Ekstase
Ekstase. Liebe ist eine Ekstase.
Wenn wir in Worten dünkten, dann würden wir wissen, wie wir unsere Gedanken in Worte fassten.
Leidenschaft ist der Schlüssel. Das Leben ist ein Ausdruck von Leidenschaft, wie das Sterben. Leidenschaft, weil Leiden etwas schafft. Leiden in Form von starker Sehnsucht, eine innere Verbundenheit, die nicht uns, sondern unsere Seele leiden lässt. Unsere Seele, die sich sehnsüchtig nach jener anderen Seele sehnt. Dieses Leiden schafft unvergessliche Momente. Dieses Leiden schafft ein hitziges Aufeinanderpressen zweier Lippen, die sehnsüchtig versuchen zu ihrem Ursprungszustand zurückzufinden, dem sie nie entkommen konnten. Zwei Lippen, dessen Seelen miteinander verschmelzen.
…
Seit dieser eigenartige Mensch in ihr Leben trat, tauchten ihre Gedanken durch den riesigen Ozean ihres Herzens bis zum Herzkern hindurch. Einem Kopf, der im Alleingang schon wahnhaft genug ist sich in den einfachsten Emotionen zu verirren, entsprang ein nebeliges Etwas, welches das Innerste ihres Selbst emporzog.
Diese Liebe war für jeden Außenstehenden unverständlich, aber es war nicht nur die Liebe zu ihm, es war der Teil seines Selbst, der in ihr lebte und hauste und ihren ganzen Körper nach links und rechts gleichzeitig rotieren ließ. Ebenso der Teil ihres Selbst, der ihn überall hin verfolgte, der sie immer zurück zu ihm zwang.
Er erhellte ihre Seele keineswegs wie das Licht des Sonnenaufgangs ihren Tag, weder beleuchtet er ihren Weg wie der Mondschein bei Nacht; dieser nach Tabak schmeckende und hibbelige Mensch war wie ein Wolf, in dessen Maul sie längst getaumelt wäre, wenn eine neue Sehstärke sie nicht in letzter Sekunde auf die gefletschten Zähne vor ihren Augen aufmerksam gemacht hätte.
Er war der Wolf, und sie, sie war ihm sein Lamm.
Anders als die anderen Wölfe, gehörte er nie zu einem Rudel; die Älteren verbannten ihn, die Jüngeren schlossen sich ihm nur kurzzeitig an. Wenn er an Vollmond doch mal nach seinen Artgenossenen jaulte, so konnte ihn in der nächsten Sekunde trotzdem keiner mehr auffinden.
Bei nächtlicher Ruhe ist aber auch ein ungezähmter Wolf nur ein friedsames Wesen, und so schmiegte sich sein Lamm immer wieder in seine weiten Arme.
Je mehr Schatten er ihr brachte, desto mehr Licht brachte sie ihm. Und wenn die Welt nicht zwischen ihnen stände, dann versänken sie zumindest zusammen in der Lava unter ihren Füßen.
Mit den Monaten, fingen an Jahre dazuzukommen, in denen sie sich nicht sahen, nicht sprachen, und sich doch jeden Tag an ihren letzten Kuss entsannen. Er fürchtete, dass die Erinnerungen an ihn aus den Köpfen der Menschen schwand- und das passierte auch -aber sie blieb, und die Erinnerung an ihn, die war sie. Die Wölfin war sein Lamm.
Ein von Menschen befüllter Raum, flackernde bunte Lichter, Musik, die aus allen Ecken ertönt. Manchmal schoss man versehentlich Glasscherben über den Boden oder klebte mit den Schuhen in einer Bierlache. Die Menschen stanken nach Schweiß, ihr Atem roch nach Alkohol und Tabak. Die Luft ward durch schweratmende Wesen und Nikotin zu einer transparenten Kuppel, welche den Blick nach Außen versperrte.
Pollys Blick verzerrte sich, der Wodka brannte in ihrem Hals, doch in der nächsten Sekunde schloss sie ihre Augen, ein leichtes Lächeln war auf ihren Lippen zu erkennen und ihren Kopf lehnte sie nach hinten. Sprunghaft und taumelnd stand sie auf, verschwand schon im nächsten Augenblick in der Masse.
Sinne schwächen sich, Gedanken sammeln sich, werden leiser, und die hintersten Reihen fangen an zu flüstern.
Die Menschen traben dem Hirten mit seiner Schafsherde nach, schnauben und mähen.
Durchflutete Gift ihre Körper, so gestanden sie sich ein zu vergessen wer sie seien. Was zählte war das Hier und Jetzt, die unkontrollierten Bewegungen ihrer schweißgebadeten Körper.
Des Wolfes Lamm war anziehend, und so umgarnten das Lamm immer wieder neue fremde Arme. Blicke, die sie verfolgten, erwiderte die Wölfin in passenden Momenten, wenn sie wusste, sie bekam was sie wollte. Und mit einem unschuldigen Blick, wusste das Lamm einen Mann höflich, mit leeren Händen, wieder gehen zu lassen. Auf der Flucht vor dem verwirrten Wolf suchte das Lamm Schutz in den Krallen der Hyänen.
„Und danach suchst Du hier?“ – „Natürlich, die Offenbarung zeigt sich schon in den banalsten und absurdesten Dingen.“ – „Wow, ziemlich tiefgründig für so einen Sumpf wie diesen!“ – „Aber deswegen bin ich doch hier.“, Polly lachte, nahm einen letzten Zug ihrer Zigarette, verabschiedete sich und verschwand.
Selbst in der Dunkelheit sah sie seinen Schatten in den Augen eines jeden Mannes, dessen Hände an ihrem Dekolleté entlangfuhren. Temporäre Verliebtheit, die aufgrund einer biochemischen Reaktion im Gehirn zum lauten Gestöhne führte. Erst küsste er ihren Mund, glitt dann ihren Hals hinunter und verwöhnte ihre Brüste. Ein zarter Laut entglitt ihren Lippen, die sich an seinem Körper hinunter mit seinem liebsten Spielzeug vergnügten. Erregt massierte er ihren unteren Rücken, zog sie nah an sich ran und drang in sie ein. Ein kurzer lustvoller Schmerz. Sie begannen zu schwitzen, sie stöhnte und stöhnte. Im höchsten Moment des Stresses liebten sie sich aggressiv und zärtlich. Sie kratzte und klatschte ihn, bis er ihren Hals mit seinen Händen umschlang und sie zum Schweigen brachte. In diesen Momenten entfachte das Feuer. Er drehte sie um, zog an ihrem Haar, küsste ihren Rücken, drang erneut ein und wurde immer hektischer, ihr Gestöhne immer lauter.
Sei es ein lustvoller Zwang oder bloße Verliebtheit; die Welt schaltete sich für einen Moment aus.
Für ihren Wahnsinn jedoch waren Kissen und Decken nicht ausreichend, noch weniger ein Mann resistent.
Dem Wolf überkam der Hass. Seine Fäuste ballten sich und er schlug gegen die Wand. Wie konnte sie ihn so verraten, wobei sie ihm doch versprach immer bei ihm zu bleiben? Aber wie konnte er sie verurteilen, wenn er sie 100 Jahre Fegefeuer fühlen lassen hatte? Er stellte fest, dass sie ihn doch gar nicht verlassen hat. Denn bei jedem Wahn im engen Raum, saß ihm ihre Liebe im Nacken und verband seine Augen vor den Gelüsten des Teufels. Doch er war derjenige, der durchschlitze. Und mit jedem ihrer Fehler, hasste er seine eigenen nur mehr.
Er war mit der Zerstörung vertraut. Er zerstörte alles und jeden um sich herum, doch am meisten sich selbst. Er lebte in der Illusion, der Hass wäre befreiend, die einfachere Option. Wenn sie ihn doch nur alle hassten, dann könne er nichts falsch machen. Wenn man keine Erwartungen mehr an ihn setzte, wen könnte er dann noch enttäuschen?
Sie erzählte ihm Geschichten von der Ruhe im Sturm, doch das Geflüster des Teufels schwirrte ihm im Kopf. Aus Angst vor dem Bösen, bevorzugte er sich mit dem Bösen zu verbünden – und ertrank bitterlich in jener Angst.
„Sie sollte ihn verlassen. Er sollte sie gehen lassen.“ – „Und dann?“
Wenn sich düstere Wesen bei Nacht in ihren Träumen und in ihrem Zimmer wiederfanden, dann war ihr größter Gedanke Er. Auch wenn er nicht da war, manchmal war die Liebe, die sie innehatte ihr alleiniger Schutz. Und so sehr die Dunkelheit sie versuchte einzuholen, schickte sie ihm das letzte bisschen Licht.
Sein Leben war ein Trümmerhaufen, und ihres voller Scherben. Doch sah sie in seinen Trümmern Ruinen einer selbstverlorenen Seele. Und er stellte fest; sie war zerbrechlich wie Glas, aber schnitt genau so scharf. An manchen Tagen loderte der Hass auch in ihr. Sie könnte ihn erdrosseln, ihm die Kehle aufschlitzen. Und den letzten Druck seiner umschlungenen Arme in seinem Blutbad finden. Mit ihm fängt der Wahnsinn an, nichtsdestotrotz ist er der Ort, an dem der ihrige ruhen kann. Sie stellte sich Tausende Fragen, deren Antworten sie mit ihm endlich fand. Denn die Fragen, vor die er sie stellte, zeigten ihr die Verzweigungen ihrer wechselnden Welten.
Die menschliche Welt ist ein Bühnenspiel. Ihre und seinige ein Drama. So lehrt die Pointe eine Moral, und sie fuhren fort zu spielen.
Und wenn hinter unserem Bühnenspiel ein göttliches, einheitliches Wesen stünde, welches sich selbst in individuelle Teile spaltete, so wirft unsere apathische Gesellschaft die Frage auf, ob dieses Überwesen entweder ziemlich unzufrieden mit sich selbst sei oder seine Kontrolle verloren habe. Jedoch beachte man, hinter einer Spaltung von etwas findet sich der Wille; etwas, das etwas will oder nicht will. Wenn wir alle kleine Teile eines höheren göttlichen Wesens sind, weswegen haben wir uns dann so verirrt? Mag Gott derjenige sein, der verwirrt ist? Und der Mensch eine schizophrene Einbildung eines verwirrten Gottes, der den Kampf gegen den Teufel bitterlich verloren hat?
Doch ist es dennoch göttliche Kraft, die das Leid jener unbeholfenen Schauspieler erträglich macht. Und es ist mangelnde Praxis, die das Schauspiel so verwirrend aussehen lässt.
So wie Eros und Thanatos sich gegenüber stehen, tun es Leid und Lust, Hass und Liebe. Sie sind allesamt ein zerstörerisches Abenteuer. Und erst in der Ekstase der Liebe ergeben sie einen Sinn.