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Einsamkeit und Liebe
Pamela Holt ließ sich seufzend auf die Parkbank fallen und kramte in ihrer Tasche nach der Brotdose. Dann biss sie lustlos in ihr Körnerbrot mit Käse. Sie hatte so gar keinen Hunger und würde viel lieber sofort nach Hause gehen und mit Sammy, ihrem neuen Welpen spielen. Sie hatte ihn vor zwei Wochen von einer Freundin geschenkt bekommen, da diese wegen dem neuen Job ihres Vaters – leider - umziehen musste und in der neuen Wohnung keine Haustiere erlaubt waren. Wenn sie jetzt jedoch zum dritten Mal hintereinander ihr Essen unberührt von der Schule wieder mit nach Hause brachte, würde ihr das ordentlich Stress mit ihrer Mutter einbringen. Angeblich würde sie nämlich zu wenig essen. Ha! Dass sie nicht lachte, sie aß so viel, wie sie Hunger hatte und das war noch alles im Normalbereich. Vielleicht lag es daran, dass ihre Tante an Magersucht gestorben war. Und Mrs. Holt machte sich noch heute, fünf Jahre später, Vorwürfe, dass sie als große Schwester besser hätte aufpassen müssen. Die Schuldgefühle hatten sich verringert, nachdem ihre Mutter vor eineinhalb Jahren einen Selbstmordversuch unternommen hatte und in eine Klinik eingewiesen und behandelt wurde. Mittlerweile ging sie nur noch wöchentlich zu einer ambulanten Therapie. Dennoch war sie stark darauf bedacht, bei ihrer einzigen Tochter den vermeintlichen „Fehler“ nicht noch einmal zu begehen.
Pamela blickte sich kauend in der Umgebung um. Diesen Park kannte sie, seit sie klein war. Am Wochenende ging sie hier meist joggen. Hinter der Bank wuchsen verschiedene Büsche, vor ihr war ein künstlicher Kiesweg angelegt worden, und wenn sie ihren Blick vom Boden hob und einige Meter weiter sah, schaute sie auf einen kleinen See. Die Sonne spiegelte sich auf dem ruhigen Wasser und Pamela strich sich stöhnend über die Stirn. Das war definitiv der heißeste Tag des Jahres. Hoffentlich gab es bald ein kräftiges Gewitter, damit es sich endlich abkühlte. Die Schwüle war unerträglich. Die Bäume hinter ihr spendeten keinen Schatten.
Plötzlich hörte sie links von sich Schritte im Kies knirschen. Als sie ihren Kopf in die Richtung drehte, entdeckte sie einen Jungen in ihrem Alter, vielleicht ein bisschen älter. Man, war der attraktiv. Pamela war so erstaunt, dass sie sich an ihrem Brot verschluckte und anfing zu husten. „Rauch noch eine“, meinte der fremde Junge amüsiert. „Ich rauche nicht“, antwortete sie kläglich. Sie hasste Zigaretten, von dem Geruch wurde ihr immer übel. Pamela musste schlucken, als sie dem Jungen ins Gesicht sah, und hustete erneut. Verdammt, wie sie dieses Kratzen im Hals hasste. Der Fremde lachte auf. Grr… Einerseits hätte sie dem Typen gerne mal ihre Meinung gesagt, andererseits schüchterte er sie mit seinem nahezu perfekten Aussehen irgendwie ein. Normalerweise war sie ja schlagfertiger.
„Darf ich mich setzen?“ „Ähh… klar.“ Verflucht, sonst war sie wirklich selbstsicherer. Sie lächelte leicht. „Ich bin Nick“, stellte er sich vor. Oh mein Gott! Ein Junge stellte sich ihr vor. So etwas war ihr noch nie passiert – ihr Herz machte einen Sprung und ihr Magen drehte sich. „Ich bin Pamela“, erwiderte sie und schluckte den Rest des Brotes hinunter – zum Glück ohne sich zu verschlucken. Komischerweise wurde ihr übel. Sie hätte doch nichts essen sollen. Pamela war sich der Nähe des Jungen deutlich bewusst und ihr wurde noch schlechter. Da kapierte sie, was los war. Ihr wurde immer schlecht, wenn sie aufgeregt oder nervös war. Und in diesem Moment war sie extrem nervös, aber auch gleichzeitig total happy.
„Es freut mich dich kennenzulernen“, meinte Nick. Pamela lächelte und guckte ihn an. Seine Gesichtsausdruck war freundlich. Und seine Augen, die waren unglaublich: Er hatte ein blaues und ein grünes Auge. Das hatte sie bisher nur bei Huskys gesehen. Das Mädchen stellte fest, dass sie diesen gut aussehenden Typen mit einem Hund verglich, und lachte auf. Nick schien verwirrt. Aber was in ihrem Kopf vorging, konnte sie ihm unmöglich sagen. Allerdings rutschte ihr etwas viel Schlimmeres raus: „Deine Augen!“
Er zog seine Augenbrauen hoch, dann meinte er: „Also Bella hat Edward anfangs auch auf seine Augen angesprochen. Nicht einmal ein halbes Jahr später war sie von ihm schwanger.“
Uff! Was wollte er denn damit jetzt sagen? Pamela fragte ihn einfach.
„Wäre das kein Leben für dich?“, fragte er.
„Die Schwangerschaft? Ich bin erst 17!“, antwortete sie empört.
„Bella war 18.“
„Sag mal: Woher weißt du das eigentlich alles als Junge?“
„Willst du das wirklich wissen?“
Pamela nickte und stellte sich auf das Schlimmste vom schlimmsten ein: Er war schwul. Was wirklich ein Jammer wäre bei dem hübschen Gesicht und dem muskulösen Körper. Er erinnerte sie ein wenig an ihren Lieblingsschauspieler. Aber die Antwort, die dann kam, übertraf ihre schlimmste Erwartung: „Twilight ist immer die beste Art Mädchen klar zu machen.“ Pamela klappte der Mund auf. DAS war deutlich gewesen. Sie drehte sich um, um sich zu vergewissern, dass er wirklich sie gemeint hatte und nicht jemanden hinter ihr. Nick schien ihre Gedanken lesen zu können: „Keine Sorge. Ich meinte dich.“ Er lächelte – man hatte er ein schönes, freundliches und offenes Lächeln, völlig entwaffnend. Sie senkte verlegen den Blick.
„Na Kleines, wir wollen uns doch nicht in dein Schneckenhaus zurückziehen.“ Er rutschte näher an sie heran und legte seinen Arm um sie. Man, der traute sich ja was. Pamela erschauderte unter der Berührung und wusste das ihm ihre Reaktion auf sein Verhalten nicht entgangen war. Aber er war diplomatisch genug kein Wort darüber zu verlieren. „Hey…“ Er hob ihr Kinn, sodass sie ihn ansehen musste. “Du weinst ja!“, meinte er erschrocken. Es stimmte, sie weinte tatsächlich. Das Mädchen wusste selber nicht genau warum. Irgendwie war die ganze Situation zu viel für sie. Noch nie hatte jemand mit ihr so direkt geflirtet.
Das, was jetzt passierte, konnte sie sich selber nicht erklären. Eigentlich war sie nicht so zutraulich. Wahrscheinlich lag es an der Atmosphäre, die voll von Vertrauen und Nähe war. Nick beugte sich zu ihr und küsste ihr sanft die Tränen von den Wangen. Pamela seufzte und ließ sich in seine starken Arme sinken, schloss die Augen und genoss glücklich den Moment.
Als sie ihre Augen wieder öffnete, war sein Gesicht nur wenige Zentimeter von ihrem entfernt. Das Mädchen sah direkt in seine unterschiedlich farbenen Augen und fühlte sich magisch von ihm und seinen Körper angezogen. Er beugte sich noch näher vor und sie schloss erneut ihre Augen. Sie fühlte sich wie elektrisiert, Schmetterlinge tanzten in ihrem Bauch. Als seine Lippen ihre leicht berührten, kitzelte es.
Ein Donner schreckt Pamela aus ihren Gedanken auf und der Junge neben ihr verschwand. Es wäre ja zu schön gewesen, wenn Nick real gewesen wäre. Aber wie sooft hatte sich die 17-jährige in ihrer eigenen Traumwelt verloren. Doch jetzt war sie wieder in der Realität gelandet. Und zwar ziemlich abrupt – verdammtes Wetter. Sie hasste Gewitter genauso wie sie es hasste mit 17 Jahren immer noch keinen Freund gehabt zu haben.
Frustriet blickte sie zum Himmel auf – und erschrak. Der blaue Himmel war verschwunden und nun von grauen Wolken überzogen. Pamela schüttelte den Kopf, dabei merkte sie, dass ihre Wangen feucht waren. Sie hatte tatsächlich geweint. Mist, sie war viel zu tief in ihre eigene, kleine Welt abgetaucht. So etwas war ihr noch nie in der Öffentlichkeit passiert. „Das ist deine Schuld, Nick“, brummelte sie leise. Es donnerte erneut und es wurde langsam windig. Das Mädchen beschloss nach Hause zu gehen.
Während sie über den Kiesweg ging, wurde der Wind stärker und zerrte an ihrem blauen Kleid. Sie zitterte leicht, es wurde kalt. Pamela ging einen Schritt schneller und wurde von Blättern bombardiert. Der Wind war nahezu unerträglich. Es donnerte schon wieder und dann fing es an zu regnen. Ausgerechnet heute hatte sie ihren Regenschirm zu Hause gelassen. Binnen weniger Minuten war sie völlig durchnässt. Wäre bloß Nick hier, aber Nick war nur eines von vielen Produkten ihrer eigenen Fantasie. „Verdammt!“ Es folgten einige weniger nette Schimpfwörter. Pamelas Laune war im Keller. Sie musste niesen. „Ich sehe es noch kommen. Ich erkälte mich hier noch“, fluchte sie. Genervt strich sie sich ihre nassen blonden, schulterlangen Haare aus dem Gesicht. Ihre Finger waren danach schwarz: Ihr Augen Make-up war völlig verschmiert. Sie fuhr fort vor sich hinzuschimpfen.
Ein lautes Krachen ließ sie zusammenzucken. „Was war das?!“ Natürlich erhielt sie keine Antwort. Sie stellte sich vor, dass Nick schützend den Arm um sie legte. Aber sie war – wie so oft in letzter Zeit, seit ihre beste Freundin fortgezogen war – allein. Als sie um die Ecke kam, keuchte sie auf. Erschrocken erstarrte sie zu einer Statue. Vor ihr brannte es lichterloh. Eine der zwei riesigen Eichen, die als inoffizielles Eingangstor des Parks galten, war von einem Blitz getroffen, umgekippt und hatte die andere Eiche mit zu Boden gerissen. Beide Bäume brannten nun und versperrten den Ausgang. Wie sollte sie jetzt bloß nach Hause kommen? Pamela bahnte sich mühsam einen Weg durch das Gestrüpp, das noch kein Feuer gefangen hatte. Der immer stärker werdende Wind riss an ihr und den Sträuchern um sie herum. Oftmals musste sie auf dem Boden kriechen, um den Ästen auszuweichen und einen Weg zu finden. Es dauerte Ewigkeiten, bis sie sich endlich einen Weg zur Straße gebahnt hatte.
Doch kaum hatte sie diese Hürde überwunden, traf sie der nächste Schock: Die Stadt war ein einziges Durcheinander. Menschen liefen schreiend wahllos in der Gegend herum, Bäume wurden entwurzelt, Gegenstände flogen durch die Luft. Pamela konnte sich kaum aufrichten, so stark zerrte der Sturm an ihr. Eine Stimme von einem alten Mann übertönte das allgemeine Geschrei: „Die Welt geht unter! Lissy, mein Schatz, ich komme!“ Das Mädchen zuckte zusammen, als ihr die Wahrheit seiner Worte bewusst wurde. Das hier war kein normales Unwetter mehr. Das hier war schlimmer. Viel schlimmer. Es schien das Ende zu sein. Ganz in ihrer Nähe kippte ein Baum um und erschlug einen Mann, der sich gerade versucht hatte in Sicherheit zu bringen. Pamela schrie entsetzt auf und fing an zu weinen. Das war zu viel für sie. Sie wollte zu ihrer Familie. Entschlossen bahnte sie sich einen Weg durch die Menschenmassen. Urplötzlich explodierte ein Haus in ihrer Nähe. Vor ihr fielen Trümmerteile zu Boden. Sie stürzte. Als sie wieder aufstand, blickte sich das Mädchen hektisch um und sah überall in erschrockene und verstörte Gesichter. „Mama!“, schrie ein kleiner Junge und zeigte auf eine tote Frau am Boden, dann fing er an zu weinen. Bei Pamela drehte sich alles. Die Welt war einfach nur ungerecht. Sie versuchte so schnell es ging weiterzukommen. Zum Glück wohnte sie nicht weit vom Park entfernt.
Doch als sie in ihre Straße bog, traf sie der nächste Schock: Ihr Haus war nicht mehr da. Dort wo es mal stand, klaffte ein riesiges Loch. Wo waren ihre Eltern?
Als Mr. Holt von der Arbeit nach Hause kam, fing es an zu regen. Normalerweise mochte er Gewitter, aber heute hatte er sich eine Menge Arbeit aus dem Büro mitgenommen und wollte zu Hause in Ruhe weiterarbeiten. Im Büro wurde nämlich zurzeit umgebaut und der Baulärm brachte ihn noch um den Verstand. „Hallo Schatz!“, rief er, als er die Tür aufschloss. Keine Antwort. Nur Sammy kam ihm schwanzwedelnd entgegen. Mr. Holt streichelte den Hund kurz und suchte dann seine Familie. Er fand seine Frau vorm Fernseher. Die Bilder, die er dort sah, gefielen ihm gar nicht: schreiende Menschen, einstürzende Hochhäuser und ein Unwetter, wie er es bisher nur in Filmen gesehen hatte. „Wo ist das?“, fragte er. Doch Mrs. Holt antwortete nicht, sondern bedeutete ihm nur, er solle ruhig sein. Jetzt kam die Nachrichtensprecherin ins Bild: „Wie wir so eben erfahren haben, ist Chicago nicht die einzige Stadt, die von einem so großen Unwetter heimgesucht wird. Nahezu alle Bundesstaaten berichten von demselben Phänomen. Besonders schlimm scheinen Los Angeles, Dallas und New York betroffen zu sein. Und auch außerhalb der USA wütet ein in dieser Form noch nie gesehenes Unwetter.“ Es folgten kurze Bilder von Athen, Berlin, Sydney und Kapstadt. Alle zeigten ein und dasselbe Chaos. „Viele Menschen sprechen vom Weltuntergang. Geographen haben diese Unwetter nicht vorhersagen können. Ich stehe hier neben Mr. Gilbert, einem Wetterexperten.“ Die Kamera schwenkte und zeigte einen älteren Mann mit Schnäuzer und Brille. „Mr. Gilbert, was halten sie von den jüngsten Ereignissen? Ist dies die Apokalypse?“
Mr. Holt ging zum Fernseher und schaltete ihn aus. „Wir müssen hier verschwinden. Ist Pamela schon zu Haus?“
Seine Frau schüttelte den Kopf.
„Verdammt! Wir müssen trotzdem gehen.“
„Ich gehe nicht ohne meine Tochter!“, meinte Mrs. Holt empört.
„Wir müssen aber fliehen. Du hast es selber gesehen, was da draußen vorgeht. Hier regnet es mittlerweile auch. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis unsere Stadt nur noch ein Trümmerhaufen ist.“
„Aber Pamela…“ „Unsere Tochter ist alt genug, um auf sich selber aufzupassen!“
„Nein! Das kannst du nicht ernst meinen. Ich soll mein einziges Kind in einer Stadt zurücklassen, die dem Untergang geweiht ist?“
„Ja.“ Mr. Holt merkte, dass er sehr hart mit seiner Frau sprach und ging zu ihr, um ihr zu erklären, was er meinte. „Schau mal, Gillian: Pamela ist 17 Jahre alt und kann auf sich selber achtgeben.“
„Ich bin ihre Mutter, James! Wie kannst du als Vater nur so etwas Unverantwortliches von dir geben!“
„Denkst du denn wirklich, dass sie das gewollt hätte? Das wir hier auf sie warten und dabei wohlmöglich sterben werden? Du weißt, wie aufopferungsvoll unsere Tochter ist. Sie würde es ihr Leben lang bereuen, wenn wir nur ihretwegen gestorben sind.“
Er sagte seiner Frau nicht, dass keiner aus der Familie eine große Überlebungschance hatte, wenn sie nicht auf der Stelle losfuhren. Und selbst dann wusste er nicht, wohin er fahren sollte, wenn alle Städte so verwüstet waren, wie die, die er im Fernsehen gesehen hatte. Er lächelte seine Frau aufmunternd an. Seine Worte schienen sie zwar nicht vollständig überzeugt zu haben, aber immerhin stand sie auf und meinte: „Wir können ja schon mal zum Auto gehen. Wir werden sie ja sehen, wenn sie kommt.“ James nickte zustimmend. Draußen jedoch stellte er fest, dass sich aus dem Gewitter ein riesiger Sturm entwickelt hatte und wenn sie nicht sofort losfahren würden, gar keine Chance mehr hätten. Davon wollte seine Frau allerdings nichts hören. Mr. Holt überlegte krampfhaft nach einem überzeugenden Argument, während der Regen seinen ganzen Anzug durchnässte. Genervt zog er sein Jackett aus, um ein wenig Gewicht von den Schultern zu bekommen. Aber viel half das nicht. Wahrscheinlich lag es daran, dass das Gewicht nicht auf ihm, sondern in ihm lastete. Er hatte eine schwere Entscheidung zu treffen: Ohne seine Tochter fahren und seiner Frau das Leben retten oder auf seine Tochter warten und seine ganze Familie ins Verderben reißen. Er entschloss sich für Ersteres und meinte: „Vielleicht ist Pamela auch mit Freunden geflohen und wir warten hier völlig umsonst.“ Das schien Gillian zu überzeugen. In der allgemeinen Panik hatte sie wohl vergessen, dass Pamelas einzige und beste Freundin umgezogen war. Sie setzte sich in Auto. Bevor Mr. Holt auf der Fahrerseite einstieg, blickte er sich ein letztes Mal um – und entdeckte zwischen zertrümmerten Häusern und schreienden Menschen seine Tochter. Aber er hatte keine Zeit mehr auf sie zu warten. Er stieg ein und gab Gas. Gerade noch rechtzeitig: Das Haus der Holts war das nächste, das zusammenbrach.
Hektisch blickte sich Pamela in der Umgebung um. Nein, das durfte einfach nicht wahr sein. Ihre Eltern durften nicht tot sein. Da! Sie entdeckte das Firmenauto ihres Vaters. Er war gerade dabei einzusteigen. Sie schrie und winkte – aber mit durchdrehenden Reifen entfernte sich das Auto. Pamela war so entsetzt und verwirrt, dass sie gar nicht recht begriff, was mit ihr geschah. War sie wirklich zurückgelassen worden? Einsam und allein? Verzweifelt fing sie hemmungslos an zu weinen. Was sollte sie jetzt bloß tun? Sie musste mit ansehen, wie ein kleines Mädchen einfach vom Boden gerissen und ziellos in der Luft herumgewirbelt wurde. Hektisch suchte sie sich etwas, voran sie sich festhalten konnte. Dort: eine Laterne. Sie kam nur langsam voran. Der Wind schien von allen Seiten zu kommen und schien ihren Körper in einzelne Teile zerreißen zu wollen. Jeder Schritt war mit Anstrengung verknüpft. Der Regen drückte sie zu Boden und kurz bevor sie die Laterne erreicht hatte, wurde diese vom Sturm erfasst und gegen ein noch stehendes Haus geworfen. Pamela wusste sich nicht mehr zu helfen. Sie verstand nicht, warum ihr Vater weggefahren war. Er musste sie doch gesehen haben. Und ihre Mutter? Warum hatte sie nichts gesagt? Sie hatten sie einfach verlassen. Ihr eigenes Leben war ihnen wichtiger gewesen als das ihrer Tochter. Wie hatte es ihr Vater nur geschafft, ihre sonst so überbesorgte Mutter aus der Stadt zu schaffen, ohne ihr Kind mitzunehmen? Pamela hoffte nur, dass sie es schaffen würden. Dann würde sie hier wenigstens nicht ohne Grund auf dem Boden liegen und auf Erlösung hoffen. Der Wind schien sich noch einmal gesteigert zu haben. Sie hatte das für ausgeschlossen gehalten. Ihre Haut schien ihr vom Körper gerissen zu werden, alles tat ihr weh.
Plötzlich hörte sie einen Aufschrei, der all den Lärm übertönte. Mühsam schaffte sie es ihren Kopf zu drehen und sah direkt in den Tornado, der auf sie zugerast kam. Eigentlich wollte sie die Augen schließen, um diesen Untergang nicht sehen zu müssen, aber sie war vor Panik erstarrt und konnte sich nicht bewegen. Der Tornado ergriff sie, wirbelte sie wie wild durch die Gegend und ließ sie einige Kilometer entfernt leblos zu Boden fallen.