Was ist neu

Elektrischer Stuhl

Mitglied
Beitritt
25.09.2002
Beiträge
52
Zuletzt bearbeitet:

Elektrischer Stuhl

Noch fünfundsiebzig Minuten, viertausendfünfhundert Sekunden. Anthony versuchte ruhig zu bleiben und sprach sich Mut zu.
Er saß in einer knapp zwei mal drei Meter großen Zelle und wartete auf das Todesteam.

„Mein Gott hilf mir, ich habe nie an dich geglaubt, bitte hilf mir! Wann kommen sie denn endlich? Haben sie mich vergessen?“

Die Statuten verlangten die Abholung des Häftlings für 23.30 Uhr.

„Wenn ich mit meinem Kopf gegen die Zellentür renne, werde ich bestimmt bewusstlos, dann können sie mich nicht hinrichten.“
Es war zwecklos, vor der Tür standen zwei Beamte, die aufpassten, dass der Todeskandidat, bis zu seiner Exekution völlig unversehrt blieb.
Anthony wischte sich den Angstschweiß von seiner Stirn. Er hörte, wie sein Herz klopfte und atmete schwer. Sein ganzer Körper zitterte.
„Ich würde morgen früh so gerne einen Kaffee trinken. Was gäbe ich darum, morgen früh einen Kaffee trinken zu können.“
Noch zweiundsechzig Minuten.
Anthony weinte.
Eine halbe Stunde noch, dann käme das Todesteam samt Direktor, Pfarrer und Arzt, um ihn bei seinem letzten Gang in den Hirnrichtungstrakt zu begleiten.
Anthony blickte auf seine Armbanduhr und bemerkte, dass der Sekundenzeiger sich nicht mehr bewegte.
„Jetzt bleibt auch noch die verdammte Uhr stehen!“
Er hämmerte mit seinen Fäusten an die Zellentür und schrie. Mit voller Wucht schmetterte er seinen Kopf gegen diese dicke stahlbeschlagene Tür. Blut schoss ihm aus der Nase aber er spürte schon keinen Schmerz mehr – die Angst vor dem Tode betäubte ihn.
Zwei Sicherheitsbeamte schlossen die Tür auf und versuchten, ihn zu bändigen, indem sie ihm Hand- und Fußschellen anlegten.
Die beiden Sicherheitsbeamten waren sichtlich betroffen von diesem grausigen Schauspiel, durften und konnten aber keinen Trost spenden, sondern hatten nur die Aufgabe, Anthony im Griff zu halten.

Minuten später erschien der Gefängnisdirektor mit dem Todesteam an der Zellentür.
„Wünschen sie geistlichen Beistand?“ fragte der Direktor.
„Nein, bitte nehmt mir die Fesseln ab, ich werde keinen Ärger mehr machen!“
Anthony hatte noch fünfzehn Minuten zu leben.
Das Hinrichtungskommando, der Direktor und der Arzt führten Anthony durch den Zellentrakt, durchquerten mehrere Räume und gelangten schließlich in den Raum, in dem der Elektrische Stuhl stand.
Hinter einer großen Fensterscheibe saßen Zeugen und Journalisten, bereit alles minutiös festzuhalten. In einiger Entfernung stand der Henker mit einer schwarzen Kapuze, der bereit war, den Stromhebel umzulegen und dem Verurteilten zweitausendfünfhundert Volt durch den Körper zu jagen.

„Nein, nein, nein, ich will nicht!“
Mit voller Wucht versetzte er dem Direktor einen Schlag ins Gesicht und versuchte zur Tür zu flüchten.
Die Wärter packten ihn am Kragen und versuchten, Anthony auf den Stuhl zu zerren. Er schrie aus voller Kehle, sein Gesicht verzog sich zu einer Grimasse, seine Augäpfel traten hervor. Er biß einem Wärter bis auf die Knochen in die Finger, einem anderen riß er ein Büschel Haare aus dem Kopf. Im Todeskampf klammerte sich Anthony mit der einen Hand an den Hals eines Wärters und riß kleine Wunden in seinen Haut, mit der anderen versuchte er, sich an einem Heizungsrohr festzuhalten.

Personen hinter der Trennscheibe verfolgten die grausige Szene. Betroffen verließen die ersten den Raum.

Den Wärtern gelang es, Anthony auf den unförmigen Eichenstuhl zu pressen. Während sie ihn festhielten, legte ihm einer Bauch- und Brustriemen an. Dann schnallte der Wärter Arme und Beine an die Stuhllehnen. Danach bedeckte er den glatt rasierten Schädel mit einer Lederkappe in der sich ein mit Salzwasser getränkter Schwamm, befand.
Schließlich befestigten die Helfer dicke Stromkabel an der Lederkappe, die schon fleckig und schweißgetränkt von seinen unglücklichen Vorgängern war. Ganz zuletzt verklebte man Anthony die Augen, damit sie während der Exekution nicht aus seinen Höhlen sprangen.

Sekunden verstrichen.
Plötzlich bäumte sich sein Körper auf und presste sich gegen die Riemen, die ihn hielten. Rauch quoll aus seinem Kopf. Speichel lief aus seiner Mundhöhle. Sein ganzer Körper vibrierte und zitterte.
Nach zwei Minuten schob der Henker den Hebel wieder nach oben. Der Arzt ging auf den verbrannten Körper zu und stellte erleichtert fest, dass Anthony´s Herz nicht mehr schlug. Er war tot.

Zurück blieb der Geruch von verbranntem Fleisch, der durch den Hinrichtungstrakt zog.

 

Ein sehr ambitioniertes Thema, dessen Du Dich da angenommen hast. Leider ist dies das einzig Positive, was ich über diese Geschichte sagen kann. :/

Du stellst hier die letzten 75 Minuten im Leben eines Todeskanditaten in den USA (nur da wurde der elektrische Stuhl verwendet, wenn ich nicht irre) dar, beschreibst die Ereignisse, bleibst dabei aber für dieses sensible Thema viel zu distanziert. In der Filmzeitschrift Cinema gab es zum Start der Filme "Dead Man Walking" und "Last Dance" einen bericht über die erste Hinrichtung mit einem elektrischen Stuhl. Der hat mich weitaus mehr schockiert als deine Geschichte, weil er ähnlich schonungslos wie Du einen Fall dokumentierte, der allerdings real war.

Dein Todeskanditat ist kein Charakter. Wir wissen nicht was er getan hat, ob er seine Tat bereut. Das mit der schlechten Verteidigung und den schwachen Indizien ist keine gute Idee, denn so entsteht der Eindruck, das die Todesstrafe nur schlecht ist, weil es auch Unschuldige treffen kann. Ich denke die Geschichte würde auch, oder sogar besser, funktionieren wenn Anthony zweifelsfrei ein oder zwei Menschen kaltblütig ermordet hätte.

Die Ängste Deines Protagonisten äußern sich eigentlich nur in seinen Handlungen. Hier allerdings würde ich mir ein Innenleben wünschen, welches im Kontrast steht zu seinem Äußeren. Im Innern rebelliert er, schlägt er um sich, doch äußerlich ist er ganz ruhig! Er läßt alles mit sich geschehen, ist zu sehr mit seinen Gefühlen beschäftigt.

Das ein Todeskanditat tatsächlich so um sich schlägt halte ich für unwahrscheinlich. Er wird eher sehr freundlich sein. Wenn er dem Wärter die Kauleiste demoliert wird dieser keine Gewissensbisse haben, ihn auf dem Stuhl fest zu schnallen, doch wer bringt schon einen Freund um? Kurzum: Ich zweifle die psychologischen Aspekte Deiner Geschichte an. Laß den ganzen Unsinn mit um sich schlagen weg und beschränke Dich auf die Gefühle Deines Protagonisten. Das würde intensiver und läßt sich auch subtiler darstellen als rohe Gewalt. Eben jene rohe Gewalt bliebe dann für das Ende reserviert und würde dort umso besser wirken, weil sie einen Kontrast bildet zum Rest der Geschichte.

Kane

 

Hallo Lukasch!

So ganz kann ich mich meinem Vorgänger nicht anschließen, denn soo schlecht fand ich die Geschichte gar nicht (auch wenn man sie in vielen Dingen wirklich noch verbessern könnte); sie hat mir zumindest besser gefallen als "Sarahs Versteck". Insgesamt durchschnittlich.

Sie mag von der Idee her nicht neu sein, die Thematik halte ich dennoch für fesselnd. Man muss sie nur gut umsetzen.
Gerne hätte ich dir daher die inhaltsähnliche Geschichte "Das kleinere Übel" von Delphi empfohlen, aber leider musste ich feststellen, dass dieser Beitrag mittlerweile gelöscht wurde.
Alternativ empfehle ich dir daher von Peter Hrubi "Der Gefangene" als Leselektüre, in dem es auch um einen Gefangenen geht (wer hätt's gedacht ;)), dem am Ende das gleiche Schicksal widerfährt wie deinem Protagonisten.

Um nochmal deine beiden Geschichten, die ich gelesen habe, zu vergleichen: Ich finde diese hier jedenfalls überzeugender und ausführlicher. Bedingt kommt Spannung auf. Schön fand ich auch, dass du die Geschehnisse in "Elektrischer Stuhl" ausführlicher geschildert hast wie bei der Vorgängergeschichte.
Sprachlich ist die Story flüssig geschrieben und gut zu lesen.

Viele Grüße,
Michael :)

 

Hallo Lukasch,

du hast dir ein ziemlich schwieriges Thema für eine Kurzgeschichte ausgesucht.

Dadurch, dass du nur den Ablauf der Hinrichtung beschrieben hast, fehlt meiner Ansicht nach das, was viele Leser bei so einer Geschichte interessieren würde, wie auch Brother Kane und Michael schon geschrieben haben.

Bei dem Thema geht es für viele immer auch um das Für und Wider in Sachen Todesstrafe generell.

Außerdem sind natürlich die Vorgeschichte und die Gefühle der Beteiligten (Delinquent, Wärter etc.) interessant. Einige deiner Sätze (z.B. "Ich würde morgen früh so gerne einen Kaffee trinken" oder "Anthony hatte noch fünfzehn Minuten zu leben" oder "Mit Schrecken verfolgten die Personen hinter der Trennscheibe die grausige Szene") entfalten meiner Ansicht nach deshalb nicht ihre volle Wirkung, weil man die Personen, um die es geht, nicht kennen gelernt hat.

Gerade bei den von Brother Kane angesprochenen Filmen "Dead Man Walking" oder dem meiner Ansicht nach etwas schwächeren "Last Dance" erfährt man viel über den Delinquenten bzw. die Personen, die ihn in seiner letzten Zeit begleiten. Das lässt das Ganze umso mehr unter die Haut gehen. Ähnlich ist es bei "The Green Mile".

Eine so kurze Geschichte kann, egal wie gut sie geschrieben ist, dem Thema meiner Meinung nach nicht gerecht werden.

Sprachlich fand ich die Story nicht schlecht, wenngleich einige Sachen vielleicht noch ein bisschen ausgefeilt werden könnten. z.B.

Im Todeskampf klammerte sich Anthony mit der einen Hand an den Hals eines Wärters und riß kleine Wunden in seinen Haut

"Anthony's Schuld": Genitiv im Deutschen ohne Apostroph (Anthonys)

Viel Spaß beim Schreiben und viele Grüße :)

Christian

 

Hallo und herzlichen Dank für die Kritik.
Ich bin auch der Meinung, dass es noch eine Menge zu verbessern gibt.

Michael, wies mich darauf hin, dass ich schuldig oder unschuldig gleich behandeln sollte. Ja, richtig. Es ging mir nicht um die Schuldfrage, spielt keine Rolle.
Führt zu Missverständnissen.
Allerdings denke ich sehr wohl, dass sich ein Verurteilter so verhalten kann, wie ich es zum Schluss beschrieben habe, da sind wohl nicht alle Menschen gleich.

Vielen herzlichen Dank nochmal, ich versuche es weiter!

Lukasch

 

Hallo Kukasch!

Im grossen und ganzen möchte ich mich der Meinung von criss anschließen. Etwas mehr Psychologie wäre wünschenswert. Es ist bei diesem Thema sehr wichtig, daß man als Leser erfährt, was im Kopf des Todeskandidaten vorgeht. Da ich selbst eine Geschichte zu diesem Thema geschrieben habe, weiß ich, wie schwierig das ist.

Gruß
Rudi

PS: Meine Geschichte findest du unter "Sonstige", sie trägt den Titel: "Schrei aus der Todeszelle". Würde mich freuen, wenn du mal reinschaust!

 

Guten Tag Bionda,

danke für das Lesen meiner Geschichte. Ich bin jetzt auch der Meinung, dass ich Gefühle vernachlässigt habe, aber so viel auch nicht. Mit Sicherheit werde ich mich deiner Geschichte widmen.

Vielen Dank noch einmal

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom