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Eines Königs würdig
Buntes Tuch flatterte über den Zelten und kündete Gero schon von Weitem, dass Childerich seine Gefolgsleute um sich herum versammelt hatte. Da waren die Banner von Theudewald und Ensiko, Gunthar und Ingower, allesamt Helden aus der Schlacht von Aurelianum. Die größten Männer der Salfranken waren dem Ruf gefolgt, um am Vorabend der jährlich abgehaltenen Volksversammlung gemeinsam mit ihrem König zu speisen.
Warum es bei einem solchen Anlass der Dienste eines Schmiedes bedurfte, konnte Gero, der sein Handwerk als Jüngling in einer römischen Siedlung erlernt hatte, nur mutmaßen. Bereits im Frühjahr hatte er für Childerich eine stolze Anzahl goldener Armreifen gefertigt, welche im Laufe der morgigen Festlichkeiten ausgegeben werden sollten. Ein Zeichen der Verbundenheit, welches dem König jedes Jahr erneut die Treue seiner Kämpen sicherte. Nun fragte er sich, ob mit den Schmuckstücken etwas nicht stimmte.
Er beschleunigte seine Schritte und überquerte den Graben, welcher die Grenze zwischen Zeltstadt und dem eigentlichen Tornacum, dem Hauptort der Salfranken, kennzeichnete. Hier drängten sich längliche Fachwerkbauten an römische Häuser, beherbergten bröckelnde Thermen und Bibliotheken neuerdings Ställe und Waffenlager. Die alte Stadtmauer war wieder in Stand gesetzt worden und wirkte mit ihren nach außen gewölbten Wehrtürmen trutziger als je zuvor. Den alteingesessenen Bürgern hatte Childerich gestattet, einen neuen Tempel für ihren Gott zu errichten, in unmittelbarer Nachbarschaft zur großen Halle. Christus nannten sie ihn, und nach all dem, was man in letzter Zeit beim Würfelspiel und in den Webstuben hörte, sollte dieser sehr mächtig sein und der wachsenden Stadt großes Glück und Wohlstand bescheren. Gero, der als Handwerker beidem nicht abgeneigt war, wollte dies nur zu gerne glauben.
Mit pfeifendem Atem sprang über eine Pfütze, die sich in einem Schlagloch inmitten der gepflasterten Straße auftat und hielt auf die große Halle zu, wie die fränkischen Einwohner das Verwaltungsgebäude im Herzen Tornacums nannten. Zimmerleute aus dem Süden hatten in den letzten Wochen ganze Arbeit geleistet und das ehemals marode Dachgebälk wieder in seiner einstigen Pracht hergestellt. Die rotleuchtenden Schindeln waren schon aus der Ferne gut zu sehen und unterstrichen Childerichs Ansinnen, Tornacums Position als bedeutendsten Ort der Provinz Belgica secunda zu festigen.
Als Gero innehielt, um für einen Moment zu verschnaufen, traten zwei Männer aus dem Gebäude und unterhielten sich dabei angeregt und gestenreich. Gero verstand nur wenig, aber sowohl Sprache als auch Tracht ließ darauf schließen, dass es sich bei den Männern um Gesandte des römischen Heermeisters Aegidius handelte, welcher im fernen Augusta Suessionum residierte. Im Grunde waren Childerich und Aegidius Verbündete, aber hinter vorgehaltener Hand tuschelte man, dass beide sich nicht über den Weg trauten. Obwohl Childerichs Mannen weite Teile des Heeres stellten, vereinte Aegidius die größere Befehlsgewalt auf sich. Nie wurde dieser müde zu betonen, dass die Salfranken ihm unterstellt seien und ihr Herrschaftsgebiet Teil des weströmischen Reiches war, als dessen rechtmäßiger Repräsentant er sich verstand.
Naturgemäß war Childerich gegenteiliger Auffassung und führte Aegidius wiederholt vor Augen, dass dessen schlecht versorgte Truppen ohne fränkische Unterstützung gegen die aggressiven Alemannen und Westgoten hoffnungslos unterlegen wären. Die Lage blieb angespannt und die Anwesenheit von Boten aus Augusta Suessionum verhieß selten Gutes.
Gero nickte den beiden Männern flüchtig zu und schritt durch ein Portal in den Innenhof der großen Halle. Einige Krieger aus Childerichs Leibgarde hielten hier Wache und musterten Gero aus den Augenwinkeln. Auf ihren Rundschilden prangte ein Stierkopf.
„Da seid Ihr ja!“ Irminfried, der engste Berater Childerichs trat mit wehendem Umhang in den Hof und legte Gero zum Gruß die Hand auf die Schulter. „Man erwartet Euch bereits.“
„Es wird mit meiner Ware doch wohl alles in Ordnung sein?“, fragte Gero, während er Irminfried eilig durch eine Flucht von Zimmern folgte.
Der Berater lächelte nur und lief ungerührt weiter.
Sie passierten ein weiteres, von Säulen flankiertes Portal und betraten einen länglichen Saal mit hoher Decke. Hier empfing Childerich Abgesandte fremder Stämme und römische Boten, sprach Recht und ließ die wichtigsten Feste ausrichten. Der reich eingedeckte Raum kündete bereits vom Gelage, welches nach Sonnenuntergang hier stattfinden würde. Mit großen Augen bestaunte Gero die Becher aus grünem, gelbem und blauem Glas, aus denen die hohen Herren bei Festen ihren Wein tranken.
„Gero, der Schmied“, sagte Irminfried und verbeugte sich in Richtung seines Herrn, der am Ende der Halle auf einem gedrechselten Stuhl Platz genommen hatte. Childerich war mit seinen prunkvollsten Gewändern angetan. Den purpurnen römischen Feldherrenmantel trug er mit einer goldenen Fibel über der Schulter geschlossen, darunter schimmerte herrlich die mit Goldborten gesäumte Seide einer Tunika. Ganz der Mode entsprechend wurde diese auf Hüfthöhe von einem breiten Gürtel gehalten. Den Spangenhelm mit fein gearbeiteten Verzierungen von Vögeln und Bäumen hatte Childerich vor sich auf den Tisch gelegt, daneben lagen Spatha und Sax in edelsteinverzierten Scheiden.
„Was seht Ihr, Schmied?“, richtete er das Wort an den in Ehrfurcht erstarrten Gero.
„Ich sehe Childerich, Merowechs Sohn, Herr von Tornacum, Bezwinger der Goten und König der Franken“, gab Gero als Antwort und ahmte eilig Irminfrieds Verbeugung nach.
„Stattliche Titel, in der Tat.“ Childerich kniff die Augen zusammen. „Einen König, sagt ihr.“
„So ist es, Herr.“
„Dann verratet mir, wie es sein kann, dass diese Laffen in Aegidius' Diensten mich wie einen ihrer Untergebenen behandeln? Dass sie meinen, mir Befehle zu übermitteln, wo und wie viele Truppen ich zu stellen habe. Behandelt man so einen Feldherren meines Ruhms?“
Gero suchte nach einer Antwort, aber noch bevor er etwas entgegnen konnte, kam ihm Irminfried zuvor. „Aegidius' Macht schwindet mit jedem neuen Tag, während Eure täglich wächst. Ohne die tapferen Krieger der Franken wäre er längst von seinem Posten verjagt. Die Ordnung Roms wird mehr denn je durch Euch verteidigt, Herr. Gebt mir 1000 Mannen und wir nehmen Augusta Suessionum noch vor der nächsten Ernte. Die Seherinnen haben für dieses Jahr Kriegsglück vorhergesagt!“
Childerich machte eine abfällige Handbewegung. „Ich schätze Euren Tatendrang, mein treuer Freund. Das wisst Ihr. Die traurige Wahrheit ist, dass ich diesen Schwätzer genauso brauche, wie er mich.“
„Wohl eher das Geld, welches den Truhen des Schwätzers entstammt“, seufzte Irminfried und tauchte einen der gläsernen Becher in einen Kessel Wein. Gero folgte dem Gespräch, wusste aber nicht so Recht, was er davon halten sollte. Von Politik verstand er wenig mehr, als dass sie bestimmte, wo als nächstes gekämpft wurde.
„Ich kenne Eure Arbeit, Schmied. Sie ist ausgezeichnet.“
„Danke, Herr.“ Gero spürte, dass ihm die Röte ins Gesicht schoss. Gleichzeitig fühlte er sich erleichtert.
„Mein Ehrenwort. Ihr könnt mit Gold umgehen, das macht Euch zu einem Künstler.“
„Ich tue nur, was mir beigebracht wurde.“
„Er ist wahrlich bescheiden.“ Childerich warf Irminfried einen verschmitzten Blick zu. „Wie dem auch sei. Ich habe Euch rufen lassen, um einen besonderen Auftrag zu vergeben.“
„Was immer Ihr wollt“, hörte Gero sich sagen.
Der Führer der Franken nickte zufrieden und gebot dem Schmied mit einer Handbewegung, näher zu treten.
„Traut Ihr Euch zu, mein Antlitz auf einem Ring abzubilden?“
„Ich verstehe nicht ganz, Herr ...“
Childerich lächelte milde und tippte auf einen Finger seiner linken Hand. „Ich möchte, dass ihr mir einen Ring nach römischer Art macht, aus Gold gefertigt und mit einer Platte von runder Form, die nach außen zeigt.“
Gero nickte.
„Dort sollt ihr eine Miniatur von mir eingravieren, und zwar so lebensecht wie nur irgendwie möglich.“
„Wozu soll das gut sein?“
„Natürlich, um die wichtige Dokumente zu siegeln, die ich fortan ausgeben werde“, lachte Childerich und Irminfried stimmte mit ein. Nur Gero war nicht zum Lachen zumute. Er verstand immer weniger.
„Die Römer legen großen Wert auf solch kleine Dinge, das sollte Euch schon aufgefallen sein“, fuhr Childerich geduldig fort, als er merkte, dass ihm der Schmied nicht folgen konnte.
„So ein Ring mit einem Gesicht darauf macht Eindruck, er verleiht Befehlen größere Macht. Und er festigt meinen Anspruch, nach römischen Gesetz über dieses Land zu herrschen. Aegidius nutzt einen solchen Ring, deswegen hält er sich für den größeren Herrn. Aber wenn er glaubt, dass er mehr Recht dazu hat als ich, dann irrt er gewaltig. Ich werde ihm kräftig unter die Nase reiben, dass sein Herrschaftsgebiet dort endet, wo meines beginnt. Nach all dem, was man hört, hat er sich am Kaiserhof mit seinem eigenmächtigen Handeln wenig Freunde gemacht, so dass ich mein Schicksal nicht auf Gedeih und Verderben an das seine knüpfen möchte. Meine Mannen sollen einen König haben, zu dem sie aufblicken können. Und der einer der ihren ist.“
„Was umso wichtiger ist“ räusperte sich Irminfried, „nachdem einige unserer Gefolgsleute angekündigt haben, fortan nur noch unter Aegidius' Banner zu kämpfen.“
„Verräter!“, grollte Childerich und schlug mit der Faust auf die Lehne seines Stuhls. „Nur die Götter wissen, was Aegidius ihnen für diesen Treuebruch angeboten hat. Höfe im Süden oder mehr Anteil an der Kriegsbeute. Die Schlangen sollen sie holen!“
„Und dieser Ring wird sie umstimmen?“, fragte Gero kleinlaut, der im Kopf bereits die Menge an Gold berechnete, die so eine Arbeit benötigen würde.
„Wohl kaum“, sagte Childerich. „Aber sie werden bemerken, dass ich nicht gewillt bin, dem Ruf eines dahergelaufenen Barbaren zu entsprechen. Ich habe viele Schlachten für Rom geschlagen und war immer treu, egal welcher feiste Hintern dort gerade auf dem Thron saß. Jetzt nehme ich, was mir zusteht. Meine Sippe hat ein Anrecht, dieses Land zu beherrschen.“
„Ich habe nie daran gezweifelt, Herr.“ Gero trat einen Schritt zurück und betrachtete Childerich genau. Das lange Haar des Königs war in der Mitte gescheitelt und nach fränkischer Art im Nacken ausrasiert. Auf Schulterhöhe legten sich die blonden Strähnen in Locken. „Wollt ihr Euer Haar ebenfalls nach römischer Sitte haben?“, fragte er vorsichtig.
Childerichs Reaktion kam prompt und mit einem energischen Kopfschütteln. „Das würde vielleicht den Römern schmeicheln, aber was bringt das, wenn mich die eigene Gefolgschaft dann nur noch für einen halben Mann hielte? Fünfmal am Tag kämme ich mich, was käme auch anderes für einen König in Frage?“
Gero atmete hörbar auf. Ein König mit kurzem Haar, noch dazu als Franke, das war wirklich eine absurde Vorstellung.
„Und gebt ihm ein kriegerisches Aussehen.“ Irminfried trat an den Tisch und musterte die darauf liegenden Waffen. „Er muss wie ein Anführer sein, der seinen Truppen in der Schlacht voranreitet, siegesgewiss und mit dem Segen der Götter an seiner Seite.“
„Und der Lanze in der Hand!“, pflichtete Childerich bei. „Eines Heermeisters würdig.“
„Gebt ihm ein Panzerhemd, den römischen Mantel und die Fibel, welche ihm der große Flavius Aëtius für seine treuen Dienste bei der Verteidigung der Reichsgrenze verliehen hat. Niemand soll einen Zweifel daran hegen, in welcher Tradition wir stehen und welcher Heldentaten wir uns rühmen können.“
„Und zu guter Letzt ...“ Childerich überreichte Gero mit triumphaler Geste ein Pergament, „möchte ich, dass Ihr den Ring mit einer Inschrift verseht.“
Der Schmied hob eine Augenbraue und betrachtete ausgiebig die Zeichen auf dem Schriftstück.
„Ich bin nicht sonderlich geübt im Umgang mit Schrift“, sagte er, nachdem er das Pergament mehrmals hin und hergedreht hatte.
„Was ihr dort geschrieben seht, ist mein Name in lateinischen Buchstaben sowie mein Titel als König.“ Childerich schlug einen Tonfall an, als habe er sich für die Pointe eines guten Witzes besonders viel Zeit gelassen.
Die Offenbarung verfehlte ihre Wirkung nicht. „Ohne Frage ist dieser Ring eines großen Herren würdig“, raunte Gero. Die Möglichkeit, den Namen eines Franken in den Zeichen der Römer wiederzugeben, erschien ihm immer noch wie Zauberwerk.
„Also, wie ist es? Fühlt Ihr Euch dazu imstande?“, wollte Irminfried wissen.
Gero nickte eifrig. „Es wäre mir eine Ehre.“