Einsamer alter Mann
Gemessenen Schrittes spazierte der einsame alte Mann querdurch den Park.
Allmählich wurde er des Lebens überdrüssig, zahllose Wunden musste seine Seele hinnehmen, allesamt überlebt, jede neue Verwundung hatte ihn stärker werden lassen.
Auffallend gefühllos geworden in Fortdauer der Jahre, er sprach mit niemanden, beharrlich für sich allein sein, das war nun einmal sein Lebenssinn.
In gleicher Weise wollte er auch an diesem Tag wieder seine gewohnte Ruhe, er setzte sich auf seine vertraute Parkbank und genoss die letzten Strahlen der untergehenden Sonne.
Wie jeden Abend, wenn er sich an glücklichere Zeiten erinnerte, träumte er auch heute wieder in sich hinein, bis ihn ein leises Knirschen jäh aus seinen Gedanken riß.
Leicht irritiert aber beherrscht den Kopf zur Seite drehend, sah er, wie eine zierliche ältere Dame auf der Nebenbank Platz nahm.
Sie schaute ihn mit ihren großen, rehbraunen Augen an, der staunende Blick ließ sein Herz höher schlagen, von Neugier erfüllt, stand er auf und ging zögernd auf sie zu.
Allerdings war sie davon ein bißchen verängstigt, unverzüglich stand sie von ihrer Bank auf und eilte vor ihm weg.
Ein Stückchen des Weges versuchte er mit ihr Schritt zu halten, aber sie war schneller, die Angst durch ihm ließ es aussehen als könne sie fliegen.
Schon am nächsten Tag trieb es den einsamen alten Mann wiederum in den Park,
er wollte sehen nach der ängstlichen alten Dame, ob sie wieder da war, und richtig, sie sass auf der Nebenbank und schaute zu ihm hin.
Als er im Begriff war, ihrer Bank sich zu nähern, stand sie abermals auf, eilends verließ sie den Park.
Niedergeschlagen rief er ihr nach, sie möge doch stehenbleiben, er wolle doch nur einige Worte mit ihr plaudern, bloß ein Gedankenaustausch, aber sie schien noch immer verschüchtert zu sein.
Tagelang bot sich die selbe Darbietung, bis eines Tages die Neugier der alten Dame doch zu groß wurde, sie blieb auf ihrer Bank sitzen, mit verschreckten Augen schaute sie den einsamen alten Mann an, er ging langsam auf sie zu und lächelte sie an, seine Augen bekamen einen seltenen Glanz.
Befangen lächelte sie zurück, schüchtern nahm er auf ihrer Bank Platz, sie war noch immer verschüchtert, nur schrittweise konnte er sie überzeugen, dass er zwar ein ihr Unbekannter sei, aber doch nur ein paar Worte mit ihr austauschen möchte.
Beide trafen sich nun in Folge jeden Tag am Eingang ihres Parks, wenn sich einer verspätet hatte, so wartete geduldig der andere, sie spazierten gemächlich zu seiner Parkbank, die jetzt zu ihrer wurde, und schauten gemeinsam der untergehenden Sonne zu.
Oft blickte er sie von der Seite heimlich an, seine Augen bekamen dabei einen seltsamen Schimmer, ein richtiges Strahlen, allen Anschein nach hatte sich der einsame alte Mann verliebt.
Sie war noch etwas unsicher, aber ihre Ängstlichkeit war verschwunden, sie lernte ihn von einer Seite kennen die er allen anderen verschwiegen hatte, sie hätte ihn verletzlich gemacht.
Allmählich, wenn sie ihn schon von weiten am Eingang des Parks warten sah, fingen auch ihre Augen an zu glänzen, fühlten doch beide, wie sehr sie sich in den letzten Tagen lieb gewonnen haben.
Alle Leute im Park sahen die beiden nur noch gemeinsam auf ihrer Parkbank sitzen, sie wurden zu einer Vertrautheit, man freute sich ehrlichen Herzens über ihr spätes Glück.
Der alte Mann, glücklich und nun nicht mehr einsam, gelobte seiner neuen Liebe, er werde immer für sie da sein, sie schaute in seine Augen und spürte das er es ehrlich meinte.
Die Sonne ging langsam unter und warf ihre letzten Strahlen auf ihre nun gemeinsame Parkbank, und als der alte Mann zärtlich ihre Hand nahm, wußte beide im gleichen Augenblick, in ihren letzten Lebensabschnitt nie mehr alleine und einsam zu sein.
Seite an Seite waren sie sehr glücklich und zufrieden, sie liebten sich auf ihre Weise und nichts auf der Welt konnte sie trennen.
Trotz allem, leicht gemacht wurde es dem alten Mann auch nicht, es war anstrengend mit dem Gebrechen des Alters, mit einer Krankheit zu leben, eingeweiht, das Lebensende naht.
Behütete das Unausweichliche und drohende Schicksal, er tat alles, um ihr sein Mysterium zu verbergen, doch irgendwie spürte sie seinen Kampf, die Spuren in seinem Gesicht vermochte sie schon vorausahnend zu deuten.
Die starke Liebe zu ihr war es, die in oft tagelang, freilich auch mit Mithilfe der vielen Medikamente, nur mühsam auf den Beinen hielt, dessenungeachtet versuchte er alles, damit es ihr nur gut ging und sie nichts von seinem Kummer mitbekomme.
Dennoch bemerkte sie, während des gemeinsamen Spazierganges, wie sehr sein Gang unsicher und die Schritte langsamer wurden, er zitterte am ganzen Körper.
Sie war froh, als sie endlich ihre Bank erreichten, behutsam half sie ihm beim Hinsetzen, so, das er an einer Lehne ein wenig Halt finden konnte.
Gar nicht wohl bei dem Gedanken, ihn alleine zurückzulassen, aber er brauchte dringend Hilfe, darum ließ sie ihn heute alleine auf ihrer gemeinsamen Bank sitzen, eilte davon um schnell zu einer Telefonzelle zu gelangen um einen Arzt zu rufen.
Der alte Mann blieb traurig zurück.
Er vermisste sie sehr, er vermisste auf einmal ihre Nähe, aber er verstand, es ging nicht anders, er war zu schwach mit ihr zu gehen, um Hilfe zu holen.
Sein starker Wille hielt ihn noch ein wenig wach, ein wenig träumte er noch vor sich hin, er sah sie dann vor sich, er sah ihre rehbraunen Augen, er hörte ihre zärtliche Samtstimme, er spürte wieder, wie sehr er ihre Nähe, die Wärme ihres Herzens, vermißte, und wie schrecklich es war, ohne sie zu sein, er senkte traurig den Kopf und Tränen rollten aus seinen Augen.
Oftmals dachte er, er könne keineswegs mehr leben ohne ihr, in Gedanken versunken erschrak er, sie sitzt gar nicht neben mir, dann erinnerte er sich doch wieder, sie ist ja unterwegs um Hilfe zu holen, ein wunderbares Zeichen, wie sehr sie ihn doch auch lieben muss, und er versuchte aufzustehen von ihrer gemeinsamen Bank um ihr entgegen zu gehen, die letzten Sonnenstrahlen streiften noch einmal die Parkbank ehe die untergehende Sonne sich hinter dem Horizont verabschiedete.