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Einen Triller lang

Challenge 1. Platz
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05.10.2016
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Einen Triller lang

Ein Triller besteht aus zwei nebeneinander liegenden Tönen, die schnell im Wechsel gespielt werden. Immer hin und her. Mozart verwendete ihn oft und Beethoven in den Klavierkonzerten. Dort gibt er das Signal für das Orchester, das am Ende des Trillers dem Klavier mit Tumult in die Parade fährt und das Werk zu Ende bringt.
Man hört den Triller auf Jimi Hendrix‘ Gitarre und bei alten Motorrädern, kurz bevor sie absterben. Ja, er leitet das Finale ein, das Ende, er ist wie das letzte Aufbäumen einer Musik, die nur noch zwei Töne zur Verfügung hat, zwei Töne, die alles sind.
Auf dem Klavier kann er scheußlich klingen. Wie ein nervtötendes Telefonläuten oder wie das Rumpeln einer Waschmaschine im Schleudergang. Manchmal aber, wenn er gelingt, ist er das Letzte, was die Musik noch sagen kann, das Wichtigste, das in den zwei verlorenen Tönen, in den Verwirbelungen und Drehungen, die sie um sich selbst vollführen, aufscheint wie ein Strahl, um eine Lichtschneise in die Dunkelheit zu schlagen, wie ein Seil, auf dem man hinüberbalanciert in ein anderes Land, gedreht aus dünnsten Fäden, aus feinstem Garn, aus Schall und Rauch.


Jakob Adametz strich sich das graue Haar aus der Stirn. Dann ließ er den Arm langsam sinken, den Kopf über der Tastatur und das g und das a im Blick. Er wollte den Daumen und den Mittelfinger zum Triller aufsetzen. Da löste sich eine Schweißperle von der Nasenspitze und fiel auf den weißen Kunststoff der Töne g und a, und als er die Finger darauf legte, rutschte er herum wie auf einem frisch gewischten Fliesenboden, schlitterte, glitt aus, fand keinen Halt. Mit den Fingerkuppen verrieb er die Feuchtigkeit, versuchte, sie zu verteilen, damit sie verdunstete. Aber es half nichts. Dann sah er hinauf zum Dirigenten, der sich umgedreht hatte und ihm einen erstaunten Blick zuwarf. Er wartete mit dem Orchester auf den Einsatz nach Adametz‘ Triller, hob die Augenbrauen und nickte dem Pianisten aufmunternd zu.
Da löste sich ein Ton. Das g. Wie zufällig, ein heiserer Ruf aus dem Flügel heraus, gerade noch hörbar und der Stille näher als dem Klang. Adametz erschrak. Noch nie war ihm ein Ton ungewollt entkommen. Nie unterlief ihm eine falsche Note, ein Aussetzer, er hatte das Instrument im Griff, hielt es am Zügel, erfüllte genau den Notentext der alten Komponisten, und dafür wurde er geliebt. Für seine Perfektion, die er Zeit seines Lebens kultivierte und in höchste Höhen trieb. Und nun erklang das g, selbständig und spontan, ungeplant und losgelöst von seinem Willen. Sein Mittelfinger zitterte, als er ihn auf das a legte. Kurz hielt der den Atem an, fixierte das Fingerglied und ließ das Gewicht seines Unterarms vorsichtig herabsinken, bis er den Widerstand spürte, und im letzten Moment, kurz vor dem Aufschlagen des Tastenbodens, beschleunigte er den Anschlag, dass der Flügel einen ebenso leisen, nebelhaften Ton hervorbrachte wie vorhin, als wäre er ein klagender Widerhall auf das g, das noch wie ein Fragezeichen im Raum zu schweben schien. Aus dem Halbdunkel des Saals hörte Adametz ein leises Husten, ein gedämpftes Raunen. Tastend streckte er den Daumen dem g entgegen.


„Jakob, komm“, ruft ihm seine Mutter zu. Mit ausgebreiteten Armen balanciert er auf der Straßenbahnschiene. Nur nicht hinunterfallen in die Tiefe. Immer auf dem Seil tanzen.
„Du musst nicht immer ‚Himmel und Hölle‘ spielen!“, ruft sie. „Frau Blinowa wartet schon!“
Mit großen Augen sieht er die graue Fassade des Stadthauses hinauf.
„Ra-de-ti-stra-ße“, buchstabiert er.
„Radetzkystraße“, korrigiert ihn die Mutter. Sie nimmt seine Hand und drückt auf einen der Messingknöpfe. Die Tür springt auf und sie treten ein. Der Flur ist feucht. Jakob rutscht aus und krampft sich in ihren Arm.
„Immer aufpassen, Kleiner“, hört er die Blinowa mit russischem Akzent sagen. Ihr „r“ rattert wie eine Nähmaschine und das „a“ klingt dunkel aus ihrem dicken Hals. Sie steht in der Wohnungstür und streckt ihm die Hand entgegen. „Immer aufpassen, damit nicht falsch passiert. Ist wichtig auf Instrument.“ Bei der letzten Silbe reißt sie den Mund auf und blökt wie ein Schaf in der Weite der Tundra. Er legt seine Hand in ihre, die weich ist wie aufgegangener Hefeteig. In seine Nase zieht der Geruch von Sauerkraut.
„Er hat Talent“, sagt die Mutter.
„Wir werden sehen“, sagt die Blinowa und schiebt Jakob in die Wohnung.
Jede Woche balanciert er die Straßenbahnschienen entlang bis zur Eingangstür in der Radetzkystraße und spielt die Tonleitern im Sauerkrautdampf. Die Blinowa hebt sein Handgelenk mit dem Stiel des Kochlöffels und drückt es wieder hinunter.
„Federleicht muss der Arm sein und laufen müssen die Fingerlein“, erklärt sie mit kehliger Stimme, und Jakob fährt hinauf und hinunter, unentwegt, läuft Langstrecke auf den Tasten bis zum Marathon, bis zur Erschöpfung. Aber die Blinowa ist streng und fordert unerbittlich. In den kurzen Pausen sitzt er am Küchentisch gegenüber dem Krauttopf und darf die knallbunte Matrjoschkapuppe zerlegen bis zum letzten Exemplar, das nicht größer ist als das Vorderglied seines kleinen Fingers. Er stellt die immer kleiner werdenden Figuren der Größe nach auf, und dann jagt sie ihn wieder zurück an den Kasten.
Zu Hause dreht die Mutter die Eieruhr auf. Wenn sie rasselt, ist die Übezeit zu Ende. Aber die Finger werden behänder und schneller und er hört die Eieruhr nicht mehr. Er spürt, dass er ihn bändigen kann, den Kasten, dass seine Kraft wächst, dass er darauf Kunststücke vollführen kann wie ein Akrobat, dreifache Salti, Pirouetten, waghalsige Sprünge in die Höhe und in den Abgrund. Alles gelingt ihm mit der Zeit und die krautkochende Blinowa steht neben ihm und zieht ihre dicke Unterlippe nach unten. „Nicht schlecht“, brummt sie, „nicht schlecht, mein Kleiner. Wer hätte gedacht.“
Er will nur noch spielen. Und spielen wollen auch die Kinder, die ihn hänseln, weil er seine Zeit lieber am Klavier verbringt. „Zebra“, rufen sie ihm nach. Weil es schwarz-weiß ist, wie die Klaviertasten. „Zebra“, oder „Klimperer“, oder „Tastenhauer“, was so ähnlich klingt wie Fleischhauer, und da zuckt er zusammen. Wenn er mit Zebra und Klimperer noch leben kann, so geht ihm der Vorwurf des Hauens nah. „Du musst singen“, sagt die Blinowa, und das spürt er, dass jede Musik vom Gesang herkommt. Sogar das Schlagzeug singt, hat eine Melodie und ist weit entfernt vom Schlagen, vom Hauen, vom Dreschen. Ein Sänger will er sein, ein Sänger ohne Worte und als stummer Sänger ein Lied singen, das von der Seele erzählt, von der Traurigkeit der Welt, von der Dunkelheit und vom Licht.


Langsam, stockend, staksend wie ein kleines Kind, das die ersten Schritte tut, ging Jakob Adametz zwischen den Tönen hin und her. G-a-g-a. „Gaga“, dachte er und musste fast lachen über das Wort, das er in dem Stück nie so erkannt hatte. Und welches Stück war es eigentlich? Ein Klavierkonzert von Brahms, von Mozart, von Beethoven? Es wusste es nicht. Was war anders an diesem Abend? War es der Sauerkrautgeruch, der seit Beginn des Konzerts von der zweiten Geigerin zu ihm herüberwehte, ihre herabhängende Unterlippe, die ihn an die Blinowa erinnerte? Er sah zu ihr hinüber. Sie erwiderte seinen Blick und zog die Nase nach oben, als wollte sie ihm anzeigen, dass er nun machen solle, das Ding zu Ende bringen, dass das Orchester auf Kohlen sitze und nur darauf warte, dass er seinen Triller in Fahrt brächte und die Spieler endlich einfallen könnten zum großen Finale. Adametz wendete den Blick, sah wieder auf die Tastatur, betrachtete verwundert seine Hand, seine Finger, die etwas an Tempo aufnahmen, als hätten sie den Schock des ungewollten Tons überwunden. G-a-g-a.
Verstohlen äugte er dann in die andere Richtung zum abgedunkelten Publikumsraum. Die Leute in der ersten Reihe waren noch beleuchtet vom Bühnenlicht. Dahinter erhoben sich die Ränge, die im Finstern lagen. Er, der Künstler dagegen als Lichtgestalt, herausgehoben aus der namenlosen Menge, er, Jakob Adametz, der Tastenmeister, der vor aller Ohren einen neuen Anfang nahm, einen neuen Start mit den Tönen g und a. Wandelte er wirklich auf so dünnem Eis, dass ihn der zufällig passierte, kaum gehörte Ton so aus der Bahn warf? Trotzig stemmte er sich gegen die Tasten, schlug sie stärker nieder. Und wenn der Triller vorher noch leise und verhalten aus dem Resonanzboden klang, gewannen die Töne an Dichte und Stärke. Er musste die Sache wieder in den Griff bekommen, wieder festen Boden unter den Füßen spüren.
Immer noch die Augen zum Publikum gedreht, sah er zwischen den alten und ergrauten Leuten in der ersten Reihe eine junge Frau sitzen. Er bemerkte ihr dunkles, langes Haar und eine Strähne, die ihr ins Gesicht gefallen war. Unbeweglich saß sie da mit halboffenem Mund, die langen Beine übereinandergeschlagen. Er spielte schneller, die Beine im Blick, begann zu laufen mit seinen Fingern wie diese Beine, die aussahen, als könnten sie tanzen und übers Parkett fliegen, über den Asphalt, als würden sie den Boden nicht berühren, schwerelos, nicht von der Welt. Das g und das a. Sie wurden schneller und schneller. Adametz spürte seinen Puls. Anita.


Sie öffnet die schwere Metalltür der Musikhochschule und kommt die Treppe herunter, die zur Arcisstraße führt. Nein, sie kommt nicht herunter. Sie tanzt, sie schwebt über die Stufen und die schwere Tür fällt hinter ihr sanft ins Schloss, als wüsste sie, wer sie geöffnet hat. Schneeflocken wirbeln mit ihr die Straße entlang. Aus ihrer Strickmütze fällt eine Strähne übers Gesicht. Sie steckt sie unter die Mütze hinter das Ohr und lacht ihn an.
„Kommst du mit heute Abend? Es gibt ein Fest. Coole Leute.“
„Ich muss noch üben“, sagt er. „Mein Prof erwartet viel von mir.“
Sie verdreht die Augen, nimmt seinen Schal an beiden Enden und zieht seinen Kopf zu sich her. „Mein Prof, mein Prof. Das höre ich von dir den ganzen Tag. Dein Prof erwartet viel von dir, Jakob? Das Leben erwartet viel von dir. Schau!“ Anita breitet die Arme aus und mit ihren himmellangen Beinen dreht sie sich mit den Flocken um die Wette über den Königsplatz. Jakob sieht ihr nach und vergräbt die Hände in den Hosentaschen.
„Kommst du?“, ruft sie lauthals über den Platz.
„Ja“, schreit er zurück und erstickt das „a“ und macht schnell den Mund zu, weil er nicht gewohnt ist, laut über Plätze zu plärren. „Ja“, sagte er nochmal leise. „Ja, ich komme.“

Anitas Freunde tragen die Haare lang. „Komm, wir spielen“, begrüßen sie ihn. „Du kannst doch ein wenig klimpern. Deep Purple? Smoke on the water? Mach uns ein wenig den Jon Lord! Ran an die Hammond!“
„Habt ihr Noten?“, fragt Jakob und sieht zu Anita hinüber, die die Lippen zusammenzieht und den Kopf schüttelt.
„Noten, er will Noten“, rufen sie und lachen, und der Gitarrist steht auf, hängt sich das Instrument um und stellt sich vor Jakob hin.
„Weißt du, was wir mit Noten machen?“, fragt er. „Das hier.“ Er lässt den Arm hochfahren und schlägt mit Wucht in die Saiten, dass es aus dem Verstärker schallt. Jakob zuckt zusammen. Dann spielt er weiter, und Jakob erkennt die Melodie. Die amerikanische Nationalhymne, verzerrt, johlend, kreischend, gequält. Der Gitarrist reißt an den Saiten, er schlägt darauf ein, rupft sie wie Hühnerfedern, zerrt an ihnen und biegt dabei seine Hüfte vor, als würde er auf seinem ... Nein, Jakob mag es nicht einmal denken, aber doch. Der Gitarrenhals ist sein Schwanz, der Spieler zeigt voller Stolz seinen verdammten Schwanz her und spielt darauf die Hymne. Mit dem letzten Akkord lässt er den Kopf hängen, und sein langes, lockiges Haar fällt wie ein Vorhang über seine Brust herab. Dann wirft er energisch den Kopf in den Nacken. Sein Schopf fliegt zurück. Lange sieht er Jakob an.
„Jimi Hendrix“, sagt er. „Das war Jimi Hendrix. Kennst du?“
„Das ist keine Musik“, sagt Jakob. „Das hat keine Form, keine Anmut.“
„Anmut?“, wiederholt der Gitarrist langsam und blickt fragend in die Runde. „Anmut! Wen interessiert Anmut?“
Anita zieht ihn weg. „Du bist peinlich“, flüstert sie. „Lass dein gekünsteltes Gerede.“
„Du bist nicht Schubert, du bist nicht Beethoven“, sagt sie später. „Du bist du!“
Das weiß er auch. Und als sie ihn lange küsst, fühlt er, was es hieße, er zu sein, was es für Folgen hätte und er läuft vor den Langhaarigen davon, weil er Angst hat, dass seine Hymnen auch verzerrt werden könnten, dass der Rausch, den er bei ihr spürt, seine klaren Gedanken trüben würde, die er braucht, um Schubert und Brahms zu verstehen.


Er schloss die Augen. G-a-g-a. Du sein. Als ob das so einfach gewesen wäre für ihn. Er war immer ein Gefäß, in das die Musik vergangener Zeiten hineingegossen wurde. Er war die Bühne, auf der Bach und Schubert tanzen konnten. Aber er musste seine Beine ruhig halten. Er durfte nicht tanzen. Und schon die läppischen zwei Töne, das g und das a machten ihm Angst, dass er vom rechten Weg abwich, einmal seine Sache machte. Nur seine. Nicht das, was vorgeschrieben war.
Aber wenn er die zwei Töne wie der Gitarrist damals, anders spielen würde? Sie jetzt, hier, vor allen Leuten in ein heulendes Rattern verwandeln würde wie das einer Bohrmaschine, oder wie das eines Häckslers, dessen Schneidwerk Äste in kleinste Teile zerfräst? Sich einmal auflehnte gegen die Konvention, gegen das schöne Singen. Einmal mutig sein.
Er wirbelte die Finger hin und her im schnellsten Wechsel, den er zustande brachte, dass man keinen einzelnen Ton mehr erkennen konnte und wurde lauter und lauter. Ja, so hätte er seine Lieder verzerren müssen, zerstören, wie Hendrix die Nationalhymne, einreißen, Farbe bekennen, wie Anitas Freund. Zu spät. Aber doch. Hier. Jetzt. Mit den beiden Tönen. Vielleicht könnte er es jetzt tun und das Spiel auf die Spitze treiben. Ein wahnsinniges Geplärr sollten die Töne werden, sollten den Zuhörern in die Ohren fahren, bis die Frauen in ihren mottenmiefigen Roben aus dem Saal stürzten und ihre vom Alter gebückten Männer hinterher. Und in den schwarzen Kasten, in das glanzlackierte Ungetüm, dem er sein Leben geweiht hatte, würde er seine Finger hineinhobeln, bis nur noch kleine Schnitzel übrig blieben, ofentaugliche Späne, die er ins Feuer schleudern könnte, wo das Sinnbild seiner Einsamkeit und seiner Leblosigkeit in einem letzten infernalischen Qualm ein Ende finden würde.


Einmal besucht er sie noch in der Kommune auf dem Land. Die Langbärtigen flößen ihm Respekt ein. Sie ziehen von Dorf zu Dorf, spielen ihre Musik und verlangen nichts dafür.
„Wovon lebt ihr?“, fragt er. Wieder lachen sie und Anita zieht ihn nicht mehr zur Seite.
„Wir sind Vagabunden wie du, Schausteller, die auf dem Marktplatz die Trommel rühren“, sagt sie.
„Bei mir ist es anders. Meine Kunst ist anders.“
Sie lacht ihn aus. „Du machst dir was vor, Jakob. Geh!“, ruft sie ihm nach.
Er dreht sich nicht um und zieht aus dem Dorf hinaus als Fremder. Ein Hund bellt ihm hinterher.
Sie behält Recht. Er wird ein Vagabund, tritt in die Manege im glitzernden Anzug, drückt mit der einen hefeteigweiche Hände und nimmt mit der anderen die Beträge entgegen, die hoch und höher werden bis zur Obszönität. Spring, Künstler, spring. Spring über das Stöckchen, mach Männchen, balanciere auf der Straßenbahnschiene zwischen Himmel und Hölle, schlage den Purzelbaum.

„Spielen sie für ihn“, flüstert ihm sein Agent schmeichelnd ins Ohr. „Es wird sich lohnen.“
Und er geht über den weißen Marmorboden in dessen Palast, drückt Hände und spielt Chopin.
„Dort trittst du auf? Beim Diktator. Du verrätst die Kunst!“, schimpfen die Kollegen. Er weiß es und spielt, weil er meint, sein Lied von der Traurigkeit der Welt kann etwas ändern. Aber es ändert nichts. Überhaupt nichts. Er ist Zierrat, nur Unterhaltung und als er in den Nachrichten die Toten sieht, weiß er, dass die Musik niemanden zu einem besseren Menschen macht.


Adametz spielt und spielt, treibt seine Finger an wie ein Kutscher, der auf die Pferde eindrischt, weil er vor Einbruch der Winternacht zu Hause sein will. Die zwei Töne. Sie sollten ein Neubeginn sein. Stattdessen dreht er sie hohl im Kreis, ziellos, sinnlos. Sie wirbeln dahin und er weiß nicht, wie er aufhören soll. Leer sind die Töne, weil er sie zu oft gesagt hat, zu oft gespielt. Weil er sie drehte und wendete, hinaufwarf und fallen ließ, bis sie ihren Inhalt verloren, ihren Sinn und ihr Gewicht. Er schaut wieder in den Zuschauerraum, fragend, suchend, als läge in den halbdunklen Sitzreihen die Lösung, wie er die Sache aufhören könnte.
Und dann sieht er zu ihr. Sie hebt den Arm, ganz langsam, und streicht sich die Strähne, die ihr Gesicht fast in der Hälfte teilt, hinter das Ohr. Er zuckt zusammen, und ein kalter Schauer überfährt ihn, als hätte jemand alle Saaltüren auf einmal aufgerissen und ein eisiger Schneewind wehte herein. In seinen Ohren saust es. Seine Augen flimmern. Er sieht kleine, blitzende Lichter um sich herumschwirren. Schneeflocken. Ja, es sind Schneeflocken. Sie fallen auf seine Hand. Er sieht den Kristallen zu, wie sie auf dem Handrücken schmelzen und spürt mit jeder Flocke einen Stich, als wären es Nadeln, die in seiner Haut steckenbleiben. Dann packt ihn der Frost mit scharfer Klinge, fährt in seine Fingerbeugen, ritzt die Kuppen, schneidet die Knöchel auf bis auf den blanken Knochen. Adametz beißt sich auf die Zunge. Der Wind pfeift ihm ins Gesicht. Mit zugekniffenen Augen versucht er, das Tempo zu halten. Schützend beugt er sich über die Klaviatur und als er im Windschatten des Tastendeckels die Augen öffnet, sieht er seine Hand von einer Eisschicht überzogen. Schollen lösen sich von den Fingern, die sich gegen die Kälte wehren. Aber sie werden langsamer und langsamer, und je mehr ihre Bewegung abnimmt, desto mehr klammert sich das Eis an die Haut wie ein fester Panzer, wie eine kalte Kruste, die sie zum Stillstand zwingt. Adametz hört ein helles Klacken, als er seine Eisfinger in immer länger werdenden Abständen auf die Tasten setzt. Die Töne werden leiser und spärlicher, werden immer kleiner und unscheinbarer wie die immer kleiner werdenden Matrjoschkas auf dem Küchentisch der Blinowa.

Mit weit aufgerissenen Augen und vorgeschobenem Unterkiefer verfolgt der Dirigent jede einzelne Matrjoschka und bei der letzten kaum mehr hörbaren, kaum mehr sichtbaren dreht er sich blitzschnell um, sticht mit seinem Stab in die Luft und reißt das Orchester aus der fassungslosen Lähmung, in die es Adametz‘ Spiel versetzt hat. Wie eine in der Nacht vom Feind überraschte Armee packen sie ihre Instrumente und tönen wirr durcheinander. Aber der chaotische Aufbruch ordnet sich nach kurzer Zeit. Die Reihen formieren sich und sie marschieren dem Ende entgegen. Mit einem donnernden Akkord, den sie nicht lange aushalten wie üblich, sondern kurz in den Saal schmettern wie einen Kanonenschlag, ist es vorbei.

Adametz sitzt bewegungslos am Flügel. Es herrscht Stille. Kein Laut, kein Husten, kein Räuspern. Atemlose Stille. Nichts.
Da springt in der ersten Reihe die Frau auf und ruft laut: „Bravo, Adametz! Bravo!“ Steht alleine da, und die Augen richten sich auf sie, wie sie dasteht auf ihren langen Beinen und klatscht. Als hätte es ein Kommando gegeben, erheben sich alle. Ein rauschender Applaus brandet auf wie eine Woge, die den Saal erfüllt.
Ob es Schweiß oder Tränen sind oder geschmolzenes Eis, das er sich über das Gesicht wischt, weiß er nicht. Er legt die feuchte Hand auf den Flügelrahmen, zieht sich daran hoch und geht mit gebeugtem Kopf, langsam und schlurfend in die Mitte der Bühne. Als er zögerlich die Arme hebt, wird der Beifall noch heftiger. Er wendet sich zu ihr, sieht sie an, legt seine Hand aufs Herz und verbeugt sich. Sie erwidert seinen Blick, hält inne im Applaus und nickt ihm mit ernster Miene zu.
„Ich komme“, sagt er leise. „Ja, ich komme.“

 

Mensch Rieger, ich muss es ganz einfach raushauen!!!! Ich bin sooo verflucht begeistert von diesem wunderschönen, poetisch-musikalischen Text.
Ich weiß schon jetzt, viele werden kommen und sagen, verdichte, beschleunige, aber bitte, bitte, lass jedes einzelne Wort stehen. Höchstens die Rechtschreibfehler, die ich beim atemlosen Überfliegen übersehen habe, die darfst du löschen. Sonst bitte nichts. Kein einziges Wort.
Vielleicht muss man ein Musikliebhaber sein, vielleicht muss man Klavier spielen (oder es zumindest versuchen) um diesen Text so genießen zu können, wie ich das gerade tue. Aber es geht mir gerade so, ich fühle mich wie an einer langen Leine gefesselt und will und muss unbedingt dabeibleiben, weil du so mit den Worten spielst, wie Adametz das mit den Noten und Tasten kann. Aber du spielst nicht nur damit, sondern mit dem Aufbau der Geschichte, den Wechseln in die Vergangenheit und zurück ins Konzert und mit der Anspannung, wie sich alles miteinander zu einem Knoten verknüpft, der immer dichter und größer wird, und der Frage, was nun werden wird mit diesem bestimmten Moment.

Es ist außrdem sehr schön gemacht wie du Zeitgeschichte hinter der Handlung hervorscheinen lässt. Es ist nur angedeutet, aber man spürt es dennoch, der Künstler, der nach der Pfeife der Macht tanzt und sich selbst verliert und dann sein Aus- und Durchbruch. Und das alles verzahnt mit dem Spielen des Trillers.
Ja, du hast mir mit deinem Text eine große große Freude gemacht. Wunderschön.
Viele Grüße von Novak

 

Hallo @rieger,

da bin ich mal die erste (nein, ich sehe gerade, die zweite - Mist!;)) die kommentiert. Und da deine letzte Geschichte, wenn ich mich nicht täusche, die Gewinnergeschichte der letzten Challenge war, ist mir das eine besondere Freude. :)
Also, ich oute mich mal gleich als jemand, der von klassischer Musik nicht viel Ahnung hat (was durchaus nicht heißt, dass ich sie nicht mag), und deswegen denke ich, dass mir einige Sachen vielleicht entgehen von deinen wunderbaren Bildern, oder bestimmte Feinheiten deiner literarischen Komposition – denn das ist es ja irgendwie: eine Sinfonie aus Wörtern, und ich bin beeindruckt.
Dafür, dass ich mich in der klassischen Musik nicht so gut auskenne, kann ich an anderer Stelle wenigstens anmerken, dass der Gitarrist Jimi Hendrix heißt.
Womit ich die einzige Schwierigkeit hatte, war der Anfang. Die Ouvertüre ;). Das klingt ja erstmal wie ein Zitat aus einem musikwissenschaftlichen Lehrbuch. Du erklärst den Triller ohne Zweifel wunderbar, vor allem dann hier:

Manchmal aber, wenn er gelingt, ist er das Letzte, was die Musik noch sagen kann, das Wichtigste, das in den zwei verlorenen Tönen, in den Verwirbelungen und Drehungen, die sie um sich selbst vollführen, aufscheint wie ein Strahl, um eine Lichtschneise in die Dunkelheit zu schlagen, wie ein Seil, auf dem man hinüberbalanciert in ein anderes Land, gedreht aus dünnsten Fäden, aus feinstem Garn, aus Schall und Rauch.
Aber ganz zu Beginn brauche ich persönlich eine handelnde Figur, um mich reinzuziehen. Ich selbst würde, wenn es meine Geschichte wäre, den Erklärteil später einbauen, erstmal den Jakob einführen.
Man hörte den Triller auf Jimmy Hendricks‘ Gitarre und bei alten Motorrädern, kurz bevor sie abstarben.
Hier finde ich unnötig, dass du ins Präteritum wechselst. Alles andere ist im Präsens. Und man kann Hendrix ja immer noch hören, gibt ja Aufzeichnungen, und alte Motorräder gibt’s auch noch ein paar.
ein Nerv tötendes Telefonläuten
nervtötend
aufscheint wie ein Strahl, um eine Lichtschneise in die Dunkelheit
Aufscheinen klingt komisch, finde ich. Aufblitzen, Aufleuchten gäbe es auch, zum Beispiel.

Später wechselst du auch die Zeiten, die Vergangenheit und das Finale im Präsens, die sonstige Gegenwart im Präteritum – das gefällt mir.

„Kommst du mit heute Abend. Es gibt ein Fest. Coole Leute.“
Hier frage ich mich, ob das Wort „cool“ nicht zu modern ist für die Zeit, in der der Rückblick handelt.
Der Gitarrist reißt an den Saiten, er schlägt darauf ein, rupft sie wie Hühnerfedern, zerrt an ihnen und biegt dabei seine Hüfte vor, als würde er auf seinem.
Hä? Habe ich hier erst gedacht, hat Rieger vor Lauter Lauter vergessen, weiterzuschreiben - aber hat er gar nicht:
Nein, Jakob mag es nicht einmal denken, aber doch. Der Gitarrenhals ist sein Schwanz
Sehr witzig gemacht, finde ich. :lol:
Ja, so hätte er seine Lieder verzerren müssen, zerstören, wie Hendricks die Nationalhymne, einreißen, Farbe bekennen, wie Anitas Freund. Zu spät. Aber doch. Hier. Jetzt.
Ja, das ist ja der Grundtenor deiner Geschichte, und ich will mich zum Inhalt gar nicht weiter auslassen, weil ich finde, es passt, es ist tragisch und wunderbar geschrieben, und ich könnte noch massenhaft Stellen zitieren, die mir gefallen, wie diese hier:
Adametz spielt und spielt, treibt seine Finger an wie ein Kutscher, der auf seine Pferde eindrischt, weil er vor Einbruch der Winternacht zu Hause sein will.
(das zweite seine kannst du sicher weglassen) und diese hier:
Ob es Schweiß oder Tränen sind oder geschmolzenes Eis, das er sich über das Gesicht wischt, weiß er nicht.
und noch ganz viele Stellen mehr.

Genau verstehe ich nicht, warum du den Tag Seltsam gewählt hast, die einzige seltsame Stelle ist nach meinem Empfinden ja nur die Schneeflockenstelle, und die könnte auch als poetische Ausschmückung seiner Gefühle durchgehen. Ich selbst glaube ja nicht, dass die junge Frau im Konzertsaal die wirkliche Anita ist (geht ja gar nicht), sondern eine Frau, die ihn an sie erinnert, oder doch Anita, aber sie ist schon alt, nur für ihn sieht sie aus wie damals - na, ich merke schon, doch alles ziemlich seltsam … Dann passt es ja!

Ich habe deine Geschichte sehr gerne gelesen.
Viele Grüße von Raindog

 
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Hallo @rieger,
Ich hatte gerade ein Déjà vu Erlebnis. Du hast doch schon ein Musikerportrait hier geschrieben : "Die alten, bösen Lieder". Es scheint ein Lieblingsthema zu dir zu sein. Also um es gleich zu sagen: Dieses hier ist grandios, von jemandem geschrieben, der sehr viel von Musik und schwierigen Künstlerseelen versteht. Einfach toll! Die Spannung zwischen der strengen Disziplin bis zur absoluten Meisterschaft, was natürlich wahnsinnige Opfer verlangt, Verzicht auf jugendliche Unbekümmertheit, unmögliche Bindungen an andere Menschen, Verrat an moralischen Prinzipien, quälendes Rampenlicht hast du beeindruckend beschrieben. Eine Tyrannin ist die Musik, daneben auch elitär und hochmütig.
Es ist wahr, wenn man selbst Klavierunterricht hatte, kommen einem die Anfänge sehr bekannt vor. Meine Lehrerin, die Frau eines früheren SS-Offiziers, hielt sich in den Fünfzigern mit Klavierunterricht über Wasser. Sie war sehr streng, pflegte mit dem Kochlöffel auf meine kleinen Hände zu schlagen, nicht fest, aber doch so, dass ich auf die Zähne beißen musste, um nicht zu weinen. Aber sie hatte einen guten Ruf, und ein paar sehr gute Pianisten sind aus ihrer strengen Zucht hervorgegangen. Ich war nicht dabei, wollte lieber wie Anita am Leben teilhaben.

Dein Text fällt natürlich völlig aus dem Rahmen. Man kann ihn wirklich nicht unter Flash Fiction einreihen.;) Eher erinnert er mich Novellen. Aber wie @Novak sagt, ändere ja nichts daran! Er ist wunderbar in seiner Intensität und Anschaulichkeit, sprachlich auf Höchstniveau, und müsste, wenn es gerecht zugeht, auch von Lesern akzeptiert werden, die mit klassischer Musik nichts am Hut haben und/oder sich in der Tradition von Jimi Hendrix‘ Musikrichtung sehen.

„Ich komme“, sagt er leise. „Ja, ich komme.“

Dass der Prota zuletzt den Weg zu 'Anita' findet, die ich hier als Vision verstehe, ist für mich nicht seltsam, wenn man das letzte Wort als Abschied von den Konzertsälen dieser Welt interpretiert. Er hat seine ganze Kraft und sein Können in diesen letzten Triller gelegt. Jetzt gibt es etwas anderes, das, was er bisher aus seinem Leben ausgegrenzt hat, wo immer es ihn jetzt hinführt. Ich glaube, mancher Künstler wünscht sich so einen Abschied.

Ist es verkehrt, wenn ich annehme, dass du diesen Text schon länger in Arbeit hattest?

Ziemlich beindruckt (schon wieder einmal)

und herzliche Grüße

wieselmaus

 

Hallo @Novak,
Mensch, freut mich total, Deine spontane Begeisterung! Danke für den Kommentar. Ich hatte große Zweifel, ob ich den Text einstelle, aus den Gründen, die Du schon andeutest. Ich konnte das nicht mehr einschätzen, ob das epigonenhaft ist, natürlich viel zu viel Tell für manche, wobei ich Zeigen und Erzählen mittlerweile halbwegs auseinanderhalten kann, was mir lang ein Rätsel war. Aber in dem Kontext hat sich der Tonfall eben so herausgeschält, die Reflexionen, die unszenisch sind.
Klar, das ist schon ein exklusiver Bereich die Klassik, aber die Jugendkultur ist ja auch nur Insidern verständlich und jeder Kreis hat seine Riten und Gewohnheiten. Wenn man mal ein Instrument gelernt hat, dann kann man die Einsamkeit, die einem die klassische Musik abverlangt, sicher besser nachvollziehen. Das sehe ich wie Du. Aber wenn man halbwegs ein Konzertsaalsetting im Kopf hat, ist es vielleicht auch nachvollziehbar. Schön auch, dass Dir die Verzahnung mit den Rückblenden gefällt. Die Idee war, dass da aus winzigen Analogien von Gegenwart und Vergangenheit eine Erinnerungskaskade losgetreten wird, die aus irgendeinem Grund ganz an die Basis hinunterfährt und existenziell wird. Dass das bei Dir angekommen ist, wunderbar!
Beste Grüße
rieger

Hallo @Raindog,
auch Dir besten Dank für die schnelle Rückmeldung! Etliche Deiner Vorschläge habe ich schon eingebaut und ausgebessert und zuerst natürlich den kapitalen Fehler mit dem Hendrix. Super Textkorrektur!
Was mich da umtrieb, das setzt eigentlich gleich bei Deiner Bemerkung an, dass Du von Klassik im Detail nicht so die Ahnung hast. Ich hab von ziemlich vielen Dingen auch keine Ahnung (Hendrix), aber die Klassik hat oder kultiviert nach wie vor eine elitäre Haltung, dass man meint, man müsse sich immer dafür entschuldigen, dass man drüber nichts weiß, dass man nicht eingeweiht ist in die heiligen Geheimnisse. Und in Konzerten rümpft man die Nase, wenn Leute zwischen den Sätzen klatschen und sie den Verhaltenskanon nicht draufhaben. Das hat wahrscheinlich auch den Grund, dass sie eben aufgrund der langen Tradition komplex ist und vielschichtig und zu Disziplin zwingt und, wie @wieselmaus unten schreibt, dadurch was Tyrannisches hat. Auf der anderen Seite ist sie auch ein soziales Statement, sie klassifiziert, auch wenn das heute viel mehr durch Elemente aus dem Showbusiness aufgebrochen wird. Aber Simon Rattle war mit seinem Engagement in Berlin für Brennpunktschulen einer der wenigen, der diese soziale Mauer durchstoßen hat. Aber wahrscheinlich gehen diese beiden Punkte miteinander einher.
Ich bin darum auch froh, was Dein Gesamturteil betrifft. Dass man aus der Geschichte was rauslesen kann, auch wenn man nicht vom Fach ist. Stimmt, mit den Tags war ich ein wenig ratlos. Ich habe dann eben Seltsam genommen, weil mir die Sache seltsam vorkam. Es ist ja schon eine ins Extreme getriebene Situation.
Besten Dank für Deine wertvollen Hinweise und beste Grüße!
rieger

Hallo @wieselmaus,

Dass der Prota zuletzt den Weg zu 'Anita' findet, die ich hier als Vision verstehe, ist für mich nicht seltsam, wenn man das letzte Wort als Abschied von den Konzertsälen dieser Welt interpretiert. Er hat seine ganze Kraft und sein Können in diesen letzten Triller gelegt. Jetzt gibt es etwas anderes, das, was er bisher aus seinem Leben ausgegrenzt hat, wo immer es ihn jetzt hinführt. Ich glaube, mancher Künstler wünscht sich so einen Abschied.
Wow. Diese Deutung finde ich stark. Ich habe mir da eigentlich nichts Konkretes vorgestellt. Aber das trifft es ziemlich, denke ich.
Ja, es gab die Sängergeschichte. Irgendwie hat man so seine Steckenpferde und schreibt daran herum. Das Thema "Künstlertum" interessiert mich tatsächlich. Ein paar Sachen habe ich @Raindog schon geschrieben. Was mich auch beschäftigt, und das passt ja auch toll in Deine Biographie, das ist das Museale, das mit der Klassik einhergeht. Natürlich hat sie was. Das kann man schlecht leugnen. Aber es ist doch ein verrückter Zustand, dass sich die Spielpläne der Opernhäuser zum Großteil aus alten Schinken zusammensetzen, die allesamt über hundert Jahre alt sind. Wenn man sich das in der Litertatur vorstellt oder im Sprechtheater. Gut, das hat seine Gründe, dass die musikalische Moderne nie eine breite Akzeptanz gefunden hat. Aber verrückt ist es trotzdem und in der konservierenden Art, mit der es gemacht wird, ist es schon sonderbar. Und trotzdem wird es gehört, weil es was aussagt und zurecht heult man rum, weil sie schön ist. Also, schon eine ambivalente Sache, finde ich. Aber das dann eben gegen die Archaik der frühen Rockmusik zu stellen, das hat mich da gereizt und das ist echt berührend, dass Du da in Deiner eigenen Geschichte eine Weiche siehst, die parallel verlief.
Wieselmaus, besten Dank für Deinen schönen Kommentar!
Herzlich
rieger

 

Hallo @rieger,

hach, was haben Triller nicht schon alles geschaffen. "Erfunden" im Barock und ausgeführt in diversen Variationen, als Ende der Solokadenz oder eben auch bei Jimmy Hendrix sind sie doch immer wieder atemberaubende Momente in der Musik.
Und hach, was für eine schöne Geschichte. Ich muss zugeben, dass ich beinahe ein paar Tränen verdrücken musste, weil Dein Text so ehrlich und emotional ist. Das hat sicherlich auch damit zu tun, dass ich selbst eine klassische Musikausbildung genieße und das Gefühl kenne, wenn man plötzlich unter Rockmusikern steht... Zum Glück habe ich jedoch Musiklehrer, die mir erlauben auch andere Stile kennenzulernen. Trotzdem bleibt die Angst um gut trainierte Finger und Ohren.
Wie schön wär es doch, die Klassik aus ihrem elitären Bereich rauszuschubsen... Und ein Hoch auf Simon Rattle!:thumbsup:

Ich habe mal die mMn schönsten Stellen deines Textes gesammelt:

Bei der letzten Silbe reißt sie den Mund auf und blökt wie ein Schaf in der Weite der Tundra.
:D

Ein wahnsinniges Geplärr sollten die Töne werden, sollten den Zuhörern in die Ohren fahren, bis die Frauen in ihren mottenmiefigen Roben aus dem Saal stürzten und ihre vom Alter gebückten Männer hinterher.
Jaaaa!

weil er Angst hat, dass seine Hymnen auch verzerrt werden könnten, dass der Rausch, den er bei ihr spürt, seine klaren Gedanken trüben würde, die er braucht, um Schubert und Brahms zu verstehen.
Jip, das Gefühl kenne ich. Sehr treffend!

Aber es ändert nichts.
Neiiiin, das will ich nicht glauben!

Schützend beugt er sich über die Klaviatur und als er im Windschatten des Tastendeckels die Augen öffnet, sieht er seine Hand von einer Eisschicht überzogen
Das ist einfach nur geil beschrieben!

Vielen, vielen Dank für diesen wunderbaren Text!

Gruß
Broodje

 
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Hallo Rieger, ich habe eine Menge durcheinander wirbelnder Gedanken zu Deinem Text, deshalb versuche ich mal, die ein wenig zu ordnen:

Der Triller - Musiktheorie und Stuff

Manchmal aber, wenn er gelingt, ist er das Letzte, was die Musik noch sagen kann, das Wichtigste … Ist das so? Schon rein formal ist der Triller eine Verzierung. Wie kann eine Verzierung etwas Essentielles sein? Ich verstehe, dass Du als Autor versuchst in einem Einzelaspekt etwas Umfassenderes sehen und beschreiben zu wollen. Das bekommt dann etwas Symbolisches. Aber stimmt diese Metapher mal von ihrer ästhetischen Anziehungskraft abgesehen?

Außerdem verwirrt mich diese Gleichsetzung von Triller und am Ende stehend. Wenn man sich Chopin oder Beethoven anschaut/ anhört, dann wimmelt es da von Trillern, ein Triller ist doch keine reine Kadenz oder irre ich mich da?

Was sich mir ebenfalls nicht erschließt ist die Frage, wie sich am Beispiel des Trillers der Konflikt zwischen formaler Regeltreue und freier Improvisation/ Interpretation darstellen lässt. Ich meine, zwei Noten, die hintereinander gespielt werden, wieder und wieder – wieviel Freiheit kann es da in der Spielweise geben? Ich habe mir dazu ein paar Klavierlehrer-Videos auf Youtube angeschaut und bekomme nicht gerade den Eindruck, dass dies das Feld ist, wo sich der eigensinnige Geist des Interpreten entfalten kann. Klar spielen Pianisten das unterschiedlich, aber das ist doch sicher nicht das entscheidende Kriterium für vollendete oder originelle Interpretation. Oder sehe ich das falsch?

Nie unterlief ihm eine falsche Note …. erfüllte genau den Notentext der alten Komponisten … Das hat nichts mit dem Triller zu tun, hat mich aus anderen Gründen stutzig gemacht. Falls erfüllte genau den Notentext der alten Komponisten nur noch mal betont, dass er keine falsche Note spielt, wäre das redundant. Deshalb nehme ich an, Du meinst das in einem umfassenderen Sinne, und das verstehe ich nicht ganz. Man kann in einem umfassenden Sinne nicht genau das spielen, was die alten Komponisten aufgeschrieben haben, denn das würde bedeuten, dass eine Spielweise die originale/ richtige wäre und die anderen somit falsch. Jeder Pianist spielt aber auf seine eigene Weise und das Resultat ist stets unterschiedlich.

Man Vater sitzt aus Spaß gern mal mit einer Stoppuhr da, wenn er die weltbesten Pianisten auf Youtube anschaut und erzählt mir dann, wer wie lange braucht, um durch diese oder jene besonders schwierige Passage zu kommen. Es gibt aber keine exakte oder einzig richtige Spielweise, würde ich denken. Korrigiere mich gern, wenn ich daneben liege.

Der Konflikt

Der Konflikt, der sich in der Szene mit Anitas Freunden andeutet, kann umschrieben werden als Spannung zwischen dem Formalen und dem Spontanen, Regeltreue und traditionell geschulte Empfindsamkeit versus Improvisation und urwüchsige Derbheit. Man könnte sagen, die Hauptfigur hat sich ein Leben lang formaler Vollendung gewidmet, eine Perfektion, die aber steril und irgendwie lebensfremd zu sein scheint, und nun, in diesem Moment des Konzerts durchbricht er das Muster, befreit sich einen Triller lang. Das ist schon ziemlich artifiziell, wie überhaupt der ganze Text. Die Akademiker werden Dir vielleicht zujubeln, aber so manch anderer wird fragen: So what?

Warum? Weil das einerseits ein bisschen ein Luxus-Problem ist, zumindest wird es am Beispiel einer elitären Lebenssituation durchexerziert. Andererseits widerspricht es aber auch den realen Zuständen. Pianisten (oder auch Violinisten) sind in Wirklichkeit alles andere als unscheinbare Figuren, die Dienst nach Vorschrift machen. Sie sind eher Pop-Stars und darunter gibt es regelrechte Diven. Dass nun so ein Pianist aus einer behaupteten Erstarrung ausbrechen will und das ausgerechnet mit Hilfe von zwei Tönen erscheint mir ein bisschen konstruiert. Oder ich habe den Konflikt nicht richtig verstanden

Fazit

In der Summe bin ich ein wenig hin und hergerissen. Einerseits überzeugt mich die Grundsituation und die darin liegende Behauptung nicht ganz. Andererseits weiß ich schon, dass Leute mit klassischer Musikausbildung so ihre Probleme haben können, wenn es um freie Improvisation geht.

Bei unseren Bandproben mochte ich das Jammen am liebsten. Ich fand es wunderbar, wenn sich aus dem anfänglichen Chaos von Drums, Bass und Gitarren so langsam wiederkehrende und erkennbare Figuren formten, die sich ständig wandelten, wuchtiger wurden, wieder abschwächten um dann erneut loszudonnern. Als Sänger habe ich dann auch improvisiert und häufig waren diese Sessions die Highlights meiner Woche. Viele klassisch ausgebildete Musiker haben mit dem Jammen so ihre Schwierigkeiten. Deshalb kam mir der Spruch: »Habt ihr Noten?« bekannt vor. Lustig auch.

Aber ein Konzertpianist ist eben etwas anderes als ein Musiker, der selbst Musik produziert. Er ist Interpret, nicht Komponist. Insofern überzeugt mich der Konflikt nicht so ganz.

Dann noch kurz zur Sprache. Ich finde viele Passagen ganz wunderbar und schließe mich da den anderen Kommentatoren an. Ich sehe aber auch das Problem, dass vor lauter Kunstfertigkeit im Ausdruck der Inhalt ein wenig untergeht. Ich habe die Geschichte beim ersten Lesen gar nicht verstanden, weil ich mit dem Entwirren und Interpretieren der sprachlichen Figuren beschäftigt war. Das meine ich mit artifiziell. Vielleicht ist es etwas zu dicke geraten.

Trotz dieser Bedenken habe ich das Lesen sehr genossen. Das ist auf jeden Fall ein bemerkenswerter Text. Vielen Dank dafür.

Gruß Achillus

 

Hallo @rieger,

so, ich gebe es gleich zu Anfang zu: Ich habe nicht den blassesten Schimmer von Klassik. Früher habe ich lange Ballett getanzt, da hatte ich noch eher einen Draht dazu, aber im Moment höre ich das überhaupt nicht und noch weniger kenne ich mich damit aus.

Es ist hauptsächlich deine Sprache, die mich hier durch den Text geführt hat. Zwar finde ich Adametz Geschichte aus mehreren Gründen interessant, aber der Konzertteil, der war für mich eher zäh zu lesen, das gebe ich zu. Das liegt aber ganz allein an meinem Geschmack und meinem Interesse für dieses Thema.

Den Anfang der Geschichte fand ich wunderschön. Sätze wie er ist wie das letzte Aufbäumen einer Musik, die nur noch zwei Töne zur Verfügung hat, zwei Töne, die alles sind oder Manchmal aber, wenn er gelingt, ist er das Letzte, was die Musik noch sagen kann, das Wichtigste, das in den zwei verlorenen Tönen, in den Verwirbelungen und Drehungen, die sie um sich selbst vollführen, aufscheint wie ein Strahl, um eine Lichtschneise in die Dunkelheit zu schlagen, wie ein Seil, auf dem man hinüberbalanciert in ein anderes Land, gedreht aus dünnsten Fäden, aus feinstem Garn, aus Schall und Rauch sind einfach toll. Da fühle ich mich mitgenommen, fast ein bisschen schwebend, weil das einfach schön klingt.

In diesem Absatz hier waren mir ein bisschen zu viele bildliche Vergleiche auf zu engem textlichen Raum:

„Immer aufpassen, Kleiner“, hört er die Blinowa mit russischem Akzent sagen. Ihr „r“ rattert wie eine Nähmaschine und das „a“ klingt dunkel aus ihrem dicken Hals. Sie steht in der Wohnungstür und streckt ihm die Hand entgegen. „Immer aufpassen, damit nicht falsch passiert. Ist wichtig auf Instrument.“ Bei der letzten Silbe reißt sie den Mund auf und blökt wie ein Schaf in der Weite der Tundra. Er legt seine Hand in ihre, die weich ist wie aufgegangener Hefeteig.
Das war mir in der Häufigkeit hier zu viel.

Inhaltlich finde ich es total interessant, wie du Adametz beschreibt. Er wirkt auf mich einerseits vollkommen erfüllt von der Liebe zur Musik, zum Klavierspiel, andererseits auch sehr verbissen. An dem Beispiel mit der Party merkt man, wie eingeengt sein Sichtfeld ist, wie wenig er sich auf andere (Menschen) Musikarten einlassen kann, ja, er hat sogar Angst, dass sie sein Spiel versauen könnten. Das macht das Ganze natürlich tragisch, denn ich frage mich, wieviel vom Leben verpasst er? Wie sehr ist im die Leichtigkeit verloren gegangen, die Bereitschaft, mal spontan etwas zu wagen?
Das ist so eine Sache, die ich mich schon oft gefragt habe, bei - ich nenne sie mal - Vollblutkünstlern. Damals, mit zwölf oder so, da hatte ich die Chance, professionell zu tanzen. An so einer richtigen Ballettschule, ich glaube, das war in Wien oder so, hab ich vergessen. Ich habe nächtelang darüber nachgedacht, mit meinen Eltern gesprochen - und habe mich schlussendlich dagegen entschieden. Es hätte bedeutet, meine Familie und Freunde zu verlassen. Es hätte bedeutet, täglich stundenlang Tanzunterricht zu haben. Da waren dann auf einmal Zwänge mit verbunden, die mich total abgeschreckt haben, weil zum Tanzen für mich immer mehr Gefühl gehört hat, als strenge Disziplin. Was ich sagen will, ich war dann wohl nicht die klassische "Vollbluttänzerin", denn ich habe mich für einen anderen, unprofessionellen Weg entschieden, bei dem ich mein bisheriges Leben nicht aufgeben musste. Und ich frage mich oft, gehört zum Leben für die Kunst auch immer ein Stück weit die Isolation von "den anderen"? Weißt du, was ich meine?

Ich verstehe das Ende ähnlich wie @wieselmaus. Es fühlt sich an wie ein Befreiungsschlag. Ob der beabsichtigt ist oder sich eher aus der Situation mit dem Schweißtropfen ergibt, der Tropfen Adametz sozusagen wachrüttelt, sei mal dahingestellt. Aber ich empfinde die letzten Absätze auch wie einen Befreiungsschlag und hoffe, dass er nun seinen Blick öffnet für alles, was es da noch so gibt im Leben.

So, keine Ahnung, ob ich eher geschwafelt habe, als irgendetwas Hilfreiches zu hinterlassen, aber du hast da einen sehr interessanten und handwerklich echt guten Text geschrieben. Ein Text, der mich gefordert hat, weil es ein Thema war, mit dem ich mich selten auseinandersetze. Und sowas mag ich.

Liebe Grüße
RinaWu

 
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Ja, er leitet das Finale ein, das Ende, er ist wie das letzte Aufbäumen einer Musik, die nur noch zwei Töne zur Verfügung hat, zwei Töne, die alles sind.

Hallo rieger,

das o.g Zitat, diese Erklärung - wer sagt das? Der Erzähler? Ich empfinde den Einstieg schwierig, wenn ich als Leser so eine Präambel vorgesetzt bekomme, nach dem Motto: Ich erkläre dir die Wichtigkeit dieses Details, damit du verstehst, was in der Geschichte, die jetzt nachfolgt, passiert. Das ist ein wenig Oberlehrerhaft.

Da löste sich eine Schweißperle von der Nasenspitze und fiel auf den weißen Kunststoff der Töne g und a, und als er die Finger darauf legte, rutschte er herum wie auf einem frisch gewischten Fliesenboden, schlitterte, glitt aus, fand keinen Halt. Mit den Fingerkuppen verrieb er die Feuchtigkeit, versuchte, sie zu verteilen, damit sie verdunstete.

Sprachlich: Eine (!) Schweißperle fällt auf zwei Töne. Dann dieser Vergleich mit dem gewischten Fließboden - wischt er da tatsächlich mit den Fingern herum? Denn so steht es da ja, es ist ein Vergleich. Dann verreibt er die Feuchtigkeit mit den Fingern, verteilt sie, damit sie verdunsten - puh, also wie reibt er denn da rum, damit sie verdunstet? Achillus hat das schon gesagt, ist sprachlich oft ziemlich dicke, und auch hier ziemlich unpräzise. Würde ich mir nochmal genau ansehen.

Der Konflikt zwischen dem klassisch geschulten Musiker und dem Rockmusiker, der irgendwie (was denn eigentlich?) zerfetzt, ist ja bekannt. Mich erinnert das auch ein wenig an "Whiplash", wo es auch um Musik und Perfektion und Obsession geht. Dieser Bruch, dass es in der Rockmusik nicht um Noten sondern um ein irgendwie geartetes freies Gefühl geht, ist natürlich überholt. Auch in der Rock und Popmusik gibt es Noten, und bestimmte Folgen werden sehr genau bedacht und wiederholt, so entstehen Hits. Also diese Befreiung, die es in den 60ern gab, Summer of Love etc, als Musik so eine Art Amplifikator für das Gefühl einer Generation stand, hat natürlich auch etwas mit der freien Improvisation zu tun, aber vor allem mit der Lautstärke - erstmals war es möglich, Musik überhaupt in den entsprechenden Lautstärken zu spielen und zu rezipieren. Witzig auch, dass du gerade Jon Lord erwähnst, der ja eine absolut klassische Ausbildung erhalten hat. Der hat nämlich alles andere als frei improvisiert, da war alles genau abgestimmt, es klang vielleicht frei. Also dieser Konflikt, Achillus hat das ebenfalls schon gesagt, der ist etwas konstruiert. Ich weiß, wo du damit hinwillst, er ist auf der Akademie und sieht sich im Grunde als ein strenger Nachfolger, der die Musik als gegeben hinnimmt und sie perfekt spielen möchte, er braucht einen klaren Kopf, um sie zu verstehen, sagst du - und auf der anderen Seite diese langhaarigen Kommunetypen, die irgendwas mit ihren Klampfen shredden, sie also angeblich von irgendetwas befreit haben, und als Mittlerin der Welten Anita, die ihn auch von irgendetwas befreien will, ein persönlicher Dämon sozusagen, er soll er selbst werden, und das durch Musik. Für mich funktioniert das nur bedingt. Du müsstest den ganzen zeitlichen Rahmen verlegen, weil heute gibt es diese Schranke zwischen U und E nicht mehr so krass, klassisch ausgebildete Musiker zocken auf Geigen Hendrix etc, das gibt einfach nichts mehr an Potential her. Du müsstest eine Situation evozieren, wie damals Bob Dylan beim Newport Folk Festival, als er einfach mit elektrischer Gitarre gespielt hat und den Leuten damit total vor den Kopf gestossen. Du erwähnst das so listig in einem Nebensatz, dass er da beim Diktator vorgespielt hat - DAS wäre eine Situation, wo er sagen könnte, okay, fuck it, dem knall ich jetzt eine Impro um die Ohren, denn dann würde er etwas riskieren, dann würde etwas auf dem Spiel stehen.

Sprachlich ist das dein Ding, mir ist das an vielen Stellen zu dick, auch zu repetitiv, aber du hast da deine eigene Sache am laufen. Die Dialoge, da würde ich nochmal drüber gucken, die sind auch oft zu fix, die kommen zu sehr auf den Punkt, da würde ich mir mehr Uneindeutiges wünschen, die wirken alle so abgeklärt, als wüssten sie genau, was sie wollen, und das kann ich mir nicht vorstellen, da müsste es viel mehr Unsicherheit und Zweifel geben.

Nicht, dass das untergeht: Ich habe den Text gerne gelesen und halte das Thema auch für unbedingt wichtig und interessant. Ich schreibe selber an einem Text über einen Musiker, und empfinde es als unglaublich schwierig, da einen gewissen Zug reinzubekommen, weil Musik und das Gefühl für Musik nur unzureichend in Worte zu fassen ist. Du hast dies hier sehr schwelgerisch gelöst, was ich als einen guten Ansatz für dich und dein Schaffen empfinde.

Gruss, Jimmy

 

Hallo @rieger ,

menno, jetzt wollte ich doch glatt mit dem Kritisieren einsteigen und jetzt machst Du es mir so schwer. :p Ich nehme jetzt einmal vorweg, dass mich Dein Text sehr begeistert hat und die Kritik, die ich äußern kann allenfalls Feinheiten betrifft. Ich finde Deine Geschichte sowohl sprachlich als auch inhaltlich gelungen. Ich weiß nicht, ob die Harmonielehre von Schönberg kennst. Ist ein klassisches Lehrbuch. Ich lese immer wieder gerne darin, weil ich die Sprache von Schönberg so schön finde. So ging es mir auch mit Deinem Text.

Ich mag Deine ersten Absätze sehr, wie sie sich langsam aufbauen vom abstrakten Triller zum Konkreten und schließlich dem einsamen g Deines Pianisten. Das hat mir sehr gefallen und Dein Text strahlt an dieser Stellung eine ruhige Spannung aus.

Sehr gut gelungen finde ich auch den Übergang in die Jugend Deines Protagonisten, wenn aus Adametz Jakob wird. Das war sehr geschickt, da ich die »Mutter« gar nicht mehr brauchte, um den Zeitsprung zu verstehen.

Auch die lebhaften Bilder der Klavierlehrerin haben mich förmlich Sauerkraut und Tundra riechen lassen, auch wenn ich auf letzteres gut hätte verzichten können :D.

dass ihn der der zufällig passierte, kaum gehörte Ton so aus der Bahn warf?

Hier habe ich by the way noch einen Wortdoppler gefunden.

Immer noch die Augen zum Publikum gedreht, sah er zwischen den alten und ergrauten Leuten in der ersten Reihe eine junge Frau sitzen.

Hier bin ich ein wenig gestolpert, wie ich das häufig bei solchen Beschreibungen tue. Meiner Bühnenerfahrung nach, kann man geblendet von den Scheinwerfern das Publikum gar nicht so genau sehen.

Einen zweiten Stolperer hatte ich, weil ich - im Gegensatz zu oben - hier den Zeitsprung nicht so schnell bekommen habe.

Jimi Hendrix hat keinen Anmut. Hmmm ... da ist Dein Protagonist ein Hardcore-Klassik-Fan. Und so komme ich zu der einzigen echten Kritik an Deiner Storyline:

Aber wenn er die zwei Töne wie der Gitarrist damals, anders spielen würde? Sie jetzt, hier, vor allen Leuten in ein heulendes Rattern verwandeln würde wie das einer Bohrmaschine, oder wie das eines Hechslers, dessen Schneidwerk Äste in kleinste Teile zerfräst? Sich einmal auflehnte gegen die Konvention, gegen das schöne Singen. Einmal mutig sein.

Ich hatte in den ganzen Rückblendungen keinen Moment einen Zweifel, dass Dein Protagonist genau das ist, was er tut. Er nicht er selbst ist. Ganz im Gegenteil, er wurde zwar von der Mutter zur Klavierlehrerin geführt, aber er hat sich nicht mit einem Gedanken gewehrt. Er dachte an keiner Stelle, dass er das nur der Mutter zur Liebe macht, er lieber draußen spielen würde, das Spielen nach Noten nicht mag, Jimi interessant fände, mit Rock eine neue Form von spielenswerter Musik gefunden hätte, aber er dieser Leidenschaft nicht nachzugehen vermag. Selbst die Stelle mit dem Diktator zeigt nur, dass die Musik nicht die Wirkung hatte, die er sich erhofft hat, aber denkt keinen Moment daran, dass es die falsche Musik war, er nicht das getan hätte, was er liebt.

Ich kann daher die plötzlichen Zweifel in der Gegenwart nicht verstehen. Er tut nicht etwas, was er schon lange tun wollte, sondern es erscheint mir mehr wie ein spontaner "Ausrutscher".

Das einmal so als Gedankenanregung. Ansonsten bin ich wirklich begeistert von Deinem Triller (den ich versehentlich zunächst als Thriller halb verschlafen auf dem Smartphone gelesen habe :lol:).

Liebe Grüße
Mädy

 

Hallo @rieger,

der erste Absatz gefällt mir. Es stört mich gar nicht, dass du hier erst mal informierst. Du beschreibst den Triller lebendig und mich interessiert, welche Rolle er in der Geschichte spielt.

Und dann kommt die Geschichte und mit der kann ich leider gar nichts anfangen. Insbesondere die Abschnitte, in denen Jakob auf der Bühne sitzt, sind mir viel zu langgezogen. Du dehnst dort Sekunden endlos aus. Und das einzige worum es geht ist, wie er Klavier spielt. Du bindest Gedanken und Erinnerungen ein, aber mich kann das nicht mitreissen, ich muss mich zwingen diese Abschnitte zu lesen, und nicht zu überfliegen.

Kurz hielt der den Atem an, fixierte das Fingerglied und ließ das Gewicht seines Unterarms vorsichtig herabsinken, bis er den Widerstand spürte und im letzten Moment, kurz vor dem Aufschlagen des Tastenbodens, beschleunigte er den Anschlag, dass der Flügel einen ebenso leisen, nebelhaften Ton hervorbrachte wie vorhin, als wäre er ein klagender Widerhall auf das g, das noch wie ein Fragezeichen im Raum zu schweben schien.
Dieser Satz zeigt ganz gut, welches Problem ich mit dem Text habe. So viele Buchstaben und am Ende spielt er doch nur einen Ton!

Ich bin ein Kunstbanause. Ich höre Musik, weil sie mir gefällt, ich betrachte ein Bild, weil ich es schön finde. Ich denke nicht über den Künstler nach, wie viel Leidenschaft er wohl in einen Pinselstrich gelegt haben mag, wie genau eine Komposition entstanden ist. Es interessiert mich einfach nicht. Und deswegen kann ich wohl auch mit deinem Text nichts anfangen.
Mir ist klar, dass es bei meiner Kritik eher um den Inhalt geht, und um den Geschmack, deswegen bin ich mir nicht sicher, wie viel es dir bringt. Wenn es kein Challengebeitrag wäre, hätte ich wohl einfach nichts geschrieben, aber so lasse ich dir doch wenigstens diesen Eindruck da.

Liebe Grüße,
Nichtgeburtstagskind

 
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This is what you want,
this is what you get.

(John Lydons meisterhafte Beschreibung des Lebens)​

Und trotzdem wird es [die klassische Musik] gehört, weil es was aussagt und zurecht heult man rum, weil sie schön ist. Also, schon eine ambivalente Sache, finde ich. Aber das dann eben gegen die Archaik der frühen Rockmusik zu stellen, das hat mich da gereizt
Und das ist dir wirklich beeindruckend gut gelungen, rieger.
(Jessasmaria! Jetzt dämmert mir gerade, dass der letzte Text, den ich von dir kommentiert hab, dein Debüttext war! Shame on me!)
Na egal. Aber mit dieser Geschichte hier hast du mich wirklich zum Nachdenken gebracht und auch wenn ich absolut nix Konstruktives beizutragen habe, will ich dir zumindest ein bisschen von meinen Gedanken beim Lesen erzählen:
Der jüngere Bruder meiner Mutter war Oboist bei den Niederösterreichischen Tonkünstlern und selbstverständlich besaßen meine Eltern ein Abonnement für die allmonatlichen Konzerte des Orchesters in den St. Pöltener Stadtsälen. Und jedes Mal, wenn mein Vater verhindert war, durfte ich meine Mutter an seiner statt begleiten. (Warum immer ich? Keine Ahnung. Die anderen Geschwister waren damals vermutlich zu klein, zu rotznasig, oder – zumindest der ältere Bruder – einfach zu cool dafür, was weiß ich.) An einem dieser Abende jedenfalls, da war ich gerade mal zehn, stand unter anderem Rachmaninows 2. Klavierkonzert auf dem Programm und, was soll ich dir sagen, rieger, ich kleiner Hosenscheißer war damals dermaßen beeindruckt davon, dass ich noch auf dem Nachhauseweg den Wunsch äußerte, unbedingt Klavierspielen lernen zu wollen. Was ich dann auch beinahe fünf Jahre lang tat. An Fleiß und Geschick mangelte es mir anscheinend nicht und bald konnte ich wirklich schwierige Stücke spielen.
Aber je älter ich wurde, umso bewusster wurde mir, dass mir im Grunde jegliche musikalische Kreativität fehlte, ich demzufolge vermutlich immer nur ein brav Reproduzierender bliebe, aber niemals mit zum Beispiel spontan aus dem Handgelenk geschüttelten Improvisationen auch nur irgendein Mädchen beeindrucken könnte. (Ein in diesem Alter nicht unwesentliches Kriterium für … na ja, für so ziemlich alles eigentlich.)
Und ausgerechnet Deep Purple waren es schließlich, die mich nach einem furiosen Konzert (1973 in der Wiener Stadthalle) endgültig den Deckel unseres Hofmann & Czerny-Flügels zuklappen ließen, und ich mich fürderhin nicht mehr als Musizierenden, sondern ausschließlich als Musikkonsumierenden sah. (Jon Lords großartiges Album Sarabande von 1976 und, meine Güte, Keith Jarrets Köln Konzert(!!!) taten ein Übriges.)
Was ich sagen will, rieger: Auch wenn meine musikalische Prägung (durch Phänomene wie Exene Cervenka, Skinny Puppy, Henry Rollins, Public Image Ltd., Laibach-The Kunstmaschine et al) noch gänzlich anderen Einflüssen unterworfen werden sollte, so blieb die Liebe zur Klassik doch ein sehr beständiger Faktor in meinem Leben. Was mich jetzt natürlich nicht automatisch zu einem berufenen Kritiker deiner Story macht (oder gar zu einem besseren Menschen :Pfeif:), aber … na ja, zumindest getraue ich mich aufgrund meiner eigenen Erfahrungen in diesem Metier zu beurteilen, dass du das Dilemma, in dem dein Jakob steckt, durchaus nachvollziehbar und plausibel dargestellt hast. Wenn’s überhaupt ein Dilemma ist … Ich mein, dass Jakob sich von Kindheit an so ausschließlich einer einzigen Sache hingibt, mag ihn vielleicht zu einer tragischen Figur machen - weiß der Himmel, was ihm alles entgangen ist - und für Normalsterbliche mag es unverständlich sein, wie man sein ganzes Leben einer einzigen Obsession widmen kann, wie man sich dermaßen in einer Sache verlieren kann, dass man gleichzeitig auch jegliches Augenmaß für gesellschaftliche Realitäten verliert, usw. … aber, um ein großartiger Künstler zu sein, bedarf es vielleicht wirklich nicht nur völliger Hingabe, sondern auch eines gewissen Maßes an Selbstaufgabe. Und ein großartiger Pianist scheint Jakob Adametz ja wahrlich zu sein. (Auch wenn ich - als ehemaliger Klavierspieler - jetzt nicht wirklich nachvollziehen kann, welchen Interpretationsspielraum einem ausgerechnet ein Triller bieten kann.)
Und vielleicht musste er wirklich erst alt und grauhaarig werden, um eventuell Versäumtem nachzutrauern.

Ein berührendes und sehr poetisches Stück Literatur ist dir da gelungen, rieger.

offshore

Die einzigen kleinen Störfälle (in der Fassung von gestern Nacht):

Jakob Adametz strich sich den grauen Scheitel aus der Stirn.
Da würde ich eine graue (Haar-)Strähne schreiben, weil der Scheitel … nun ja, der Scheitel kann einem per definitionem eigentlich nicht in die Stirne hängen.
... der Tastenmeister, der vor aller Ohren ein[en] neuen Anfang nahm, einen neuen Start mit den Tönen g und a. Wandelte er wirklich auf so dünnem Eis, dass ihn der der zufällig passierte, kaum gehörte Ton so aus der Bahn warf?

(So, und jetzt leg ich mir Mahlers Kindertotenlieder auf. Oder, wer weiß, vielleicht doch lieber Black Flag?)

 

Hi, @rieger

Ich muss sagen, es fällt mir total schwer, etwas Ganzes über den Text zu sagen, damit meine ich, Dir zu sagen, wie sich das Lesen allgemein für mich angefühlt hat. (Ich habe die vorherigen Kommentare auch nur überflogen, also bitte entschuldige, wenn sich etwas doppelt.)

Ich mag den Anfang, habe ihn gelesen, gerne gelesen. Da fuhr mir kurz die Wortkrieger-Gewohnheit dazwischen, fragte: Wo ist der Prot? Was soll dieses Erklären? Aber weißt Du, genau deshalb lese ich einen Text vor dem Kommentieren zweimal, einmal als Leserin, ganz ohne Notizzettel zur Hand, ganz ohne Feedback im Kopf, und einmal mit Feedback im Kopf.

Und der Anfang gefällt mir als Leserin. Warum also an etwas herummäkeln, das für mich funktioniert? ;) Und ich glaube, das macht es für mich so schwierig, hier ein deutliches, kein ambivalentes Feedback abzugeben.

Aber ich versuche es trotzdem: Gerade die Rückblenden habe ich sehr gerne gelesen. Da wollte ich immer mehr erfahren, das alles aufsaugen, wäre dort sogar noch länger geblieben. Das, was quasi in der Gegenwart passiert, das Klavierspielen, das Konzert, das hat mich nicht so richtig interessiert. Da bin ich halt drüber geflogen. Ich maße mir jetzt einfach nicht an, das zu bewerten. Fünf Jahre habe ich mich mit dem Gitarrespielen gequält, bis meine Eltern mir endlich erlaubt haben, aufzuhören. Ich weiß heute nichts mehr davon und habe auch nicht das Bedürfnis, mehr über Musik zu wissen.

Aber über Wörter weiß ich ein bisschen was und möchte gerne mehr wissen, deshalb vergessen wir einfach das große Ganze (oder verschieben es zumindest in den Hintergrund) und legen mal die Lupe drauf:

Jakob Adametz strich sich den grauen Scheitel aus der Stirn.

Ein Scheitel ist laut Duden "die Linie, die das Kopfhaar in linke und rechte Hälfte teilt". Ergo kann man sich einen Scheitel nicht aus der Stirn wischen. Sondern eben nur, wie Du später richtig schreibst, eine Haarsträhne. Oder ein Haar. So was.

Nie unterlief ihm eine falsche Note, ein Aussetzer, er hatte das Instrument im Griff, hielt es am Zügel, erfüllte genau den Notentext der alten Komponisten und dafür wurde er geliebt.

Da sich der Rhythmus des Satzes bei "und dafür wurde er geliebt" ganz entscheidend ändert (wenn er im gleichen Rhythmus wäre wie alles davor, würde es heißen: "und wurde dafür geliebt"), würde ich ein Komma vor das "und" setzen. Dann weiß ich als Leserin gleich, dass hier quasi ein Wechsel im Takt kommt (keine Ahnung, ob man das in der Musik so sagen kann). Auf der Ebene der Sprache heißt das: Hier fängt ein neuer Hauptsatz an. ;)

Kurz hielt der den Atem an, fixierte das Fingerglied und ließ das Gewicht seines Unterarms vorsichtig herabsinken, bis er den Widerstand spürte und im letzten Moment, kurz vor dem Aufschlagen des Tastenbodens, beschleunigte er den Anschlag, dass der Flügel einen ebenso leisen, nebelhaften Ton hervorbrachte wie vorhin, als wäre er ein klagender Widerhall auf das g, das noch wie ein Fragezeichen im Raum zu schweben schien.

Das hier ist ein echt langer Satz, deshalb würde ich ihm jede Strukturierung gönnen, die möglich ist, und auch hier wieder ein Komma setzen vor "und im letzten Moment", weil davor ein Nebensatz eingeschoben wird und danach tatsächlich ein neuer Hauptsatz beginnt.

„Jakob komm“, ruft ihm seine Mutter zu.

Hier würde ich ein Komma vors "komm" setzen.

Jakob rutscht aus und krampft sich in ihren Arm.

Ich weiß nicht, "krampft", das passt für mich nicht so richtig. "umklammert ihren Arm" oder "krallt sich in ihren Arm", das klingt in meinen Ohren hübscher.

Er, der Künstler dagegen als Lichtgestalt, herausgehoben aus der namenlosen Menge, er, Jakob Adametz, der Tastenmeister, der vor aller Ohren ein neuen Anfang nahm, einen neuen Start mit den Tönen g und a.

Ist hier nicht "der Künstler" eher ein Einschub und müsste deshalb nicht danach ebenfalls ein Komma kommen? Ich nehme an, dass es auch ohne geht, Geschmackssache ist, aber so, wie ich mir den Satz intuitiv vorlese, wäre es hübscher mit Komma.

Wandelte er wirklich auf so dünnem Eis, dass ihn der der zufällig passierte, kaum gehörte Ton so aus der Bahn warf?

"dass ihn der der zufällig passierte, kaum gehörte Ton" ... Darüber habe ich sehr lange nachgedacht und bin nicht dahinter gekommen, beziehungsweise, ich habe einen leisen Verdacht, warum der Satz so schwer zu lesen ist: Kann es sein, dass eines von den beiden "der"s in den Papierkorb gehört und "dass ihn der zufällig passiert, kaum gehörte Ton" deutlich mehr Sinn ergibt?

Kommst du mit heute Abend.

Ist das nicht eine Frage?

Mit zugekniffenen Augen versucht er das Tempo zu halten.

Komma vor "das".

So, hoffe, die Details bringen Dich etwas weiter als mein wirres Gestammel am Anfang. Wie gesagt, ich weiß noch nicht so recht, wie ich zu dem Text stehen soll. Die Rückblenden habe ich extrem gerne gesehen, den Rest habe ich dafür erstmal auch gerne in Kauf genommen. :lol: Beim zweiten Lesen habe ich zugegebenermaßen die Konzertabsätze eher überflogen. Das hatte dann für mein Gefühl schon Längen.

Und ich frage mich auch so ein bisschen, ob Adametz' Ausbruch aus dem Raster nicht stärker motiviert werden könnte. Hier scheint tatsächlich der einzige Auslöser zu sein, dass zwei Frauen anwesend sind, die ihn an die Vergangenheit erinnern? Die Musikerin, die ein wenig wie die Klavierlehrerin riecht, und die Frau mit den langen Beinen? Hm ... Ich bin mir unsicher, ob das für eine solche Frage nach dem Ich-selbst-sein nach anscheinend einigen Jahren, nachdem man sogar schon einen Auftritt bei einem Diktator hinter sich gebracht hat, nicht ein bisschen schwach ist. Ich meine, wäre der Auftritt bei einem Diktator nicht ein viel stärkerer Motivator? Warum ist damals nichts passiert? Warum heute?

Tja ... Aber, ich gebe Dir auf jeden Fall mit, dass Adametz' Vergangenheit mich extrem begeistert hat. Und auch den Einstieg fand ich wirklich stark. Eine Stimme aus dem Nebel, aber eine mit einem wirklich guten Tonfall. Ernsthaft, gleichzeitig lässig, und vielleicht habe ich sogar was über Musik gelernt, was ich nicht sofort vergesse.

Danke für diese Geschichte!

Ambivalente Grüße,
Maria

 

Darf eine taube Nuss proletarischer Herkunft, in der Schlager und Operette herrschten neben gelegentlichen Märschen, die dem ewigen Uffz. von altem Herrn eigentlich längst vergangen sein mussten, kann eben einer, der meint und der von überzeugt ist, wäre Hendrix alt genug geworden, er gäbe heute den James Blood Ulmer, und kann einer, der zugleich Hape Kerkelings „Hurtz“ für ein Meisterwerk auf die Kunstszene und ihre Ergriffenheit hält, der aber auch weiß, dass der heute altersweise Donovan ein Konzert abbrach, als das Publikum als verblödete Masse mitsang und klatschte, statt zuzuhören, und kann eben einer, gegen dessen Gesang Dylan ein Caruso ist – darf der sowas?,

rieger –
ich kenn keinen besseren, also
bester rieger hier- und andernorts,

und darf einer, der nicht mal ‘ne Trillerpfeife in den Mund nimmt, weil dann die meisten Hunde verrückt werden.

So viel Worte, wo ein einfaches Eingeständnis genügt hätte:
Baff isset, dat Dante Friedchen!,
und kann immerhin noch ein paar Flusen auflegen

Unbeweglich saß sie da mit halboffenem Mund, die langen Beine übergeschlagen.
„Überschlagen“ kann der Turner oder im übetragenen Sinne der Buchhalter eine Summe, die Beine werden i. d. R. „übereinandergeschlagen“

Anita zieht i[h]n weg.
Sie jetzt, hier, vor allen Leuten in ein heulendes Rattern verwandeln würde wie das einer Bohrmaschine, oder wie das eines Hechslers, dessen Schneidwerk Äste in kleinste Teile zerfräst?
Klingt zwar ähnlich, aber der „Häcksler“ häckselt ...
Mit zugekniffenen Augen versucht er[,] das Tempo zu halten.

Gern gelesen vom

Friedel -
der noch ein schönes Wochenende wüncht!

 

Hej @rieger ,

dein poetischer und melancholischer Text ist wunderbar. Ich schwebe mit jedem Bild und tauche ein. Ich habe das Gefühl, ich kenne Adametz und diese langbeinige Frau.
Und dahinter vermute ich nicht bloß einen Mann und seinen Weg vom Anfang, sondern auch eine politische Botschaft, die ich lieber nicht artikuliere. Du verwebst Vieles und driftest kein einziges Mal in eine Erklärung ab, sondern bleibst bei diesem Feingeist, dem es unmöglich scheint, von seinem Weg abzugehen, der doch aber auch das Mühsame daran erkennt und sich selbst und seine Kunst anzweifelt.

Ich mag dieses Zusammengeschnittene. Hier und in jeder Kunstform, diese Rückblicke, das Aufbauen, ein Collage. Es erklärt sich und erläutert sich von allein, gerade über einen längeren Zeitraum.
Du schreibst eloquent und rhythmisch. Alles passt zueinander.

Der einzige Wermutstropfen ist für mich das Vorhersehbare. Immer, an jeder Stelle. Das Zweifeln der russischen Klavierlehrerin, die andere Leben der Kommune, das Hineinblicken und Abwenden, Zurücklassen und sich Treubleiben, die hübsche Frau, die tiefer blickt, das Zweifeln an den Künsten, am Establishment und am Ende sich treu bleiben und weitermachen, sogar die Frau erobert zu haben mit seiner Kunst und seiner Konsequenz.
Macht aber nichts, denn schön bleibt schön. Und dein Stückchen Literatur ist schön und rund und harmonisch und hat mir viel Freude bereitet. Ganz sicher lese ich sie wieder und wieder und bin davon überzeugt, jedes Mal ein bisschen mehr darin zu finden, als ich dachte.

Einzig der Titel klingt wenig schön und auch nicht sonderlich ansprechend. Ich habe ein paar Anläufe deswegen benötigt - nur mal so zur Information.

Ein Leseeindruck und freundlicher Gruß, Kanji

 

Gude @rieger,
direkt vorneweg: dein Text hat mir richtig gut gefallen!
Musik schriftlich zu fassen stellt für mich die Quadratur des Kreises dar. Dir ist es wunderbar gelungen. Insbesondere das Ende mit seinem atemraubendem Tempo hat mich mitgerissen. Sehr stark!
Daneben funktioniert aber auch deine Charakterzeichnung sehr gut:

erfüllte genau den Notentext der alten Komponisten
-> Das kleine Wörtchen "genau" markiert hier bereits wunderbar, worum es in dem Text gehen wird. Das finde ich gut gesetzt.

Um aber zur konstruktiven Kritik überzugehen ... ;)
Als ich den Anfang gelesen habe bzw. ich meine den ersten Absatz, dachte ich, dass man ihn vielleicht an das Ende schieben sollte. Er erklärt den Triller, gewisse Konnotationen zu diesem und schafft eine gewisse Stimmung.
Aber er hält mich 13 Zeilen lang vom (für mich) "eigentlichen" Text fern, der stark genug ist, um all die Stimmung und Emotion dieses erklärenden Absatzes zu erzeugen, ohne sie explizit herbeizurufen.
Nachdem ich mit der gesamten Geschichte durch bin, würde ich meine Meinung ändern: das Ende wirkt derart rund, dass ich dort nichts einfügen wollte. Also, um es gesamt zu fassen: Ich würde dir fast vorschlagen, den ersten Absatz gesammelt rauszunehmen und direkt mit Jakob einzusteigen. Das hat aber auch etwas mit Lesegewohnheiten zu tun - stimmungssetzende Absätze über ein "abstraktes Thema" am Anfang haben ja auch ihre Liebhaber.

Ich habe dann noch ein paar Kleinigkeiten:

Die Tür springt auf und sie treten ein. Der Flur ist feucht. Jakob rutscht aus und krampft sich in ihren Arm.
-> Das sind drei recht stringente Sätze, vielleicht könnte man den ersten und zweiten Satz verbinden (Die Tür springt auf und sie treten in den feuchten Flur ...)

dass ihn der der zufällig passierte
-> doppelter "der"

Und:

balanciere auf der Straßenbahnschiene zwischen Himmel und Hölle
-> Diese Stelle fühlt sich für mich sehr gewollt an. Er resümiert sein Leben und dann kommt natürlich eine Referenz auf das anfänglich genannte Kinderspiel - den Verweis finde ich nicht per se schlecht, nur etwas zu platt. Der Leser/die Leserin kann ihn ja auch selbst finden, das müsste für mich nicht extra ausgeschrieben sein.

Adametz spielt und spielt
-> An der Stelle musste ich etwas lächeln. Das lag daran, dass ich mir gerade eine Notiz zum Tempus aufgeschrieben hatte und du ihn "just" in diesem Moment änderst. Das hat meine Notiz umgehend verpuffen lassen oder zumindest weitestgehend - oder hat sie aufgegriffen ;)
Meine Gedanken zur Tempus-Darstellung möchte ich aber trotzdem darlegen, weil ich deine Arbeit damit zu spannend finde, um sie unkommentiert zu lassen. Der Erzählzeitpunkt scheint zunächst retroperspektiv zu sein. Bis es zu einem "Rückblick" kommt, der "gegenwärtig" ist. Nachdem ich mal eine Hausarbeit zur Vergegenwärtigung der Vergangenheit geschrieben habe, bin ich dahingehend wahrscheinlich schwer vorbelastet und sehe alles unter dieser Brille - aber wenn es mich nicht täuscht, dann tust du das auch hier: Die Vergangenheit, nämlich Adamatz' Kindheit, wird gegenwärtig, und das zunächst grammatikalisch.
Meine erste Überlegung dazu war es, eine Empfehlung auszusprechen, alles in den Präsens zu setzen (quasi Spiel und Erinnerung gleich zu setzen, wie Jakob es "erlebt"). Andererseits ist deine aktuelle Variante, mit dem Wandel, also quasi dem überwältigenden Einbruch der Vergangenheit in das Präsens, auch eine sehr schöne Sache. Ich kann mich nicht entscheiden, also auch hier nur Gedankengänge anstoßen.


Mit Genuss gelesen und einen fast schon eigennützigen Kommentar dazu stehengelassen,
Vulkangestein

 

Hallo @rieger,
wie gut, dass ich immer 'mal wieder die Zeit finde, hier heinzuschauen, ansonsten würde ich wirklich etwas verpassen!

Im Moment lese ich eigentlich nur, aber deine Geschichte hat mich wieder so tief in den "Wortkriegersumpf" gezogen, dass ich den Triller noch stundenlang im Ohr hatte.
Ein Text, fast wie ein Roman, wunderschön geschrieben.
Danke dir
Willi

 

Hallo @Broodje,
freut mich sehr, dass der Text bei Dir textlich und inhaltlich angekommen ist! Was Du beschreibst, gibt es ganz sicher: Dass sich Bühnenleute immer abchecken, ob die Stimme sitzt, die Finger trainiert sind und da gibt es eine interessante Parallele zum Sport. Die Leichtathleten müssen sich auch immer dehnen, immer den Körper drehen und strecken. Nur ist das in der Musik so, dass das quasi das nicht öffentliche Exerziergebiet ist, während es im Sport das Eigentliche ist. In der Musik soll man quasi den Ballast hinter sich lassen und zu anderen Sachen vorstoßen. Das finde ich die aufregende Geschichte dran und das hat mich auch an der Thematik gereizt. Und das verbindet natürlich die Sphären Klassik und Rock/Pop, weil es da um dieselbe Sache geht. Im Grunde ist diese Unterscheidung ja eh unsinnig und wird heutzutage ja auch mit den ganzen Crossover-Dingern bei weitem nicht mehr so streng getrennt. Das treibt auch manchmal unsinnige Blüten. Aber das ist wieder eine andere Geschichte. Super, dass Dir das so gefallen hat. Das freut mich sehr!
Beste Grüße
rieger

Hallo @Achillus,
verdammt, Du zwingst mich, mich mit dem Text auf der Plausibilitätsebene auseinanderzusetzen. Ich ordne mal meine Antwort nach Deinem Modell, um halbwegs dran zu bleiben:
Zum Triller: Das ist natürlich völlig überspitzt. Ich weiß nicht, ob das ein Profipianist unterschreiben würde. Dann aber zwei Überlegungen. Am Ende von Instrumentalkonzerten spielt der Solist rauf und runter und beschließt diese virtuose Passage mit einem Triller, bevor das Orchester kommt. Wenn man das hört, hat man schon oft den Eindruck, jetzt staut sich das nochmal zum Abschluss, jetzt verengt sich die Musik minimalistisch auf diese zwei Punkte und verdichtet sich finalhaft und muss dann ausbrechen in das Orchester, das die Sache schließen kann. An den Punkt, an den Triller habe ich gedacht. Nicht an die Verzierung, die, wie Du schreibst, überall vorkommt. Manchmal gibt es aber auch Stellen, wo der Triller quasi Selbstzweck wird und sich weiter und weiterschraubt. Also, da gibt’s viele Varianten und ich dachte an den Triller am Ende der Solokadenz.

Dass das, wie gesagt, überspitzt ist, ist klar. Und dass der Triller jetzt nicht wirklich das Spielfeld ist, in dem man Individualität ausleben kann, auch. Dass er klanglich allerdings eine empfindliche Geschichte ist, das weiß jeder Pianist und tatsächlich kann er rattern oder klingeln, da gibt’s schon Unterschiede. Da hat mich aber das Metaphorische gereizt. Dass für ihn der minimale Spielraum der zwei Töne schon eine Herausforderung darstellt. Dann geht es aber auch, das ist schon klar, um Fiktion. Eine Story muss in sich konsistent sein. Da muss ich mit den Dingen klarkommen, die dargestellt sind und das berührt Deinen zweiten Abschnitt.

Mit dem Konflikt habe ich auch gehadert und habe mir dieselbe Frage gestellt, wie Du. Das bemerken auch andere Kommentatoren unten, dass die Brüchigkeit Adametz‘ unbegründet scheint. Zwei Dinge auch dazu. Ich dachte mir die Sache in einem limitierten Zeitkontext. Lesezeit ist viel länger als Erzählzeit. Die Geschichte wird ja total überdehnt. Wenn ich jetzt auch bei einer intakten Psyche manchmal Blicke in den Abgrund habe, kurze Phasen, in denen der Boden wegfährt in einem Augenblick, warum auch immer, dann könnte ich mir das für die Situation vorstellen. Könnte man dagegen sagen, dafür ist der Schluss zu dicke und zu fett aufgetragen. Stimmt auch. Bleibt also kontrovers. Aber wenn es eine übergeordnete Sache von allgemeinem Belang in der Geschichte gibt, dann wäre es wohl die: Kurzer Blick in den Abgrund. Ich habe in Bezug auf Deinen Kommentar zu „Stille“ Eichendorffs „Im Walde“ erwähnt. Das ist eine sehr ähnliche Situation. Aber Du hast Recht: Artifiziell ist das natürlich und auf der Erlebensebene nicht besonders repräsentativ. Ich halte das aber nicht für ein ausschlaggebendes Kriterium. Die Klavierspielerin von Jelinek ist auch ziemlich abgehoben und von außen hält sie wahrscheinlich der Plausibilitätskontrolle nicht stand. Und doch ist sie in der Darstellung völlig konsistent. Aber bei mir fehlen da natürlich ein paar klare Stimuli, die bei der Klavierspielerin offensichtlich sind. Das bleibt vage.

Dann: Wenn man auch sagen kann, dass Künstler heutzutage so und so sind. Wie schriebst Du: So what? Die interessieren dann in einer Erzählung auch nur, wenn sie Konflikte haben. Und wenn die meisten intakt sind und einer hat einen Konflikt, dann wird über den geschrieben, weil die anderen ein ausgeglichenes Leben führen.

Noch zur Werktreue: Tatsächlich gibt es die Ebenen Interpretation aber immer vor dem Hintergrund der Werktreue. Der Kanon der Noten ist im Grunde unantastbar. Das differiert von Epoche zu Epoche. Aber heutzutage ist die Werktreue nach wie vor ein Verdikt.

Zur Sprache: Es ist ziemlich heikel, sich auf einen Text der Sorte einzulassen. Schnell wird das schwärmerisch und hohl und überladen und antiquiert. Nachdem ich auch mal Texte ausprobiert habe, die ganz entschlackt sind, hat mich die Thematik gereizt und dann ist es etwas üppig geworden. Zu einem anderen Text schrieb mal ein Kommentator, er fühle sich wie nach einem schweren Essen. War gut, aber zu fett. Das ist natürlich eine Gefahr.

Dass Du aber das Ding gern gelesen hast, freut mich sehr! Und auch Dein Kommentar, der mir jetzt einiges abverlangt hat und wahrscheinlich ist es in der gedanklichen Folge doch etwas durcheinander geraten.
Beste Grüße

rieger

Hallo @RinaWu,

schönen Dank für Deinen Kommentar! Dass Dir der Anfang gefällt, freut mich sehr. Das wird ganz unterschiedlich bewertet. Manche fühlen sich da gegängelt und belehrt. Ich war ganz unentschieden, ob ich das machen soll, hab versucht, ein Zwischending zwischen Info und Atmosphäre zu entwerfen. Ich mag es eigentlich nicht, wenn ich eingeführt werde, das hasse ich manchmal, wenn es gezwungen rüberkommt. Ich habs probiert, weil ein Triller jetzt keine Allerweltsache ist. Aber Dir gefällt es und da bin ich erleichtert!

Auf den Widerspruch zwischen Konzertabschnitten und Rückblenden haben einige schon hingewiesen. Ja, das Konzert ist nicht so flüssig. Ich wollte da die Zeit extra dehnen aber für manche ist das wohl auch Streckbank, die nervt, was ich auch nachvollziehen kann.

Ich weiß ziemlich gut, was Du meinst. Ich kenne etliche Biographien mit ähnlichen Scheidewegen und problematischen Entwicklungen. Man sieht da oft nur den Glanz auf der Bühne aber die Konflikte dahinter sind manchmal schon gewaltig. Das soll jetzt kein Pamphlet gegen die Klassik sein, überhaupt nicht. Im Sport, in der akademischen Welt, in allen Bereichen, wo es um Konkurrenz geht, ist das wohl ähnlich. In der Musik ist es vielleicht besonders spannend, weil sie das ja nicht zeigen will, während es beim Boxkampf Teil der Story ist.
Das war alles andere als Geschwafel. Ein sehr bereichernder Kommentar. Danke dafür!

Sehr herzlich

rieger


Hallo @jimmysalaryman,

besten Dank für Deinen kritischen Blick auf die Geschichte! Und damit gleich zum Einwand am Anfang. Da habe ich RinaWu eben geschrieben, dass ich da auch ganz gespalten bin. Ich mag auch nicht gern gegängelt werden mit weitschweifigen Erklärungen. Ich hatte Bedenken, weil ein Triller vielleicht nicht jedem was sagt. Das wird völlig unterschiedlich beurteilt. Ich werde mir das noch genau überlegen.

Die wischenden Finger. Das berührt ein wenig auch die Zeit vielleicht, wie ich bei Achillus schon geschrieben habe. Das geht ja nur einen kurzen Moment. Das dauert vom Lesen her wesentlich länger. Und dann brauche ich aber natürlich das Gewische, weil das der Auslöser unter anderem für die Erinnerungskaskade ist. Er rutscht auch im Flur bei der Blinowa aus und das ist der Trigger, dass es überhaupt losgeht. Achillus hat das artifiziell genannt. In diese Richtung geht auch Deine Sicht. Das kann man nicht von der Hand weisen. Um dranzubleiben, muss man aber tatsächlich das annehmen.

Ja klar, der Konflikt zwischen freier Entfaltung in der Rockmusik und der Pflichterfüllung in der Klassik ist da schon weit auseinandergetrieben. Und dass Profirocker und gar Jazzer Musiktheorie beherrschen, ist klar. Und dass das heute in der Rockmusik eine berechnete Sache ist und sie früher vielleicht auch nur in der Legende frei war, auch. Andererseits kann man durch solche Crossover-Ansichten sehr viel aufweichen, was grundsätzlich nicht aufgeweicht wird. Die Klassikstars geben sich den Anschein von Popstars. Die grundsätzliche Herangehensweise ist aber dennoch unterschiedlich nach wie vor, die ideelle Basis auch bis hin zum Habitus. Aber richtig, die krassen Grenzen gibt es nicht mehr in der Form. In der Jugendzeit Adametz‘ aber auf jeden Fall und nur dann funktioniert natürlich auch die Sache. Klar spielte Jon Lord damals auf Kirchenorgeln aber die Botschaft, dass er da Soli orgelte, notiert oder nicht, war völlig gegen das Verständnis, was darauf zu spielen war.

Was aber vor dem Hintergrund Deiner Beschäftigung natürlich klar ist: Der Konflikt funktioniert mit einem Musiker heute nicht. Die studieren Jazzsaxophon und gleichzeitig klassische Klarinette, spielen in avantgarde-Formationen, in Bigbands, Orchestern und begleiten den Komödienstadl. Auch bei den klassischen Pianisten gibt es mittlerweile reichlich Crossover. Aber es gibt doch noch, was man in Konzerten sieht, die ganz klassisch-traditionelle Art des Rezipierens und Aufführens. In der Sache gibt es ganz klare Unterschiede.

Über das Schwelgerische habe ich Achillus schon geschrieben. Das ist nicht ungefährlich. Da tritt man sehr schnell in die romantisch-verträumt-harmlos-abgehoben-Falle. Ich habe das in dem Fall so gemacht und es freut mich sehr, dass es Dir gefallen hat. Über Musik zu schreiben ist schwer. Das meiste, was man von Profis darüber liest, ist ziemlich pauschal und ernüchternd flach. Schwierige Sache.

Besten Dank und herzliche Grüße

rieger

 

Hallo @Maedy,

vielen Dank für Deinen schönen Kommentar. Freut mich sehr, dass Dir der Text was sagt und dass Du ihn inhaltlich und sprachlich gelungen findest. Ich kenne Schönbergs Harmonielehre. „Ich habe meinen Schülern niemals eingeredet, ich sei unfehlbar - das hat nur ein "Gesangsprofessor" nötig.“ Das finde ich einen wunderbar gemeinen Satz aus seiner Schrift. Seine Sprache ist natürlich in der Tradition des 19. Jahrhunderts. Da finden sich wahrscheinlich Parallelen im Text. Ich hab schon geschrieben, dass ich das schon heikel finde. Das geht schnell in Richtung Stilkopie. Aber ich habe versucht, da schon einen Gegenpol zu gestalten. Und dass Dir das gelungen erscheint, freut mich!

Mit den Scheinwerfern hast Du natürlich Recht. So Dunkel sollte es da nicht sein, sonst sieht er nichts mehr. Da muss ich nochmal die Beleuchtungssituation durchgehen, damit es plausibel ist.

Und dann die Plausibilität des Konflikts. Ja, Du siehst das ganz richtig. Er ist tatsächlich gern Pianist, hat sich gern geopfert, hat das Üben nicht als Last empfunden. Da ist der Bruch schon auf dünnem Eis, das ist nicht aus der Sache rauszulesen. Ich habe Achillus einen Vorschlag zu einer Lesart gemacht, die ich nicht unplausibel finde. Dass man, auch wenn man ein Leben als geglückt ansieht, in Momenten das Gefühl haben kann, dass vielleicht alles falsch war, dass ein sicheres Gebäude mental einstürzt, wenn sich bestimmte Bilder der Biographie summieren zu einer existenziellen Unsicherheit. Da die Geschichte als Lesezeit viel länger benötigt als die beschriebene Zeit, wäre es dann ein Zeitlupenprotokoll einer nicht ganz plausiblen Existenznot. Aber klar, ich hatte die Gedanken auch, wie der Text fertig war. Stimmt das eigentlich mit dem Zweifel, den er plötzlich hat, glaubt man das?
Das bleibt tatsächlich offen in dem Text.
Vielen Dank, dass Du da nochmal den Fuß in die Tür gesetzt hast.
Beste Grüße
rieger


Hallo @Nichtgeburtstagskind,

besten Dank für Deinen Eindruck! Es war mir völlig klar, dass sich an der Erzählweise die Geister scheiden. In der Tat ist das sehr gedehnt. Warum, habe ich oben schon ein paarmal versucht zu beschreiben. Und dass das für manche eine Folterbank ist, auf der die Zeit bis zur Langweiligkeit gestreckt wird und dann kommt nur ein Ton: Das ist verständlich. Was ich versucht habe, ist, die Konzertsituation in der Atmosphäre zu fassen mit viel Blabla und die rückblickenden Abschnitte relativ nüchtern als Gegenpol zu schreiben. Gut, da sind auch etliche Vergleiche „wie, wie, wie“ drin, die das Ganze dann doch wieder ausmalen, im schlechten Fall aufblasen. Und da sind jetzt die Meinungen völlig unterschiedlich. Wie gesagt, offensichtlich polarisiert der Text. Ich bin auch sehr unsicher gewesen. Die Spuren der großen Musikbeschreiber, wie Hoffmann und Schumann, die kann man heute nicht mehr gehen. Die Bachmann hat das wahrscheinlich ganz gut hinbekommen, aber wer kann sich daran schon messen. Jedenfalls habe ich es mit einer Stilmischung versucht. Aber wie oben schon gesagt: Über Musik schreiben, sie zu beschreiben, das ist eben auch verdammt schwer.
Beste Grüße und danke!
rieger


Hallo @ernst offshore,

vielen Dank für Deinen echt aufwühlenden Kommentar! Gerade habe ich den Schluss des Klavierkonzerts angehört. Zum Heulen schön.
Sofort habe ich dem Adametz den Scheitel gerichtet und sein Haar zurückstreichen lassen. Danke auch für die anderen Korrekturen, die ich aufgenommen habe.
Meine musikalische Sozialisation ist nicht unähnlich und auch von der Spannung geprägt zwischen freier Entfaltung und Werktreue. Und das geht dann aber wieder ineinander über, wenn Keith Jarret einerseits Schostakowitsch spielt und dann in seinen Konzerten eine quasi übersinnliche Inspiration zelebriert wie in einem Gottesdienst und ihn die Musik von oben anfliegt. Ich habe etliche Leute kennengelernt, die in der klassischen Szene von den Jazzern schwärmen, weil die frei und spontan spielen. Und dann saßen sie in den Improvisationskursen und merkten: Verdammt, das ist ja gar nicht so locker mal aus dem Ärmel kreativ sondern harte Arbeit. Da muss man die Musik richtig bis in die Gesetzmäßigkeit hinein verstehen, damit man dann scheinbar frei mit ihr umgehen kann. Das ist natürlich auch so ein Widerspruch. Dass man sich Kreativität im freien Raum vorstellt. Dabei ist sie das gar nicht. Im Gegenteil erarbeiten sich die Improvisierer den Freiraum ja durch seitenweise Transkriptionen der Soli der Meister und gehen dann allmählich in kleinen Schritten eigene Wege, bis sie ihren Stil gefunden haben. Ich habe aber auch Leute an der Strenge der Klassik fast zerbrechen sehen, die dann in der südamerikanischen Musik aufgeatmet haben, weil da eine größere Textfreiheit herrscht. Aber klar gibt es auch Leute, die in der Klassik aufgehen und das super finden und ihre Energie draus bekommen.
Und da habe ich die Idee, dass der Adametz auf dem winzigen Feld des Trillers vielleicht ein wenig diesen Wind spürt, den er sich versagt hat, spannend gefunden. Extrem und kaum nachvollziehbar und, wie Achillus gesagt hat, artifiziell und abgehoben ist das schon.

Bei den Kindertotenliedern höre ich sofort mit!
Besten Dank jedenfalls und herzliche Grüße
rieger

Hallo @Bea Milena,
vielen Dank für Deine kritischen Beobachtungen und für Dein Lob!
Beim Vorspann war ich auch zwiespältig, wie ich schon geschrieben habe. Ich dachte an eine Art Einschwingvorgang mit dem Gedanken, dass ein Triller nicht allen geläufig ist und dadurch eine Info mit Atmosphäre entsteht. Das wurde gängelnd und lehrerhaft beurteilt, von manchen auch passend. Da bin ich noch unsicher, was ich mache.

Ja, das Ding trumpft sprachlich schon auf, da muss ich Dir Recht geben. Das schiebt sich in den Vordergrund und geht bis dahin, dass manche den Text nicht verstehen vor lauter Überladung. Du hast das akribisch gesammelt und das zeigt mir auch, dass da sicher nicht mehr geht und, wie Du auch meinst, das für Dich penetrant wirkt.

Im Grunde sind es dann zwei Sachen, die ich bei den kritischen Kommentaren herauslese: Die Sprache, die für manche zu dick aufgetragen ist und der Konflikt des Adametz, der nicht erklärbar scheint, der vielleicht auch in der offensichtlichen Polarisierung zwischen hochkultiviert bürgerlich und rotznasig revolutionär sehr deutlich, überdeutlich und konstruiert wirkt. Aber dann schreibst Du am Schluss so treffend über die Ausweglosigkeit und das beeindruckt mich als Lesart. Dass der Adametz, aus welchem Grund auch immer man ihm das abnimmt, so in das Schneegestöber reinkommt, das sich nicht angemeldet hat, dass er da erstarrt, obwohl es keinen so starken Anlass gibt, nur ein paar Erinnerungen, die alles in Frage stellen. Was Du dazu schreibst, das finde ich sehr schön.
Besten Dank, Bea Milena und herzliche Grüße
rieger


Hallo @TeddyMaria,

ich hatte, wie ich oben schon geschrieben habe, dicke Bedenken den Text reinzustellen, weil er sich in vielen Passagen nicht mit dem deckt, was unter „modernem Erzählen“ verstanden wird. Ich lese mit großem Interesse Deine Kommentare und als ich den Text reinkopierte, dachte ich, TeddyMaria wird das Ding zerlegen. Dass Du ambivalent rausgehst, ist ja schon mal in Ordnung, obwohl ich auch nachvollziehen kann, dass einen die Art des Schreibens nerven könnte, das weitschweifige Rumgerede, die vielen Vergleiche, der langsame Fortgang.
Was mich eigentlich erstaunt, dass Du mit dem Einstieg was anfangen kannst. Das freut mich. Wurde schon drauf hingewiesen, dass da Info gemacht wird. Ich machte es, weil Triller vielleicht nicht so bekannt sind und hab versucht, es zwischen ernst und lässig anzusiedeln, was für Dich klappt. Schön!
Deine Korrekturen habe ich alle übernommen. Super Lektorat!
Die Sache mit der Motivation: Dazu habe ich oben schon Etliches geschrieben und ich selber war ja auch nicht ganz davon überzeugt, warum der Adametz jetzt so in die Krise gerät. Vielleicht drei Ideen:
Es könnte ein relativ kurzer Blick sein in den Abgrund. Dass der Adametz da einfach mal ohne Boden dasitzt und erkennt, wo in seinem Leben bestimmte Weichen gestellt wurden, die zu dem geführt haben, wo er sitzt. Das ist im Grunde gut, wo er sitzt und er macht es ja auch gut. Aber eben so ein grundloses Gefühl des Bodenlosen, einer Schwärze, die sich plötzlich um einen hüllt, ohne, dass man wüsste, warum. Das muss man dann als Leser tatsächlich so hinnehmen. Eine labile Stelle des Textes ist es auf jeden Fall. Achillus habe ich den Eichendorff angegeben mit seinem Gedicht „Im Walde“. Da zieht die Hochzeitsgesellschaft fröhlich dahin und plötzlich ist alles dunkel, als hätte man das Licht abgeschaltet. Und weil das ohne Erklärung passiert, ist es besonders bedrohlich. Klar, bei Eichendorff ist das metaphorisch aufgeladen. Lebenstrieb, Todestrieb, Hochzeit, dunkler Wald. Das ist es hier nicht. Aber das die Existenzfrage so reinrammt in einem Augenblick? Vielleicht.
Zweitens: Die Zeit ist im Text gedehnt. Wenn man das Ganze in fünfzehn Minuten liest, braucht er für den Triller vielleicht eine Minute, höchstens wahrscheinlich. Und dann verdichten sich die Bilder, drängen sich als Reaktionsfolge auf einen engen Raum, der vielleicht plausibler ist, als man es in der Lesezeit meint.
Drittens: Die Auslöser liegen ein wenig in der Geschichte verstreut. Das Ausrutschen auf den Tasten erinnert an den Gang bei der Blinowa. Die Haarsträhne, die er sich am Anfang zurückstreicht, die zieht sich als Motiv hindurch. Der Schnee, das Sauerkraut, die zweite Geigerin. Vielleicht ist da ja auch etwas Resümierendes in der Rückschau dabei. Er hat graue Haare, ist betagt, schaut zurück und verengt sein Leben auf die zwei Töne, aus denen sich entscheidende Momente seiner Biographie herausschälen.
Du siehst, ich ringe da auch ein wenig um die Konsistenz einerseits, andererseits auch um die Offenheit. Also auch ambivalent, wie Du.
Herzliche Ambivalenzgrüße zurück!
rieger


Bester @Friedrichard,
bei Deiner Einleitung musst ich schon lachen und natürlich beim Erinnern an den genialen Hurz. Dann freue ich mich einfach „saumäßig“, wie man bei uns sagt, über das „baff“. Den Handstandüberschlag habe ich gleich rausgenommen und die anderen Korrekturen auch! Besten Dank fürs Flusensammeln.
Sehr herzlich
rieger

 

Lieber @rieger,

jetzt habe ich deine Geschichte mehrfach gelesen und jedes Mal gerate ich in Trance. Wie es dir gelingt diesen Triller zu dehnen, durch den Text laufen zu lassen, ihn immer wieder neu so zu beschreiben, dass er spannend bleibt, das ist ganz große Kunst. Dabei bin ich so entzückt und getragen von deiner Sprache, dass der Konflikt, das Drama, für mich ein wenig in den Hintergrund rutscht, was ich aber nicht als Nachteil empfinde.

Den ersten Teil mag ich, ein Vorspiel, welches in einer schlichten Aussage beginnt und sich dann zu diesen poetischen Bildern steigert. Du hast hier schon zwei „Töne“, das Profane, „Das Rumpeln der Waschmaschine im Schleudergang“ und den Satz danach, der einen ins Grenzenlose entführt. Die Information über die Funktion des Trillers bei Beethoven, war wichtig für mich, um die Spannung, die später im Orchester aufkommt, einsortieren zu können.

Großartig, wie sich der Triller auch in der Form deines Textes wiederspiegelt, in den Wechseln zwischen Gegenwart und Vergangenheit, wie du ihn im Großen hast und im Kleinen, wenn sich aus „G“ und „A“ das „Gaga“ formt.

Mein Gedanke dazu ist, dass Adametz, der sein ganzes Leben in so hohem Maße nach Perfektion gestrebt hat, erst in dem Moment seine Meisterschaft erreicht, wo er sich selbst ganz neu zuhört, wo er die Kontrolle verliert und diesen Triller Ton für Ton durchlebt. Faszinierender Gedanke, wie in dieser winzigen Form das Drama eines ganzen Lebens sichtbar werden kann, das, was gelebt wurde und das was nicht gelebt wurde. Und das frenetische Klatschen deute ich so, dass bei dem Publikum genau das angekommen ist.
Dem Orchester hast du einen putzigen Charakter verliehen und eine meiner Lieblingsstellen ist die, wo der Dirigent sie überrumpelt.

Mit weit aufgerissenen Augen und vorgeschobenem Unterkiefer verfolgt der Dirigent jede einzelne Matrjoschka und bei der letzten kaum mehr hörbaren, kaum mehr sichtbaren dreht er sich blitzschnell um, sticht mit seinem Stab in die Luft und reißt das Orchester aus der fassungslosen Lähmung, in die es Adametz‘ Spiel versetzt hat. Wie eine in der Nacht vom Feind überraschte Armee packen sie ihre Instrumente und tönen wirr durcheinander.

Die Frau Blinowa ist großartig charakterisiert. Eine Stelle, an der ich anfangs hängen geblieben bin:

Bei der letzten Silbe reißt sie den Mund auf und blökt wie ein Schaf in der Weite der Tundra. Er legt seine Hand in ihre, die weich ist wie aufgegangener Hefeteig.

Das sind zwei sehr starke Vergleiche direkt hintereinander. Für sich betrachtet wunderbar, aber eben zweimal „wie“.

Ansonsten geht es mir genauso wie @Novak. Ich würde gar nichts streichen. Die kleine Form des Trillers perfekt in Szene gesetzt, in der kleinen Form der Kurzgeschichte.

Liebe Grüße von Chutney

 

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