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Eiskalt erwischt
Ein roter Teufel mit zwei aufstehenden Hörnern und blendend weißen Zähnen grinste sie auf dem Plakat an der Eingangstür an. Vor ihnen in der Halle kreischten Teenager und hämmerte Diskomusik. Ein schweres Fahrzeug stampfte unter dem riesigen Dach. Robert Kaldenfischer und sein achtjähriger Sohn zwangen sich durch das Drehkreuz. Zum ersten Mal besuchten sie die Eislaufhalle zum freien Schlittschuhlaufen. Die Red Devils auf dem Poster, die roten Teufel, waren Maskottchens der Eishockey Profis.
Robert schnürte seine Schlittschuhe aus der Leihstation wie Wanderstiefel. Er wickelte die Senkel zweimal um den hohen Schaft, als ob er zu einer Tour in die Berge aufbrechen würde. Auf dem rot und schwarz gestreiften Leder prangte die Nummer seiner Schuhgröße. Robert stand vorsichtig auf. Sein Körper, um drei Zentimeter gewachsen, balancierte auf den schmalen Kufen. "Ganz schön wacklig", dachte er. Robert fühlte sich nicht sicher. Sein Sohn war längst weg, wahrscheinlich schon draußen auf dem Eis. Robert stakte auf den gummierten Boden der Umkleide in Richtung Eissporthalle. Mit ausgestreckten Armen tastete er sich zum schmalen Durchgang zur ovalen Eisfläche. Die Oberfläche war zerkratzt von den Bremsspuren der Kufen vieler Besucher. Die Narben verliefen kreuz und quer. Roberts Jacke hing noch einem Haken in der Umkleidekabine. Er hatte sie vergessen, mitzunehmen. Seine Hand zitterte, als er sich am Durchgang festhielt.
Roberts Sohn stolperte auf der anderen Seite des Spielfeldes immer am Rand der Bande entlang. Eine Formation Teenager mit Smartphones in den Händen und Stöpsel in den Ohren, schoben sich durchs Blickfeld. Robert verlor seinen Sohn für einen Augenblick aus den Augen.
Behutsam tastete er sich aufs Eis, dann stieß sich vorsichtig von der Bande ab. Als Kind war er viel auf Rollschuhen unterwegs gewesen. Heute stand er zum ersten Mal auf Schlittschuhen. Durch den Abstoß glitt Robert sachte über die spiegelglatte Fläche. "Noch stehe ich senkrecht" registrierte er zufrieden. Dann stemmte er die rechte Kufe seitlich ins Eis, fand jedoch keinen Halt. Nach einigen Versuchen wurde ihm klar, dass er die Kufe ein Stück von vorn aufsetzen müsste. Dann folgten eine Reihe zaghafter Schritte, bis er endlich seinen Sohn erreichte. "Gut gemacht“, lobte er sich im Stillen.
"Wie kommst du zurecht", wollte er seinen Sohn zu rufen, doch dieser stolperte bereits weiter voraus, fast rannte er mit kleinen, abgehackten Schritten über die glatte Piste. Je schneller er wurde, desto stärker rudern seine Arme in der kalten Luft. Sein Gleichgewicht schmolz dahin, dann stürzt er auf die gefrorene Fläche. Mütze, Jacke und Hose waren mit weißem Staub bedenkt. „Tritt das Eis nicht so, es tut ihm weh“, versuchte Robert zu scherzen. Sein Sohn schaute ihn ungläubig an. „Du musst mehr gleiten und nicht in kurzen Schritten rennen“, mahnte Robert. Dann half er ihm hoch, sorgsam bedacht, nicht selbst zu stürzen.
Robert wollte laufen, nicht auf dem Eis warten. Er wollte wissen, ob er es kann: Nach links und rechts schwingen und Runden drehen, so wie die anderen, bei denen alles ganz leicht aussah. Robert wollte seinen Rhythmus finden. "Ich bin gleich wieder da, nur kurz eine Runde drehen", sagte er kurz zu seinem Sohn. Dann nahm er, Schritt für Schritt, Fahrt auf. Nach einer Stadionrunde zog er den Reisverschluss seines Wander-Fleeces auf.
Roberts Sohn lag ausgestreckt auf dem Eis, alle viere von sich gestreckt. Ungeduldig betrachtete ihn Robert, er war enttäuscht. „Wieso macht er nicht, dass was ich ihm sage? Keine Hektik, den Schwung auf dem Eis nutzen. So schwer ist das nicht", grummelte er. Ein sechsjähriges Mädchen sauste mit ausgebreiteten Armen wie eine Eiskunstläuferin an ihnen vorbei. Roberts Sohn hatte sich den Arm gestoßen, er weinte und wollte raus auf die Bank, eine Pause machen. Die Schnürsenkel schleifte auf dem Boden hinterher. Das Band konnte er noch nicht alleine binden. Robert folgte ihm auf die Bank und schnürte den Senkel fest. "Darf ich noch eine Runde alleine drehen?", fragte er seinen Sohn. Dieser nickte still mit dem Kopf. "Mach ruhig, ich bleibe hier sitzen und warte auf dich". Ungeduldig kehrte Robert auf das Eis zurück. Seine Schritte wurden ausladender, leicht gebückt gewann er an Geschwindigkeit.
Plötzlich stand ein riesiger Glatzkopf im Weg. Hochaufgerichtet wie ein Bär und ohne Anstalten, Platz zu machen. „Geh aus dem Weg!", will Robert schreien, traute sich aber nicht. "Wieso macht der keinen Platz? Der muss doch sehen, dass ich nicht fahren kann“. Robert war wütend. Der Norweger-Pullover kniete auf dem Eis und hantierte an einer kleinen Pinguinfigur, die Kindern Halt bietet bei ihren ersten Gehversuchen auf dem Eis. Der Stahl seiner Kufe blitzte im Hallenlicht. In höchster Not bremste Robert seine Fahrt, steuerte hektisch um das Hindernis herum, um die rettende Bande zu erreichen. Doch sein Schwung war zu groß. Wie ein gefoulter Eishockeyspieler kracht er gegen die Kunststoffwand. Ein heller Schmerz zuckte durch die Kniescheibe. Der Norweger-Pullover schaute kaum hin, er tat so, als ob er nichts bemerkte. Robert beugte sich über die Bande. Ihm war egal, dass andere Läufer aufwendig um ihn herum navigieren mussten.
Auf der anderen Seite, auf der Bank, saß sein Sohn. Aufmerksam verfolgte er die Szene, nichts war ihm entgangen. Die Traurigkeit in seinen Augen war verschwunden. Robert klopfte verschämt Hose und Jacke ab. Dann tapste er in kleinen Schritten über das Eis zu ihm und ließ sich erschöpft auf die Bank fallen. Minutenlang saßen sie schweigend nebeneinander. "Wollen wir es zusammen versuchen?", bat Robert und streckte seine Hand aus.
Paul griff zu, der Schnee an seinem Handschuh lag eisig in Roberts Hand. Gemeinsam steigen sie aufs Eis und begannen sich zu bewegen, dicht hintereinander. Robert beobachtete Paul aufmerksam. Der tapste ungelenk voran, die Arme schwammen in der Luft, die Bewegungen wurden hektischer. Die Beine kreuzten sich übereinander bis die Knie einknickten und letztlich der Körper auf dem Boden sackte. Robert war sofort zur Stelle, um einzugreifen, soweit es ihm möglich war. Helfend griff er Paul unter die Arme und stellte ihn auf die Schlittschuhe. Dann wartete er geduldig, bis sie zusammen weiterkonnten. Während der Fahrt tastete Paul nach der Hand seines Vaters. So zuckeln sie Runde um Runde durch das Stadionoval. Andere Besucher liefen, sausten, schlenderten oder stolperten rechts und links an ihnen vorbei. Erst jetzt nahm Robert die Popmusik aus der Musikanlage wahr. Leise summte Paul die Melodie mit. "Wollen wir nach dem Schlittschuhlaufen Pizza essen?", fragte Robert. Der nickte langsam und sein Gesicht begann zu strahlen.