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Eismädchen

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13.09.2007
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Eismädchen

Die alte Schöndorf steht am Seeufer, schaut ihrem Dalmatiner beim Baden zu. Lächelnd grüßen wir einander. Der Hund springt aus dem See, schüttelt sich trocken, kommt schwanzwedelnd zu ihr. Sie streicht über sein Fell, leint ihn an und läuft leichtfüßig mit ihm ihrer Wege, in Harmonie mit der Welt in sich und um sie herum. So möchte ich altern, in faltiger Jugend der Erde entgegenschmelzen, bis sie mich zu ihresgleichen macht. Morbide Gedanken inmitten des sonnenbeschienen Parks auf einer Bank am See. Unsere kleine Stadt duckt sich neben den Fahrrädern am Ende des Parks. Fern höre ich ihr Rauschen hinter dem der Bäume. Schritte verschlendern sich im Kies. Von benachbarten Bänken klingt Gesprächsmusik herüber. Geheimnisvolle Silben, Worte, Satzfetzen wirbeln durch die Luft, wippen auf den Blättern der Bäume, rutschen ins Geäst und an den Stämmen herunter, landen auf lilafarbenen Blüten im Gras. Enten schnäbeln sie auf, schnattern die Melodie über das Wasser zu den Gänsen am anderen Ufer. Diese wiederum tragen sie im Formationsflug zu den krächzenden Krähen ins Irgendwo. Geradeaus auf die tanzenden Lichter im See gaffend, dehne ich die Zeit unendlich. Ich fühle das Holz der Bank, rieche das Wasser und belausche die Welt.
Berührung an meiner rechten Schulter lässt mich zusammenzucken, eine Hand wandert zu meinem Schlüsselbein, zum Hals, ich springe auf und drehe mich um, Udo grinst mir ins Gesicht. „Mensch, Karin, hab ich dich erschreckt? 'Tschuldigung, wie geht’s so?“
Atme tief ein: „O mein Gott. Du weißt doch, wie schreckhaft ich bin! Hab dich ewig nicht gesehen. Alles okay?“
„Yep, läuft, und bei dir? Wie geht es Thommy?“
„Keine Ahnung, wir sind nicht mehr zusammen. Geschieden, amtlich, seit gestern.“ Ich schaue auf die Uhr. „Schon nach sieben, ich muss dann, war schön, dich...“
„Ja, nee, Karin, so schnell kommst du mir nicht davon, kann dich doch begleiten, oder? Und nun erzähl mal, warum hat sich das Traumpaar getrennt?“
So laufen wir zusammen zu den Fahrrädern, Udo hat seines direkt neben meinem geparkt, und schieben Richtung Innenstadt, wo ich wohne. Er fragt, bohrt, zieht mir jedes Wort schmerzhaft aus der Nase. Thomas und ich, damals war alles so vollkommen schön. Lernten uns über Udo kennen, war sein bester Freund. Ich war sofort verknallt, aber Thommy hatte eine Freundin, Marlene. So hängte ich mich an Udo, wir waren ständig zu viert unterwegs. Tja, ich kriegte Thomas! Gab Riesenzoff, aber das war es wert. Im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt, so heißt es doch. Immerhin waren wir 10 Jahre zusammen, glücklich die ersten fünf, zwei Kinder. Verdammt, was will man mehr, heutzutage ist nichts mehr für ewig, oder?
Udo tupft mir mit seinem Taschentuch die Tränen fort. Hab gar nicht bemerkt, dass ich heule. „Schon gut.“, schiebe ich seine Hand weg, „Kannst ja nix dafür. Was ist mit euch, wie geht’s Marlene?“
„Karin, du bist nicht up to date! Hab mich schon längst von ihr getrennt. Wollte immer nur dich, weißt du doch.“, lacht er. „Bin wieder zurück, habe das Haus neben unserer alten Schule gekauft. Bin noch am werkeln, aber das wird!“
„Ich glaub's nicht, du wieder in unserer Stadt! Und dann noch im Zuckerhaus.“
„Ja du, komm doch auf 'nen Sprung mit rein, oder musst du nach Hause zu deinen Kindern?“
„Hab Zeit, die Zwillinge sind im Ferienlager.“
„Ja dann!“
Kichernd, uns an den guten Erinnerungen wärmend, steigen wir auf unsere Drahtesel und radeln zum alten Zuckerhaus. So wird es heute noch genannt, obwohl es hier schon lange keine Süßwaren mehr zu kaufen gibt. Der Zahn, der an uns allen nagt, hat ihm arg zugesetzt. Das Dach ist halb eingefallen, ein Krater, wo einst der Schornstein war, zerschlagene Fensterscheiben, Gestrüpp wuchert nach innen. Die Tür droht beim Öffnen aus den Angeln zu fallen, aber ihr Glockenspiel funktioniert noch. Udo führt mich durch die Bruchbude und erklärt wortgewaltig, was er wie aus- und umbauen will. Ich fühle mich wieder wie 16, vor dem großen Crash, als wir noch Kumpels waren. „Bist du mir nicht mehr böse?“ frage ich dazwischen.
„Was? Ach was, Schnee von gestern. Außerdem war ich schon immer auf Marlene spitz. Wir hatten schon vor euch was zusammen. Was sagst du dazu, böses Mädchen?“, zieht er mich an sich und stößt mich fort, hält mich fest, bevor ich gegen den Türrahmen taumele.
„Ach so ist das! Ja dann kann ich ja wieder gehen!“, strecke ihm die Zunge heraus und mache ein beleidigtes Gesicht um meine Überraschung zu verbergen.
„Jetzt willst du gehen? Bist du wahnsinnig? Okay, dann trinke ich das Rotkäppchen eben alleine“, dreht er sich auf dem Absatz um, öffnet den Kühlschrank, holt die Flasche heraus und schwenkt sie vor meiner Nase. Unsere Marke! Lachend lasse ich mich auf die Couch fallen, Staub wirbelt auf, Udo muss heftig niesen. „Deine Hausstauballergie!“, erinnere ich mich kichernd und schlage aufs Polster, worauf es noch mehr staubt. Udo laufen die Tränen übers Gesicht: „Lass das!“, würgt er hervor und verschwindet im Bad. Ich krieg mich kaum ein vor Lachen.
Damals, als wir noch gar nicht zusammen waren, wollte er mit mir rummachen, hier, im Lagerraum. Ich zierte mich, doch er drängte, ich fiel nach hinten auf das Sofa, Staub, er musste niesen und ich rannte davon.
Als er mit den vollen Gläsern wiederkommt, gluckse ich immer noch.
„Haha“, knurrt er und „Prost!“ „Auf damals!“
„Prost tata!“ „Prösterchen!“
„Auf die Zukunft!“ „Au ja!“
„Sag mal, Karin, wolln wir nich Brüderschaft trinken?“
„Spinnst doch, wir sin doch auf du un du.“
„Zum Spaß. Hab sogar Kirsch da. Wie damals, weißt noch?“
„Unser erstes echtes Rendezvous, weiß ich noch. Muss aufs Klo.“
Bisschen beschwipst, alles unter Kontrolle, taumele ich wieder auf die Couch. „Aber nur einen!“
Udo drückt mir das Glas in die Hand, wir verschränken unsere Arme.
Proscht, bin die Karin, Udo!“ Vor Lachen verschütte ich die Hälfte.
„Pass doch auf!“, schnauzt er mich an und hält meine Hand fest.
„Was'n los?“
„Passt schon, trink jetzt!“
Der Schnaps schmeckt bitter. Ich drücke ihm einen Kuss auf die Zähne, sein Mund ist offen, er stößt mit der Zunge zwischen meine Lippen. Ich weiche aus, er umklammert meinen Hinterkopf, fickt meinen Mund. Meine Hände versuchen ihn wegzuschieben. Hirn schockgefrostet, Knie hebt sich in Zeitlupe. Er packt, wirft mich um auf den Dielenboden, ist über mir. Sein Arm auf meinem Brustkorb, meinen Armen, Beine spreizen meine Beine, Hand zerreißt Slip, öffnet Hose, Schwanz stößt in mich, ich schreie! Kriege linke Hand frei, versuche wegzudrücken, mit Kopf zu stoßen, da schraubt sich sein rechtes Handgelenk um mein linkes, sein Kopf auf meinem, Scheißzunge wieder in meinem Rachen, kann nichts tun. Kälte, Udo fickt Eismädchen, nicht mich.

 

Hallo Damaris,

ich möchte inhaltlich auf Deinen Text gar nicht groß eingehen. Diese wunderschönen vor*Adjektiven strotzenden Beschreibungen wecken in mir keine Bilder, sondern das Gefühl "Das habe ich schon mal gelesen".

Dann gehts los mit diesem Wort, das ich gar nicht mag.*Das passt kein bischen zu dem anderen Text. Ist ja aber vielleicht auch Absicht. Und schließlich:

Udo fickt Eismädchen, nicht mich.
Wer the fuck ist Eismädchen? Kommt im Text bis dato nicht vor. Ich bin verwirrt und igendwie auch frustriert.

Liebe Grüße

Jobär
Und dann diese aprupten Sprünge:

Hand auf meiner rechten Schulter lässt mich zusammenzucken
Nicht einmal ein Eine - ist das Absicht, um die Plötzlichkeit auch sprachilich einzufangen?

 

Hey Damaris,

irgendwie sieht der Text echt schräg aus mit so vielen Zeilenumbrüchen. Soll das so? Ist das ein Stilmittel und wenn ja, wozu genau?

Verwirrte Grüße, Fliege ;)

 

Hallo Damaris,

das ist ja starker Tobak. Erst diese malerische Beschreibung eines lauschigen Sommertags, der eigentlich nur Gutes verheißt, dann die Andeutung einer Romanze und schließlich so ein grausames Finale, das man gar nicht kommen sieht. Erst im Rückblick (d.h. beim zweiten Lesen) sieht man die Zeichen dafür, wie die Stimmung schon vorher langsam gekippt ist. Genau so ist es wohl im richtigen Leben auch häufig, und das hast Du m.E. schon sehr gut eingefangen.

Kritikpunkte habe ich zwei. Den kleinen zuerst: die Flasche Sekt. Wieso hat Udo die bereitliegen? Hat er mit Besuch gerechnet? Ich jedenfalls stelle nicht anlasslos Sekt kalt. Deshalb macht das auf mich den Eindruck, als hätte er da etwas geplant. Hat er Karin vielleicht schon öfter im Park gesehen und erst heute angesprochen? Falls Du etwas in dieser Richtung aussagen wolltest, müsstest Du es vielleicht klarer machen. Falls Du nichts dergleichen wolltest, kannst Du vielleicht mit einem Halbsatz eine harmlose Erklärung für das Vorhandensein der Flasche geben. So, wie es jetzt ist, führt mich das nämlich gedanklich auf unnötige Abwege und lenkt von der eigentlichen Story ab.

Der größere Kritikpunkt: Das Ende funktioniert für mich nicht. Ich glaube Deine Absichten zu verstehen: Kurze, abgehackte Sätze - alles geht sehr schnell. Brutale Wortwahl - brutales Geschehen. Kalte, distanzierte Sprache - Karin schaltet emotional ab, um das Geschehen nicht an sich heranzulassen. Aber das erkenne ich nur analytisch, die emotionale Wirkung bleibt bei mir aus.

Ich bin nicht sicher, woran das liegt. Ich glaube, es ist einfach sehr kurz, und der Abschnitt endet schon, bevor ich mich hineingefühlt habe. Außerdem kann ich Karins Emotionen nicht fühlen, auch und gerade wegen der kalten abgehackten Sprache. Okay, sie versucht, nichts zu fühlen. Aber das kann ja nicht so ohne Weiteres erfolgreich sein. Am allerwenigsten zu Beginn, bevor sie "abschaltet" und eigentlich mindestens Angst empfinden müsste. Und dass sie ein empfindungsreicher Mensch ist, zeigt ja auch die Bescheibung des Idylls am See.

Ich hoffe, ich konnte das halbwegs verständlich machen. Vielleicht nützt es Dir ja was.

Grüße vom Holg ...

 
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Zuletzt von einem Teammitglied bearbeitet:

Hallo Jobär, hallo Fliege,

vielen Dank für eure Kritik.
Lieber Fliege, ich habe dich nicht absichtlich verwirrt. Habe den Text aus meinen Svchreibprogramm reinkopiert und die Brüche komischerweise übersehen, wohl weil ich einige wegen wörtlicher Rede als notwendig erachte. Ja, das Textbild kam mir auch etwas schräg vor... Vielen Dank, hab es geändert.

Lieber Jobär, du verwirrst mich!

Dann gehts los mit diesem Wort, das ich gar nicht mag.*Das passt kein bischen zu dem anderen Text. Ist ja aber vielleicht auch Absicht.

mit welchem?

Also die Adjektive, die strotzen nicht, eher vielleicht die Verben, Geschmackssache.

Ja, das mit der plötzlichen Hand soll die Plötzlichkeit der Situation darstellen. Die erschreckte Ich-Erzählerin hat keine Zeit, einen Artikel voranzustellen.

Sie ist das Eismädchen, es ist ja auch keine Andere anwesend. Ihr Hirn ist schockgefrostet, sie fühlt Kälte, bevor sie sich als Eismädchen bezeichnet, damit von sich selbst und der Situation abspaltet.

Vielleicht hast du den ersten Abschnitt so ähnlich schon mal gelesen, da ich ihn nur wenig anders vorher hier als eigenständige KG reingestellt hatte.

Ich hoffe, ich habe dich ein wenig "entwirrt".

LG an euch Beide von Damaris


Hallo Holg,

vielen Dank für deine Kritik.

Ich denke, Udo hat alles geplant. Er wusste von der Scheidung (Thomas war sein bester Freund, wir befinden uns in einer Kleinstadt, wo jeder jeden kennt, er hat sein Fahrrad direkt neben ihrem geparkt, hat sich von hinten an sie angeschlichen, wollte die offene Rechnung mit ihr begleichen... Ich glaube ihm nicht einmal, dass er das Zuckerhaus gekauft hat. Diese Bruchbude, ich bitte dich, das kann er auch nur der Karin weismachen...
Zu deinem 2. Kritikpunkt, Karins Reaktion ist kennzeichnend für traumatische Situationen, die uns überfordern. Gerade weil sie gefühlvoll ist, muss sie sich abspalten. Vorher zeigt sie Wut, spricht von seiner Scheißzunge, die sie fickt. Versucht sich zu wehren. Dafür benötigt sie ihre Energie, kein Platz für Angst.

Mit mir ist mal ein Pferd durchgegangen, hat mich im Galopp abgeworfen. Ich erlebte den Fall in Zeitlupe, empfand den Flug sogar als schön und habe höchst konzentriert nachgedacht, wie ich es schaffen kann, nicht in Hufnähe zu landen. Angst konnte ich nicht empfinden, alle Energien auf das Überleben ausgerichtet, deshalb spaltet sich Karin ab.

Ich hoffe, ich konnte dich damit versöhnen.

Lieben Gruß Damaris

 

Hallo Damaris!

Ich steige mal hier ein:

So möchte ich altern, in faltiger Jugend der Erde entgegenschmelzen, bis sie mich zu ihresgleichen macht.

Solche Gedanken, die du zu Recht als "morbide" charakterisierst, passen zu einer alten Jungfer, aber doch nicht zu deiner noch jungen frischen Karin, Mutter zweier Kinder, die noch nicht flügge sind, sie also noch nicht durch Verlassen des Nestes gekränkt haben! Es sei denn, Karin steckt in einer Depression, in einer noch nicht überwundenen Trauer nach einem Verlust - dann haben auch junge Menschen solche Gedanken. Deshalb vermute ich: Sie hat ihre Scheidung noch nicht verkraftet, sich noch nicht mit ihren Gefühlen von Thomas gelöst.

Interessant ist auch dieser Gedanke:

Der Hund springt aus dem See, schüttelt sich trocken, kommt schwanzwedelnd zu ihr. Sie streicht über sein Fell, leint ihn an und läuft leichtfüßig mit ihm ihrer Wege, in scheinbarer Harmonie mit der Welt in sich und um sie herum.

Das klingt ja, als ob sie die alte Schöndorf um dieses Tier beneidet! So ein Hund ist ja auch ein treuer Gefährte, was man von ihrem Thomas nicht sagen kann! Nein, sie hat ihre Gefühle noch nicht von ihm gelöst, kann sie noch nicht auf neue Objekte richten, was sie aber gerne täte - das verrät diese Stelle:

Von benachbarten Bänken klingt Gesprächsmusik herüber. Geheimnisvolle Silben, Worte, Satzfetzen wirbeln durch die Luft ...

Die Gesprächsfetzen, die sie akustisch nicht versteht, empfindet sie als geheimnisvoll, weil sie ihre Neugierde erregen, weil sie sich mit ihren Gefühlen von Thomas lösen und sich neuen Abenteuern zuwenden möchte. Da kommt dieser Udo ja wie gerufen - sollte man meinen. Sie geht dann ja auch durchaus freiwillig mit ihm mit, oder man könnte mit Goethe sagen:

"Halb zog er sie, halb sank sie hin"

Aber Udo macht es dann falsch: Er will sofort alles, und das geht ihr zu schnell, denn sie hat sich noch nicht von Thomas gelöst, was ein langwieriger schmerzlicher Prozess ist. Hätte Udo Geduld gehabt, hätte er ihr dabei helfen können.

Deine hintergründige Geschichte hat mich gefesselt.
Grüße
gerthans

 
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Hallo Damaris,

was mich an der Geschichte fasziniert ist diese merkwürdige Mischung aus Wiedersehensüberschwang, altem Groll und einer fiesen Aggressivität zwischen den Beiden, die dann hinterher richtig übel wird.

Hand auf meiner rechten Schulter lässt mich zusammenzucken, sie wandert zu meinem Schlüsselbein, zum Hals, ich springe auf und drehe mich um, Udo grinst mir ins Gesicht. „Mensch, Karin, hab ich dich erschreckt? 'Tschuldigung, wie geht’s so?“
Atme tief ein: „O mein Gott. Du weißt doch, wie schreckhaft ich bin! Hab dich ewig nicht gesehen. Alles okay?“

Schon da ist Udo ziemlich unangenehm übergriffig. "Hand auf meiner rechten Schulter" gefällt mir nicht so, auch wenn du das oben begründet hast. Ich finde bei solchen "Tricks" ist man immer ein bisschen raus, spürt zu sehr das Anliegen der Autorin, vor allem, wenn sie so vereinzelt sind.

Danach wird es eine Weile gemütlicher, aber man ist irgendwie in Habacht-Stellung. Im Gegensatz zu der Protagonistin, die Udo ihr Herz ausschüttet, auch wenn hier schon wieder fast Gewalt im Spiel ist.

Er fragt, bohrt, zieht mir jedes Wort schmerzhaft aus der Nase.

Kichernd, uns an den guten Erinnerungen wärmend, steigen wir auf unsere Drahtesel und radeln zum alten Zuckerhaus.

Doch nur ein fröhliches Wiedersehen?

So wird es heute noch genannt, obwohl es hier schon lange keine Süßwaren mehr zu kaufen gibt. Der Zahn, der an uns allen nagt, hat ihm arg zugesetzt. Das Dach ist halb eingefallen, ein Krater, wo einst der Schornstein war, zerschlagene Fensterscheiben, Gestrüpp wuchert nach innen. Die Tür droht beim Öffnen aus den Angeln zu fallen, aber ihr Glockenspiel funktioniert noch.

Das Bild gefällt mir auch als Bild für den Zustand der Beiden. Die süße Jugend ist vorbei, es ist einiges kaputt gegangen damals und seitdem. Auch seine Großspurigkeit, sein Gerede. (das Glockenspiel funktioniert noch.) Er wird wieder dubioser in dem gruseligen Haus. (Zuckerhaus/Hexenhaus?)

„Bist du mir nicht mehr böse?“ frage ich dazwischen.
„Was? Ach was, Schnee von gestern.

Wieder Unbehagen. Als Leserin ahne ich, dass er noch verdammt böse ist.

In Zauberermanier zieht er hinter seinem Rücken die Flasche aus dem Kühlschrank und schwenkt sie vor meiner Nase.

Das konnte ich mir praktisch nicht so vorstellen. Hat er den Kühlschrank aufgemacht und sich dann umgedreht davor? Wirkt irgendwie verrenkt.

„Deine Hausstauballergie!“, erinnere ich mich kichernd und schlage aufs Polster, worauf es noch mehr staubt. Udo laufen die Tränen übers Gesicht: „Lass das!“, würgt er hervor und verschwindet im Bad. Ich krieg mich kaum ein vor Lachen.
Damals, als wir noch gar nicht zusammen waren, wollte er mit mir rummachen, hier, im Lagerraum. Ich zierte mich, doch er drängte, ich fiel nach hinten auf das Sofa, Staub, er musste niesen und ich rannte davon.
Als er mit den vollen Gläsern wiederkommt, gluckse ich immer noch.

Eine gelungene Szene, finde ich.
Nicht nur er ist unterschwellig feindselig, sondern sie auch, zumindest provoziert sie ihn. Offenbar hat sich die Szene am Ende schon einmal beinahe so abgespielt, nur, dass sie wegrennen konnte. Wieso ist sie jetzt so naiv?

„Pass doch auf!“, schnauzt er mich an und hält meine Hand fest.
„Was'n los?“
„Passt schon, trink jetzt!“

Er läßt so langsam die Maske fallen, sie kapiert immer noch nichts.

Auch wenn sowohl von ihrer (zunächst), als auch von seiner Seite körperliche Anziehung im Spiel ist, so sehe ich die Vergewaltigung zum Schluß vor allem als einen brutalen Racheakt von ihm.

Kälte, Udo fickt Eismädchen, nicht mich.

Den letzten Satz empfinde ich irgendwie als unverbunden mit dem Rest der Geschichte. Das "Eismädchen" fällt für mich eher raus, statt den Text rund zu machen. Wenn ich dich richtig verstehe, willst du mit dieser Abspaltung/Dissoziation zeigen, wie furchtbar das für sie ist. Als Leserin steige ich eher mit ihr aus. Ich würde sie in der Situation lassen.

Apropos "rund". Da gibt es ja einen ganz starken Bruch in der Sprache nach dem ersten Abschnitt. Für mich ist es dadurch so, als wäre von zwei verschiedenen Personen die Rede. Die aus dem ersten Abschnitt:

Diese wiederum tragen sie im Formationsflug zu den krächzenden Krähen ins Irgendwo. Geradeaus auf die tanzenden Lichter im See gaffend, dehne ich die Zeit unendlich. Ich fühle das Holz der Bank, rieche das Wasser und belausche die Welt.

Und dann die Frau danach.

Tja, ich kriegte Thomas! Gab Riesenzoff, aber das war es wert. Im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt, so heißt es doch.

Auch wenn wir alle sicherlich verschiedene Facetten haben, das ist schon sehr krass und nicht so richtig begründet finde ich.

Und, davon abgesehen, nochmal zum ersten Abschnitt: Ist nicht so ganz meine Sprache, aber das habe ich doch gerne gelesen, das hat fast etwas von einem Gedicht, so verspielt und poetisch.

Ich mag deine Geschichte, finde es toll, dass du so viel ausprobierst und freue mich auf weitere Geschichten von dir. :)

Liebe Grüße von Chutney

 

Liebe Damaris,

soderle jetzt habe ich Deine Geschichte gelesen. Ich war ja bereits ein Fan der Vorgängergeschichte, die leider gelöscht wurde. Du hast daraus wirklich eine anregende Geschichte gebastelt, die ich erst einmal ein wenig auf mich wirken lassen muss. Mir ist zunächst auch der "Stilbruch" aufgefallen. Zunächst die malerischen Beschreibungen aus der ersten Geschichte und dann wechselt die Story zu einem Dialogstil. Beim zweiten Lesen gefiel es mir dann sehr gut. Am Anfang steht ein schöner sonniger Tag, der in Eiseskälte endet. Lustigerweise habe ich parallel mit meiner neuen Kurzgeschichte mit den Jahreszeiten gespielt, um einen vergleichbaren Effekt zu erzielen.

Die Geschichte nimmt eine brutale Wendung. Du hast die Vergewaltigungsszene aber sehr nachvollziehbar geschildert. Spannend fand ich auch Deine Anmerkung zu Deinem eigenen Sturz vom Pferd. Ich habe etwas ähnliches erlebt. Ich bin aus Not aus einem fahrenden Auto gesprungen. Bei mir ging auch alles in Zeitlupe (lande ich auf den Beinen, nein, Fallenlassen, bloß nicht mit dem Kopf aufschlagen, aufstehen, gehen, verletzt???). Ich kann daher diese Zeitlupen-Gedanken von Karin sehr gut verstehen. Wahrscheinlich ist sie vom Sekt, Schnaps und der Trauer eh ein bisschen paralysiert und dann kommt der unerwartete Übergriff von Udo.

Ich bin wirklich ein großer Fan Deiner lautmalerischen Formulierungen:

So möchte ich altern, in faltiger Jugend der Erde entgegenschmelzen, bis sie mich zu ihresgleichen macht.

Geheimnisvolle Silben, Worte, Satzfetzen wirbeln durch die Luft, wippen auf den Blättern der Bäume, rutschen ins Geäst und an den Stämmen herunter, landen auf lila farbenen Blüten im Gras.
:herz:

Kichernd, uns an den guten Erinnerungen wärmend, steigen wir auf unsere Drahtesel und radeln zum alten Zuckerhaus.

Um ein paar Beispiele zu nennen :). Also mein Fazit: Idee und Realisierung haben mir echt gut gefallen. Ich freue mich schon auf Dein nächstes Werk.

Ganz liebe Grüße
von der Maedy

The Incredible Holg : Ich habe fast immer eine Flasche Sekt kaltgestellt ;)

 

The Incredible Holg : Viel schlimmer! Ich sage nur "Mädelsabend". :D

 
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Schritte verschlendern sich im Kies. Von benachbarten Bänken klingt Gesprächsmusik herüber. Geheimnisvolle Silben, Worte, Satzfetzen wirbeln durch die Luft, wippen auf den Blättern der Bäume, rutschen ins Geäst und an den Stämmen herunter, landen auf lila farbenen Blüten im Gras. Enten schnäbeln sie auf, schnattern die Melodie über das Wasser zu den Gänsen am anderen Ufer. Diese wiederum tragen sie im Formationsflug zu den krächzenden Krähen ins Irgendwo.

Diese Sätze sind mir schon in dem Text/Fragment(?) aufgefallen, den/das du vor ein paar Wochen gepostet hast, damaris.
Ja, die mag ich wirklich, die haben so eine quasi augenzwinkernde Poesie, man spürt da einfach deine Lust am kreativen Spielen mit Worten.
Eigentlich mag ich die ganze Geschichte hier, auch wenn sie für mich beinahe was Experimentelles hat. Sie wirkt auf mich nämlich, als hätten drei verschiedene Autoren sich beim Schreiben gegenseitig Heft und Bleistift weggenommen, bzw., als hätten drei separate Textfragmente einen Auffahrunfall gehabt.
Aber ich muss sagen, ich halte das Experiment für gelungen. Ja, irgendwie taugt mir das, wie sich die Erzählsprache der emotionalen Verfasstheit der Protagonistin jeweils anpasst. Es mag dabei zwar stilistisch ein nicht wirklich harmonisches Ganzes rauskommen, dafür klingt es sehr echt und authentisch. Halt wie im wirklichen Leben, wo man z.B. einen wunderschönen Sonnenuntergang anders reflektiert und in einer anderen Sprache beschreibt als, was weiß ich, den Streit mit einem Besoffenen, der einem in der U-Bahn ans Hosenbein reihert. Sprache als Transportmittel für Stimmungen und Gefühle zu benutzen, ja, das gelingt dir hier wirklich gut.


Nur ein paar Kleinigkeiten haben mir nicht so gefallen:

... in scheinbarer Harmonie mit der Welt in sich und um sie herum. So möchte ich altern,
Hier reite ich wieder einmal auf der so häufig missbräuchlichen Verwendung von scheinbar herum.
Die Erzählerin hat doch den Eindruck, als wäre die Frau tatsächlich in Harmonie mit der Welt, oder? Sonst würde sie sich ja kaum so einen Zustand für ihre eigene Zukunft wünschen. Zutreffender fände ich an dieser Stelle, so ich sie richtig lese, z.B. anscheinend, augenscheinlich oder offensichtlich. (Aber zugunsten einer eindeutigen Lesart, würde ich vor Harmonie gar kein Attribut setzen.)

Unsere kleine Stadt duckt sich lauernd neben den Fahrrädern gleich hinter dem Park.
Hier übertreibst du’s für mein Gefühl mit der Bildsprache.

auf lila farbenen Blüten
lilafarbenen

Hand auf meiner rechten Schulter lässt mich zusammenzucken, sie wandert zu meinem Schlüsselbein, zum Hals, ich springe auf und drehe mich um,
Die artikellose Hand wurde von anderen schon erwähnt, und du selbst rechtfertigst sie damit, dass die Erzählerin von der Berührung eben vollkommen überrascht ist.
Genau so hab ich das auch gelesen, allerdings fragte ich mich gleichzeitig, wie die Erzählerin sofort wissen kann, dass es eine Hand ist, die sie berührt, und nicht z.B. ein vorwitziges Eichhörnchen, das ihr auf die Schulter gesprungen ist.
So klänge es für mich stimmiger:
(Eine) Berührung an meiner rechten Schulter lässt mich zusammenzucken, eine Hand wandert zu meinem Schlüsselbein, zum Hals,

„Ich glaub's nicht, du wieder in unserer Stadt! Und dann noch im Zuckerhaus, wo wir uns nach der Schule immer getroffen haben.
Das klingt mir ein bisschen zu sehr an den Leser gerichtet. Würde ich streichen. Dass sie sich dort früher getroffen haben, erschließt sich eh aus den nächsten Sätzen.

War auf jeden Fall ein sehr eindrückliches Leseerlebnis, damaris. Überhaupt mag ich es,wie vielseitig und kreativ du ans Schreiben herangehst. Deine Geschichten sind jedesmal für eine Überraschung gut.

offshore

 
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Hallo gerthans, Chutney, Maedy, ernst offshore
vielen Dank für euer Interesse an meiner KG, für die konstruktive Kritik und dafür, wie ihr die Protagonisten leben lasst! Das ist eine große Freude, eure Kommentare zu lesen!

Lieber Gerthans, du fühlst dich gut ein, erfasst Zusammenhänge, die mir gar nicht bewusst waren, das bereichert die Geschichte für mich. (Als ob jemand in deinem Garten dir unbekannte Blumen entdeckt hat.)

Aber Udo macht es dann falsch: Er will sofort alles, und das geht ihr zu schnell,...
Hier bin ich nicht bei dir. Udo will keine Beziehung, er will Demütigen, Unterwerfen, Vergewaltigen.
Alles andere von dir unterschreibe ich sofort. Danke

Liebe Chutney, auch du schenkst mir neue Einblicke in meine Geschichte:

Das Bild gefällt mir auch als Bild für den Zustand der Beiden. Die süße Jugend ist vorbei, es ist einiges kaputt gegangen damals und seitdem. Auch seine Großspurigkeit, sein Gerede. (das Glockenspiel funktioniert noch.) Er wird wieder dubioser in dem gruseligen Haus. (Zuckerhaus/Hexenhaus?)
Wir hatten neben der Schule solch Süßwarengeschäft. Nachdem ich es beschrieben hatte, fiel mir die Parallele zum Hexenhaus auf. Dein Vergleich mit dem Haus und den Beiden, das Glockenspiel für sein Gelaber - super!
Mit dem Hervorholen der Sektflasche stimmt wirklich was nicht, das werde ich ändern. Ebenso die "Hand auf der Schulter" die hat mir selbst nicht gefallen.
Den letzten Satz empfinde ich irgendwie als unverbunden mit dem Rest der Geschichte. Das "Eismädchen" fällt für mich eher raus, statt den Text rund zu machen. Wenn ich dich richtig verstehe, willst du mit dieser Abspaltung/Dissoziation zeigen, wie furchtbar das für sie ist. Als Leserin steige ich eher mit ihr aus. Ich würde sie in der Situation lassen.
Das wäre eine Möglichkeit, ich denke darüber nach, noch schaffe ich es nicht, die Protagonistin unerlöst in dem Übergriff zu belassen.
Auch wenn wir alle sicherlich verschiedene Facetten haben, das ist schon sehr krass und nicht so richtig begründet finde ich.
Ich sehe hier keinen Widerspruch. Gerade weil sie gefühlvoll, verträumt, romantisch ist, kämpft sie mit allen Mitteln um ihre Liebe.
Und, davon abgesehen, nochmal zum ersten Abschnitt: Ist nicht so ganz meine Sprache, aber das habe ich doch gerne gelesen, das hat fast etwas von einem Gedicht, so verspielt und poetisch.
Vielen Dank!

Liebe Maedy,

Am Anfang steht ein schöner sonniger Tag, der in Eiseskälte endet.
Auch dieses Fazit habe ich selbst noch nicht erkannt, vielen Dank.
Ich kann daher diese Zeitlupen-Gedanken von Karin sehr gut verstehen. Wahrscheinlich ist sie vom Sekt, Schnaps und der Trauer eh ein bisschen paralysiert und dann kommt der unerwartete Übergriff von Udo.
Endlich checkt jemand, warum ich sie die ganze Zeit saufen lasse! :D
Dein Lob tut gut!:)

Lieber ernst offshore,

Sie wirkt auf mich nämlich, als hätten drei verschiedene Autoren sich beim Schreiben gegenseitig Heft und Bleistift weggenommen, bzw., als hätten drei separate Textfragmente einen Auffahrunfall gehabt.
Aber ich muss sagen, ich halte das Experiment für gelungen.
Super! Authentisch (auf die Protagonisten bezogen und auf mich) will ich schreiben. Schön, dass es dir gefallen hat. Schön, dass du dich von meinen Geschichten überraschen lässt.
Mit deiner Kritik hast du wieder ins Schwarze getroffen, ich konnte sie schon umsetzen.

Liebe Grüße an euch von Damaris :thumbsup: :)

 

Hallo Damaris!

Hier bin ich nicht bei dir. Udo will keine Beziehung, er will Demütigen, Unterwerfen, Vergewaltigen.

An dieser Stelle wundere ich mich allerdings. Ich hatte ebenso wie gerthans auch nicht angenommen, dass Udo von vornherein eine Vergewaltigung geplant hat. Vielleicht nicht gleich eine Beziehung. Und bestimmt wollte er einen schnellen Erfolg, also Karin noch am selben Tag "flachlegen". Aber eine geplante Gewalttat? Hm ...

Das kommt mir etwas realitätsfern vor (und Realitätsnähe sah ich bisher als einen dicken Pluspunkt Deiner Geschichte). Ich denke, die meisten derartigen Taten geschehen im Affekt. Und wenn Udo so etwas tatsächlich plant - was glaubt er denn, wie es danach weitergeht? Dass Karin anschließend nach Hause geht, als wäre nichts gewesen? Was, wenn sie ihn anzeigt? Oder will er sie am besten hinterher noch umbringen?

Soll nicht heißen, dass Du das alles thematisieren solltest. Ich meine vielmehr, dass das gegen eine geplante Handlung spricht, weil sich der Täter dann ja über die Folgen Gedanken machen müsste, was ihn in den meisten Fällen sicher von seinem Plan abbringt.

Bin jetzt etwas verwirrt. :confused:

Grüße vom Holg ...

 

Hallo Holg,
jedem steht es natürlich frei, die Geschichte anders auszulegen.
Ich meine, Udo wollte sich an Karin rächen. Er denkt nicht, dass sie ihn anzeigt. Schließlich ist sie mit ihm mitgegangen. Es ist bekannt, dass sie mal zusammen waren usw. Bei den meisten Missbrauchsfällen kennen sich Opfer und Täter. Es gibt eine hohe Dunkelziffer, aus Scham bzw Angst, dass einem nicht geglaubt wird, erfolgt keine Anzeige.
Aber, wie gesagt, ihr könnt die Geschichte auch anders auslegen.
Lieben Gruß Damaris

 

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