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Elektrischer Stuhl
Noch fünfundsiebzig Minuten, viertausendfünfhundert Sekunden. Anthony versuchte ruhig zu bleiben und sprach sich Mut zu.
Er saß in einer knapp zwei mal drei Meter großen Zelle und wartete auf das Todesteam.
„Mein Gott hilf mir, ich habe nie an dich geglaubt, bitte hilf mir! Wann kommen sie denn endlich? Haben sie mich vergessen?“
Die Statuten verlangten die Abholung des Häftlings für 23.30 Uhr.
„Wenn ich mit meinem Kopf gegen die Zellentür renne, werde ich bestimmt bewusstlos, dann können sie mich nicht hinrichten.“
Es war zwecklos, vor der Tür standen zwei Beamte, die aufpassten, dass der Todeskandidat, bis zu seiner Exekution völlig unversehrt blieb.
Anthony wischte sich den Angstschweiß von seiner Stirn. Er hörte, wie sein Herz klopfte und atmete schwer. Sein ganzer Körper zitterte.
„Ich würde morgen früh so gerne einen Kaffee trinken. Was gäbe ich darum, morgen früh einen Kaffee trinken zu können.“
Noch zweiundsechzig Minuten.
Anthony weinte.
Eine halbe Stunde noch, dann käme das Todesteam samt Direktor, Pfarrer und Arzt, um ihn bei seinem letzten Gang in den Hirnrichtungstrakt zu begleiten.
Anthony blickte auf seine Armbanduhr und bemerkte, dass der Sekundenzeiger sich nicht mehr bewegte.
„Jetzt bleibt auch noch die verdammte Uhr stehen!“
Er hämmerte mit seinen Fäusten an die Zellentür und schrie. Mit voller Wucht schmetterte er seinen Kopf gegen diese dicke stahlbeschlagene Tür. Blut schoss ihm aus der Nase aber er spürte schon keinen Schmerz mehr – die Angst vor dem Tode betäubte ihn.
Zwei Sicherheitsbeamte schlossen die Tür auf und versuchten, ihn zu bändigen, indem sie ihm Hand- und Fußschellen anlegten.
Die beiden Sicherheitsbeamten waren sichtlich betroffen von diesem grausigen Schauspiel, durften und konnten aber keinen Trost spenden, sondern hatten nur die Aufgabe, Anthony im Griff zu halten.
Minuten später erschien der Gefängnisdirektor mit dem Todesteam an der Zellentür.
„Wünschen sie geistlichen Beistand?“ fragte der Direktor.
„Nein, bitte nehmt mir die Fesseln ab, ich werde keinen Ärger mehr machen!“
Anthony hatte noch fünfzehn Minuten zu leben.
Das Hinrichtungskommando, der Direktor und der Arzt führten Anthony durch den Zellentrakt, durchquerten mehrere Räume und gelangten schließlich in den Raum, in dem der Elektrische Stuhl stand.
Hinter einer großen Fensterscheibe saßen Zeugen und Journalisten, bereit alles minutiös festzuhalten. In einiger Entfernung stand der Henker mit einer schwarzen Kapuze, der bereit war, den Stromhebel umzulegen und dem Verurteilten zweitausendfünfhundert Volt durch den Körper zu jagen.
„Nein, nein, nein, ich will nicht!“
Mit voller Wucht versetzte er dem Direktor einen Schlag ins Gesicht und versuchte zur Tür zu flüchten.
Die Wärter packten ihn am Kragen und versuchten, Anthony auf den Stuhl zu zerren. Er schrie aus voller Kehle, sein Gesicht verzog sich zu einer Grimasse, seine Augäpfel traten hervor. Er biß einem Wärter bis auf die Knochen in die Finger, einem anderen riß er ein Büschel Haare aus dem Kopf. Im Todeskampf klammerte sich Anthony mit der einen Hand an den Hals eines Wärters und riß kleine Wunden in seinen Haut, mit der anderen versuchte er, sich an einem Heizungsrohr festzuhalten.
Personen hinter der Trennscheibe verfolgten die grausige Szene. Betroffen verließen die ersten den Raum.
Den Wärtern gelang es, Anthony auf den unförmigen Eichenstuhl zu pressen. Während sie ihn festhielten, legte ihm einer Bauch- und Brustriemen an. Dann schnallte der Wärter Arme und Beine an die Stuhllehnen. Danach bedeckte er den glatt rasierten Schädel mit einer Lederkappe in der sich ein mit Salzwasser getränkter Schwamm, befand.
Schließlich befestigten die Helfer dicke Stromkabel an der Lederkappe, die schon fleckig und schweißgetränkt von seinen unglücklichen Vorgängern war. Ganz zuletzt verklebte man Anthony die Augen, damit sie während der Exekution nicht aus seinen Höhlen sprangen.
Sekunden verstrichen.
Plötzlich bäumte sich sein Körper auf und presste sich gegen die Riemen, die ihn hielten. Rauch quoll aus seinem Kopf. Speichel lief aus seiner Mundhöhle. Sein ganzer Körper vibrierte und zitterte.
Nach zwei Minuten schob der Henker den Hebel wieder nach oben. Der Arzt ging auf den verbrannten Körper zu und stellte erleichtert fest, dass Anthony´s Herz nicht mehr schlug. Er war tot.
Zurück blieb der Geruch von verbranntem Fleisch, der durch den Hinrichtungstrakt zog.