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Einmal Staffa und zurück
Auf einer Reise durch Schottland, wollten wir die sehr interessante Insel Staffa besuchen.
Wir waren etwa dreißig Personen, die sich auf diesem Boot eingefunden hatten. Die meisten waren aus unserer Reisegruppe. Es regnete etwas, aber auf dem Boot war ein Teil überdacht. Es standen dort auch einige Holzbänke. Ich setzte mich. Knapp eine viertel Stunde später fuhren wir zwischen zwei Felsen hindurch, die eine natürliche Ausfahrt aus dem Hafen darstellten, und nun lag der Atlantik vor uns. Da merkte man gleich, daß eine kräftige Brise blies, die das Wasser zu recht großen Wellen aufkommen ließ.
Ich weiß, daß man immer an den Horizont sehen soll, damit man nicht seekrank wird. Nun, den Horizont konnte ich noch erkennen, so hoch waren die Wellen also nicht.
Einige von uns erwischte es aber doch sehr schnell. Ute, mit der ich mir ja schon die Schiffskabine geteilt hatte, war sofort seekrank geworden. Sie lag auf dem Boden und litt still vor sich hin. Von Zeit zu Zeit kam sie mit dem Oberkörper hoch und opferte völlig geräuschlos in eine Plastiktüte, die sie scheinbar in weiser Voraussicht mitgebracht hatte. Dann verschloß sie diese Tüte sorgfältig und legte sich völlig erschöpft wieder hin. Ich habe noch nie jemanden gesehen, der so elegant seekrank war.
Karsten hatte bereits mit dem Leben abgeschlossen. Er war auch schon kurz nach dem Ablegen des Bootes krank geworden und sah kreidebleich aus. Nun wollte er nur noch sterben. -Einfach über Bord- gehen war der einzige Gedanke, den er noch fassen konnte.
Heinz stand an der Reling, manchmal stand er sogar auf der Reling, wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht. Wild und verwegen hielt er nach neuen Ufern Ausschau, von Seekrankheit keine Spur.
Moni war auch nicht seekrank, sie mußte ja ihren Karsten vom Selbstmord abhalten. Biene jammerte laut: „O Gott, o Gott.“ Aber ich glaube, sie hatte nur Angst. Oder hatte es sie auch schon erwischt? Renate, die neben mir stand, hatte auch keine Probleme, sie rief nur von Zeit zu Zeit:
„Heinz, halte dich bloß gut fest, fall nicht über Bord!“
Heinz, das war der Verwegene.
Als wir an Bord gingen, hatte ich mich über die vielen, leeren Plastikdosen gewundert, die überall herumstanden. Inzwischen weiß ich, wofür sie gedacht waren. Die meisten von ihnen wurden bereits gebraucht. Von Zeit zu Zeit wurden sie mal über die Reling ausgeleert.
Das Boot war nun schon geraume Zeit aus dem Schutz des Hafens heraus und kämpfte sich über immer höher werdende Wellen Staffa entgegen.
Ja, es war inzwischen ein richtiger Sturm aufgekommen. Der Horizont war nur noch zeitweise zu sehen.
Vorne auf dem Boot war ein Aufbau aus Holz, der das Ruderhaus darstellte. Darin befanden sich der Bootsführer, ein Helfer und unsere Reiseführerin Lenore. Was sich dort abgespielt hatte, erfuhren wir erst, als Lenore es uns erzählte.
Sie hat die Fahrt nach Staffa in ihrem Leben mindestens schon hundertmal gemacht, sagte sie, aber bei dieser Fahrt mit uns war sie das erste Mal seekrank geworden. Sie lag im Ruderhaus auf dem Boden und hatte Mühe, sich irgendwo festzuhalten. Dabei flehte sie den Bootsführer an, ihre Reisegruppe bloß wieder sicher an Land zu bringen. Am besten wäre es, er würde auf der Stelle umdrehen. Aber darauf reagierte er gar nicht. Er brummelte nur: „ So schlimm ist es doch nicht, das erlebe ich fast täglich.“
Der Herr des Bootes selbst, saß lässig auf einem Stuhl, den er gegen die Rückwand gekippt hatte, er hatte eine Zeitung vor der Nase, in der er las und lenkte, so ganz nebenbei, das Boot mit einem Fuß.
Als es mit den Wellen immer schlimmer wurde, riß Lenore ihm die Zeitung weg und zwang ihn, das Ruder mit den Händen zu halten.
Nun waren wir ein gutes Stück auf den offenen Atlantik hinausgefahren. Langsam aber sicher wurde der Sturm noch stärker. Die Wellen nahmen schon erschreckende Ausmaße an, jedenfalls für meine Begriffe. Jetzt konnte ich auch den Horizont gar nicht mehr sehen. Doch ich hielt mich noch sehr gut. Ich hatte auch keine Angst, weil ich dachte, der Käpten wird schon wissen, was er macht, er will heute Abend doch auch wieder zu Hause sein.
Inzwischen konnten wir schon Staffa sehen, zuerst nur, wenn wir oben auf den Wellen waren, aber nach und nach wuchs dieser gigantische Felsen vor uns in die Höhe. Es war ein unvergeßlicher Anblick.
Es ertönte plötzlich aus einem Lautsprecher eine gewaltige, brausende Musik die Hebriden Ouvertüre von Mendelssohn Bartholdy. Auch er war einst nach Staffa gefahren und hatte dieselben Erfahrungen mit den Naturgewalten gemacht wie wir. Diese Musik, die er nach der Fahrt komponiert hatte, sagte genau das aus, was wir nun erlebten. Man konnte das Brausen und Schäumen der Wellen und das Jagen des Sturmes hören. Man spürte die Ohnmacht des Menschen, der sich diesem allen ausgesetzt sieht.
Nun waren wir vor Staffa angekommen. Lange, senkrechte, tief zerklüftete Rillen waren in Jahrtausenden vom Wasser in die steil aufragenden Wände des Felsens geschliffen worden. Rings um ihn herum sah man kleinere Felsen oder Riffs aus dem Wasser herausragen. Geschickt manövrierte der Käpten uns da hindurch, bis wir ganz nahe dran waren.
Bei ruhigem Wetter kann man in eine Grotte hineinfahren. Das ging heute natürlich nicht, denn die Grotte stand total unter Wasser. Leider sahen wir auch keinen einzigen Papageientaucher.
Aber dieser Anblick, den wir hatten, war erhebend. Der Sturm peitschte das Wasser gegen die Felswände, es kroch in die langen, tiefen Rillen, die senkrecht in den Felsen eingegraben waren. Es kroch höher und höher, um dann völlig entkräftet in den Atlantik zurückzustürzen, dort neue Kraft schöpfend begann es den Kreislauf erneut.
Die Schaumkronen der Wogen lösten sich beim Heranbrausen der Wassermassen und flogen wie wilde Wolken durch die Luft. Es war ein überwältigender Anblick, es war ein Bild von absoluter Kraft und ungestümer Freiheit.
Das Boot war nun auf die Seite des Felsens gefahren, die nicht so sehr dem Sturm ausgesetzt war. Die Fotoapparate klickten, und die Kameras wurden geschwenkt. Das alles mußte doch festgehalten werden. Davon konnte man doch zu Hause erzählen.
Nach einiger Zeit, machte sich das Boot wieder auf den Heimweg. Es dauerte nicht lange, und wir waren den Naturgewalten erneut voll ausgesetzt.
Durch einen plötzlichen Stoß wurde ich mit dem Kopf an die Wand geschleudert. Sofort danach griff ich nach der letzten Plastikschale, die noch zu haben war. Es hatte mich erwischt.
Ute lag immer noch still leidend auf dem Boden, und ich gab mir Mühe, nicht auf sie zu treten. Ich versuchte, mich an einem Brett festzuhalten und mit einem Fuß stemmte ich mich gegen eine Bank. Biene wurde auch hin und her geschleudert, setzte sich dabei versehentlich auf meinen Fuß und entschuldigte sich auch noch dafür. Renate sah uns mitleidig an. Heinz stand immer noch an der Reling und hielt jetzt sicherlich nach der Küste Ausschau. Renate und Heinz waren in bester Verfassung. Ob Karsten überhaupt etwas von Staffa gesehen hat, weiß ich gar nicht.
Es regnete zwar in Strömen, aber dennoch gingen nun die meisten von dem überdachten Teil des Bootes nach draußen. Seltsamerweise standen sie alle da wie eine Mauer, mit dem Rücken zu mir, und fingen auch noch an, laut zu singen.
Das alles registrierte ich, obwohl mir speiübel war. Dann merkte ich, daß ich ja selber schreckliche Geräusche fabrizierte. Ich würgte, stöhnte und heulte gleichzeitig. Ich habe gar nicht gewußt, daß ich dazu in der Lage bin. Darum also der laute Gesang. Jemand rief: „O Gott, laß uns heil wieder an Land kommen !“
Es kam mir alles wie in einem Traum vor. Ich versuchte krampfhaft, gegen die Übelkeit und vor allem gegen die Angst anzukämpfen, aber es gelang mir nicht. Ich hatte Todesangst und sicherlich nicht nur ich.
Das Toben des Sturmes wurde von einem anderen Geräusch übertroffen und das war der Motor des Bootes. Er heulte schrecklich auf, wenn das Boot mit Vollgas auf die nächste Welle hinauffuhr. Wenn es oben war, nahm der Steuermann das Gas weg, und wir sausten in das Wellental hinab. In diesem Moment krampfte sich mein Magen jedesmal zusammen und spielte besonders verrückt. Aber allen anderen Geschädigten ging es ja genauso.
Ich konnte mich nur noch auf die Geräusche des Motors konzentrieren. Es war fast so, als ob mein Leben davon abhing. Gas geben hieß hinauf, und Gas wegnehmen hieß hinab. So ging es geraume Zeit, bis einer endlich meldete: „Die Einfahrt zum Hafen ist in Sicht!“ Welch eine Erleichterung! Als wir wieder zwischen den Felsen hindurchfuhren, die den Hafen von der See abschirmten, wurde es sofort ruhiger. Kurze Zeit später legten wir an.Wir versuchten alle, so stilvoll wie möglich das Boot zu verlassen. Den meisten ist es gelungen. Aber alle hatten bestimmt nur den einen Gedanken. " Ich habe endlich wieder festen Boden unter den Füßen."