Einfach nur "Perfekt"
Langsam legt er sein Fahrrad in das knöchelhohe Gras und geht durch das kleine Holztor, das bei jedem Windhauch ein liebliches Knarren von sich gibt.
Seine schmalen Lippen formen sich zu einem warmen glücklichen Lächeln, das immer zum Vorschein kommt, wenn er sie sieht. Da steht sie, nur wenige Meter vor ihm. Wieder trägt sie diesen schwarzen Minirock und die gelbe Seidenstrumpfhose, die ihre langen schmalen Beine betonen. Passend dazu die knallgelbe Bluse, die ihrer Figur schmeichelt und bei der sie immer die obersten Knöpfe auflässt. Ihre schulterlangen kastanienbraunen Haare, in denen sich leichte Wellen formen, hat sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, der zur Melodie des Windes tanzt. „Hey Megan! Wie geht es dir?“ Mit ihrer, wie er es nannte, zuckersüßen betörenden Stimme antwortet sie nur „Perfekt“.
Perfekt, so ging es Megan immer. Sie hatte diese einzigartige Lebensfreude, die er noch nie bei jemand anderem gesehen hatte. Sie liebte ihre Freiheit und wollte ihr Leben einfach nur leben. „Weißt du, warum sollen wir uns denn mit den Problemen anderer rumschlagen? Lass uns einfach tun was wir wollen. Denn wenn wir einfach das machen, was wir wollen, wir es uns gut gehen lassen, dann ist es perfekt.“ Immer wenn sie das sagte, und sie sagte es oft, funkelten ihre großen braunen Augen, die ein wenig Grün um die Pupille trugen, und sie zog den rechten Mundwinkel zu einem verschmitzen Lächeln hoch. Genau in dem Augenblick formte sich ein tiefes Grübchen in ihre Wange, das harmonisch mit ihren wenigen Sommersprossen spielte.
Er erinnerte sich so gerne an das erste Treffen zurück. Es war auf dem Monterey Pop Festival 1967 mitten in Kalifornien. Während er den Klängen von Jefferson Airplane lauschte, die gerade „Somebody to Love“ performten, schaute er sich um und sah dieses 17-jährige Mädchen, sie riss ihre Arme in die Höhe und tanzte energisch zur Musik. Er fand sie bildhübsch und bezaubernd, konnte seine Augen nicht von ihr abwenden. Ihre dreckverschmierten Wangen und die vielen kleinen Löcher in ihrer Leggins machten sie umso sympathischer. Er ging auf sie zu, stellte sich direkt vor sie und versperrte ihr den Blick auf die Bühne „He Prinzessin, ich hab hier noch ein Bier. Magst du?“ Genervt und gelangweilt schaut sie zu ihm auf „Ich glaube Prinzessinnen trinken kein Bier“. Sie griff nach der Flasche, trank einen großen Schluck und wischte sich den Mund mit ihrem Handrücken ab. Sie grinste ihn an und begann wieder zu tanzen „wenn du jetzt noch die Güte hättest mir einen Blick auf die Bühne zu gewähren, wäre ich dir zutiefst verbunden.“ Er musste lachen, ihr britischer Akzent verzauberte ihn schlagartig. „Ich heiße Frank.“ „Megan. Du solltest jetzt tanzen, ansonsten muss ich dich wegschubsen.“ Er tanzte also. Mit dem Mädchen, das ihn vom ersten Moment an fasziniert hatte.
Dieser Abend war der Beginn einer tiefen Freundschaft, aus der Liebe wurde.
Zusammen wollten sie das Land erkunden, frei sein, was ja so perfekt sein sollte. Und das war es. Sie kauften sich einen alten Camper, dessen hellblauer Lack an manchen Stellen durch goldbraunen Rost gebrochen wurde. San Francisco, Los Angeles, San Diego, mit einigen Abstechern ins Innland und kleine abgelegene Orte, an denen sie sich ebenso wohl fühlten.
Monatelang reisten sie herum „Immer der Sonne hinter her. Frank, ich will das ganze Land, die ganze Welt erkunden!“ rief sie euphorisch.
Zwei Jahre nach ihrem ersten Treffen lagen sie im Schatten ihres Campers am Strand. Er tastete nach ihrer Hand „Meg, willst du mich heiraten?“ Er kann es noch immer hören, dieses leise „Wow!“ das ihr aus dem Mund entwischte, das sich langsam zu einem kleinen schwachen Kichern und dann zu einem lauten glücklichen Lachen formte. Sie drückte fest und entschlossen seine Hand, das war Antwort genug.
Sie bauten sich ein Leben in einem kleinen Vorort von San Diego auf. Sie waren glücklich oder, wie es Megan ausdrücken würde, perfekt. Da störte es sie auch nicht, dass sie immer häufiger diese Hustenanfälle bekam. Wenn Frank nachfragte, ob er nicht einen Arzt rufen sollte sagte sie andauernd „Nein, lass nur. Mir geht es perfekt.“
Weiter will er sich nicht erinnern. Seine Augen füllen sich auf sicherem Weg mit Tränen „I'm going up the country, babe don't you wanna go“ singt er leise vor sich hin. Das macht er ständig, um die schönen Bilder ihrer gemeinsamen Reise wieder hervorzuholen. Als er Megan kennenlernte war er 20 Jahre alt. Viele Jahre sind seither vergangen doch sieht er sie noch immer vor sich, wenn er sie besucht. „Now baby, pack your leaving trunk, you know we've got to leave today.” Dann kniet er sich nieder, streicht sich seine graue Haarsträhne aus dem faltigen Gesicht und wischt sorgsam den staubigen Dreck von den Buchstaben, die akkurat in den Stein gemeißelt wurden
MY BELOVED PRINCESS
1950 - 1972