Einsam – Überarbeitete Version
Kalt und klar taucht der Mond die Nacht in ein milchiges, gnädiges Licht. Die Straßen sind leer, die Menschen haben sich hinter die hellen Rechtecke zurückgezogen und bereiten sich dort auf die Bescherung vor.
Ein einzelner Schatten huscht durch die Stadt, mit hochgezogenen Schultern, die Kälte nicht mehr spürend. Mit großen Schritten irrt er durch die Straßen und versucht zu vergessen, versucht die Vergangenheit ruhen zu lassen, doch er schafft es nicht. Im Mondlicht sieht man Tränen auf seinen Wangen glitzern wie kleine Diamanten.
Als er den Brief bekam versuchte er sie anzurufen, nach dem zehnten Versuch vertraute er sich seinem Freund dem Whiskey an, doch zum ersten Mal konnte dieser ihm auch nicht helfen.
Wieder und wieder las er den Inhalt des Briefes, ungläubig, weinend, verzweifelt.
Auch jetzt ging im jedes Wort durch den Sinn, unfähig es zu verdrängen.
Mein Engel,
Ich bin einsam. Furchtbar einsam. Ich habe Unmengen von Bekannten und auch eine handvoll Freunde. Da ist sogar jemand der mich liebt und den ich auch liebe. Dennoch: Ich bin einsam. Und das zerreist mich innerlich.
Mir ist kalt. Nicht körperlich. Das wäre nicht schlimm. Aber mein Herz gefriert. Ich kann nicht anders als zu zittern und an dich zu denken. So weit weg. Nie mehr werde ich dich erreichen können. Nie. Was soll ich tun? Mir wieder und wieder vorstellen wie du mich umarmst und wärmst? Mir die Nähe gibst, die mir so unendlich fehlt? Wie ich meinen Kopf an deiner Brust bette und mich deinem Schutz anvertraue? Wie kann ich dich nur wieder erreichen?
Ich war so dumm. Wie konnte ich dich gehen lassen? Den einzigen Menschen, der mich nie schlecht behandelt hat und bei dem ich mich immer wohl fühlte.
Wie konnte ich nur?
Ich hasse mich dafür und ich weiß, du hast mich auch gehasst. Aber ich konnte nicht anders. Verstehst du?
Heute liege ich nachts neben dem Menschen, dem ich nun mein Herz geschenkt habe und bete dass er meine Tränen nicht spürt.
Er hat mein Herz, du meine Seele.
Ein Herz hört auf zu schlagen.
Eine Seele stirbt nie.
Vergiss das nicht.
Er liebt sie immer noch. Und immer noch kann er es nicht verstehen.
Seine Gedanken schweifen zu ihrem ersten gemeinsamen Frühstück. Wie sie da mit leuchtenden Augen im Bett gelegen hatte und zu erklären versuchte was Seele für sie bedeutet. Er hatte sie dabei mit einem Brötchen gefüttert, lachend darum bemüht nicht alles auf der Decke zu verteilen. Wie schön sie doch aussah. Wie schön und zerbrechlich, fast zu sensibel für diese Welt. Wie wundervoll die Zeit mit ihr war.
Zu früh musste er wieder fort.
Sie ertrug die Entfernung tapfer Monatelang, dann zerriss es sie.
Die Trennung war für ihn weiß Gott nicht einfach gewesen, doch sie machte es ihm so leicht wie möglich. Und da war auch immer noch sein Freund der Whiskey, der ihm so manche Nacht zur Seite stand.
Nach Monaten hatte er endlich wieder den Mut ihr eine Email zu schreiben, ihr zu sagen das alles okay sei und das er hoffe ihr Leben liefe toll.
Die Antwort war ernüchternd. Ihr neuer Freund war Drogenabhängig, nutze ihr Helfersyndrom aus und behandelte sie wie ein Objekt, doch sie liebe ihn und könne ihn gewiss ändern. Er wusste sie würde daran zerbrechen.
Bei jenem ersten Frühstück durchbrach die Sonne einen Moment lang die Wolkendecke und ließ ihr rotes Haar wie ein Meer aus Flammen aufleuchten. Sein Herz zerriss fast vor Liebe zu ihr. Genau in jenem Augenblick erklärte sie ihm das sie erst sterben wolle wenn sie wisse das ihre Seele in den richtigen Händen sei.
Scheinbar hatte sie nun Gewissheit.