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Elfenweg
Elfenweg
Die fliegenden Kanus schweben in Abständen von einhundert Metern an eine Weggabelung heran. Sie sind aus dunklem Holz gefertigt und bieten in ihrer stabilen Bauweise Platz für zwanzig Personen. Außer bequem gearbeiteten Sitzbänken und ausladenden Tischen, gibt es keinerlei Aufbauten. Die Geister-Kanus fahren ohne Besatzung durch die Luft. Kurz vor der Gabelung wenden die Boote und sinken aus einer Höhe von etwa vier Metern herab, bis sie dicht über der steinigen Wüste dümpeln. Dort warten Passagiere. Diener führen die Männer und Frauen zu dem Boot und helfen freundlich beim Einsteigen. Auch die Herren sind ihren Damen gegenüber äußerst zuvorkommend.
Voll besetzt hebt das Boot ab und beschleunigt sanft, aber zügig. Es nimmt den linken Weg der Gabelung und fährt über den steinigen Weg davon. Da kommt schon das nächste Boot, wendet und sinkt herab.
Vor der Weggabelung drängen sich die Menschen, es herrscht emsiges Treiben. Die Passagiere sind jugendlich schön, man trägt Anzug und Abendkleid. In ausgelassener Stimmung wird gescherzt und gelacht. Diener im Frack tragen ein üppiges Buffet auf. Die Menschen setzen sich und nehmen von den Köstlichkeiten. Die Fahrgäste prosten sich zu und lächeln sich an. Erst wird geplaudert, dann herrscht laute Partystimmung.
Der ihnen entgegenkommende Wind bringt einen süßlich, penetranten Duft mit sich. Es riecht nach Aas und das glockenhelle Lachen der Damen schallt über die Wüste.
Der Champagner fließt bald in Strömen und eine morgendliche Brise trägt das Johlen und Jauchzen der Gäste weit hinaus. Hoch oben in luftiger Höhe, auf der Kuppe eines Felsens, warten Diener auf das fliegende Kanu. Sie werfen eilig ein paar Goldklumpen hinein, als es kurz anlegt. Sofort gleitet es geschwind weiter, dem Wüstenwind entgegen. Die Gäste starren verdutzt auf das am Boden liegenden Schatz, ehe sie begreifen. Zögerlich, ja höflich greift man nach dem herrenlosen Gold. Die faustgroßen Klumpen wiegen schwer in ihren gepflegten Händen. Die Gäste schauen sich verwundert an. Man greift nach dem zweiten, dritten Stück Gold und kann es nicht fassen, dass alles einfach so herrenlos da liegt. Die Händchen der Damen fliegen jetzt hin und her, greifen was sie tragen können. Bald wird gerempelt und gestoßen, geschrien und geschlagen, Flaschen und Gläser klirren, Stühle fallen polternd um. Die Frauen reißen sich gegenseitig an den Haaren zurück, um sich selbst zu bereichern. Erst als kein Gold mehr zu ergattern ist, beruhigt sich die Lage. Nicht jeder hat etwas abbekommen. Eifersüchtig werden die Schätze jetzt bewacht, die Leerausgegangenen beäugen missgünstig die Besitzenden und lauern auf eine Gelegenheit, ihnen etwas zu stehlen.
Ein Mann stürzt sich plötzlich mit verzerrtem Gesicht auf eine Frau, die krampfhaft einige Klumpen an ihre Brust rafft. Sie weicht zurück und der Mann geht über Bord. Hart schlägt sein Körper im Wüstenstaub auf. Er erntet Gröhlen und Jubeln für seine missglückte Aktion. Entsetzt bemerkt er, dass er keine Chance hat, wieder in das Boot zu gelangen. Es fliegt viel zu hoch und er ist verletzt. Schmerzverzerrt hält er seinen Arm und humpelt auf dem Weg herum. Mit hasserfülltem Gesicht wirft die Frau mit einer Champagnerflasche nach dem Herausgestürzten. Sie zerschellt jedoch auf dem steinigen Weg. Er lacht höhnisch auf und ballt seine Faust.
Es wird noch viel Gold in die Boote geworfen, die mit jedem Klumpen schneller werden. In einigen Booten sitzen die Passagiere regelrecht auf ihrem unerwarteten Reichtum. Eines der fliegenden Kanus ist etwas schneller als die anderen. Es schließt zu seinem Vordermann auf. Da kommt es unter Riesengeschrei zu einer Wurfschlacht unter den Besatzungen. Gegenstände fliegen hin und her, es gibt Platzwunden und blutverschmierte Gesichter. Eine Frau wird von einem Stuhl am Kopf getroffen und stürzt aus dem Boot. Sie fällt einige Meter tief bis sie auf dem steinigen Weg aufschlägt, in verrenkter Stellung bleibt sie wimmernd liegen, doch niemand achtet auf sie.
Die Frauen kreischen und spucken, die Männer werfen noch solange es geht mit Messern, Tellern und Flaschen aufeinander, bis das das schnellere Boot endlich außer Wurfweite ist.
Die Besatzungen sitzen jetzt erschöpft auf ihrem Gold und die Boote jagen mit Geheul durch die Luft. Die Menschen halten sich kauernd aneinander fest, um nicht über Bord zu gehen. Ab und an erblicken die Fahrgäste einen Herausgestürzten, der auf dem Weg umherirrt. Sofort werfen sie nach ihm und der eine oder andere wird auch getroffen. Jetzt haben die Menschen hassverzerrte blass-grüne Gesichter. Sie schielen sich mit den Pupillen in den Augenwinkeln misstrauisch an und bewachen eifersüchtig ihr Gold.
Unterdessen wird der Aasgeruch wird so schwer, dass ihn der Wüstenwind kaum noch noch zu tragen vermag ... dann sehen sie ihn.
Am Horizont taucht ein graugrüner Berg mit seltsam weichen Konturen auf. Doch die Passagiere achten nur auf den goldenen Glorienschein, der ihn überstrahlt. Gerüchte machen die Runde. Gerüchte über einen ganzen Berg aus Gold. Das muss er sein, endlich am Ziel. Ein letztes mal legen die fliegenden Kanus an einer Bergkuppe an und in der Höhe wird Gold hinein geworfen. Geschäftig nehmen die Fahrgäste es an, in der Hoffnung noch schneller zu werden. Die fliegenden Kanus jagen jetzt dröhnend durch die Höhe, so schnell, dass sich alle tief zusammenkauern müssen, sie krallen sich aneinander fest, um nicht im letzten Moment noch über Bord zu gehen. Auf den Booten herscht ohrenbetäubendes Tosen.
Die Menschen in den fliegenden Kanus haben jetzt jede Orientierung verloren. Immer weiter jagen die Boote in atemberaubender Geschwindigkeit durch die Luft. Erst am Berg werden sie langsamer und halten fast an, die fliegenden Kanus wenden in einem eleganten Manöver. Sie haben ihr unseliges Ziel erreicht. Skrupellos drehen sie sich auf den Kopf und alles fällt heraus. Erst die Menschen unter Wutgeschrei und dann das Gold auf ihre Köpfe und Leiber. Das leere Boot fliegt eilig zurück.
Die ehemals gut Gekleideten haben jetzt nurmehr einige, wenige Fetzen auf ihren blutverschmierten Leibern. Wie Zombies kriechen die fast nackten Wesen auf allen Vieren dem Berg zu, der an seinen Flanken tiefe Schluchten aufweist. Der Berg aus Aas ist ihnen im Weg. Sie haben nur ein Ziel. Das Gold dahinter. Sie schauen hoch und sehen, dass die Vorausgegangenen schon dabei sind sich durch den Aasberg hindurchzufressen. Es schauen nur noch die zappelnden Beine heraus. Über und über ist das faule Fleisch mit Kot und Erbrochenem überdeckt. Schon stecken die ersten Neuankömmlinge die Köpfe in die weiche, schleimige Masse und fangen mit weit geöffnetem Unterkiefer an zu beißen und zu schlucken.
Während dieses grausigen Mahles verändern sich die Menschen. Sie werden ganz allmählich rund und weiß. Sie winden und drehen sich, bis sie vollkommen in der Masse verschwunden sind.
Aber so viel sie auch fressen, sie werden kleiner und kleiner. Am anderen Ende des Aasberges krümeln sie als kleines, weißes Würmchen sterbend herunter und bereichern den Berg mit ihrer winzigen Leiche.
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Ich stehe in einer Menschenmenge vor der Weggabelung und betrachte das emsige Treiben. Von hinten drängen die Reisewilligen an mir vorbei in Richtung der fliegenden Kanus. Eine Gruppe ist dicht hinter mir und drängelt. Da bekomme ich unvermittelt einen kräftigen Stoß von hinten, stolpere nach rechts, um nicht zu fallen, muss ich große Schritte machen. Ein zweites Stoß, und schon bin ich als Einziger auf einem Wiesenweg rechts der Boote.
Auf beiden Wegen gibt es kein Zurück.
Allein wandere ich auf einem schmalen Trampelpfad durch saftiges Gras. Er ist steinig und unwegsam, aber ich bin jung, stark und zuversichtlich. Tief atme ich den Blumenduft ein der mir das Gefühl gibt gar nichts weiter zu brauchen.
Mit weiten Schritten gehe ich über eine kleine Anhöhe. Da erscheint der Waldesrand mit einer Ansammung von kleinen unscheinbaren Birnenbäumchen. Sie tragen Früchte und ich esse davon, sie sind köstlich. Nahrung und Lab zugleich. Am Abend finde ich ein paar Sträucher mit Waldbeeren die mich erfrischen, in der Nähe ist ein Bach. An seinem Ufer lege ich mich ins weiche Gras und schlafe, bei leisem Geplätscher, tief und fest. Am nächsten Tag erwache ich mit Vogelgezwitscher. Die Morgenröte steht am Horizont und ich wandere weiter. Unterwegs esse ich immer wieder einige Beeren.
Nach einer Weile wird der Pfad etwas steiler und Baumwurzeln versuchen meine Füße festzuhalten, doch meine Sinne sind geschärft, und ich passe auf.
Da höre ich ein leises Rascheln und sehe im Augenwinkel, wie ein gräulicher Schatten aus dem Gras aufspringt und seitlich auf meinem Rücken landet. Er hat Gewicht, aber ich kann ihn nicht fassen. Erschrocken drehe ich mich wie ein Hund, der seinem eigenen Schwanz hinterherjagt. Der Schatten ist nicht mehr zu sehen, aber er hat sein Gewicht behalten das mich fortan niederdrückt. Aber ich bin immer noch so kräftig, dass ich weit ausschreiten kann. Gerade habe ich mich an die Plage gewöhnt, da springt mir schon das nächste Gewicht auf den Buckel und ich bleibe irritiert stehen. Es zieht mich etwas nach unten und ich gehe gekrümmt. Aber guter Dinge wandere ich weiter bis zum Abend. Des nachts jedoch kommen Ameisen und Mücken zu mir und rauben mir den Schlaf. Sie beißen und stechen, bis ich wild um mich schlage. Von nun an kommt eine durchwachte Nacht nach der anderen.
So geht es eine sehr lange Weile weiter, bis sich eines Tages der Himmel verdunkelt und den Dingen die Farbe stiehlt. Verwundert bleibe ich stehen, denn die Sonne brennt unvermindert auf meiner Haut. Da merke ich, es sind meine Augen, die ihr Licht einbüßen. Auch finde ich keine Waldbirnchen mehr. Und die Beeren sind zunehmend trocken und faulig, wann habe ich zuletzt getrunken?
Durstig, hungrig, gebeugt, mit geschwollenen Gelenken schleppe ich mich weiter. Mücken und Ameisen rauben mir in jeder Nacht den Schlaf, so dass meine Kraft dahin ist.
Irgendwann, die Sonne steht hoch am Himmel, erreiche ich eine kleine Anhöhe und lehne mich müde mit gesenktem Kopf und schwer atmend an eine abgestorbene Weide. Der Schweiß läuft in Bächen an mir herunter.
Da höre ich von links aus der Ferne höhnisches Gelächter. Ich starre hinüber und erkenne mit meinen schlechten Augen schemenhaft ein fliegendes Kanu, das kurz zu verweilen scheint. Die schönen Menschen sitzen bequem und lassen den einen Arm lässig über die Bordwand hängen, mit dem anderen prosten sie mir, mit ihren Champagnergläsern zwischen den spitzen Fingern, herablassend zu. Sie stehen auf und verbeugen sich in meine Richtung. Daraufhin schallt dröhnendes Gelächter zu mir herüber. Sie johlen und singen, während das Boot sanft schwebend beschleunigt. Im Wegfliegen zeigen sie mir stolz von ihrem Gold, das sie hochhalten. Dann sind sie verschwunden.
Denen geht es gut, denke ich bei mir. Ach, wäre der Weg doch nicht so lang. Warum muss gerade ich diesen beschwerlichen Weg gehen?
Plötzlich springt eine Grille in mein Ohr und kriecht tief hinein. Irgendwann kommt eine zweite im anderen Ohr hinzu. Seither höre ich ihr schrilles Konzert.
An einem anderen Tag sitze ich erschöpft am Wegesrand und esse eine kleine Birne, die ich zufällig am Boden fand, unter einem toten Birnenbaum. Da bemerke ich, leider zu spät, dass eine Spinne meine Kniegelenke eingesponnen hat. Seither sind sie steif und schmerzen. All das setzt mir jetzt so zu, dass ich vollends verzweifele. Trübsinnig starre ich in die Abenddämmerung.
Am nächsten Tag treibt mich ein unbändiger Durst dann aber doch an, meine Wanderung fortzuführen. Tatsächlich kommt bald ein Weiher in Sicht und ich beschleunige meine Schritte. Alles tut mir weh, ich bin vollkommen deprimiert, fühle mich ausgebrannt. Als ich aus dem Weiher trinke schaut ein alter Mann mit haarlosem Schädel und grauer, schlaffer Haut aus dem Wasser zu mir herauf. Sein müdes Gesicht mit ein paar wenigen gelben Zähnen wabert im Takt der leichten Wellen am Ufer.
Erschöpft kippe ich nach hinten über und schlafe ein, aber die Mücken lauern schon im Gestrüpp und Ameisen krabbeln im Gras.
Am nächsten Morgen kann ich mich kaum noch auf den Beinen halten und muss immer wieder ausruhen. Ich schaue zum Himmel auf und will schreien, da sehe ich plötzlich ein durchsichtiges Flirren, wie von Libellenflügeln. Ich halte staunend inne, aber meine Augen sind zu schlecht, als dass ich irgend etwas genaues erkennen könnte. Es summt und flirrt hin und her. Da klingt ein helles, singendes Stimmchen zu mir und ruft mir etwas zu, es klingt verheissungsvoll, beschwörend: "Halte durch!", es fliegt über den Steinweg davon, als wolle es mir den Weg zeigen. Dann ist es verschwunden.
Das muss ein Wesen aus einer anderen Welt gewesen sein, denke ich. Euphorisch stolpere ich weiter, in meinen Ohren klingt es immer wieder "Halte durch!", wie einen Schatz lass ich es immer und immer wieder in meinem Geächnis erklingen "Halte durch! - Halte durch!"
Die letzten Kraftreserven mobilisierend schleppe ich mich humpelnd weiter. Da kommt ein heftiger Wind von vorne und bremst mich, nur noch kriechend stemme ich mich dagegen. Immer langsamer werdend komme ich auf eine kleine Kuppe.
Da sehe ich ein wundersames, aus Steinen gemauertes Tor, es leuchtet wie von innen heraus. An seinen Flanken ist das Erdreich mit saftig grünem Efeu bewachsen, welches üppig über die Seiten herunterhängt. Als ich nur noch wenige Meter entfernt bin, kommen mir Kinder entgegen. Wie ein Schwarm von Vögelchen halb hüpfend halb fliegend, denn sie haben kleine Flügelchen und bronzefarbene Haut. Sie umschwirren mich lachend und jubelnd. Es duftet nach schönsten Blumen. Einige von ihnen nehmen stützend meine Hände, helfen mir auf. Andere sind hinter mir und schieben mich. Ungeduldig, aber zärtlich, drängen sie mich zum Tor. Als ich davorstehe sehe ich, dass dessen Durchgang einige Schritte durchmisst.
Die Kinder schieben, ziehen und zerren an mir, bis ich in der Mitte des Tores angekommen bin. Sofort schwirren sie jubelnd zum Ausgang und warten dort. Die geflügelten Kinder schauen voller Freude auf mich. Sie halten sich gespannt an den Händen und schauen mit großen Augen auf mich. Sie können es kaum erwarten und tippeln von einem Füßchen aufs andere. Da stehe ich mitten im Durchgang, ein alter Mann mit kahlem Schädel, dürr und krumm, mit geschwollenen Gelenken kraftlos und müde. Die schmutzige Kleidung hängt in Fetzen an meinem schlaffen Körper herunter.
Und da passiert es.
Aus den Deckensteinen heraus fängt es ganz zaghaft an zu schneien. Es sind ganz feine Schneeflöckchen die umeinander tanzend, langsam herabschweben, und sich dabei in Gold verwandeln.
Als die ersten mich berühren, schmelzen sie und färben meine Haut bronze. Schon die allererste Flocke lässt alle Gewichte von mir abfallen und ich fühle mich wie wundersam gesalbt und geheilt, leicht wie eine Feder berührt mich die Zweite und macht mich wieder jung und stark wie nie zuvor. Ich möchte hochspringen und jubeln, aber es geht immerfort weiter.
Die Dritte schenkt mir Zuversicht und Freude, Glück und ein grosses Herz, so dass die ganze Welt hineinpasst. Die Vierte aber gibt mir Weisheit und Erkenntnis über Alles. Das Wissen aller jemals existierenden Universen ist jetzt in mir. Und in jedem Flöckchen ist ein unendliches Maß an Liebe. So geht es weiter und jedes einzelne gibt mir mehr als alle vorherigen zusammen. Ich schaue nach oben, und sehe ein Schneegestöber, wie es dichter nicht sein kann...
Und die Kinder jubeln und klatschen in ihre kleinen Hände.
Als eines von ihnen verlasse ich das Tor.
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Sie stürmen vor, küssen und umarmen mich. Ich sehe jetzt aus wie sie. Ich fühle mich federleicht. Mit schier zerspringendem Herzen probiere ich meine Flügelchen aus. Völlig mühelos fliegen wir alle zusammen hoch in die Lüfte. Es geht über einen wunderschönen Wald mit uralten Bäumen, Wiesen mit Blumen, deren Duft selbst hier oben noch die Sinne betört. In kristallklaren Bächen springen die Forellen. Hügel und malerische Seen unterbrechen das satte Sommergrün der riesigen Baumkronen.
An den schönsten Gewässern gibt es kleine Ansiedlungen. Dort wird gebadet und gespielt, es ist sommerwarm und alle winken mir zu sie zu besuchen und zu verweilen.
Aber ich kann mich nicht sattsehen an all dem. Es ist ein von Liebe durchdrungenes Land.
Ich fühle mich geliebt wie noch nie in meinem Leben. Ich kann fliegen...es ist kein Traum. Ich kann fliegen!
Es geht von Siedlung zu Siedlung und zwischendurch dieser wunderschöne, endlose Wald. Meine Freunde begleiten mich, sie kommen neugierig näher und necken mich im Fluge. Ihre Liebe überwältigt mich. Alles ist so einladend und freundlich zu mir, als wäre es nur für mich da und hätte nur auf mich gewartet. Es jauchzt das ganze schöne Land...aus Freude, dass ich endlich da bin.
Es wird Abend und wir sinken nahe einer Siedlung herab. Sofort kommen die Einwohner auf mich zu und begrüssen mich mit Küssen und Umarmungen, sie strahlen vor Glück und sind sehr aufgeregt. In die Mitte genommen führen sie mich zu einem niedlichen Haus.
Der Vorplatz von alten Bäumen gesäumt liegt in der Abendsonne. Hier treffen sich alle zum gemeinsamen Schmaus. Die Tische sind reich gedeckt mit lauter Köstlichkeiten.
Nach dem herrlichen Abendessen wird Met gereicht und jeder gibt seine schönsten Geschichten zum Besten.
Es wird erzählt von den Schneebirken, aus deren Blättern es unablässig schneit. Dorthin gehen wir, wenn es uns nach Schneeballschlacht und Rodeln zumute ist. Oder vom Diamantgebirge, es ist so groß, dass man sich darin verfliegen kann. Auf einer Auwiese leben Einhörner mit riesigen Flügeln auf denen man reiten oder mit ihnen um die Wette fliegen kann. Es gibt Schlösser, in denen geheimnisvolle Wesen leben. Aber die Herren dieser Welt sind wir.
Als alle müde sind, begeben wir uns ins Haus, wo ein gemütlicher Schlafraum mit vielen Betten bereitet ist.
Niemand schläft hier alleine. Die Betten werden mit Gejubel zusammengeschoben und es wird getobt bis die Nacht kommt. Müde und völlig erschöpft, aber überglücklich schlafen wir ein, umarmen uns die ganze Nacht...
Am nächsten Morgen blinzelt die Sonne durch die Sprossenfenster und alle toben mit Juchei aus dem Haus, um zu Frühstücken. In dieser Welt freut man sich unbändig auf jeden neuen Morgen.
Bei aller Liebe und Schönheit dieser Welt weiß ich doch, dass sie nur eine von unendlich vielen ist. Ein jeder Wanderer kommt am Ende seines Weges in sein eigenes wunderschönes Land. Willst Du Deines schon einmal sehen?
Ja, dann träume von einem Walnussbaum, tippe mit dem Fingernagel auf eine Nuss, als klopfest Du an. Daraufhin öffnet sie sich und wächst so an, dass Du Dich hineinsetzen kannst. Sie schließt sich dann, wird wieder klein und Du sitzt für eine Weile behütet und für alle anderen unsichtbar im wunderbaren Dunkel der Stille. Dann schläft Du ein und träumst im Traume von Deiner Welt...
Auch meine Welt hat einen solchen verzauberten Walnussbaum. Und immer wenn mir danach ist, fliege ich zu ihm hin und bereise nach und nach das ganze Universum. Es geht durch Zeit und Raum, vollkommen nach meinem Belieben. Aber nicht nur im Traum, sondern wahrhaftig.
All dieses Glück und noch viel mehr hat hier auf mich gewartet, wo ich noch heute zu hause bin. Manchmal erinnere ich mich an den beschwerlichen Wiesenweg. Dann fliege ich hoch und suche das Tor, fliege darüber hinweg und ein Stückchen des Weges entlang. Da sieh doch! Ein Wanderer so wie ich damals müht sich auf dem letzten Stück seines Weges. Er ist alt, hat geschwollene Gelenke und einen krummen Rücken. Seine Haut ist grau und faltig, sein Schädel kahl. Ich kann es kaum erwarten ihn am Tor zu Begrüßen.
Ich will schon zurückfliegen, da bemerkt er mich und sieht langsam unter Schmerzen hoch. Er kann das Tor noch nicht sehen und ist völlig verzweifelt.
Da rufe ich ihm voller Freude zu:
"Halte durch!"...