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Einvernehmliche Trennung
"Und los!“
Samuel ließ sich in den Beifahrersitz plumpsen und warf, nachdem er eine Krawatte hervorgezogen hatte, sein Jackett auf die Rückbank. Dann schlug er die Tür zu und stellte die Aktentasche vor sich auf den Boden. Der Wagen rollte an und er begann sich den Schlips zu binden.
„Vielleicht sollten wir versuchen, in den letzten Stunden unserer Ehe halbwegs höflich miteinander umzugehen“, sagte Ina, während sie sich vorsichtig in den Verkehr einfädelte.
Als er nicht antwortete, setzte sie hinzu: „Aber was soll klappen, was die vergangenen fünfzehn Jahre nicht gut gegangen ist?“
Sie schien einigermaßen aufgeräumt, sogar gut gelaunt zu sein, auch wenn sie sich bemühte, dies nicht zu zeigen. Sie hatte das lindgrüne Sommerkleid mit dem Hammerausschnitt angezogen und dezent Schminke aufgetragen. War sie der Meinung, dass das etwas nützte? Glaubte sie wirklich, sie bekäme auch nur einen Cent von ihm?
Sein Anwalt hatte ihm klar gesagt: Das Beste, was er sich angetan hatte, damals, als er dies Flittchen hier heiratete, war der Ehevertrag gewesen, auf den er bestanden hatte. Nicht dass er zu der Zeit geglaubt hatte, ihn jemals brauchen zu müssen, heute hätte er seinen Anwalt reich beschenken mögen für dessen Hartnäckigkeit vor fünfzehn Jahren.
Ein Fußgängerüberweg – ohne abzubremsen hielt sie natürlich genau darauf zu. Der Alte, der sich im Weg befand, schaffte es gerade noch, zurückzuhechten. Ohne es zu wollen, stöhnte Samuel auf.
„Ich darf wenigstens noch fahren“, keifte Ina.
Er stöhnte noch einmal. „Aber ich kann fahren.“
Er hatte den Schlips endlich um bekommen und ließ sich nun nach hinten sinken.
Eine Mücke setzte sich auf seinen linken Unterarm und er wartete, dass sie es sich gemütlich machte. Gerade, als er ihr eins verpassen wollte, stach das Mistvieh zu und sauste davon. Sie war so flink, dass seine Hand nur den nackten Arm traf. Er stöhnte zum dritten Mal auf.
Stille breitete sich aus. Ina konzentrierte sich auf den Verkehr und er rieb sich den Arm, auf der sich jetzt schon eine Quaddel bildete. Er sah sich um, doch die Mücke konnte er nirgendwo entdecken. Seltsam.
„Es hätte soweit nicht kommen müssen“, sagte Ina leise.
„Die Ampel ist rot!“, antwortete er.
Sie ging nicht vom Gas und stieg kurz vor der Kreuzung in die Bremsen. Als der Wagen schaukelnd zum Halten gekommen war, blickte er zu ihr hinüber. Sie starrte immer noch angestrengt vor sich auf die Straße.
Er kratzte sich den Arm und musste lächeln.
Nur um auf den Busch zu klopfen, fragte er: „Wer war die Frau, bei der du gestern Abend warst?“
Ihr Kopf flog herum: „Guter Gott, spionierst du mir etwa immer noch hinterher?“
Er fuhr sich noch mal über die Quaddel. Das Ding juckte wie verrückt und war feuerrot.
Gut zehn Minuten noch bis zum Gericht – wenn man vernünftig fuhr.
„Ras’ nicht so, wir haben genügend Zeit!“
Immer den Überblick haben, hatte sein Anwalt gesagt und einen Detektiv engagiert. Das kriegen wir schon hin.
„Wer war’s denn nun? Neue Freundin?“
„Samuel, als ob dich das noch was anginge! Sag mir lieber, woher du dir das Recht nimmst, mir hinterher zu schnüffeln?“
Er konnte es nicht beschwören, aber die Pustel war eben noch ein ganzes Stück weiter rechts gewesen. Er hörte Ina nur halb zu, seine Aufmerksamkeit richtete sich ganz auf seinen Unterarm.
Aber es geschah nichts. Natürlich.
„Samuel, ich mach dir das Leben zur Hölle“, sagte sie. „Wenn du mich nicht in Ruhe lässt.“
Baby, Baby, dachte er. Ich habe eher das Gefühl, dass es umgekehrt ist.
Er sagte allerdings: „Ich weiß gar nicht, was du hast. Ich mach mir eben Sorgen um dich.“
„Pah!“ Sie stierte weiter geradeaus.
Er behielt misstrauisch die rote Beule im Auge, wobei er bemüht war, sie zu verdecken, damit Ina sie nicht zu sehen bekam. Warum hatte die blöde Mücke nicht seine zukünftige Exfrau stechen können. Soviel nackte Haut, das Vieh hätte mit verbundenen Augen getroffen.
„Wir haben Erkundigungen über sie eingezogen“, sagte er beiläufig.
Ihr Gesicht schnellte zum zweiten Mal herum. „Ihr habt...“
Da, das blöde Ding hatte sich doch bewegt! Unter seiner Hand hatte er ganz deutlich gespürt, wie die Beule ein kleines Stück weiter geflutscht war. Ein kleines Stück den Arm hinauf. Und gleich darauf noch einmal.
Und er stöhnte schon wieder.
„Was ist?“, fragte Ina. „Schau mich nicht so dämlich an! Das ist nicht nur eine Drohung! Ich zeig dich an.“
Er musste sich beruhigen! Gleichmäßig atmen, sich auf einen Punkt konzentrieren. Er betastete die Haut noch einmal vorsichtig und unauffällig. Nein, er hatte sich getäuscht. Das war eine ganz ordinäre Quaddel, die ihm von einer ebenso gewöhnlichen Mücke beigebracht worden war.
„Dein Kontrollzwang war schon immer zum Kotzen.“ Sie setzte den Blinker.
Er sagte: „Ohne Kontrolle würdest du heute noch munter rumhuren und mich zum Narren halten.“
„Ich sollte anhalten und dich rauswerfen.“
„Aber den Kern trifft es doch. Wo fährst du denn hin?“
„Abkürzung“, murmelte sie nur und er glaubte ihr schon wieder nicht. Er hatte eher den Eindruck, sie wolle Zeit schinden.
„Und, wer war das gestern Abend nun?“ Sie hatten genügend Zeit bis zu ihrem Termin, trotzdem gefiel es ihm nicht, dass Ina quer durch die Stadt mit ihm kurvte.
„Ach, komm!“ Der Radfahrer, den sie eben überholt hatte, musste von ihrem Luftzug ins Straucheln gekommen sein. „Geht dich doch nichts an, Samuel.“
Da hatte sie Recht. Der Privatdetektiv hatte die Frau sofort durchgecheckt. ..., gebürtige Haitianerin, seit über dreißig Jahren in Deutschland. Ein stinkreicher Deutscher hatte sie damals mitgebracht und geheiratet. Leider war er vor 25 Jahren an einem Herzschlag gestorben. Volkskrankheit Nummer eins in den westlichen Staaten.
„Als Beruf gibt die Frau Beraterin an“, sagte Samuel.
„Fick dich!“
„Da waren wir schon mal…“
Die Beule war fort!
Hektisch betastete er sich den ganzen Arm – sie war verschwunden.
„Was hast du denn? Sitz still, ich muss fahren!“
Sie war unterhalb seiner Schulter, auf dem Weg zur Brust.
„Scheiße.“ Er schrie, als er sie fand. „Scheiße, Scheiße!“
Das Ding lief unter seiner Haut entlang und hielt Richtung auf sein Herz.
„Verdammt, Samuel. Was hast du denn?“
„Oh Gott, das Ding“, konnte er nur brüllen. Er schlug sich auf die Brust, wollte diese Pustel erschlagen, doch er konnte nicht verhindern, dass es sein Herz erreichte.
Ina sagte: „Dass ich bei dieser Frau war, hat nun wirklich nichts mit dir zu tun.“
Und kurz bevor der Herzschlag ihn erwischte, dachte er, dass Ina ihn schon wieder belog.