Was ist neu

Einen Tag noch

Mitglied
Beitritt
10.09.2018
Beiträge
6
Zuletzt bearbeitet:

Einen Tag noch

Wieso? Warum nur? Die Fragen drehen sich im Kreis. Ich weiß keine Antworten.
Der Regen trommelt auf das schräge Fenster. Der Himmel ist genauso grau, wie es in meinem Inneren aussieht. Nur sieht es in mir noch viel düsterer aus.
Aus dem Nebenzimmer ertönt ein leises Stöhnen. Dann Stille. Ein erneutes Stöhnen. Diesmal lauter. Und ich hasse mich dafür. Ich hasse mich dafür, dass dieses Stöhnen an meinen Nerven zerrt, und gleichzeitig will ich nicht dass es aufhört. Es wird aufhören. Der Arzt war klar in seiner Aussage. In meinen Augen, die einzige klare Aussage. Mein Gefühl sagte mir schon vor dem Gespräch mit dem Arzt, dass es keine Hoffnung mehr gibt. Und doch trafen mich seine Worte wie ein Schlag. Wie ein Blitz schlugen sie ein. Jetzt war es echt. Ich will das nicht. Die Augen schreien danach die Tränen weinen zu dürfen, die sie nicht mehr weinen können. Sie sind leer. Übrig bleibt die Verzweiflung. Und Hoffnungslosigkeit.
Wieder ein Stöhnen. Ich muss schauen, ob ich was tun kann. Aber egal was ich tue, es wird es nicht ändern. Was kann ich schon groß tun. Ein Kissen gerade rücken? Was zu trinken geben? Ich gehe rein. Da liegt sie. Bleich, abgemagert, ohne Haare. Ihre Augen schauen in meine Richtung. Sie sind trüb. Ihr Mund verzerrt sich zu etwas, was mal ein Lächeln gewesen war. Ich kann das nicht. Ich will das nicht. Ich will nicht loslassen müssen. Ich will nicht verzichten müssen. Ich trete an das Bett. Meine Hand umschließt die ihre Hand. Kühl, trocken. Ich spüre jeden Knochen ihrer Hand. Sie schaut mich an. Still rinnt eine Träne bahnt sich ihren Weg über die Wange herab, bevor sie wie der Regen am Fenster auf das Kissen tropft.
Sie drückt meine Hand. Aufmunternd und traurig zugleich. „Heute hatte ich einen guten Tag. Und morgen früh werde ich aufwachen und noch einen guten Tag haben.“ Die Stimme ist dünn. Fast gehaucht. Und ich kann nicht glauben, dass sie mich tröstet. Ich schäme mich so sehr. Ich sollte jetzt die Starke sein. Ich sollte sie trösten. Ich will so viel sagen, aber ich weiß nicht wie. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Was ist richtig? Sie hat doch bestimmt Angst. Warum zeigt sie keine Angst? Ich habe Angst. Ich will das alles nicht. Am liebsten würde ich, wie ein kleines Mädchen, in mein Zimmer laufen und mir die Decke über den Kopf ziehen. Und alles wäre weg. Nicht mehr real.
Sie drückt noch einmal meine Hand. Ich wende den Blick ab. Verlegen, weil ich nicht weiß, was ich sagen soll, angle ich nach dem Wasserglas. Sie trinkt kleine Schlucke. Und schaut mich an. Ruhige Augen schauen mich an, und ich spüre, wie mir heiße Tränen in die Augen schießen. Mit schnellen Bewegungen wische ich sie weg. Ich will auch stark sein. Wenn sie an ein Morgen glaubt, wieso kann ich das nicht. Wieso ist meine Welt grau und leer. Wieso kann ich mich nicht wie sie über jeden Tag den wir zusammen noch haben freuen. Mein Verstand brüllt förmlich danach. Doch mein Herz fühlt nur die Trauer. Und ich weiß, ich trauere jetzt schon über etwas, was ich noch gar nicht verloren habe. Sie ist hier. Sie ist noch hier. Wir sollten jede Stunde, jede Minute, jede Sekunde nutzen zusammen zu sein. Für einander da zu sein. Wir sind füreinander da.
Die ruhigen Augen schauen mich an. Es braucht keine Worte. Die Trauer bleibt im Herzen, doch der Verstand gewinnt für einen kurzen Augenblick die Oberhand und schafft ein kleines Lächeln und einen Händedruck. Sie nickt. Sie weiß, ich habe verstanden. Ich weiß, sie hat verstanden. Ich stelle das Glas zurück auf den Nachtisch. Sie schließt die Augen und ich löse meinen Griff. Einen weiteren Tag. Ich verlasse leise den Raum. Sie schläft. Bald wird sie nicht mehr erwachen. Aber einen Tag noch.

 

Hallo Emely!

Es geht um die letzten Tage einer kranken Frau und die Person, die sie pflegt, die bei ihr ist in ihren letzten Tagen. Leider hat der Text nur einen vorherrschenden Ton: Nämlich den der inneren Bedrücktheit der pflegenden Person, das Auflehnen dagegen und das Sich-doch-wieder-Einfügen.
Um aus einer Geschichte eine gute Geschichte zu machen, bedarf es mehr, sie muss, auch bei einem derart schweren Thema, in gewisser Weise unterhaltsam und spannend sein, aber da ist nichts drinnen, was mein Interesse weckt, ich kann Rührung empfinden oder Mitleid mit beiden Personen, aber das ist zu wenig.
Ein Zugang, das Ganze spannender zu machen, wäre zum Beispiel, etwas über das Verhältnis der beiden zueinander zu erfahren, ihre gemeinsame Geschichte zumindest anzudeuten, was sie miteinander erlebt haben. Und diese Geschichte muss es geben, sonst wären sie nicht so vertraut miteinander. Auch sinnliche Eindrücke wären nicht schlecht, zum Beispiel wie das Krankenlager aussieht, was da herumsteht, wie die Kranke selbst aussieht, da steht nur: bleich, abgemagert, ohne Haare, etwas genauer, etwas subjektiver wäre hier gut. Ich weiß ja nicht einmal, ob die Person alt oder jung ist - beide Personen näher zu charakterisieren, wäre auch gut.

Ihr Mund verzehrt sich zu etwas
verzerrt
Sie trinkt kleine Schlücke
Schlucke
Wenn sie an ein morgen glaubt
groß: Morgen

Du solltest den ganzen Text auch noch mal auf fehlende Beistriche durchgehen, dir mal die Kommaregeln durchschaun, denn da fehlen eine ganze Menge.

Gruß
Andrea

 
  • Zuletzt von einem Teammitglied bearbeitet:
Zuletzt von einem Teammitglied bearbeitet:

Liebe @Andrea H. ,

vielen lieben Dank für Deine Einschätzung. Werde den Text nochmal durcharbeiten. Deine Rückmeldung ist sehr wichtig für mich. Danke.

Lieben Gruß
Emely

 

Hi @Emely,
herzlich willkommen bei den Wortkriegern. Ich finde du hast die Atmosphäre der Situation sehr gut getroffen. Jeder, der schon einmal mit Pflege zu tun hatte, kennt die Hilflosigkeit, das Überfordertsein. Mich würde auch wie @Andrea H. interessieren, mehr über die beide zu erfahren. So lässt du sehr viel Raum für das eigene Kopfkino deiner Leser*innen.
Schau auch noch einmal nach den Doppelungen in deinem Text. Manchmal ist das ein gutes Stilmittel, aber nicht immer. Z.B.

Der Himmel ist genauso grau, wie es in meinem Inneren aussieht. Nur sieht es in mir noch viel leerer aus.
Und doch trafen mich seine Worte wie ein Schlag. Wie ein Blitz schlugen sie ein.
Ich will so viel sagen, aber ich weiß nicht wie. Ich weiß nicht, was ich sagen soll.
Und noch eine Kleinigkeit:
Still rinnt eine Träne aus dem Auge und kullert die Wange herab, bevor sie wie der Regen am Fenster, fast geräuschlos auf das Kissen tropft.
Ich finde, Regen am Fenster ist eher laut.
Mein Verstand brüllt förmlich danach.
Brüllt danach finde ich seltsam.
Ich hoffe, du kannst etwas mit meinen Anmerkungen anfangen. Grüße von Snowmaid

 

Hallo @Emely,
interessant, Dein Text, weil er die Frage aufwirft, wie ein Text, der sich ein fundamentales Thema gewählt hat, gestaltet sein muss, um wirksam zu sein.

Zunächst ein paar Texthaken:
Da werden "grau" und "leer" in Beziehung gesetzt. Der Himmel ist aber grau und nicht leer. Also geht der Vergleich hier ins Leere.

Der Himmel ist genauso grau, wie es in meinem Inneren aussieht. Nur sieht es in mir noch viel leerer aus.
Komma vor "dass".
gleichzeitig will ich nicht dass es aufhört.
Da vorher nur eine Aussage des Arztes zitiert wurde, ist die Zuordnung "klar" nicht klar.
In meinen Augen, die einzige klare Aussage.
Eine Träne rinnt immer still. Kullern ist mir in dem Kontext zu verspielt. Vorher trommelt der Regen aufs schräge Fenster. Jetzt ist er geräuschlos, wie die Träne, die ziemlich sicher völlig gräuschlos auf das Kissen tropft, sonst müsste es schon ein gehöriger Tropfen sein. Aus dem Auge ist auch so eine Sache. Natürlich kommt sie aus dem Auge, woher sonst. Wange würde reichen. Und die Träne ist auch nicht wie der Regen, sondern wie ein Regentropfen. Also, für mich ist das Bild einfach schief. Obwohl, Du setzt das Geräusch des Regens und der Träne in Beziehung, das stimmt wieder, aber eben auch nicht, weil vorher Regen laut, jetzt fast geräuschlos, wie gesagt.
Still rinnt eine Träne aus dem Auge und kullert die Wange herab, bevor sie wie der Regen am Fenster, fast geräuschlos auf das Kissen tropft.
Schwierig, die Vorstellung, dass es einen traurigen Händedruck gibt. Und wie differenziert man dann den Druck in aufmunternden Druck und traurigen Druck?
Sie drückt meine Hand. Aufmunternd und traurig zugleich.
Kommt zweimal hintereinander.
Ich weiß nicht, was ich sagen soll.

Und im Laufe der Auflistung wird mir dann auch klar, was mich stört, warum mich der Text nicht so reinnimmt in die Situation. Es ist für mich nicht die Art des Schreibens. Und wenn ich am Anfang bei der Einleitung noch in eine andere Richtung gedacht habe, muss ich mir selbst widersprechen. Die Art, das so karg aufzuziehen, die könnte schon gut sein. Die könnte anders sein, als auf der Personifizierungsschiene zu laufen. Also, ich erzähle was von der Figur, dann setzt die Identifikation ein und man ist am Haken. Das ist hier nicht so und die klinische Schilderung hat schon was. Aber, und dieses aber ist groß, das braucht eine Sache: Präzision. Und diese Komponente fehlt mir in Deinem Text. Wenn man das purifiziert, von Füllwörtern befreit und klar hinterfragt, ob alle Dinge stimmen, könnte es gehen. Dann ginge es auch mit Wiederholungen, die den Sprachminimalismus unterstreichen würden. Jetzt, in dem ein wenig wackeligen Zustand, kommen die Wiederholungen eher störend rüber, weil sie nicht genau eingepasst sind.
Beste Grüße
rieger

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom