Elisa
Elisa
Es war ein schöner, heißer Sommertag. Ich kam von meiner Arbeit wieder und freute mich auf mein Zuhause. Ich bog in die Straße ein, in der ich wohnte und musste die Geschwindigkeit verringern, da viele Kinder hier spielten. Sie winkten mir alle fröhlich zu. Ich erwiderte ihre Begrüßung.
Mein Haus stand ganz am Ende der Strasse. Ich hatte mich vor fünf Jahren von meiner Frau scheiden lassen und war jetzt 35.
Ich schaute nach links. Dort saß Elisa. Sie saß wie immer auf der Bank vor ihrem Haus und spielte mit ihrer Puppe, wenn ich von meiner Arbeit kam. Die anderen Kinder mochten sie nicht besonders, weil sie sehr schüchtern und zurückhaltend war. Sie war sowas wie eine Aussenseiterin. Das stimmte mich manchmal traurig.
Ich bog in die Einfahrt meines Hauses ein, stieg aus dem Auto aus und betrat das Haus.
Hier drinnen war es schön kühl. Ich ging in das Wohnzimmer, aß einen Apfel und ließ mich auf die bequeme Ledergarnitur meines Sofas fallen. Wenige Augenblicke später schlief ich ein.
Ich wachte auf und schaute auf die Uhr: 20:11 Uhr.
"Oh nein, das kann nicht sein!", stöhnte ich verschlafen und streckte mich. Schon wieder waren 6 Stunden vergangen. Ich setzte mich aufrecht hin, damit mein Kreislauf in Schwung kam. Schließlich stand ich auf und machte mir etwas zu Essen. Draussen war es noch ziemlich hell. Die Kinder waren immer noch draußen und spielten. Elisa konnte ich nirgends entdecken.
Morgen begann meine Arbeit, wie immer 8 Uhr.Ausserdem musste ich ca. 20km weit fahren. Deshalb legte ich mich jetzt schon ins Bett.
Pünktlich um 8 erschien ich bei meiner Arbeitsstelle, beim Finanzamt. Um 14:00 Uhr hatte ich schliesslich meine Arbeit vollendet und fuhr wie jeden Mittag nach Hause.
Als ich in meinem Dorf angekommen war, fuhr ich am Supermarkt vorbei und sah Elisa. Sie hatte ein geblümtes Kleid an und trug eine Leinentasche in der Hand. Sie war ein gutes Mädchen, das wusste ich. Und es war ihr letzter schöner Sommertag.
Zu Hause angekommen, holte ich eine Tiefkühlpizza aus dem Gefrierschrank, stellte den Backofen auf 200 Grad, schob die Pizza rein und setzte mich vor den Fernseher.
Wie immer um diese Uhrzeit liefen nur Talkshows. Ich zappte eine viertel Stunde lang nur herum und schaute dann nach der Pizza. Es roch schon etwas verbrannt, aber das machte nichts, denn ich hatte Hunger. Als ich sie aufgegessen hatte, machte ich erstmal ein Verdauungsschlaf.
DING, DING, DONG. Langsam öffnete ich die Augen. DING, DING, DONG. "Ja, ist ja schon gut, ich komme schon!", sagte ich, wahrscheinlich kaum hörbar für den Draußenstehenden. Müsahm rappelte ich mich auf und ging zur Tür.
Es war Elisas Mutter. Sie hatte ein besorgtes Gesicht und war sichtlich nervös.
"Hast du Elisa gesehen?", fragte sie, ohne das wir uns begrüßt hatten. Wir beide kannten uns sehr gut, deshalb war es egal, dass mal ein "Hallo" wegfällt.
"Ja. Als ich von der Arbeit kam, sah ich sie am Supermarkt.", antwortete ich auf ihre Frage. Ihr Gesicht hellte sich etwas auf.
"Ich habe sie vor zwei Stunden losgeschickt, um Milch zu kaufen, aber sie ist noch nicht wieder da.", sagte sie.
"Vielleicht ist sie zu einer Freundin gegangen?", schlug ich vor.
"Elisa hat doch keine Freundinnen im Dorf. Vielleicht ist ihr etwas passiert.", antwortete sie sorgenvoll.
Elisa war das einzige Kind von ihr und sie war sehr stolz auf sie.
Nach einem Tag war Elisa immer noch nicht aufgetaucht. Susanne (so hieß die Mutter) verteilte Flugblätter im ganzen Dorf, mit der Aufschrift:
"Haben sie dieses Mädchen gesehen?"
Darunter war ein Bild von Elisa und die Telefonummer.
Nach drei Stunden, die uns wie eine Ewigkeit vorkamen, kam ein Anruf . Eine Frau war am Apparat. Sie sagte, sie hätte gesehen, wie Elisa mit einem Mann mitgegangen sei. Sie konnte das Gesicht des Mannes nicht richtig erkennen, aber er sei groß und kräftig gebaut gewesen.
Susanne rief sofort die Polizei an und berichtete, was passiert war. Es wurde eine großangelegte Suchaktion in die Wege geleitet. Die Polizei suchte das Feld und das kleine Wäldchen hinter unserem Wohngebiet ab. Sie fanden jedoch keine Spur.
Susanne weinte inzwischen ununterbrochen und die ganze Strasse trauerte. Man vermutete, dass Elisa tot sei. Doch wir gaben die Hoffnung nicht auf.
Zwei Tage später, als auch wir die Hoffnung aufgegeben hatten, erklang eine Stimme in meinem Kopf
"Ich werde kommen........heute Nacht........!"
Erschrocken fuhr ich auf meinem Sofa zusammen. Was war das?
"Heute Nacht, heute Nacht.................!", echote es in meinem Kopf. Was? Wer wird kommen? Oder war das eben nur ein Hirngespinst? Ich hatte in den letzten Tagen so viel durchgemacht, wahrscheinlich war es Einbildung.
Es war 22:30 und ich lag schon im Bett. Ich schloss die Augen, konnte aber aus den Augenwinkeln noch wahrnehmen, wie es auf dem Hausflur heller wurde. Schlagartig öffnete ich die Augen und blickte gespannt auf die Tür. Schweißperlen standen mir auf der Stirn. Und dann geschah es.
Eine Hand fuhr ohne Widerstand durch die Tür. Sekunden später folgte der Rest des Körpers.
Als ich die Gestalt erkannte, lief mir eine eisiger Schauer über den Rücken.
Es war Elisa, gefolgt von einer Aura des Lichtes! Ihre Füße schwebten ca. 10 cm über dem Boden. Sie hatte dasselbe schöne geblümte Kleid getragen, wie damals am Supermarkt. Nur wirkte es...
farblos.
Die ganze Gestalt wirkte farblos. Elisa schaute mich aus ihren großen Augen aus an. Nur wirkten sie tot.
"Komm", säuselte sie. Ich spürte, wie mein eigener Wille meinen Körper verließ. Elisa schwebte nach draussen. Ich folgte ihr. Es war eine klare Sternennacht.
Sie überquerte das Feld, auf dem die Polizisten schon waren..............
Sie ging in den Wald, in dem die Polizisten schon waren...............
Und ich folgte ihr. Wohin sie auch ging, ich würde ihr folgen...........
Plötzlich blieb sie stehen. "Hier", flüsterte sie geheimnissvoll.
Mehr musste sie nicht sagen, aus irgend einem Grund wusste ich, was ich zu tun hatte.
Ich ließ mich auf die Knie fallen und begann die Äste und das Laub zur Seite zu fegen. Dann begann ich zu graben..............
Ich stieß auf etwas Weiches. Ich schaute zu Elisa hoch. Sie nickte traurig. Tränen bildeten sich in meinen Augen und liefen mir die Wangen hinab. Mit der Kraft der Verzweiflung legte ich den Rest des toten Körpers frei.
Ich stand auf und blickte zu Elisa hinab. Ihre weichen Haare fielen sanft auf ihre Schultern. Sie stand da und starrte auf sich selbst hinab.
"Danke", sagte sie leise, ohne aufzublicken. Sie stand einfach da und starrte auf ihren eigenen leblosen Körper.
Ich weinte.
Dann legte sie sich in ihr Grab und verschmolz mit ihrer Leiche......
Ich hob zum Abschied eine Hand und winkte. Sie winkte zurück.
Ich öffnete die Augen . War alles nur ein Traum? Meine Hände und Füße schmerzten erbärmlich.
Ich schlug die Decke zur Seite. Meine Schlafanzug war verdreckt und ich hatte zahlreiche Schnittwunden an Händen und Füssen.
Also war es kein Traum. Ich hatte alles wirklich erlebt.
Es dauerte eine Weile, bis ich das Alles verarbeitet hatte, obwohl ich der Meinung bin, dass ich bis heute nicht alles realisiert habe. Der Mörder wurde nie gefunden.
Ich erzählte niemanden etwas von meinem Erlebnis. Auch nicht Elisas Mutter. Vielleicht hätte man mich für verrückt befunden. Ich glaube es war die richtige Entscheidung.
Und ich glaube auch, Elisa hat nun ihre Ruhe gefunden.................
©Lars Matthiessen 2001