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Einsam

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08.04.2003
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Einsam

Stockdunkel. Zu jeder Jahreszeit wäre es jetzt dunkel, aber jetzt ist es zudem auch noch kalt. Eiskalt. Ich hasse den Winter. Kalte Luft, eisiger Wind, trüber Himmel, nichtssagend, eine einzige schmutzigweiße Schicht über uns. Keine Wolke, kein Blau, kein Sonnenstrahl. Nicht hell, nicht dunkel. Deprimierend. Ein paar wenige schöne Tage, die man an zwei Händen abzählen kann. Und das alles drei, vier Monate lang. Kalte Hände, trotz Handschuhen, rauhe Hände, rote Nasen, Haare, die durch die Heizungsluft fliegen, unförmige Menschengestalten, vermummt mit dicken Pullovern, Jacken, Mänteln und Schals.

Es ist halb zwölf. Nachts. Mitte Dezember, keine zwei Wochen bis Weihnachten, doch an weihnachtliche Stimmung ist nicht zu denken. Ich laufe neben Felix durch die Nacht. Wir laufen nebeneinander, unsere Arme berühren sich manchmal. Es ist offensichtlich, dass wir zusammen unterwegs sind. Wir sind nah beieinander und doch sind Welten zwischen uns. Die Party von der wir gerade kommen war der wohl letzte Versuch unsere Beziehung wieder hinzubiegen, aber das hat wohl gründlich fehlgeschlagen. Der ganze Abend hat irgendwo fehlgeschlagen. Es war eine Art Weihnachtsfeier, wohl ehr Adventsfeier, gute Musik aus dem CD Spieler, Kerzen, Plätzchen, Lebkuchen, alle Freunde beisammen. Aber im Prinzip war alles aufgesetzt. Angemalt und aufgeklebt wie die weihnachtlichen Fensterbilder und Sterne am Fenster. Die aufgesetzte Fröhlichkeit hat unsere wirklichen Stimmungen überdeckt, wie der Zimtduft aus der Duftlampe den Zigarettenrauch. Jeder war mit seinen Gedanken beschäftigt und es wurden allerhand sinnlose Gespräche geführt. Nicht sehr anspruchsvoll, weil jeder mit was anderem beschäftigt war. Felix war den ganzen Abend charmant, gut gelaunt, witzig, hilfsbereit und tat interessiert an allem. Er kotzte mich an. In letzter Zeit wird er so spießig. Er geht alle drei Wochen zum Friseur. Früher hab ich ihm die Haare geschnitten oder seine Schwester. Manchmal hat er sie auch wachsen lassen, um zu sehen wie er damit aussah. Vor einem Jahr hatte er noch Dreads, jetzt fängt er an, seine Haare zu gelen. Vor drei Monaten hat er sich maßlos über den Typ aufgeregt, der ihm ins Auto gefahren ist, nur weil er telefoniert hatte. Jetzt hat Felix selber ein Handy. Außerdem spart er seit neuestem auf ein neues Auto. Seine Rostlaube ist ihm plötzlich nicht mehr gut genug. Es ist als ob er sich vorgenommen hat "ich bin jetzt 26, ich muss jetzt erwachsen werden". Er ist einfach nicht mehr der Kerl, in den ich mich vor über zwei Jahren verliebt habe. Seit Wochen läuft unsere Beziehung den Bach runter und wir unternehmen immer wieder den Versuch sie zu retten, aber es funktioniert einfach nicht mehr. Die Party bei Ricarda heute war wohl der letzte Versuch. Es ging darum zu wichteln und wieder einmal einen gemütlichen Abend mit allen Freunden zu verbringen, die man sowieso viel zu selten sah. Aber nach diesem Abend weiß ich, dass ich sie gar nicht öfter sehen brauche oder will. Wir entfernen uns alle immer mehr voneinander. Ich finde es schade, aber ich habe keinerlei Ambitionen daran was zu ändern. Nur Felix. Immer wieder habe ich Momente wo ich um jeden Preis unsere Beziehung retten will. Aber wenn ich uns so ansehe. Als ob wir uns nichts mehr zu sagen hätten. Stumm laufen wir seit einer guten viertel Stunde nebeneinander her durch die Straßen. Fast synchron zünden wir uns beide eine Zigarette an. Er hatte früher nie Feuer einstecken, immer kam er her "Jana hast du Feuer?" Bevor seine Hand wieder in der Manteltasche verschwindet, sehe ich, dass er den Ring trägt, den ich ihm geschenkt habe. Er hat dafür seinen geliebten Totenkopfring abgelegt, den er mindestens zwei Jahre Tag und Nacht getragen hat. Den Ring von mir hat er manchmal an einer Kette angehabt, heute ist das erste Mal, dass er ihn gegen den anderen Ring getauscht hat. Eine Kleinigkeit, die ihn wieder ein Stückchen zu mir herholt. Trotzdem ist er noch so weit weg. Auf dem Hinweg sind wir noch Händchenhaltend gelaufen, heute mittag haben wir uns ausnahmsweise mal nicht gestritten. Bei Ricardas Party hat keiner gemerkt, dass wir kurz vor der Trennung sind. Wir haben uns wohl gut geschlagen, gut gespielt unser Spiel an diesem Abend. Was sind das eigentlich für Freunde, die nicht mitkriegen sollen, dass wir Streit haben?!

Wir sind in der Wohnung angekommen. Ich gehe ins Bad und putze Zähne. Höre wie Felix meine Schlüssel in die Schublade räumt, meine Schuhe in den Schrank stellt. Verdammt, warum hat er auf einmal diesen Ordnungstick? Ich kämme meine Haare und höre, wie er an den Kühlschrank geht. Ich ziehe mich aus und hoffe inständig, dass er nicht ins Bad kommt. Mittlerweile ist es mir sogar unangenehm in Unterwäsche von ihm gesehen zu werden. Wir sind wohl ziemlich am Ende. Ich höre wie er sein Bett auf dem Sofa richtet und schlüpfe in meinen Schlafanzug. Seit zwei Wochen schläft er auf dem Sofa im Wohnzimmer. Als ich in mein Zimmer gehe höre ich, dass der Fernseher läuft. Scheiße, es tut weh dieses Schweigen. Ich lösche das Licht, zieh mir die Decke bis zur Nasenspitze. Bitte, bitte. Schnell einschlafen. Ich will nicht wieder wach liegen und grübeln, was ich denn tun könnte. Verdammt. Ich liebe ihn.

Ich wache auf von irgendeinem Traum. Ich weiß nicht mehr was ich geträumt habe, aber es war nichts schönes. Ein Blick auf den Wecker. 2:17. Felix steht im Türrahmen. Ich glaube nicht, dass er gemerkt hat, dass ich wach bin. Ob er da schon lange steht? Er sieht müde aus. Fertig und traurig. Muss das eigentlich sein. Dieses ganze Elend? Scheiße! Ich lieb ihn. Er bleibt nicht mehr lange stehn. Dreht sich um und schließt ganz leise wieder die Tür hinter sich. Ich warte. Vielleicht eine halbe Stunde. Jetzt kann ich sichergehen, dass er wohl schläft. Ich ziehe Socken an und tappe leise in die Küche. Auf dem Tisch stehen zwei Weingläser. Eines ist benutzt. Das andere, unbenutzte steht auf meinem Platz. Lautlos kullern mir die Tränen über die Wangen. Ich gieße mir einen Schluck Wein ein. Dann stelle ich die beiden Gläser nebeneinander. Ich suche nach dem Geschenkband. Irgendwo muss doch noch dieses blaue Geschenkband sein! Ich binde die beiden Gläser zusammen. Dann gehe ich zurück in mein Bett.

 

Hallo seraphina,

äußerst unverständlich, dass auf diese geschichte noch niemand geantwortet hat - wahrscheinlich will niemand an den winter erinnert werden beim sonnenschein draußen...*smile*

der geschichte gefällt mir - auch wenn ich mir zwischendurch nicht sicher war, ob das so ist. aber von anfang an:

der erste absatz gefällt mir durch seine stimmung - hätte da zwar ein, zwei anmerkungen aber insgesamt kommt die abneigung gegen den winter sehr gut durch.. ob er für die geschichte nötig ist? - kälte passt ja auch gut zu den beiden - insofern ja.

dann der lange absatz der die krise erklärt - schöne besipiele, wie du meinst, dass er sich verändert - aber gerade wenn man sieht, wie sehr die protagonisten an ihren "alten ritualen" hängt und sich gar nicht weiter entwickeln will, finde ich die story schön ausgewogen.. und du beschreibst so ohne übertreibung, dass sich das ganze sehr real liest..

die letzten beiden absätze machen die geschichte dann in meinen augen wirklich gut.. sie sind sehr sanft und leise..kein wort über "aber ich will hn doch sooooo sehr zurück"..sondern kleine bilder, die die vorherige aussage vermitteln, das macht die große wirkung aus..sehr süss der schluss.. vor allem, da sie sich vorher so sehr über ihn aufgeregt hat..

stilistisch gibts ne menge *smile* - etwas zuviel alles, aber mal ein paar beispiele:

"Ich laufe neben Felix durch die Nacht. Wir laufen nebeneinander,.." zweimal der selbe sachverhalt mit fast den selben worten..

"Es ist offensichtlich, dass wir zusammen unterwegs sind. Wir sind nah beieinander und doch sind Welten zwischen uns" - dreimal "sind", besser: Es ist offensichtlich, dass wir zusammen unterwegs sind. Wir berühren uns fast beim Laufen und doch liegen Welten zwischen uns" (auch noch nicht perfekt..*smile*)

"..und tat interessiert an allem." besser "gab sich interessiert"

"Er hatte früher nie Feuer einstecken,.." "nie Feuer dabei oder nie ein feuerzeug dabei"....

"Den Ring von mir hat er manchmal an einer Kette angehabt" - angehabt? "an einer Kette getragen" ist besser..

"Ich wache auf von irgendeinem Traum" besser: "ich erwache aus einem traum" oder vielleicht gehts auch ohne traum: "irgendwann werde ich wach"

die meisten kritischen formulierungen sind einfach nur umgangssprachlich - ist zwar einiges an arbeit, aber das kann man relativ leicht verbessern..sich einfach bei jedem satz fragen, ob das so passt..

Ansonsten gefält mir dein stil, die atmosphäre und die emotionen, die du zwischen den zeilen rüberbringst..

lg, streicher

 

WOW! Sehr schön erzählt, die Geschichte geht echt nahe. Danke, dass du sie veröffentlicht hast. Du führst den Leser gut in Jenas Stimmung, Respekt vor dieser Kunst. Was ein bisschen stört, wurde oben schon genannt, dazu muss ich nichts sagen. Beeindruckend und lesenswert! Es gibt bestimmt tausend Songs, die man anhören kann, während man die Story liest. Das werd ich mal ausprobieren! Viele Grüße
Dryad

 

Hallo Dryad, hallo Streicher!
Schön, dass ich mit meiner Geschichte überzeugen konnte. Wenigstens euch :) Ich finde es schade, dass bisher keine Antwort kam, aber ich bin auch recht neu hier. An stilistischen und sprachlichen Fehlern werde ich natürlich arbeiten. Mein Problem ist, dass ich so schreibe wie jemand denkt oder wie ich erzählen würde, was dann wohl zu umgangssprachlich wird. Ich werde mich bessern, versprochen.
@Dryad: Das mit den Songs stimmt, meiner Meinung nach passt "Sometimes it snows in April" von Prince dazu, ich als Prince-Fan muss das natürlich hier erwähnen. Aber wie du sagtest 1000 andere Songs passen sicher auch. Probiers aus, würd mich freuen.
Okay machts gut
liebe Grüße;)
Sera

 

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