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Eis

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02.11.2001
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Eis

Sie wusste nicht mehr, wie die Sonne aussah, kannte keine freundschaftliche Umarmung und auch nicht den Duft frisch gebackenen Brotes. Hier gab es nichts als Eis, Fels und Dunkelheit. Sie hätte nicht sagen können, ob es Einsamkeit oder Kälte war, die ihr die größte Qual bereitete. Wie lange sie schon in ihrem eisigen Gefängnis saß, wusste sie nicht mehr. Waren es Jahre oder Äonen? Sie hatte keine Erinnerung daran, wer sie hierher gebracht hatte, oder ob es zuvor etwas gegeben hatte. Selbst Hoffnung war inzwischen kaum mehr als der Schatten einer Erinnerung.
Wann immer sie ihre Augen schloss, sah sie IHN, und dieses Bild quälte sie mehr als alles andere, mehr als Dunkelheit, Kälte oder Einsamkeit. Sie hielt ihre Augen fest geschlossen in der Hoffnung, der Schmerz würde ihr endlich das Herz brechen und sie töten.

Vor ihrem inneren Auge konnte sie sehen, wie er gekommen war, um sie zu befreien, wie ein strahlender Ritter auf einem edlen Schimmel. Er war bei ihr geblieben, so nah es ging, hatte gegeben, ohne zu fordern, hatte ihr sein Vertrauen geschenkt und das ihre erlangt. Er hatte dagestanden wie ein Brecher und sie von seiner Kraft zehren lassen.
Schließlich war die Hoffnung in ihrem Herzen aufgeflammt wie ein gewaltiges Schwert aus Feuer und Liebe, und obwohl die finstersten Mächte des Eises mit aller Gewalt der Hölle auf sie einstürmten, gelang es ihr, sich mit seiner Hilfe aufzurichten. Dann, als sie sich voll und ganz geöffnet hatte, als sie ihr ganzes Sein, alles was sie ausmachte, auf ihn gestützt hatte, als sie mit jeder Faser wusste, dass sie es jetzt, in diesem Moment gemeinsam schaffen konnten, ihr eisiges Gefängnis zu sprengen, drehte er sich ohne ein Wort um und ging fort.

Einsamkeit schmerzt unendlich viel mehr, wenn man Nähe kannte.

Ihre Kraft war aufgebraucht, ihr Herz endgültig zu Eis gefroren. Sie wartete darauf, zu sterben, doch der Tod mied sie ebenso wie das Leben.

 

Scheiße! Trotz der Kürze des Textes halte ich ihn für gelungen.

Allein das Wortspiel hat es mir angetan...

...Tod mied sie ebenso wie das Leben...

Der Schmerz muß tief sitzen! Ich kenne das auch, man offenbart sich jemanden, und dann... Verrat, Enttäuschung, der ganze Mist!

Man darf gespannt auf mehr sein. Vielleicht sogar etwas längeres, hm?

Sodele!

Poncher

 

Der Text hat wundervolle Bilder, es macht Freude, ihn zu lesen, aber die Aussage ist eher deprimierend.

Was lernt man von einem Ritter in einer glänzenden Rüstung auf einem edlen Schimmel, der in die falsche Richtung wegreitet?

Selbst 'nen edlen Schimmel anschaffen - und ein paar Waffen - und dann los ins Getümmel! Halali …und Kopf hoch!!! :)

 

Hui, das ging richtig nah!

Wundervoll geschrieben, Kompliment!

Hoffe mehr von Dir zu lesen. Diese Geschichte birgt eine Menge Ideen in sich. Weiter so! :thumbsup:

Grüße,
Maja.

 

Wow! :rolleyes:
*staun* - Freut mich enorm, daß Euch meine kleine Geschichte gefällt! Ich habe heute Nacht noch eine weitere reingestellt, die mir persönlich um einiges besser gefällt,(Darbelley) bin ja mal tierisch gespannt, ob die auch einigermaßen ankommt.
Muß mal nach älteren Werken kramen, aber ich fürchte, die sind wohl in meinem allgemeinen Chaos und nach zig Umzügen nicht mehr auffindbar...
Meine erste Kurzgeschichte "Das erste Mal" allerdings müßte noch in der Akte vom Jugendamt liegen...Ich war 17, lebte in einer Art Jugendwohnheim und schrieb - nicht was ihr Ferkel denkt!- eine Geschichte über den ersten richtigen Kiff-Flash... Kam gut an bei den anderen Bewohnern, aber war auch ziemlich schnell in meiner Akte verschwunden... :D

Na denn, danke nochmal und bis bald!
:p raven

 

He, da mußt du dich nicht wundern! Die Geschichte ist doch wirklich gut!

Hm... schön wäre es, wenn wir in unserer kleinen Gemeinde einen Raben hätten, der öfters mal vorbeischaut... und auch andere Geschichten liest und entsprechend "beantwortet". Hm?

Übrigens: "Das erste Mal"? Hatten wir das nicht schon? Fox "Poncher" Mulder ruft Dana "Anna" Scully! (Zur Not hätten wir auch noch Agent John "Mirko" Doggett)

Naja, nix für ungut, nicht wahr?

Sodele!

Poncher

 

@Poncher
ich schätze, das muß ich nicht verstehen, oder?
Klar schau ich jetzt öfter rein. Wo ich mich doch so freu, daß ich die Seite gefunden hab, die ist echt gut!
Bin schon jetzt auf Schlafentzug...Hab mich auch auf anderen Pages zu dem Thema umgesehen, aber da werd ich wohl nirgends Stammgast werden. Also: Dickes Lob an die Verantwortlichen!

Ob ich andere Geschichten kommentieren sollte? Na, ich weiß nicht, so als Neuling sollte man doch am Anfang besser Stiefellecken, oder? :D

Nein, nein, nur Spaß, ich hab schon echt gute Sachen hier gelesen (ich will mal noch keine Namen nennen) und überlege schon, wo ich als erstes meinen Senf dazugeben soll...

Bis denne
:p Raven

 

hallo raven,

ein toller Text, voll gedrungener Kraft. Vor allem hat es mir die imaginäre Gestalt des weißen Ritters angetan. Beinah denkt man hierbei an Klassisches und Romantisches, an Lohengrin. Die Begegnung mit diesem Menschen muss für die Protagonistin in unüberbietbarem Maße prägend gewesen sein. Hier wird Liebe verabsolutiert, ohne dass sie sich in konkreten Gesten ausdrücken muss. Und der Tod aus Liebe, der als letzte Möglichkeit der befreienden Sättigung einer unglaublichen Gefühlsanspannung eintreten müsste, lässt auf sich warten. Beinah ein Zustand, den sich Faust herbeisehnt: "Eine Speise, die nicht sättigt."

Noch einmal: ein toller Text!


Viele Grüße

Hans Werner

 

Hallo Anna,

vielen Dank für Deine Kritik, damit kann ich echt was anfangen! Auch wenn ich das mit den Bilder nicht unbedingt genauso sehe, das habe ich in der Diskussion, die Du im anderen Forum angeregt hast, schon begründet, aber so lernen wir ja, im Austausch und in der Diskussion, nicht wahr?

Übrigens: Nicht gemerkt? Kälte und Einsamkeit waren schon VOR dem Verrat durch den Möchtegernritter da...

Diese Wiederholung von bestimmten Sätzen oder Satzteilen ist tatsächlich eine Angewohnheit von mir, hab festgestellt, dass ich das sowohl in Geschichten als auch in Gedichten häufig mache (auch bei nicht so hübschen Wendungen;-)), allerdings hab ich noch nie wirklich groß darüber nachgedacht, (das sollte ich vielleicht mal tun!)
will schon etwas bezwecken, kann aber so aus dem Stehgreif gar nicht genau erklären, was.

@ Hans Werner:

*völligsprachlossei* :eek: ui!

also denn

eine verblüffte
:p raven

 

Ich hab Dir ja gesagt, ich lese die Geschichte nochmal, weil ich Dich jetzt RL kenne.
Nur ein kurzer Satz als Intro: Jetzt erreicht sie mich auch.

Im Prinzip wurde ja alles schon gesagt, nur noch ein Satz von mir:

Dein strahlender Held ist ja nun da. Pon-äh Ritter: Dreh Dich nicht um!

 

Hi raven!

Als ich Deine Geschichte las, war mir ganz schwummrig, und das verstärkte sich noch, als ich die Anzahl der Beiträge derer sah, die Dir Antwort gaben. Fast hätte ich mich als Anfänger gar nicht getraut, einen Kommentar abzugeben – aber ich bin MUTIG! Also hier meinen Senf zu Deiner Geschichte:
WUNDERBAR, TIEFGRÜNDIG, LEIDVOLL. Ich hatte auch vor, mal was zum Thema Einsamkeit, Enttäuschung, Kälte zu schreiben. Jetzt werde ich es lassen, Du hast alles gesagt, was ich nicht halb so gut hingekriegt hätte. Verneigung vor der Meisterin!
Freue mich auf mehr „Stoff" von Dir. Sandra

 

...
Was soll ich jetzt noch sagen, Raven?

 

Wow. Nach so langer Zeit noch eine Antwort... Danke für das Lob. :)

Was hast Du nur gegen traurige Geschichten? Also mir fällt es schwer, Geschichten zu schreiben, die nicht zumindest eine melancholische Grundstimmung haben.
Naja, wenigstens versuche ich, nicht allzu sehr in Kitsch abzurutschen (was mir hier, finde ich, nicht wirklich gelungen ist). :D

 

Also, ich mag auch traurige Geschichten :)!
Deine Sprache ist sowieso über jeden Zweifel erhaben, und Du malst mit Deinen Worten faszinierende Bilder.

 

danke... :shy:

dabei mag ich "eis" von meinen geschichten mit am wenigsten.

 

Die Story finde ich von der Idee her richtig klasse, weil der Leser zunächst so schon irregeführt wird - auch wenn ich mich bezüglich mancher Formulierung etwas schwertue, z.B. der hier: "Einsamkeit schmerzt unendlich viel mehr, wenn man Nähe kannte" - ich verstehe wohl, was Du damit sagen willst, aber der Satzbau wirkt auf mich leicht befremdlich. So ähnlich geht es mir auch noch an ein paar anderen Stellen.

"doch der Tod mied sie ebenso wie das Leben" - genial! - und das plappere ich jetzt nicht nach, denn als ich den Satz las, dachte ich: "Wow!", kurz und treffend (mag daran liegen, daß ich mehr Lyrik schreibe und auch lese - drum liiiiiiebe ich halt so auf den Punkt gebrachte Aussagen) ... doch ich gebe Anna vollkommen recht: einmal reicht! ;)

Was mich übrigens eher freudig stimmt: der Textumfang. Auch ich sage mir immer, daß in der Kürze die Würze liegt (Kürzen ist schließlich eine zeitraubende Kunst ;) ) ... da solidarisiere ich mich gern mit Dir, raven! ;)

 

@ Anja:

Jetzt hast Du mich auf Deine anderen Geschichten neugierig gemacht :)!
Übrigens auch von mir alles Gute für Deine Familie und besonders Deinen kleinen Sohn.

LG!
Tanja

 

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