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Eisschollen-Smalltalk
„Bitte halten Sie mich nicht für unhöflich, aber Sie befinden sich auf der falschen Eisscholle.“
„Pardon? Oh, jetzt sehe ich es: American Bairlines. Das ist mir aber furchtbar peinlich!“
„Ich bitte Sie, so was kann doch mal passieren. Wohin möchten Sie denn?“
„Zum übernächsten Eisberg. Falls es Ihnen nicht zu viele Umstände macht...“
„Natürlich nicht! Wohin führt Sie Ihre Reise denn?“
„Nach Kanada. Ich möchte meinen Vetter besuchen, der erst kürzlich einen unangenehmen Unfall hatte.“
„Wie schrecklich! Was ist ihm denn zugestoßen?“
„Ein Mensch hat ihn angeschossen, stellen Sie sich das vor! Hundertmal habe ich ihm gesagt, Egon, ärgere keine Menschen! Aber Sie wissen ja, wie das ist – die Jugend gibt keinen Pfifferling auf das, was unsereins sagt, lacht nur abwertend über unsere gut gemeinten Ratschläge.“
„Wie wahr, wie wahr. Persönlich halte ich auch stets einen Respektabstand zu Menschen. Irgendwie sind sie ja ganz niedlich, aber in freier Wildbahn möchte ich lieber keinem begegnen.“
„Haben Sie schon mal Robbenschlächter bei der Arbeit gesehen? Ich kann seitdem nur noch den Kopf über jene schütteln, die den Menschen Gefühle zusprechen wollen. Schlichtweg ein grausames, sinnloses Blutbad, das diese Wesen anrichten. Mir wird richtig übel, wenn ich daran nur denke.“
„Ganz meine Meinung! Da wird des langen und breiten über Menschenrechte gesprochen, aber wenn man deren Grausamkeiten gegenüber anderen Lebewesen und sogar untereinander berücksichtigt, möchte man verzweifeln. Diese Menschenrechtler sind meines Erachtens hoffnungslose Romantiker die glauben, man könne den Menschen domestizieren.“
„Absolut! Da wird ein Aufhebens gemacht, wenn unsereins einen Menschen erlegt, aber wer schützt denn die anderen Tiere vor den Menschen? Wer setzt sich für die Recht der Robben und Fische ein?“
„Ja, furchtbar! Ich bin ganz froh, ein paar Monate lang meine Ruhe vor den Menschen zu haben. Vor ein paar Jahren hat mich mal einer aus dem Winterschlaf aufgeweckt. Ich war über Monate hinweg schier unausstehlich – wenn ich nicht meine drei Monate Schlaf habe, kriege ich schlechte Laune.“
„Wo werden Sie denn Ihren Urlaub verbringen, wenn ich fragen darf?“
„In Colorado.“
„Colorado? Dort soll es doch furchtbar heiß sein! Und denken Sie nur an die Schwarzbären dort. Keine zehn Robben würden mich dorthin bringen.“
„Weshalb?“
„Nun, sehen Sie, ich bin wirklich kein Rassist. Ich respektiere andere Kulturen und Rassen, aber diese Schwarzbären ... Die jagen mir einen warmen Schauder über den Rücken! Wenn man denen ins Gesicht blicken, starren die einen nur mit unbewegter Miene an. Da spürt man, dass die was aushecken! Das ist eine ganz hinterlistige Rasse! Denen dürfen Sie nie trauen! Und dieses Gebrumme, unrhythmisch, barbarisch, einfach wild.“
„Da ist wohl was wahres dran. Aber ich möchte mir ohnedies nur die Landschaft anschauen.“
„Natürlich, aber nehmen Sie meinen Ratschlag an – Hüten Sie sich vor den Schwarzen!“
„Das werde ich, vielen Dank. Ach, übrigens, haben Sie von den Pandabären im Pariser Zoo gelesen?“
„Sie meinen die, die sich nicht paaren wollen?“
„Genau die! Da wird man schon stutzig, woran das liegen mag.“
„Wenn Sie mich fragen, ist das kein Wunder. All der Stress, der Erwartungsdruck und die Umweltgifte – da muss man ja impotent werden als Männchen.“
„Denken Sie wirklich, dass er impotent ist?“
„Na, und ob! Haben Sie denn das Bild von dem Weibchen nicht gesehen?“
„Ja, ein heißer Feger!“
„Möglicherweise ist er ja auch schwul, haha!“
„Würde mich nicht wundern! Heutzutage ist man ja nur noch dann cool, wenn man schwul ist. Was für eine Welt...“
„Ja, das war früher ganz anders. Oh, mein Eisberg! Vielen Dank fürs Mitnehmen.“
„Ich bitte Sie, das war doch selbstverständlich! Bestellen Sie doch Ihrem Vetter gute Genesungswünsche von mir!“
„Mach ich gerne, vielen Dank! Falls wir uns mal wieder sehen, würde ich Ihnen gerne einige seiner herausragenden Fotographien zeigen.“
„Oh, ist er etwa ein Kodakbär?“
„Ja, und zwar ein sehr bekannter. Seine Bärnissagen sind stets gut besucht. Nochmals besten Dank, auf Wiedersehen!“
„Angenehme Reise wünsche ich!“