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Einladung zum Sterben - Prolog
Unruhig und zugleich voll zurück gehaltener Neugierde betrachteten sich die drei Männer und die Frau gegenseitig über die lange Tafel hinweg. Einer nach dem anderen waren sie eingetroffen und vom Butler in den Speisesaal geführt worden. Der Gastgeber selbst, Baron von Barnim, hatte sich noch nicht blicken lassen.
Obwohl allen Anwesenden das Unbehagen deutlich ins Gesicht geschrieben stand, brachte es keiner über sich, das Schweigen zu brechen. Statt dessen wanderten ihre Blicke durch den Saal, streiften Gemälde, die kunstvoll verzierten Stuhllehnen und ab und zu eines der anderen Gesichter.
Das Ticken der Wanduhr klang zu laut durch die Halle und führte Sekunde um Sekunde den Gästen ihre verrinnende Lebenszeit vor Augen - das leise Rascheln der Stoffservietten, Finger die über das Tischtuch glitten, zum Zerreißen gespannte Nervosität über der Tafel.
Als sich die Tür am Kopfende des Saales öffnete, flogen dem Eintretenden vier Blicke entgegen. Baron von Barnim hatte die Bühne betreten.
„Ich muss Sie ein weiteres Mal um Verzeihung bitten, meines dramatischen Auftrittes wegen und der Zeit, die ich Sie warten ließ, doch gab es noch einige Vorbereitungen zu treffen, die meine Anwesenheit erforderten.
Ich möchte Ihnen sagen, dass ich mich glücklich schätze, Sie hier bei mir zu haben.“
Während er sprach, schritt der Baron um die Speisetafel, reichte den Männern zur Begrüßung die Hand und verbeugte sich leicht vor der Frau, der er einen Handkuss andeutete. Dann ging er zurück zu dem freien Stuhl, hinter dessen Lehne er stehen blieb.
„Im Grunde genommen wissen Sie alle, weshalb Sie heute Abend hierher gekommen sind. Ich will Ihnen jedoch keine Antworten schuldig bleiben, falls Sie noch gewisse Fragen haben. Gestatten Sie jedoch zuvor, dass ich das Essen hereinbringen lasse. Alfred?“ Von Barnim klatschte kurz in die Hände. Eine weitere Tür öffnete sich und der Butler trat herein.
„Bitte tragen Sie die Mahlzeit auf.“
„Sehr wohl.“
Von Barnim wandte sich wieder seinen Gästen zu. „Wo war ich stehen geblieben?“
„Sie wollten uns eventuelle Fragen beantworten“, sagte die Frau kühl.
„Oh ja. Ich danke Ihnen. Haben Sie denn eine Frage, Frau Görlitz?“
„Die habe ich tatsächlich. Wie kommen Sie dazu, uns Zehn Millionen Euro bezahlen zu wollen?“
Von Barnim lächelte.
„Nun, ich dachte eigentlich, dies sei Ihnen klar gewesen, bevor Sie sich auf den Weg hierher machten.“ Von Barnim machte eine kurze Pause und folgte mit seinem Blick dem Butler, der erneut eingetreten war und dieses Mal einen Speisewagen vor sich her schob.
„Nichts im Leben ist umsonst, außer dem eigenen Tode. Zwar besagt ein Sprichwort, dass man selbst diesen mit dem Leben bezahlen müsse, doch wollen wir es mal etwas ernster betrachten. Der eigene Tod ist tatsächlich umsonst, ja, er ist sogar eine Pflicht, die wir gegenüber der Natur zu erfüllen haben. Doch das Sterben kann sehr teuer sein. Manch einer muss kurz vor dem Ende gepflegt werden oder schreit nach teuren Medikamenten, weil ihn die Schmerzen nicht mehr schlafen lassen. Ist dem nicht so?
Der Tod eines anderen Menschen dagegen kann sehr teuer sein, doch betrachte ich eine Summe von zehn Millionen Euro als durchaus angemessen.“
Frau Görlitz hatte den Blick gesenkt, doch in ihrer Stimme lag kein Zittern, als sie erneut das Wort an den Baron richtete.
„Sie haben uns also heute Abend hier her bestellt, um uns zu töten?“
Von Barnim lachte einen krächzenden, trockenen Laut, der die Anwesenden zusammenzucken ließ.
„Da haben Sie mich falsch verstanden, Teuerste. Wie angekündigt wird zwar von Ihnen erwartet, dass Sie sterben, doch besteht Ihre eigentliche Aufgabe lediglich darin, dieses Haus zu verlassen. Ich werde es Ihnen während des Essens genauer erklären. Der Vergleich zu einer Henkersmahlzeit drängt sich zwar in diesem Zusammenhang durchaus auf, doch möchte ich nicht gar so pietätlos in ihren Augen erscheinen.“ Ein neuerliches Krächzen folgte.
Der Baron hob sein Glas.
„Ich würde gerne einen kleinen Toast ausbringen.“
„Was ist mit dem Geld, Baron? Wollen Sie es hier vor uns legen, wenn Sie doch sowieso von uns erwarten hier zu sterben?“
Von Barnim musterte den Sprecher kurz missbilligend, dann hellte sich seine Miene auf.
„Herr Korwicz, seien Sie doch bitte nicht so misstrauisch. Das Geld wird auf Ihr Konto überwiesen und steht somit ihren Verwandten in Form einer Erbschaft zur Verfügung. Oder Ihnen, sobald Sie dieses Haus wieder verlassen haben. Sämtliche Formalitäten sind vorbereitet, so dass es nur noch eines Anrufes bedarf. Ist Ihre Frage damit beantwortet?“
„Wir müssen Ihnen in der Hinsicht also vollkommen vertrauen? Warum das Ganze überhaupt?“
„Nun, ich bin, wie Sie sich wohl ausdrücken würden, stinkreich, doch mir ist auch stinklangweilig. Ich werde es Ihnen genauer erklären, doch lassen Sie mich nun bitte zuerst den Toast ausbringen.“
Von Barnim hob erneut sein Glas und sah seine Gäste der Reihe nach an.
„Ich möchte mit Ihnen auf den heutigen Abend trinken, darauf, dass er so aufregend wird, wie er es verspricht und auf unser aller Vorteil. Ich wünsche Ihnen nun einen guten Appetit.“ Er leerte sein Glas in einem Zug und warf es sich über die Schulter.
„Während Sie nun also essen, werde ich Ihnen alles, was Sie wissen müssen, erzählen. Doch zuvor...“, - von Barnim griff in sein Jackett und zog ein Handy hervor - „... Ihr Geld.“
Ein kurzes Telefonat später, das von vier Augen- und Ohrenpaaren gebannt verfolgt wurde, wandte sich der Gastgeber erneut an die Anwesenden.
Kurz senkte der Baron den Blick und schien nach den passenden Worten zu suchen. Schließlich verschränkte er die Finger in einer geschäftlichen Geste und sah zur Decke.
„Zehn Millionen Euro sind eine Menge Geld, das ist mir sehr wohl bewusst. Ich werfe nicht mit diesem Geld um mich, weil man es mir in die Wiege gelegt hat. Ich habe mir jeden einzelnen Cent und Pfennig dieses Reichtums erarbeitet und ich möchte ihn nicht verschenken. Ich erwarte von Ihnen etwas dafür.“
Von Barnims Blick legte sich ruhig auf die vier Anwesenden.
„Ihre Schreie sind es, die ich kaufe. Ihre Qual, Ihre Schmerzen, Ihr Leid und schließlich Ihr Tod!“
„Das ist pervers!“ Hansen warf sein Besteck geräuschvoll auf den Teller zurück. „Ich werde jetzt gehen. Sie sind krank. Ja, das sind Sie. Ein perverser, kranker, kleiner Scheißer!“
„Markus Hansen. Schön, dass Sie sich entschlossen haben an unserem Gespräch teilzunehmen, auch wenn Ihr Einwand inakzeptabel ist. Sie sind hierher gekommen, Sie haben mein Angebot angenommen, Sie sind dabei, wie man so schön sagt!“
„Nichts da. Ich steige aus. Schönen Tag noch und einen herzlichen Gruß meinen Mitbewerbern!“ Hansen rückte seinen Stuhl hart zurück und klopfte auf den Tisch.
Schon als er sich umwandte, bemerkten die anderen wie er schwankte; drei Schritte weiter konnte Hansen sich kaum noch auf den Beinen halten.
„Was... was ist... das?“
„Dolestan. Ein recht schnell wirkendes Schlafmittel. Zumindest, wenn man die Dosierung ein wenig erhöht. Sie werden sicherlich verstehen, dass die Herausforderung wahrlich gering wäre, wenn Sie von hier aus starten würden. Der Keller erscheint mir wesentlich attraktiver.“
Hansen klammerte sich mit letzter Kraft am Tisch fest. Es war offensichtlich, dass er den Kampf mit seiner Muskulatur verlieren würde.
„Wir... sind Ihre... Gefangenen?“
Von Barnim entblößte gelbe Zähne, als er seine Lippen zu einem breiten Grinsen verzog.
„Sie waren bereits mein Gefangener, als Sie vor meinem Tor aus Ihrem Auto stiegen. Und nun...“, von Barnim erhob sich. „... mögen die Spiele beginnen.“