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Einsamkeit

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20.10.2002
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Einsamkeit

Er wolle keine Verantwortung, sagt er. Er sei kein Mensch für Verantwortung, nicht einmal für sie, geschweige denn für ein Kind. Wenn sie das wolle, solle sie sich einen reichen Manager suchen und den dann heiraten.

Sie will keinen Manager. Sie will ihn. Seine Nähe und Zärtlichkeit. Sich in ihm verlieren können und seinen Trost, das Gefühl, dass er hinter ihr steht.

In ihr, seit einigen Wochen, ein neuer Mensch, der von ihrer und seiner Liebe zeugt. Entstanden durch bedingungslose Leidenschaft zum falschen Augenblick.
Er will sich nicht binden, seine Freiheit nicht aufgeben, sein Leben nicht ändern. Er hat nachgedacht, sagt er. Er sei kein Vater, sagt er.

Sie hat Tränen in den Augen. Legt vorsichtig seine Hand auf ihren Bauch. Er zieht sie weg, mit einem Ruck, blickt ihr in die Augen. Er will das Kind nicht. Er will sein Kind nicht.

Er hat sich abgewandt. Er will sich nicht ändern, er hat sich entschieden, sagt er, schiebt ihr ein paar Blätter zu. Unterlagen von Kliniken.
Sie blickt noch immer auf die Stelle ihres Körpers, wo das Kind wächst, nicht weiß, dass es um sein Leben bangen muss, auf die Stelle, wo eben noch seinen Hand lag. Eine große Hand, die einst voll Liebe ihre Wangen gestreichelt hat, sanft und gefühlvoll.

Wo ist dieses Gefühl jetzt? Er sitzt ihr gegenüber, blickt sie fordernd an, wartet auf ihre Entscheidung.
Eine Entscheidung für oder gegen ihn. Für oder gegen das Kind. Für oder gegen eine gemeinsame Zukunft.

Sie zittert, fühlt die kalte Leere in sich immer mehr hochsteigen. Für oder gegen. Wie kann er das nur fordern? Wie kann er fordern, das zu töten, was aus ihrer gegenseitigen Liebe entstand? Sie fährt über ihren Bauch, weiß, dass sich unter dem blauen Kleid Leben befindet.

Sie schüttelt unmerklich den Kopf. Nein, sie kann nicht. Sie kann nicht zur Mörderin werden, auch nicht für ihn, den Mann, den sie liebt.

Er steht ruckartig auf und verlässt ohne ein Wort das Zimmer. Sie hört die Wohnungstüre schlagen; er ist gegangen.
Sie sitzt noch lange, die Hände fühlend, ängstlich in sich horchend vor sich verschränkt.
Sie denkt zurück an die lauen Sommernächte der letzten Wochen, als sie sich liebten, eng umschlungen und zärtlich. Sie denkt an die Vertrautheit, an die Geborgenheit, die sie empfunden hat, bei diesem lebensstarken und liebevollen Mann, der für sie Zukunft bedeutet hat.
Die Zukunft.

Ob er wiederkommt, weiß sie nicht. Er wird sein eigenes Leben leben, ohne die Verantwortung, ohne die Liebe.
Ob er wiederkommt, ist egal; er wird nicht mehr der Mensch für sie sein, den sie so sehr gebraucht hätte. Gerade jetzt hätte sie ihn gebraucht.
Ihre Zukunft, ihre Hoffnungen, ihre Ängste... all das liegt jetzt in ihrem Schoß.

Das Kind hat soeben seinen Vater verloren.

 
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ich möchte anmerken, dass dieser Text bereits vor über einer Woche entstanden ist und keine direkte Stellungnahme zu dem Threat "Kindsweglegung" sein soll.

 

Hi Maus,

sehr einfühlsamer Text! Obwohl nicht viel geschieht, mußte ich immer weiter lesen, in der (vergeblichen) Hoffnung, dass er sich vielleicht doch noch für das Kind entscheidet oder zumindest um Bedenkzeit bittet - auch das wäre ein Hoffnungsschimmer gewesen....
Mir gefällt besonders der schnörkellose, teilweise lapidare Schreibstil, der das Ungeheuerliche der Situation noch intensiver macht.

Du hast, in meinen Augen, eine mutige Frau beschrieben, sie wird ihr Leben meistern. Diese Zuversicht vermittelst gekonnt du mit dem vorletzten Satz.

Besonders gelungen finde ich Deinen schlichten und dennoch dramatischen Schlußsatz.

Das Einzige, was ich ändern würde, ist der Satz: Sie kann nicht zum Mörder werden. Da würde ich "zur Mörderin" schreiben.

Gratulation und liebe Grüße
Barbara

 

Hallo liebe Maus!

Also erst mal zum Text. Gut, würd' ich sagen, vom Stil und von der Wortwahl her. Allerdings bergen so kurze Texte, mit derart emotional beladenen Themen immer die Gefahr, schwülstig zu werden und nach Taschenbuchliebesromanen a la "Brennende Leidenschaft" zu klingen. Die mit den halbnackten Männern vorne drauf. :) Das liegt aber für mich rein an der Momentaufnahme des Geschehens, in einem längeren Text käme es wahrscheinlich anders rüber.

Andererseits hat mich der Text zum Nachdenken angeregt (wofür man allein schon Pluspunkte austeilen muss).
Ich finde der Mann hat eigentlich nur eins getan: er hat abgetrieben. Natürlich nur im übertragenen Sinn, weil physisch ist das ja kaum möglich, sozusagen für sich und im Rahmen seiner Möglichkeiten. Und natürlich ist die Situation nicht schön, für keinen, aber wann ist Abtreibung schon schön? In dieser Hinsicht kann ich ihn verstehen, aber natürlich auch die Frau. Die Welt ist ein Jammertal.
Ich hoffe mein Geschwafel geht dir nicht auf die Nerven. Meine Kritiken arten meistens zu Diskussionen über die Lebenssituationen der Figuren aus, statt sich auf den Text zu konzentrieren. :silly: :)

mfg
Martin

ps. ist das eigentlich die Vorgeschichte zu jener anderen, mit der Mutter und ihrem Sohn im Wald? Die habe ich vor kurzer Zeit mal gelesen und kann sie nicht mehr finden... Ist die gelöscht?

 

Hallo Maus,

sie will „seine Nähe und Zärtlichkeit“ - immer noch, möchte man ergänzen. Wie groß muß ihre Liebe sein, wenn sie solche Gefühle(immer noch) hat? Was opfert er seiner vermeintlichen Freiheit? Eine Frau, die so Lieben kann.Wie oft wird Verantwortungslosigkeit mit Freiheit verwechselt, wie konnte sie ihn jemals lieb gewinnen?
Deine Geschichte ist sehr schön und einfühlend geschrieben.

Tschüß... Woltochinon

 

Hallo Maus

Eine immer wieder aktuelle Thematik, wie sie wohl Tag für Tag in Deutschland von zwei Menschen erörtert wird.

Du bringst die beiden Charaktere in kurzen, knappen Sätzen gut rüber. Dieser Stil gefällt mir ohnehin und Du setzt ihn gut ein

Zentrale Stelle ist für mich dies:

Wie kann er das nur fordern? Wie kann er fordern, das zu töten, was aus ihrer gegenseitigen Liebe entstand

Das ist die Frage, die sich, denke ich, viele Frauen in der Situation deiner Protagonistin stellen. Nun, wenn er ein ganzer Mann wäre, der richtige Mann, dann würde er nicht einfach weglaufen, sondern zu dem Kind stehen. Aber das ist ein anderes Thema

Ein kleinen Vorschlag hätte ich noch zu machen, statt:

Sie kann nicht zum Mörder werden, auch nicht für ihn, den sie liebt.

"Sie kann nicht zum Mörder werden, auch nicht für ihn, den Mann, den sie liebt"


Gruß
deMolay

 

Ich kann nicht umhin, dir zu dieser Geschichte von ganzem Herzen zu gratulieren. Sie ist sehr sehr schön geworden, Maus. Sie ist mit dem geschrieben, zu dem man Herz sagt, wenn der Bauch gemeint ist. Und umgekehrt.
Es braucht dazu nichts mehr sonst an Worten.
Ich möchte sie jedem hier auf kg. empfehlen. Es wäre dann für jeden deiner LeserInnen ein Dabeisein auf diesem klaren, wundervollen Weg, der derzeit deinen Stil prägt. Bitte weiter so!

Liebe Grüße - Aqua

 

Hallo Barbara!

Nein, kein Hoffnungsschimmer in dieser Geschichte. Ich denke, es ist leider zu oft Realität so... und... mit vollem Herzen wird dieser Mann nie hinter der Frau un ihrem gemeinsamen Kind stehen, wenn er nicht gehen würde, würde er die Vorwürfe und Forderungen vielleicht fortsetzen... Danke für Dein Lob, tut gut.

Hallo Martin!

Ich freue mich sehr, mal eine positive Kritik von Dir zu beommen, freut mich, wenn Du hier Stil und Sprache als angemessen empfunden hast. Du hast recht, im Rahmen seiner Möglichkeiten hat er abgetrieben. Es freut mich, wenn dier Text Dich nachdenklich gemacht hat. Ich glaube, der Text, den Du meinst, ist von der Schneeeule: "Wozu Dämme bauen?". (ein wunderbarer Text)ist also (leider) nicht meiner, nicht gelöscht. Passt schon irgendwie, ein bisschen, ... übrigens: welche Taschenbuchliebesromanen meinst Du? mit den halbnackten Männern vorne drauf!? ;)

Hallo Wolto!

Du hast recht, er opfert sehr viel. Er weiß es vielleicht nicht einmal. Vielleicht wird er es merken, in Stunden, Tagen, Wochen, Jahren. Auch er reagiert nur seinen Möglichkeiten entsprechend, kann nichts für seine lähmenden Gedanken, denke ich...

Hallo DeMolay!

Danke für Deine Gedanken. Wenn Dir der Stil gefällt, die Thematik Dich mitnehmen kann, freut es mich. Danke.

Hallo Aqualung!

Deine Antwort freut mich auch ganz besonders, lieber Aqua... ja... es ist viel Bauch drinnen... viel, was mir schwer fällt auszudrücken... ich freue mich sehr, wenn es mir gelungen ist, etwas davon zu vemitteln. Danke!

Ganz liebe Grüße an Euch alle... Anne

 

Hallo Maus,

kann mich meinen Vorednern nur anschließen, die Geschichte ist gut geschrieben und gelungen. Habe sie gern gelesen.
Dennoch, das Wort "Mörderin", auch wenn es die persönlichen Gedanken der Protagonistin sind, stösst schon arg auf.

Liebe Grüße
Marion

 

Hallo Maus!

Ein ernstes Thema. Es ist ja schon ziemlich viel zu dieser Geschichte gesagt worden. Ich kann mich den positiven Kommentaren nur anschließen.

Eines noch: Auf mich hat die Geschichte auch eine "erzieherische" Wirkung. Ich kann mich in die Prot. gut hineinversetzen und mir die Situation gut ausmalen. Das muss schrecklich sein. Für mich wäre sowas furchtbar.
Also, ich meine das klingt jetzt komisch, aber mich springt der Text förmlich an in Richtung: "Aufpassen!".

Naja. In diesem Sinn ... :thumbsup:

lg
klara

 

*auweihja* ja-ja, ich muss meinen senf auch noch dazu abgeben. *smile*

hi maus,

eine geschichte, mit der ich mal etwas anfangen kann :D !

schöne dramatik, schöne sprache, ganz maus.

leider habe ich ein aber.

er wird nicht mehr der Mensch für sie sein, den sie so sehr gebraucht hätte. Gerade jetzt hätte sie ihn gebraucht.

ich habe das zweifelhafte glück einmal gehabt, diese situation bei einer frau zu erleben. verlassen, weil sie schwanger war. liebesentzug.
die oben zitierte stelle ist nicht dramatisch genug. viel zu nüchtern, so wirkt sie plastisch - unnatürlich.
stelle dir es vor, ihre liebe geht. sie hört die tür ins schloss fallen, in dem moment bricht eine welt für sie zusammen. aber nicht in deiner geschichte. plastisch eben. zu wenig schmerz (das sage ausgerechnet ich, ich weiss *hehe*). die frau dürfte sogar ruhig auch ein wenig konflikt ausleben. (pro-anti-abtreibung).
in dem moment, als die tür ins schloss fällt, ist mir die geschichte zu wenig. nicht einmal tränen, die automatisch rennen - nichts.
was ich gut finde, aber das ist eine persönliche vorliebe, du hast mit dem ende ein klares zeichen gesetzt gegen die abtreibung, aber die entscheidung scheint in deiner geschichte zu leicht zu sein - zu schmerzlos. kannst du nachfühlen, was ich meine?
nachdem die tür im schloss ist .. sie muss aufspringen, seinen namen schreien. sich an ihren bauch festkrallen, etc!
trotzdem.
bis zu der stelle, in der der mann geht, finde ich die geschichte für sehr gelungen!
*sorry*
barde

 

Hallo Mayo!

Danke fürs lesen und die Antwort. Mörderin, ein hartes Wort, ja. Es muss nicht mein Gedanke sein, es ist der Gedanke der Frau, die sich eben für das Leben entscheidet.

Liebe Klara,

es freut mich, wenn Du nachvollziehen kannst, etwas mitnehmen. Die Situation ist mit Sicherheit für beide furchtbar....

Hallo Barde!

fein, wenn Du hiermit etwas mehr anfangen kannst und freut mich natürlich, wenn Dir zumindest der erste Teil gefallen hat.

die oben zitierte stelle ist nicht dramatisch genug. viel zu nüchtern
... ich weiß nicht... ich hab es mir vorgestellt. Ich glaube, in diesem allerersten Moment... zumindest denke ich so... ist es eher ein gelähmt sein. Ein total leeres, ungläubiges gelähmt sein in dieser neuen, unvorstellbaren Situation. Ich kann natürlich nur für mich sprechen, aber ich glaube, ich würd in dieser Situation nicht den Tisch umschmeißen, und schreien. Das kähme später, wenn ich begriffen hätte. ... dass die Tränen NICHT rinnen, steht nicht da...:) Du hast Phantasie...
ich wollte einfach eine "stille" Geschichte daraus machen, wenn Du verstehst? Danke, dass Du Dir so viele Gedanken gemacht hast... Eine Entscheidung FÜR das Leben. Auch meiner Ansicht nach ist es, wenn es möglich ist, die bessere.

liebe Grüße... Anne

 

Servus Maus!

Was mich besonders berührte an dieser wirklich sehr gut gestalteten Geschichte war die Szene in der das Kind um sein Leben bangen muss, dazu der Vergleich mit der Hand welche in der Erinnerung über ihre Wange gestreichelt hat. Das drückt alles aus. Wie ist es möglich, dass eine so zärtliche, sanfte Hand plötzlich abweisend, schroff und bitter wird. Tut weh den Moment dieser Erkenntnis nachzufühlen. Das was bleibt in dieser Geschichte ist eine Frau die plötzlich für zwei allein ist. Wer ist schuld? Ich weiß es nicht.

Lieben Gruß - Eva

 

Danke, liebe Eva... "Schuld" ist glaube ich ein ganz schwerer Begiff. Es wäre einfach, Ihm die "Schuld" zu geben, zu einfach. Ich denke, keiner von beiden kann in diesem Moment anders... es ist schwer. Auch er ist überfordert, sieht keine Möglichkeit, anders klarzukommen. Die Szene mit der HAnd... auch eine Szene der Hilflosigkeit, glaube ich. Danke für Deine Gedanken. Sehr schön Dein Satz "für zwei alleine".

ganz liebe Grüße... Anne

 

Hi Maus!

Wow, das ist ja echt ein guter Text! Ich kann mich meinen Vorgängern eigentlich nur anschließen; einfühlsam, schön, gut!

Nur den Schluß hier...

Ob er wiederkommt, weiß sie nicht. Er wird sein eigenes Leben leben, ohne die Verantwortung, ohne die Liebe.
Ob er wiederkommt, ist egal; er wird nicht mehr der Mensch für sie sein, den sie so sehr gebraucht hätte. Gerade jetzt hätte sie ihn gebraucht.
Ihre Zukunft, ihre Hoffnungen, ihre Ängste... all das liegt jetzt in ihrem Schoß.

Das Kind hat soeben seinen Vater verloren.


hätte ich weggelassen. Es hört sich besser an, wenn Du mit "Die Zukunft." aufhörst, finde ich... ;)

Aber ich muß echt sagen; bin beeindruckt! Vor allem Dein Stil gefällt mir.

Griasle,
stephy

 

Hallo Stephy!

Danke für Lob und Antwort, freut mich. Tja, der Schluss... ich denke, ich werde ihn so lassen, wegen:

er wird nicht mehr der Mensch für sie sein, den sie so sehr gebraucht hätte. Gerade jetzt hätte sie ihn gebraucht.
hauptsächlich. Aber mal überlegen...

schöne Grüße, Anne

 

Hallo Maus,

ich finde, du hast die Gefühle gut rübergebracht. Nicht theatralisch, mit Hin- und Herbrüllen, nicht zu sentimental - eben grade angemessen.

Allerdings, auch mich stört etwas am Schluss. Vielleicht ist es der letzte Satz. Der klingt wie ein Kommentar des Autors, eine philosophische Bemerkung, die nicht zu der Verstörung der Frau passt, finde ich.

Grüße,
dein leixoletti

 

Hallo Leixoletti!

Danke fürs lesen und den Kommentar. Ja, ich wollte nichts theatralisches, kein rumgebrülle, ich wollte etwas leises. Ich freue mich, wenn Du es so empfindest. Der letzte Satz... ich verstehe, was Du meinst. Ich werde mir überlegen, vielleicht nehme ich ihn raus. Allerdings... ich weiß nicht, stört er wirklich so arg? *grübel*

liebe Grüße, Anne

 

Hi Anne,

auch wenn ich mich wiederhole: Mir gefällt der letzte Satz sehr! Bitte, bitte nicht löschen!!!!

Liebe Grüße
Barbara

 

Hallo Maus,
deine Worte lassen uns an der Küste stehen, in die schwarzen Wasser sehen und die Schmerzen fühlen die eine solche Entscheidung heranspült. Ein ganz harter Text, der mich traurig machte. Aber im letzten Satz läßt du es ein wenig gut werden, das Kind lebt.
Auch mutig, diese Worte zu schreiben.
Feelings eben, Gefühle pur
Alles liebe *******Merlinwolf**********

 

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