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Einsamer Spaziergang II

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22.03.2006
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Einsamer Spaziergang II

Sobald ein Mensch aufbegehrt, wird er plattdrückt, oder anders gesagt, er bleibt ein Herdentier, was sich fügen muss, will es nicht ausgestoßen und sich selbst überlassen bleiben. Das ist ein Axiom. Die Frage bleibt nur, wer stößt wen aus, oder hat sich schon mal jemand selber ausgestoßen? Und hier beginnt die ganze Malaise, die ich mein Leben lang bekämpft habe und auch weiterhin bekämpfen werde. Das ist meine Bestimmung, dafür lebe ich. Denn wer fragt nach dem Opfer, das, auf diese Weise den Haien zum Fraß vorgeworfen, dazu verdammt ist, fortwährend gegen den Strom zu schwimmen und diesen Umstand auch noch vorgehalten bekommt? „He, du da, warum schwimmst du ständig gegen den Strom?“ pöbelte jüngst Sablotny, ein widerlicher Zyniker mit dem Phlegma eines Portiers, der es nicht wert ist, näher beschrieben zu werden. Nun denn, grölt nur, winselt vor Vergnügen, während ich mich zum Narren mache. Ich tue es gern, so lange es euch gefällt. Doch eines werdet ihr nicht, mir die Gewissheit meiner Einzigartigkeit nehmen, die viel einzigartiger ist als eure jemals sein kann, weil mein Wille allein mir gehört und sich keiner billigen Vorteilshascherei beugt. Darauf bin ich stolz und kann es auch sein. Wird das freilich missverstanden ist das nicht mein Problem. Das schreie ich allen selbsternannten Apologeten ins Gesicht, die mich nur deshalb öffentlich diffamieren, weil sie sich weigern, das anzuerkennen. Darum nochmals: Ich lasse mir meinen Stolz nicht nehmen, er ist mein Kapital und Garant meiner Würde und meines Selbstverständnisses.

Ich weiß, wovon ich rede und bin bestimmt kein Held. Doch wenn mich heute jemand fragte, ob ich wieder so handeln würde, selbst auf die Gefahr, damit zu scheitern, lautete meine Antwort ohne zu zögern: ‚Ja und nochmals ja, weil ich so bin, wie ich bin und gar nicht anders kann!’ Und warum? Weil wir alle Dreck sind, unwürdige Nichtsnutze, die sich ständig etwas vormachen, in Wahrheit aber gar nicht anders können als zu müssen, was sie sollen, doch niemals was sie wollen. Was nützt alle Logik und Vernunft, wenn sie die Leidenschaften hemmt?

Leidenschaft bedingt Spontaneität. Sie führt zu gelegentlichen Schwankungen des Urteilsvermögens bis hin zur Entschlussunfähigkeit. Die daraus resultierenden Verstimmungen sind nur natürlich, werden aber als unnatürlich empfunden. Da bekommt so ein Sablotny den ganzen Tag das Maul nicht auf. Doch kaum betritt der Chef das Zimmer, lächelt er honigsüß und wird ganz redeselig. Wird sein Lächeln dann noch erwidert, wird er angriffslustig und beginnt mir wer weiß was vorzuwerfen. Und was er nicht alles hervorkramt, erstaunlich sein Gedächtnis. Aber warum erst jetzt, obgleich die ganze Zeit Gelegenheit war? Ganz einfach, weil es nicht vorteilhaft gewesen wäre, ergo, sein Herdentrieb ihn dazu zwingt. Deshalb ist er nichts anderes als ein mieser kleiner Bratapfel, also nicht so, wie er sich gibt, sondern so, wie er meint, sich geben zu müssen. Allein darauf kommt es ihm an, nur so besteht er. So gibt es durchaus viele Bratäpfel, vielmehr als uns lieb sein kann, die allein um ein Bestehen kämpfen, unter anderen Umständen aber ganz verträglich wären, wenn es ihr Herdentrieb nur zuließe. Zum Ausbruch fehlt ihnen freilich der Mut. So gesehen sind sie mehr Opfer als Täter, denn sie treiben wie Halme in der Strömung. Niemals werden sie in einen Strudel geraten, liegen immer auf Kurs. Weshalb sollte ich sie verurteilen, da ich sie doch verstehe, vielmehr als sie sich selber? Wenn ich also vor ihnen ausspucke und etwas Unanständiges rufe, dann nicht, weil ich ihnen, sondern mir böse bin. Ich bin es, der sich außerstande sieht, diese Missverständnisse aufzuklären, obgleich es meine Pflicht wäre als jemand, der von seiner Höhe auf die Zusammenhänge herabblickt und sie doch nicht ändern kann.

Nur so ist es zu erklären, dass ich, je tiefer ich in diese Sache drang, zu völlig neuen Einsichten gelangte, an deren Ende ein tiefes Bedauern ob des eigenen Unvermögens stand, freilich ohne das mein Stolz darunter litt. Im Gegenteil, plötzlich betrachtete ich mein Bedauern nicht mehr als Schwäche, sondern als Stärke, ja als eine Erhöhung meiner selbst. Entzückt sah ich in den Spiegel und werde den Ausdruck in meinem Gesicht nicht vergessen. Von da ab stand fest: Ich würde es tun, würde mich bei ihm in aller Form entschuldigen, denn ich alleine besaß die Kraft zu einer solchen Hochherzigkeit. Noch am selben Abend ließ ich mir von Ayshe einen Briefbogen und einen Stift reichen, setzte mich an meinen Schreibtisch und verbat mir jede weitere Störung. Ich kann gar nicht beschreiben, mit welchem Genuss mir die Worte von der Feder flossen, in denen ich die ganze Komplexität dieser Divergenzen aufdeckte, dass er, davon war ich überzeugt, vor Verwunderung und Ehrfurcht nachgerade erstarren musste. Dabei blieb ich durchaus sachlich, was die Sache betraf, verständnisvoll, was das Verständnis und leidenschaftlich, was die Leidenschaft anlangte, kurzum, ich schrieb wahrhaftig, wie man wahrhaftiger kaum schreiben konnte und doch mit keiner Silbe unterwürfig, d.h. wenn auch respektvoll, so doch bestimmend und auf Augenhöhe. Auch wenn ich kein Schriftsteller bin, hatte ich am Ende das Empfinden, ein überaus durchgeistigtes Werk erschaffen zu haben, von dem man einen Abzug getrost einem Verleger hätte senden können (und nicht Kurzgeschichten de.). Ich wagte die Folge nicht zu überdenken, denn was, so fragte ich mich, geschähe, wenn er die ganze Tiefe der darin steckenden Weisheiten begriff? Müsste er nicht zu tiefst beschämt zu mir aufschauen und alle Lügengeschichte, die er in der Vergangenheit über mich verbreitet hatte, sofort widerrufen? Und ich, der ich so weit über ihm stand, könnte ich dann nicht in meiner unendlichen Großmut verzeihen und ihm versöhnend die Hand reichen mit der Hoffnung auf fortan ewigen Frieden? Zugegeben, diese Vorstellung paralysierte mich. Spätestens da stand fest, dass ich gar nicht mehr anderes konnte, als etwas zu wollen, das ich besser nicht sollte.

Doch als es endlich so weit war und mein Gedankenstrom verebbte, ernüchterte mich ganz anderer, völlig banaler Umstand, den ich bis dahin noch gar nicht bedacht hatte. An wen sollte dieser Brief adressiert werden? Sein richtiger Name war mir entfallen und an ’Bratapfel’ konnte man ihn kaum senden. Gewiss wusste ich noch, wo er wohnte, zumindest damals. Aber was, wenn er zwischendurch verzogen wäre? Ich mochte gar nicht daran denken. Vielmehr war ich mir sicher, dass mir sein Name schon wieder einfiele, würde ich ihn erst auf dem dortigen Klingeltableau lesen. Zunächst erwog ich für einen Moment, Ayshe damit zu beauftragen. Doch da sie ohnehin etwas begriffsstutzig und zudem des Deutschen kaum mächtig ist, beschloss ich, die Sache selber in die Hand zu nehmen. Das behagte mir zwar nicht, aber das Risiko war es mir wert. Nun denn, obgleich es mit meinem Befinden nicht zum Besten stand - ich kämpfe schon seit Tagen mit einer Diarrhöe -, hielt es mich nicht mehr länger zu Hause und ich machte mich bereits am nächsten Morgen auf den Weg, hin zu jener Straße, die ich noch in Erinnerung hatte, übrigens einer typisch Neuköllner Gegend mit grauen Häusern, viel Lärm und wenig Grün. Ich erreichte auch bald das Haus, wo er meiner Erinnerung nach wohnte. Doch mein Vorhaben stand unter keinem guten Stern. Ausgerechnet dort guckte eine alte Frau mit schlohweißem Haar aus einem der oberen Fenster und schien auch demnächst nicht wegzugehen, das erkannte ich am Plüschkissen auf dem Fenstersims. Zu allem befand sich unten in Parterre auch noch ein ziemlich schmuddeliger Dessousladen, den es zu meinen Schulzeiten noch nicht gab. Wie sollte ein Mann dort längere Zeit verweilen können, ohne aufzufallen? Am liebsten wäre ich umgekehrt und hätte die ganze Sache verworfen. Doch die Leidenschaft duldet keinen Einwand und gekränkte Eitelkeit ist bekanntlich die unduldsamste Leidenschaft. Was blieb mir, als die betreffende Haustür zunächst aus sicherer Entfernung zu observieren und dabei auf ein günstige Gelegenheit zu warten.

Ich hatte mich für einen Hausflur schräg gegenüber entschieden. Er lag etwas versteckt hinter einem Baum und bot einen idealen Einblick. Ich postierte mich also im Durchgang hinter dem Standflügel des Zugangstores, welcher durch eine trübe Scheibe einen Ausblick auf die Straße gestattete und war gerade dabei, mich bequem zu positionieren, als von irgendwoher ein kleiner grauer Pinscher gesprungen kam und mich fortwährend boshaft ankläffte. Himmelherrgott! Der trommelte das ganze Haus zusammen! Ich wollte ihm schon einen Tritt versetzen, da ertönte vom Hof eine Stimme, worauf er sich trollte. Im Flur erschien ein unscheinbares Männlein im grauen Arbeitskittel, einer von jenen unermüdlichen, die ständig unermüdlich sind, ohne recht zu wissen, warum, kurzum, ein echter Sablotny. Natürlich hielt er es für seine Pflicht zu wissen, was ich hier trieb und würde nicht eher weichen, bevor er es wüsste. Nur so ist es zu erklären, wieso er sich mit dem Anleinen so viel Zeit ließ und auffallend laut mit dem Hund sprach, während er wiederholt zu mir hinschaute, als wollte er sagen: ‚nach Freundchen, was treibst du denn hier?’ Mir war das, wie man sich wohl denken kann, nicht gerade angenehm, und ich hätte ihm am liebsten nicht weiter beachtet. Andererseits wollte ich aber auch keinen Ärger, nicht jetzt und schon gar nicht hier. Deshalb deutete ich großmütig eine kleine Verbeugung an, als Empfehlung sozusagen, und tat so, als erheitere mich sein kleiner Pinscher. Den hatte er mittlerweile auf den Arm genommen, zog jedoch weiterhin ein äußerst finsteres Gesicht, was seine Physiognomie nicht unbedingt verbesserte. Sei es drum. Niemand hatte mir vorzuschreiben, wo ich sein, bzw. nicht sein durfte. Viel angebrachter wäre es gewesen, diesen verdammten Köter anzuleinen, damit der nicht den Hausflur verunreinigt oder fremde Leute belästigt. Ich wollte ihm das schon sagen, als mir plötzlich, weiß der Teufel warum, eine geradezu tollkühne Idee kam. Warum, so meine Überlegung, sollte ich diesen Burschen nicht um einen kleinen Gefallen bitten? Ich würde mich auch erkenntlich zeigen, und wenn er ein richtiger Sablotny wäre, würde er dafür bestimmt empfänglich sein. Folglich nahm das Unheil seinen Lauf. Ich begann also einen längeren Monolog, wobei ich mich zunächst über das Wetter und den langen Winter ausließ, verlor mich dann in vielen liebenswürdigen Reden über diese schöne Gegend, die Leute und vor allem die wachsamen Mieter hier. Erst ganz am Ende flocht ich ganz unverbindlich mein kleines Anliegen ein, wobei ich ihm mit zwei, drei Worten erklärte, wie die Sache stand, ergo, dass es mir aus gewissen Gründen selber nicht möglich wäre, da mir meine Ehre als Mann usw. usf.. Doch anstatt das zu verstehen und seine Feindseligkeit mir gegenüber endlich aufzugeben, beargwöhnte er mich weiterhin wie einen gewöhnlichen Strauchdieb, schaute zum Laden rüber und schien irgendwelche unsinnigen Assoziation herzustellen, die nun wirklich jeder Grundlage entbehrten. „Oh, nicht was sie vielleicht denken“, stellte ich sogleich klar. „Es geht allein um einen alten Schulfreund, der dort wohnt, niemals würde ich ...“

Ich hatte diese letzten Worte kaum ausgesprochen, als eine ältere, ziemlich beleibte Frau schnaufend das Treppenhaus heruntergepoltert kam. Schon von weitem begrüßte sie diesen Wicht, welcher den Gruß auch gleich erwiderte und ihr, zu meinem Entsetzen sofort eröffnete, was ich ihm mehr oder weniger soeben vertraulich gesteckt hatte, nämlich‚ dass dieser Herr hier (dabei wies er mit schiefem Grinsen auf mich) unbedingt in das Haus gegenüber wolle, sich aber nicht traue. Ich war wie vor den Kopf geschlagen. War der denn völlig von der Rolle? Zu allem Unglück meldete sich auch noch mein Darmproblem und zwang mich in eine unbequeme Haltung.

„Wie ist das möglich?“, wollte die Dicke gleich wissen und kam interessiert heran. Man mag mir glauben, dass mir in diesem Moment heiß und kalt wurde, denn mit einer solchen Wendung konnte nun wirklich niemand rechnen. Ich weiß nicht, was mich daran hinderte, die Sache nicht spätestens hier zu beenden, denn ich sah klar, dass ich mich immer mehr verrannte. Dabei wäre es ein Leichtes gewesen zu erklären, sich mich im Hausflur geirrt zu haben. Man hätte höflich um Verzeihung bitten und nach einer freundlichen Verabschiedung die Herrschaften wieder verlassen können. Aber nein, ich handelte wie ein törichter Junge, obgleich ich bereits da schon wusste, wie töricht es war.

Aber was tut man nicht alles, wenn die Leidenschaft die Gedanken benebelt. Also begann ich noch einmal haarklein alles zu wiederholen, nur dieses Mal mir mehr Dramatik und konnte entschieden nicht begreifen, warum ich das tat. Im Gegensatz zu ihm schien sie jedoch arglos und fand das alles ’urkomisch’. Damit nicht genug, sie nannte mich ’ulkig’ und kicherte fortwährend, indes ich nicht recht wusste, was ich davon halten sollte. Auch Sablotny grinste jetzt. „Na, sagen Sie mal, Sie genieren sich ja. Hast du das gesehen, Kurtchen, er wird ja richtig rot, und das alles wegen so einer Lappalie. Ist er nicht süß? ... Geben Sie mir ihren Arm, nun machen Sie schon ... Na, sehen Sie ... So, und nun werden wir gemeinsam rübergehen und nachsehen. Vielleicht finden sie dann Ihren Bekannten.“ Noch bevor ich mich versah, hatte sie mich auf die Straße gezerrt und ich fand mich mit ihr Arm in Arm auf der anderen Straßenseite. Die Alte, die noch immer oben aus dem Fenster guckte, drohte fast herauszufallen Wir mussten ein unmögliches Paar abgegeben haben, denn die Dicke, die wesentlich kleiner war als ich und bei jedem Wort aufschauen musste, gackerte in einer Tour über die eigenen Witzeleien, als wären wir schon lange bestens bekannt, indes ich steif wie eine Brechstange keine Miene verzog und stur geradeaus starrte, allein, um diesen Eindruck zu revidieren. Noch immer fühlte ich mich völlig überrollt, zudem plagten mich üble Leibschmerzen, doch das war nichts gegen die Furcht vor einer spontanen Begegnung mit Bratapfel. Unentwegt fixierte ich die Haustür in der Hoffnung, sie möge sich nur nicht öffnen. „Was haben Sie denn?“ zwitscherte sie unterdessen, offenbar über meine Blässe verwundert „Ist es denn wirklich so schlimm? ... Geben Sie her.“ Und schon nahm sie mir mein Notizblock aus der Hand und begann die Namen vom Klingeltableau abzuschreiben, dabei laut mitsprechend: „Cetinkaya, Comanoglu, Üztür, Kuyumcu ... Aber hören Sie, da sind keine Deutschen dabei, alles Ausländer. Ist es auch wirklich das Haus?“ Damit nicht genug. Sie trat jetzt einige Schritte zurück, legte die Hände wie ein Schallrohr an den Mund, um besser hörbar zu sein und keifte nach oben zu der Alten hin, dass es die ganze Straße hören konnte, ob sie nicht wisse, usw. usf. Die neigte sich auch gleich herab, verstand zum Glück aber nicht. Man mag mir glauben, ich war mehr tot als lebendig. Warum nahm sie mir nicht gleich den Ausweis ab und plakatierte meine Personalien an der Hauswand?

„Wir können höchstens noch mal im Laden fragen“, erschreckte sie mich erneut. Und bevor ich etwas einwenden konnte, hatte sie auch schon die Tür aufgerissen und mich in den Verkaufsraum geschoben. Zum Glück war gerade kein Kunde anwesend, lediglich hinter der Kasse stand eine aufgedonnerte Blondine mit üppiger Löwenmähne und fingerdicken Make-up im Gesicht, die bei unserem Eintritt recht verwundert guckte. Um nun zu verhindern, dass das Missverständnis noch ärger wurde, riss ich mich von meiner Peinigerin los und stürzte zum Verkaufstisch hin, dabei weder nach rechts noch links schauend und begann mich sofort mit stockender Stimme zu erklären. „Sie werden die Störung entschuldigen, aber ich, wirklich, ich weiß nicht, wie... und dabei ist mir das alles schrecklich peinlich... also die Sache ist die, dass ich ... ich bin hergekommen und weiß nicht so recht, ob es der rechte Zeitpunkt...“ An dieser Stelle merkte ich, dass ich mich in den Unsinn redete. Aber die Anwesenheit der Dicken, die sich erneut einzumischen drohte, irritierte mich derart, dass ich keinen klaren Gedanken fassen konnte. „Gnädigste,“ wandte ich mich entnervt an sie und wies unmissverständlich zur Tür „wenn sie die Freundlichkeit hätten, aber die Sache geht wirklich nur mich an.“

Daraufhin färbte sie sich tiefrot, was mich jeden Moment eine schallende Ohrfeige befürchten ließ. Vermutlich war es nur der Anwesenheit der Blondine zu danken, dass es nicht so weit kam. Jedenfalls bekam sie einen dicken Hals, schnappte noch nach Luft und drohte zu platzen. Dann wandte sie sich aber ab und verließ mit einem schnippischen „Pah!“ das Geschäft. Dabei knallte sie noch die Tür zu, dass es bis in die oberen Etagen schallte. Ich stand wie betäubt, die Sinne drohten mir zu schwinden, aber die Situation war einfach zu absurd. Eben noch von der Übermacht dieser unmöglichen Person zu Boden gedrückt, euphorisierte mich ausgerechnet jetzt diese Blondine und das bestimmt nicht nur wegen des fehlenden Stadtplanes und eines herbeispringenden Gemüsehändlers. Das war doch gar nicht möglich! Ich war völlig durcheinander und vergaß sogar, wo ich mich befand. Wie konnten heiß und kalt nur so dicht beieinander liegen? Und dabei spielten die überall herumliegenden anstößigen Accessoires bestimmt keine Rolle. Sie maß mich indes etwas abschätzig, was mich umso mehr beleidigte, als ich dabei unzweifelhaft die Worte: ‚Was bist du denn für einer?’ in ihren Zügen lesen konnte. Man mag mir glauben, wie liebend gerne ich ihr jetzt alles erklärt hätte, wonach sie mich – davon war ich überzeugt - mit Sicherheit kaum mehr für irgendjemanden hielte, alleine ihre blauen Augen verhinderten es. Wie konnte sie mich nur so verkennen? Kein Wunder, dass ich ins Schwitzen kam und mir von allem Luft machen musste, irgendwie. Noch immer das Notizbuch umkrampfend, mit wirrem, schweißverklebten Haaren an den Schläfen, fand ich zwar meine Stimme wieder, konnte mich jedoch nicht recht verständlich machen. So redete ich und redete, wie man es nur um des Redens willen tut. Nach einer Weile fragte sie mich, ob mir nicht ganz wohl sei. Ich erschrak, ob der Absurdität dieser Frage und wehrte natürlich lachend ab, vermochte jedoch meine Lockerheit nicht zurückzugewinnen und geriet nun völlig aus dem Konzept. Erst jetzt begriff ich die Ursache meiner Konfusion. Sie lag weder an meinen Kopfschmerzen, noch an der Abwesenheit der Dicken, als vielmehr der herben Attraktivität dieser Dame, die mich irgendwie faszinierte, so sehr, dass ich plötzlich um jedes Wort verlegen wurde, es möglichst stilvoll, d.h. kultiviert herauszubringen gedachte und mich vermutlich gerade deshalb besonders schwer tat. Sie schien das auch zu merken, denn sie meinte schließlich mit einem verständnisvollem Lächeln, ich solle mir keine Sorgen machen und es würde schon alles gut. Davon war ich auch überzeugt, nur bedurfte es dafür einer klitzekleinen Auskunft. Das schien sie auch zu erahnen, als sie fragte: „Ja, worum geht es denn?“ Erst da merkte ich, dass ich die ganze Zeit etwas wesentliches vergessen hatte.

„Also kurz, es geht um - Bratapfel“ polterte ich von Neuem los. „Ich kenne ihn leider nur als Bratapfel, tut mir leid, ich meine, nur unter diesen Namen, und er hat hier früher mal gewohnt, das weiß ich genau. Nun wüsste ich gern, wo er jetzt wohnt, anderenfalls wäre ich nicht hier. Da ich es aber nicht weiß, nun ja .... deshalb brauche ich seinen Namen, den richtigen, meine ich, doch den weiß keiner, deshalb, nur deshalb bin ich hier, verstehen Sie?“

„Wie jetzt?“ Sie änderte die Tonlage. „Mal eins nach dem anderen, Jungchen: du suchst also jemanden und dieser jemand hat hier mal gewohnt.“ Ich nickte, ohne mich im geringsten an dem plötzlichen Du zu stören. „Und er ist Deutscher in deinem Alter.“ Ich nickte wieder und kam mir wie ein Trottel vor. „Warum sagst du das nicht gleich. Da gibt es eigentlich nur einen und zwar den Güntner.“

Nachdem sie diesen Namen gesagt hatte, war ich wie paralysiert. Günther – Günther Steinberg, genannt Bratapfel, das war’s! Endlich hatte ich es. Ich wusste gar nicht, was ich sagen sollte und hätte sie am liebsten umarmt, obgleich mir ihr schnodderiger Ton zunehmen missfiel. Doch jetzt, da alles gut zu werden schien, wurde ich innerlich gelöster und fand die Kraft, ihr zusammenhängend und flüssig zu erzählen, wie es sich im einzelnen verhielt. Natürlich unterdrückte ich dabei jeden Anflug von Selbstlosigkeit und betonte primär unser schwieriges, aber doch im Grunde loyales Verhältnis, also warum die Dinge so standen, wie sie standen und nicht wie sie hätten möglicherweise stehen können, wenn nur die Umstände, ja diese verdammten Umstände ... und dabei wäre es durchaus an mir gewesen, das wüsste ich genau, wenn, ja wenn ... doch, was solle man tun, wenn man ...

Sie hörte sich das alles geduldig an. Doch je länger ich redete, um so größer wurde ihr Missbehagen. Ihr anfängliches Lächeln verschwand und ich hatte schon bald das unangenehme Empfinden einer plötzlichen tiefen Antipathie, die mir gnadenlos entgegenschlug. „Ach nee, und diesem Kerl willst du einen solchen Brief schicken?“, fauchte sie und verwirrte mich erneut. „Das hat der doch gar nicht verdient. Weißt du eigentlich, was das für einer ist?“ Ich verstand noch immer nicht. Doch was ich nunmehr erfuhr, verschlug mir die Sprache. Demnach handelt es sich um niemand anderen als ihren Ex, der ihr erst ein Kind gemacht, sich dann aber schnöde verzogen habe, so ein Hallodri, weiterhin, dass er von staatlicher Alimentation lebe, sich um laufende Zahlungspflichten drücke und dennoch überall einen Starken markiere. Immer wieder suche er Spielcasinos auf und verzocke jeden Euro, anstatt seinen Verpflichtungen nachzukommen. Auch bei der Polizei sei er schon hinlänglich bekannt. Übrigens suche man ihn derzeit, und wenn ich wüsste, wo man ihn finden könne, wäre sie dankbar für einen Hinweis.

Ich war fassungslos und, was das Schlimmste war, ich kam mir plötzlich schrecklich dumm vor, so dumm, dass ich selbst einen Sablotny beneidete. Deshalb hatte ich nur noch den Wunsch, das Ganze so schnell wie möglich zu beenden. „Oh, oh“, stammelte ich. „Oh, das habe ich nicht, das ist alles etwas viel, aber ...“ In diesem Moment wurde mir schwarz vor Augen. Ich fühlte noch, wie mir die Beine wegknickten. Dann herrschte Stille.


*****

 

Nu Freithal,

zu Zeiten, als Telefonieren noch Geld kostete, klebte ein Spruch auf den Telefonhäuschen: "Fasse dich kurz."

Ist wohl aus der Mode gekommen in den Jahren, Telefonhäuschen gibst ja auch kaum mehr.

Ich hatte mich gefragt, warum bisher noch niemand einen Kommentar zu dieser Geschichte abgeben hat. Nachdem ich mich bis zum Ende durchgearbeitet habe, weiß ich es. Mit einer Reihe von Dingen, machst du es den Lesern nicht leicht.

Ein paar Randnotizen hierzu:

Erstens halte ich die Rubrik Satire für unangebracht. Du hattest zwar vielleicht einen Heidenspaß damit, einen sich extradoof verhaltenden Protagonisten zu erfinden (ich hoffe mal, das alles ich nicht real!) aber dem Text fehlt jede bissige Schärfe. Zu behaupten, es zieht sich wie ein ausgelutschter Kaugummi ist reichlich untertrieben.

Und dann noch der philosophische Einleitungsteil vorneweg ... du hast zwar dokumentiert, dass du ein Mensch bist, der sich Gedanken macht, vielleicht Prinzipien hat (und wenn das nicht du sein solltest, dann dein Protagonist zumindest) aber die Form, die äußere Form ohjehojeh ... Wer soll soetwas bis zu Ende lesen?

Wenn man dann alles Formale und schwer verdauliche mal weglässt und nur den Inhalt destilliert, dann bleibt übrig: Verkorkster Typ will Entschuldigungsbrief bei altem Kumpel abliefern und findet heraus, dass der ein echtes Arschloch (geworden) ist. Das wars.

Und was lernen wir daruas? Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt.

Keine Ahnung, ob du gedenkst die Geschichte noch irgendwie aufzumöbeln, aber falls du es vor hast, sind massive Streichungen das Mittel der Wahl. Und bitte denke an deine (potentiellen) Leser.

Bitte nimm diese harte Kritik nicht persönlich,

LG,

N

 

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