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Eismädchen
Die alte Schöndorf steht am Seeufer, schaut ihrem Dalmatiner beim Baden zu. Lächelnd grüßen wir einander. Der Hund springt aus dem See, schüttelt sich trocken, kommt schwanzwedelnd zu ihr. Sie streicht über sein Fell, leint ihn an und läuft leichtfüßig mit ihm ihrer Wege, in Harmonie mit der Welt in sich und um sie herum. So möchte ich altern, in faltiger Jugend der Erde entgegenschmelzen, bis sie mich zu ihresgleichen macht. Morbide Gedanken inmitten des sonnenbeschienen Parks auf einer Bank am See. Unsere kleine Stadt duckt sich neben den Fahrrädern am Ende des Parks. Fern höre ich ihr Rauschen hinter dem der Bäume. Schritte verschlendern sich im Kies. Von benachbarten Bänken klingt Gesprächsmusik herüber. Geheimnisvolle Silben, Worte, Satzfetzen wirbeln durch die Luft, wippen auf den Blättern der Bäume, rutschen ins Geäst und an den Stämmen herunter, landen auf lilafarbenen Blüten im Gras. Enten schnäbeln sie auf, schnattern die Melodie über das Wasser zu den Gänsen am anderen Ufer. Diese wiederum tragen sie im Formationsflug zu den krächzenden Krähen ins Irgendwo. Geradeaus auf die tanzenden Lichter im See gaffend, dehne ich die Zeit unendlich. Ich fühle das Holz der Bank, rieche das Wasser und belausche die Welt.
Berührung an meiner rechten Schulter lässt mich zusammenzucken, eine Hand wandert zu meinem Schlüsselbein, zum Hals, ich springe auf und drehe mich um, Udo grinst mir ins Gesicht. „Mensch, Karin, hab ich dich erschreckt? 'Tschuldigung, wie geht’s so?“
Atme tief ein: „O mein Gott. Du weißt doch, wie schreckhaft ich bin! Hab dich ewig nicht gesehen. Alles okay?“
„Yep, läuft, und bei dir? Wie geht es Thommy?“
„Keine Ahnung, wir sind nicht mehr zusammen. Geschieden, amtlich, seit gestern.“ Ich schaue auf die Uhr. „Schon nach sieben, ich muss dann, war schön, dich...“
„Ja, nee, Karin, so schnell kommst du mir nicht davon, kann dich doch begleiten, oder? Und nun erzähl mal, warum hat sich das Traumpaar getrennt?“
So laufen wir zusammen zu den Fahrrädern, Udo hat seines direkt neben meinem geparkt, und schieben Richtung Innenstadt, wo ich wohne. Er fragt, bohrt, zieht mir jedes Wort schmerzhaft aus der Nase. Thomas und ich, damals war alles so vollkommen schön. Lernten uns über Udo kennen, war sein bester Freund. Ich war sofort verknallt, aber Thommy hatte eine Freundin, Marlene. So hängte ich mich an Udo, wir waren ständig zu viert unterwegs. Tja, ich kriegte Thomas! Gab Riesenzoff, aber das war es wert. Im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt, so heißt es doch. Immerhin waren wir 10 Jahre zusammen, glücklich die ersten fünf, zwei Kinder. Verdammt, was will man mehr, heutzutage ist nichts mehr für ewig, oder?
Udo tupft mir mit seinem Taschentuch die Tränen fort. Hab gar nicht bemerkt, dass ich heule. „Schon gut.“, schiebe ich seine Hand weg, „Kannst ja nix dafür. Was ist mit euch, wie geht’s Marlene?“
„Karin, du bist nicht up to date! Hab mich schon längst von ihr getrennt. Wollte immer nur dich, weißt du doch.“, lacht er. „Bin wieder zurück, habe das Haus neben unserer alten Schule gekauft. Bin noch am werkeln, aber das wird!“
„Ich glaub's nicht, du wieder in unserer Stadt! Und dann noch im Zuckerhaus.“
„Ja du, komm doch auf 'nen Sprung mit rein, oder musst du nach Hause zu deinen Kindern?“
„Hab Zeit, die Zwillinge sind im Ferienlager.“
„Ja dann!“
Kichernd, uns an den guten Erinnerungen wärmend, steigen wir auf unsere Drahtesel und radeln zum alten Zuckerhaus. So wird es heute noch genannt, obwohl es hier schon lange keine Süßwaren mehr zu kaufen gibt. Der Zahn, der an uns allen nagt, hat ihm arg zugesetzt. Das Dach ist halb eingefallen, ein Krater, wo einst der Schornstein war, zerschlagene Fensterscheiben, Gestrüpp wuchert nach innen. Die Tür droht beim Öffnen aus den Angeln zu fallen, aber ihr Glockenspiel funktioniert noch. Udo führt mich durch die Bruchbude und erklärt wortgewaltig, was er wie aus- und umbauen will. Ich fühle mich wieder wie 16, vor dem großen Crash, als wir noch Kumpels waren. „Bist du mir nicht mehr böse?“ frage ich dazwischen.
„Was? Ach was, Schnee von gestern. Außerdem war ich schon immer auf Marlene spitz. Wir hatten schon vor euch was zusammen. Was sagst du dazu, böses Mädchen?“, zieht er mich an sich und stößt mich fort, hält mich fest, bevor ich gegen den Türrahmen taumele.
„Ach so ist das! Ja dann kann ich ja wieder gehen!“, strecke ihm die Zunge heraus und mache ein beleidigtes Gesicht um meine Überraschung zu verbergen.
„Jetzt willst du gehen? Bist du wahnsinnig? Okay, dann trinke ich das Rotkäppchen eben alleine“, dreht er sich auf dem Absatz um, öffnet den Kühlschrank, holt die Flasche heraus und schwenkt sie vor meiner Nase. Unsere Marke! Lachend lasse ich mich auf die Couch fallen, Staub wirbelt auf, Udo muss heftig niesen. „Deine Hausstauballergie!“, erinnere ich mich kichernd und schlage aufs Polster, worauf es noch mehr staubt. Udo laufen die Tränen übers Gesicht: „Lass das!“, würgt er hervor und verschwindet im Bad. Ich krieg mich kaum ein vor Lachen.
Damals, als wir noch gar nicht zusammen waren, wollte er mit mir rummachen, hier, im Lagerraum. Ich zierte mich, doch er drängte, ich fiel nach hinten auf das Sofa, Staub, er musste niesen und ich rannte davon.
Als er mit den vollen Gläsern wiederkommt, gluckse ich immer noch.
„Haha“, knurrt er und „Prost!“ „Auf damals!“
„Prost tata!“ „Prösterchen!“
„Auf die Zukunft!“ „Au ja!“
„Sag mal, Karin, wolln wir nich Brüderschaft trinken?“
„Spinnst doch, wir sin doch auf du un du.“
„Zum Spaß. Hab sogar Kirsch da. Wie damals, weißt noch?“
„Unser erstes echtes Rendezvous, weiß ich noch. Muss aufs Klo.“
Bisschen beschwipst, alles unter Kontrolle, taumele ich wieder auf die Couch. „Aber nur einen!“
Udo drückt mir das Glas in die Hand, wir verschränken unsere Arme.
Proscht, bin die Karin, Udo!“ Vor Lachen verschütte ich die Hälfte.
„Pass doch auf!“, schnauzt er mich an und hält meine Hand fest.
„Was'n los?“
„Passt schon, trink jetzt!“
Der Schnaps schmeckt bitter. Ich drücke ihm einen Kuss auf die Zähne, sein Mund ist offen, er stößt mit der Zunge zwischen meine Lippen. Ich weiche aus, er umklammert meinen Hinterkopf, fickt meinen Mund. Meine Hände versuchen ihn wegzuschieben. Hirn schockgefrostet, Knie hebt sich in Zeitlupe. Er packt, wirft mich um auf den Dielenboden, ist über mir. Sein Arm auf meinem Brustkorb, meinen Armen, Beine spreizen meine Beine, Hand zerreißt Slip, öffnet Hose, Schwanz stößt in mich, ich schreie! Kriege linke Hand frei, versuche wegzudrücken, mit Kopf zu stoßen, da schraubt sich sein rechtes Handgelenk um mein linkes, sein Kopf auf meinem, Scheißzunge wieder in meinem Rachen, kann nichts tun. Kälte, Udo fickt Eismädchen, nicht mich.