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Eitelkeit eines Erwachsenen

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14.03.2002
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Eitelkeit eines Erwachsenen

Neulich war ich bei einem guten Freund zu Gast und traf am Abend noch auf seinen Vater. Der war bis vor zwei Jahren noch mein Lehrer und daher kannten wir uns ein wenig. Ich schätzte an ihm immer seine Witze und seine niedlichen Ausführungen über Moral, Engagement und derlei heikle Themen, die für ihn gar nicht so heikel zu sein schienen. Besonders wunderbar wurde es immer, wenn er mit verstärktem Bass in der Stimme und spontanen Unterbrechungen durch schnelle Einwürfe in einer Diskussion seine etwas unterlegende Argumentationsfolge auszugleichen versuchte. Das gelingt ihm außerordentlich schlecht, aber kaum jemand kann ihn dann tatsächlich berichtigen, dafür sorgte er immer schon. Er strahlt aus, die Versuchung, sich ihm anzuschließen ist keine Kleine.
Jedenfalls unterhielten wir uns an diesem Abend und er betonte noch seinen Eindruck, dass ich mich ja „gut entwickelt“ hätte. Besonders vor dem Hintergrund der Scheidung meiner Eltern. Das war nämlich gerade auch ein Thema: Scheidungen, Problemkinder, Verwahrlosung und so weiter. Das konnte ich nicht auf mir sitzen lassen. Alles will ich sein, aber nicht jemand, der einem hundertprozentig selbstüberzeugten Westentaschenphilosophen mit Moral gut entwickelt vorkommt. Also beschloss ich, ihm mal zu zeigen, wie verkommen ich bin, wie tief ich moralisch gesunken bin.
Wir unterhielten uns und ich verschärfte meinen Ton fortwährend. Er tat eine seiner Meinungen kund, ich druckste herum und erklärte anschließend, dass ich unter normalen Umständen nicht so zaghaft und vorsichtig eiern würde, aber wir ja hier in seinem Haus seien und es deshalb instinktive Hemmungen bei mir gebe. Tja, da war er wohl schon angesäuert. Dann analysierte ich, dass er ja wohl sehr an Rabulistik interessiert sei. Dass Rabulistik die Kunst der überzeugenden Wortverdreherei ist, konnte er einem halbgaren Milchbubbie wie mir natürlich nicht abnehmen und so holte er das neben der Bibel wohl einflussreichste Büchlein hervor: Den Duden. Er schlug nach, las vor und lieferte eine miserabel verheimlichte Fehlinterpretation des Geschriebenen. Ich korrigierte entgegen meiner üblichen Manier ruhig, wohlwissend, dass ihm klar war, wo er Quatsch erzählt hat. Naja, kurz gesagt: Er begann, entsetzt zu sein. Aber es ging noch weiter.
Weil mir aus Erfahrung bekannt war, wie sehr er von Allgemeinbildung besessen war, packte ich in bezug auf den Wahrheitsbegriff Nietzsche aus. Ein schöner Zufall war, dass er bemerkte, dass Nietzsche „ja ein gefährliches Gebiet sei“ und dieses mit ablehnender Geste tat. Ich wollte auch gar nicht weiter über Nietzsche reden und ließ ihn das auch so wissen. Am meisten gestört hat wohl in dem Moment, dass ich speziell mit ihm nicht über diesen Philosophen reden mochte. Die Begründung, dass ich darüber wahrscheinlich ein bisschen besser unterrichtet sein dürfte, gab ihm endgültig den Rest.
Das einzige, was er fassen konnte, war sein Kopf, den er auf dem Tisch abstützte. Sein Mund öffnete sich als Verstärkung seines Gefühls einen Spalt. Tief in die Augen blickte er mir, damit ich vielleicht noch schnell etwas revidiere und mich wohlmöglich noch entschuldige. Aber nichts dergleichen erschien mir angemessen. Er empörte sich über meine Unverschämtheit und Überheblichkeit und dann drosch er noch den Klassiker: „Das hätte ich ja nicht von dir gedacht.“ Jaja, so ist das. „Ich als Erwachsener breche das Gespräch jetzt ab.“ Er ging aber nicht als Erwachsener, sondern als Witzfigur. Flüchtete durch die Tür und freute sich über seine Lebensweisheit. Schon klar, was man sich unter dieser Weisheit vorstellen muss: Das Ausloten und Befolgen überlieferter Gepflogenheiten bezüglich des Umgehens miteinander. Ich verstehe darunter nicht diesen stinkenden Opportunismus und lasse das Befolgen lieber zunächst mal weg. Das fällt nämlich in manchen Situationen einfach in die praktische Klugheit, ist aber längst nicht immer Weisheit. Er dachte wohl, dass ich mir nicht im Klaren über meinen Tabubruch war. Eine schlechte Gewohnheit beim Schließen oder nur die letzte Hoffnung auf meine Art, dass die mit seiner doch noch homogen werden will. Dabei hatte ich sofort eine verstandesgeschützte Rechtfertigung für mein Verhalten zu bieten. Aber die wollte der gute Herr nun nicht hören.
Das Problem an der Sache liegt bei ihm. Er misst der Bildung einen so großen Stellenwert zu, nicht ich. Und da kann er es nicht verkraften, wenn jemand auf einem Gebiet mehr weiß als er. Dabei ist mir das Wissen um Nietzsche nicht wichtig, sondern die Reflexion und Weiterführung seiner Gedanken. Also lieber bisschen mehr verstehen und anwenden, als auf der Straße ein paar flotte Sprüche fliegen zu lassen. Ich bewundere niemanden wegen seiner Bildung, sondern frage mich: Und was hat er geistig draus gemacht, zu was hat sie ihm verholfen? Außerdem war meine Behauptung auf einfachen Wahrscheinlichkeitsüberlegungen begründet. Wie viele Menschen kennen Nietzsche? Warum sollte er etwas von ihm gehört haben? Muss jeder Nietzsche kennen? Letztlich eben: Wie groß ist denn die Chance, dass er sich mit dieser gedanklichen Welt näher auseinander gesetzt hat? Im gleichen Umfang wie ich? Ganz kühl habe ich gedacht und mich bemüht, es in meiner Sprache hindurchklingen zu lassen. Ein bisschen habe ich mich zumindest bemüht.
Aber das konnte ich ihm schon nicht mehr sagen, denn der König der Selbstgenügsamen war angepisst und peinlich berührt abgezogen. Interessant sein Eingeständnis bei meinem Kumpel: „Es kann ja sein, dass Alex mehr über Nietzsche weiß, nur hätte er es so nicht sagen dürfen.“ Er scheut sich vor der Wahrheit, oder besser: Er ahnt sie, aber will sie nicht durch offenes Aussprechen zementiert fühlen. Ach, wie ist das süß! Der große, gebildete, geist- und gedankenreiche Mann charakterlich hinter mir, auf kümmerlicher Stufe festgelebt. Heiligt die Bildung, glaubt, mit ihr schon mehr als ein kleines Etappenziel erreicht zu haben. Versteckt sich hinter bremsenden Eitelkeiten, die für die Mittelmäßigen als edle Moral geschaffen wurden, damit sie nicht verzweifeln.
Erwachsene haben sich in so einer großkotzigen Götterkultur eingerichtet. Menschen, die aus ihren Eitelkeiten allgemeinverbindliche moralische Verhaltensbefehle flechten, nur um im Besitz von Rettungsinseln in kontroversen Gesprächen zu sein, damit sie überlegenen argumentativen Angriffen ausweichen können, sind von mir aus zum verbalen Abschuss freigegeben. Dass ich selbst ähnlich eitel bin (und das nicht zu knapp), will ich nicht leugnen. Nur liegt es mir fern, von meinen Mitmenschen Respekt für intellektuelle Leistungen einzufordern, auf die ich mir selbst etwas einbilde. Ich finde, das Abverlangen von Anerkennung, Ehrfurcht, Kleinmachen und Ducken ist ein notankerischer Tyranneiversuch, der mir zu feige ist. Ich werde mich später lieber auch mit unverschämten Mitmenschen lächelnd weiterhin unterhalten und sie kühl übertrumpfen, als mich dermaßen zu stressen, aufzublasen und zu verkrampfen, wie es ein beunruhigend großer Teil der über 30 Jährigen heute regelmäßig vollbringt. Diese Thronbesetzung hemmt Gespräche und täuscht über die Wahrheit hinweg. Sich zur nötigen Härte für das Aushalten der mutmaßlichen Wahrheit zu erziehen, erscheint mir als der weitaus ästhetischere Weg.

Und jetzt treibe ich meine jugendliche Unverfrorenheit auf die Spitze und starte ein schulmeisterliches Heilungsprogramm: Dieser Terrorist seines Geistes, dieser Wächter einer Burg mit Mauern aus Überzeugungen sollte sich als Radikalkur Gedankengut zuführen, das ihn mal gehörig durchschüttelt und entwurzelt und umhaut in seinen abgrundtiefen Werten. Vielleicht kann er ja dann auch mal von Zeit zu Zeit über sich hinaus wachsen und sich selbst nebenbei als vielfältiges, unklares und somit ungeheuerliches Stück Natur lieb gewinnen. So, auch schon wieder genug der großen Worte. Sie klangen nach großspuriger Laberei? Ich kann beruhigen: Sie sind es nicht.
Ich hänge sehr an Menschen wie ihm, verkehre gerne mit ihnen. Kann ich doch so sagen, dass ich jetzt schon verhältnismäßig unverbohrt und locker bin.
Platz für neue Enttäuschungen in unserer Beziehung bietet er übrigens selbst, so scheint es mir. Wahrscheinlich denkt er, dass ich durch seinen dramatischen Abgang etwas aus der Sache gelernt habe. Wahrscheinlich denkt er sogar wortwörtlich so, ich meine dieses arrogante „Er sollte aus der Sache was lernen“. Ich hab auch was gelernt- nur nicht in seinem Sinne und das werde ich ihm zeigen, wenn es die Situation will. Er hat mich angegriffen, mich abserviert, mich fertig gemacht, mich niedergeschmettert, mich abgeschossen. Und das finde ich moralisch höchst fragwürdig.J

Nur noch als Kleinigkeit: Er machte meinem Kumpel glaubhaft, dass er ja wohl auch was von Nietzsche kennt. Denn schließlich habe er ja im Studium mal eine Arbeit über Schopenhauer und Nietzsche abgeliefert. Welch ein Zufall. Ich bin neugierig, sollte ich wohl mal mit ihm darüber sprechen? (Mal nachfragen, mal nachhaken, mal abklopfen, mal auf den Zahn fühlen,...?)

 

Hi Epikuros,

eine anfänglich interessant aufgebaute Geschichte über den Hochmut und die Vorurteilsgabe von Erwachsenen wird zum Fachmonolog eines Abservierten, Fertiggemachten, Niedergeschmetterten....Was soll das? Soviel Hass und darauf alle verbalen Geschütze? Noch dazu der eine oder andere Zeitfehler und die Rechtschreibung nicht einwandfrei?

Auch diese unglaubliche Anhäufung von schon irgendwo Gelesenem macht das Aufspüren des Sinnes derselben nicht einfacher. Der Beginn einer Alltagsbeobachtung, die im Philosophieforum enden müsste. Sprich mit ihm darüber, klopfe ab, hake nach, du Verbalritter.
Übrigens:
War Epikuros ein griechischer Vordenker oder Märchenerzähler?

Nix für ungut und liebe Grüße - Aqualung

 

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