Was ist geschehen, wo ist Helena?“, wollte Maria wissen.
„Sie ist einfach stehengeblieben.“, meinte Frank jr. fiebrig, während sich Judith an ihn schmiegte. Maria und Frank blickten verunsichert in den Garten hinaus, wo Helena wie angewurzelt mit ausgestreckten Armen und gespreiztem Schritt auf dem Rasen stand.
Während Maria sprachlos mit dem Blick zwischen ihren verunsicherten Kindern und der erstarrten Helena hin und her zappte, griff Frank zum Communicator und wählte die Verbindung zur Herstellerfirma von Helenas Modell.
„Ja, sie ist einfach stehen geblieben.“; meinte er energisch, als er mit einer leitenden Person namens Peterson verbunden war.
„Wann liessen sie den Androiden das letzte mal warten?“ wollte Peterson wissen.
„Warten?“ Noch nie! Ich wusste nicht, dass das nötig sei.“
„Wie alt ist ihr Androide?“
„Etwa 2 Jahre alt.“
„Ein Wunder, dass der solange mitgemacht hat.“, meinte Peterson spöttisch.
„Wir holen den Androiden sofort bei ihnen ab, doch die Reparatur kann einige Tage dauern.“
Frank zuckte zusammen und fragte benommen:
„Bekommen wir für diese Zeit einen Ersatzandroiden?“
„Tut mir leid, bieten wir nicht an.“, antwortete Peterson kühl.
„Aber wer kümmert sich um die Kinder?“
„Na sie.“
Panisch beendete Frank das Gespräch und starrte seine Frau an. Die Kinder sassen zusammengekauert am Ende des Raumes und sahen zu Boden.
„Wir können doch in die Konzert- und Theateraufführungen gehen?“, fragte Maria mit haspelnder Stimme.
„Ich weiss nicht.“, antwortete Frank, „was sollen wir mit ihnen machen?“ und wies auf die Kleinen zu Boden gesunkenen Gestalten, die ihre Kinder waren.
„Vielleicht sollten wir ihnen etwas zu essen geben oder müssen wir etwa mit ihnen spielen?“ Marias Hand fingen bei dem Gedanken zu zittern an.
Da waren sie nun. Die panischen Eltern auf der einen Seite und die fremdartigen, verängstigten Kinder auf der anderen Seite des Zimmer s –völlig hilflos. Hin und wieder trafen sich ihre Blicke, nur um sie dann wieder erschrocken von einander ab zu wenden. Und im Garten wie angewurzelt stand die künstliche Helena, die wie eine merkwürdige Dekoration in diesem noch viel skurrilerem Schauspiel der nicht all zu fernen Zukunft wirkte.